Yakuza 6: The Song of Life16.03.2018, Benjamin Schmädig

Im Test: Abschied von einer Legende

Nach etwa 40 Stunden war Kazuma Kiryu 100 Kilometer gelaufen – gegangen, wohl gemerkt, nicht gerannt. Denn mit Yakuza 6 hat Sega virtuelle Kulissen erschaffen, die so lebendig wirken, dass ich nicht einfach hindurch sprinten konnte, sondern jeden Augenblick wie die Reise an einen exotischen Urlaubsort genossen habe. Offiziell war es das letzte Mal, dass Kazuma die Hauptfigur seines eigenen Abenteuers war und im Test gehen wir ganz ohne Spoiler der Frage nach, wie gut ihm dieser Abschied gelungen ist.

Traditionsreiche Geschichte

Wenn es hier mehr als einhundert Kilometer waren, müssen es in den vergangenen zwölf Jahren weit über tausend gewesen sein: mehr als eintausend Kilometer, die ich in den sieben Teilen der Hauptserie (Yakuza 0 zähle ich als Vorgeschichte dazu) und fast allen ihrer Ableger zurückgelegt habe. Die Yakuza-Serie hat einen besonderen Platz in meiner Spiele-Vita eingenommen, weil es mir mehr als jedes GTA das Gefühl vermittelt, mich in einer plastischen Parallelwelt zu befinden.

Dabei ist auch Yakuza 6 keine tiefsinnige Lebenssimulation, sondern ein Prügler, in dem Kazuma etliche Ganoven vermöbelt, um irgendwann deren Bosse auszuschalten. Zwischendurch vertreibt er sich in Karaoke-Bars, beim Dartspielen, am Outrun- oder Virtua-Fighter-Automaten, an einhändigen Banditen, im Fitness-Studio, auf dem Baseball-Platz, in Restaurants oder beim

Ob das schillernde Kamurocho bei Nacht...
Flirt mit einer Hostess die Zeit.

Lupe statt Fernrohr

Dass seine Welt diesmal so lebendig wirkt, liegt aber nicht an der Vielzahl der Beschäftigungen. Es liegt daran, dass Sega gar nicht erst versucht, etwa ganz Los Angeles nachzubauen, und sich vielmehr auf wenige Querstraßen eines einzelnen Stadtteils beschränkt: In Kamurocho, einer verblüffend realitätsnahen Version von Tokios Vergnügungsviertel Kabukicho , spiegeln sich neonstrahlende Reklametafeln im nassen Asphalt. Werbetafeln, Fahrräder sowie Mofas stehen auf dem Bürgersteig, während Geschäfte, Bars oder Cafés zum Hereingehen einladen, damit man dort kurze Abenteuer erleben oder sich die Zeit mit kleinen Herausforderungen vertreiben möge.

Ständig wechselt das detaillierte Muster der Pflastersteine, die Ventilatoren etlicher Klimaanlagen „zieren“ abgewetzte Mauern vernachlässigter Hinterhöfe – wo Rockstar hauptsächlich das Gefühl einfängt, durch eine große Stadt zu cruisen, richten Segas Entwickler ihren Blick ähnlich wie gute Anime-Zeichner auf scheinbar unwichtige Kleinigkeiten. Das in dicken Asphaltnähten gespiegelte Neonlicht erdet Kamurocho stärker als es ein Meer aus Wolkenkratzern je könnte.

... oder das dörfliche Onomichi: Yakuza 6 sieht vor allem in Bewegung umwerfend gut aus.

In der Ruhe liegt die Schönheit

Und endlich ist der normale Gang Kazumas wichtigste Fortbewegungsart! Denn zum ersten Mal genießt man das einzigartige Vor-Ort-Sein, wahlweise sogar in Ego-Perspektive, ohne ihn durch Halten eines zusätzlichen Knopfs erst vom Rennen abzuhalten. Diese Langsamkeit hebt das Spielgefühl auf eine Stufe, von der die Serie zuvor ein ganzes Stück entfernt war. Gefühlt steht man direkt daneben, wenn der ehemalige Yakuza jede Tür per Hand öffnet, anstatt einfach hindurch zu preschen. Man beobachtet ihn, wie er jeden Schritt auf eine Stufe setzt, anstatt drüber weg zu gleiten, lauscht allen erstmals komplett vertonten Passanten und Auftraggebern, und begleitet ihn in eins der vielen Etablissement, die alle ohne Ladeunterbrechung begehbar sind. Es fühlt sich großartig an, ein Café am Millennium Tower zu betreten, um vom ersten Stock oder gar der Dachterrasse aus auf die Straßen davor zu blicken.

Ja, ich habe gerade eine komplette Seite lang nur das Laufen durch virtuelle Kulissen beschrieben. Aber gerade in einer offenen Welt ist das Mittendringefühl für mich von entscheidender Bedeutung. Und Yakuza 6 erzeugt die mit Abstand beste Illusion Teil einer lebendigen Welt zu sein!

Herr Kiryu und sein Enkel

Wenn Kazuma in der kleinen Stadt Onomichi ankommt, gewinnt die neue Ruhe sogar eine noch größere Bedeutung, denn der beschauliche Ort könnte nicht weiter vom hektischen Treiben des schillernden Vergnügungsviertels entfernt sein. Auf den Stufen zwischen einer höher gelegenen Tempelanlage und der Brücke über eine Bahnanlage bestimmt beinahe dörfliche Idylle das Bild.

Was Herr Kiryu dort sucht? Den Vater seines Enkelsohns. Oder vielmehr: des Sohns von Ziehtochter Haruka, die von einem Wagen erfasst wurde, während sie das Baby im Arm hielt. Kazuma will herausfinden, ob es sich um einen Anschlag oder einen

PS4 und PS4 Pro - gibt es Unterschiede?

Yakuza 6 sieht auf Sonys Pro-Konsole  nicht nur etwas schärfer aus, es spielt sich auch besser. Das liegt vor allem an der spürbar besseren Bildrate, die auf der normalen PS4 unter Mikrostottern und Tearing leidet. Seltsamerweise füllt das Bild auf der technisch schwächeren Plattform zudem nicht das komplette Display aus.

Getestet wurde Yakuza 6 ausschließlich auf einer PlayStation 4 Pro. Unfall handelte – wobei er selbstverständlich einem Komplott auf die Schliche kommt, das einmal mehr eine Intrige in einer Intrige in einer Intrige versteckt.

Und so vergehen etliche Stunden langweiliger Exposition, die mit guter Erzählung oder gar glaubhaften Charakteren nicht das Geringste zu tun haben...

Zwischen Pathos und Schlaftablette

Nein, für hochklassige Filmszenen steht die Yakuza-Serie schon lange nicht mehr. Ich kenne japanische Filme und mag viele deren Eigenheiten – ganz zu schweigen von Takeshi Kitano (Battle Royale, Hana-bi), der in Yakuza 6 nicht nur eine tragende Rolle spielt, sondern dessen virtuelles Alter Ego ihm verblüffend ähnlich sieht. Doch für meinen Geschmack übertreiben die Spieleregisseure einfach maßlos, wenn sie fast ausschließlich Tiraden ellenlanger Erklärmonologe mit teils absurdem Overacting inszenieren.

Brauchbare Charakterisierungen sucht man vergebens; Motive und Gefühlswelten werden stets wie abschließende Erkenntnisse ausgedehnter Therapiesitzungen und mit der Ernsthaftigkeit einer aufpeitschenden Motivationsrede

Besonders Nahaufnahmen gelingen den Spieleregisseuren ausnehmend gut.
proklamiert, gerne unter plötzlich ausbrechenden Tränenbächen oder noch plötzlicher einsetzendem Gebrüll.

Frauen dienen in der komplett von Männern getragenen Geschichte ausschließlich als Stichwortgeber, Geiseln oder Erotikwerkzeuge, während die in Anzügen posierenden Primaten sich die Fresse polieren, um beste Freunde zu werden, sich später noch mal die Fresse polieren, um sich daraufhin sofort wieder zu vertragen und nach einem zünftigen Kaputtdreschen sogar umgehend den Mord am eigenen Vater verzeihen, woraufhin sich alle wieder unfassbar lieb haben.

Unerklärliche Peinlichkeiten würzen diese skurrile Mischung, ohne dass das wichtige Augenzwinkern des Regisseurs erkennbar wäre. Als Harukas Baby mehrmals wie ein Football umhergeworfen wurde, ist mir beinahe die Kinnlade auf den Boden gekippt – mir fehlen ehrlich gesagt die Worte, um diesen unsäglichen Quatsch auch nur im Ansatz treffend zu beschreiben.

Familiengeschichten

Dabei ist das Skript grundsätzlich interessant, weil der Plot um die Klüngelei in den Reihen japanischer und chinesischer Clans clever konstruiert ist und als ständig Form und Farbe wechselnde Karotte hervorragend funktioniert. Zudem ist nicht nur der rote Faden um Kazuma, Haruka und ihren Nachwuchs gewickelt; nahezu jede Kurzgeschichte und sogar einige Minispiele machen die Familie zum Thema, sodass die Erzählung kompakt und vielschichtig wirkt.

Mir scheint nur, Sega hätte sich spätestens mit Teil drei damit abgefunden, dass die in Japan extrem erfolgreiche, im Westen aber kaum wahrgenommene Serie weder erzählerisch noch spielerisch große Schritte machen kann und deshalb gar nicht

Eine gute Idee: Plaudern bei einem Drink. Leider inszeniert Sega die Gespräche aber als Minispiel, das man gewinnen muss.
erst versucht, beide Aspekte zu modernisieren. Stattdessen wurde die Erzählweise, vielleicht um überhaupt eine Steigerung zu erreichen, zu einer Karikatur ihrer selbst überhöht, während sich das Spiel trotz der erwähnten inhaltlichen Anbindung viel zu offensichtlich nur als Sammlung verschiedener Herausforderungen präsentiert.

Altmodischer Pragmatismus

Symptomatisch dafür ist ein Minispiel, in dem sich Kazuma immer wieder mit den Besuchern einer Kneipe unterhält und so nach und nach Freundschaften knüpft. Das schafft er, indem er mit ihnen Dart spielt, Karaoke singt sowie ausführliche Gespräche führt, in denen er sich an mehreren Stellen für eine Antwort entscheiden muss. Das riecht nach einer Prise Telltale oder gar Bethesda...

... aber der Eindruck täuscht. Die Unterhaltungen haben nämlich in keiner Form damit zu tun, dass man etwa einen selbst gewählten Standpunkt vertritt oder gar unterschiedliche Arten von Beziehungen mit ein und derselben Person aufbauen darf. Ganz profan geht es vielmehr darum, das Minispiel zu gewinnen, indem man möglichst viele der einzig richtigen Antworten findet – Punkt. Bis das klappt, kann man das Gespräch beliebig oft wiederholen sowie jederzeit abbrechen, um es später von vorn zu versuchen. Geschafft ist es auf jeden Fall erst, nachdem man ausreichend viele korrekte Antworten gefunden hat. Mit einer zeitgemäßen interaktiven Dialogkultur hat das selbstverständlich nichts zu tun.

Man muss sich im Klaren darüber sein, dass Yakuza 6 an keiner Stelle den großen Schritt hin zu einer dynamischen virtuellen Welt macht, sondern seine bezaubernde Kulisse mehr als die meisten Open-World-Abenteuer wie ein interaktives Menü nutzt, in dem Herausforderungen immer genau am vorgesehenen Fleck darauf warten angeklickt zu werden.

Die Minispiele sind toll, manche großartig - eins sticht allerdings aus der Reihe: Der Chat mit sich bis auf die Unterwäsche entkleidenden Damen ist nicht nur erschreckend unsexy, sondern auch spielerisch ein kompletter Rohrkrepierer. Was sich Sega dabei gedacht hat...

Segas Spielwiese in einer Spielwiese

Und vielleicht liegt es daran, dass es sich so überzeugend natürlich anfühlt, Kazuma durch diese einfach strukturierte Kulisse zu bewegen. Vielleicht liegt es auch daran, dass ich Yakuza wie einem alten Freund wahrnehme, dem man anmerkt, dass er sein Bestes gibt. Auf jeden Fall habe ich mich mit den krummen Eigenheiten abgefunden – was auf jeden Fall auch daran liegt, dass alleine die Minispiele nach wie vor zum Besten und Umfangreichsten gehören, mit dem man sich in den offenen Welten der Videospielwelt die Zeit vertreiben kann!

Nicht nur das, viele der Aktivitäten wurden sogar gehörig aufgepeppt: im Baseball z.B. die Steuerung verbessert, in den Hostessen-Bars das Dialogsystem komplett erneuert und im Club Sega die Anzahl der Automaten vergrößert. So spielt Kazuma neben Outrun, Space Harrier und Super Hang-On auch Virtua Fighter 5: Final Showdown, Fantasy Zone sowie Puyo Puyo. Ich hatte mich schon immer lange mit den Minispielen beschäftigt, doch diesmal gab es nicht nur ein oder zwei Highlights, sondern gleich mehrere, sodass ich hatte nach Abschluss der Geschichte noch lange nicht genug davon hatte.

Mädchen für alles

Es geht ja noch weiter. Alleine mit Baseball habe ich Stunden verbracht, weil Sega die Arcade-Herausforderung klarer lesbar gemacht hat und Erfolgserlebnisse damit besser belohnt. Mal ganz davon abgesehen, dass sich dieses Training endlich lohnt, weil Kazuma erstmals tatsächlich Baseball spielt.

Für seine Mannschaft findet er dabei über das Erfüllen kleiner Gefallen zusätzliche Mitspieler in der offenen Welt, stellt sie anschließend auf und verbessert mit Trainings-Einheiten ihre Fähigkeiten. Die eigentlichen Partien laufen zwar bis auf mögliche Auswechslungen automatisch ab, ein paar Mal greift man allerdings

Zum ersten Mal trainiert Kazuma nicht nur in einer Halle, sondern tritt auch mit einer Mannschaft auf dem Platz an.
selbst zum Schläger, um mit dem aktuell in der Strike Zone stehenden Batter zu punkten.

Anstatt gemütlich die Angel auszuwerfen, taucht Kazuma zudem mit einer Harpune nach Fischen. Manche sollte er dann erledigen, bevor sie ihn angreifen und am Ende jedes Tauchgangs steht ihm ein Boss-Tier im Weg, was freilich ebenso albern wie unterhaltsam ist.

Wie gesagt: Den Bruch zwischen ernsthafter Erzählung und vergnügtem Spiel umschifft die Yakuza-Serie schon lange nicht mehr, sondern zelebriert ihn regelrecht. Kazuma, das grimmige Mädchen für alles, reicht jedem eine helfende Hand und ist sich für keinen Unsinn zu schade. Anders sind Nebenmissionen nicht erklärbar, in denen er ständig irgendwelche Ganoven vermöbelt, in kurzen Dialogen besänftigende Worte findet oder altkluge Lektionen erteilt, wie sie in Tele-5-Trickfilmen am Ende der Sendung liefen .

Yakuza: The Gathering

Und dann ist da noch Kazumas frisch ins Leben gerufener Clan: eine Gruppe von Typen, die man in kurzen Echtzeitgefechten aus der Vogelperspektive dirigiert, um einen gegnerischen Clan zu besiegen. Auch dafür rekrutiert man Mitglieder in der

Was tun, wenn das Abenteuer vorbei ist?

Zum einen darf man nach Abschluss der Geschichte in einem so genannten Premium Adventure an beide Orte zurückkehren.

Zum anderen kann man ein neues Spiel beginnen, wahlweise auf dem Schwierigkeitsgrad Legend. Dabei übernimmt Kazuma alle Fähigkeiten, Erfahrungspunkte und sein komplettes Inventar. Auch die Anführer der Clan-Klämpfe sowie seine Baseball-Mitspieler befinden sich auf den bereits erspielten Levels, er muss sie aber erst wieder finden und die Teams neu zusammenstellen.

Sogar alle zuvor befreundeten Katzen benötigen nur ein einziges Mal Futter, um wieder ins Café zu gelangen.

Bedenkt nur: Die Clan-Kämpfer werden nicht online, sondern im Spielstand gespeichert. Entwickelt ihr sie im neuen Spiel weiter,  verbessert ihr sie deshalb unabhängig von einem zuvor begonnenen Premium Adventure. offenen Welt, die man in ein hierarchisches System eingliedert. Je mehr Kämpfer ein Anführer dabei unter sich hat, desto stärker ist er. Besteht eine besondere Sympathie zwischen ihm und einem Untergebenem, verleiht ihm das zusätzlichen Auftrieb. Maximal sechs Anführer stellt man schließlich für jedes Gefecht auf und alleine das Maximieren der Werte dieses Trupps wäre anderswo ein Minispiel für sich.

Hier geht der eigentliche Spaß aber erst los, und zwar in vom Spiel vorgegebenen Missionen sowie online gegen die Trupps anderer Spieler, wobei man stets nur gegen deren Figuren, nie im direkten Duell kämpft. Taktiker Kazuma sendet also beliebig viele seiner sechs zuvor festgelegten Anführer in den Kampf, wobei jedes Aussenden eine bestimmte Menge der dafür notwendigen Ressource kostet. Das gilt auch für namenloses Fußvolk, das zwar wesentlich günstiger ist, dafür aber nur als Unterstützung der Anführer dienen kann. Die einen werfen z.B. Granaten und werden schnell überrannt, andere sind relativ schwer umzuhauen, bewegen sich aber unsäglich langsam voran.

Die Zusammenstellung der Anführer ist das A und O, denn fast alle verfügen über eine Spezialfähigkeit, die sich nach dem Verwenden neu auflädt. Einer heilt sämtliche Mitstreiter, während ein anderer sämtlicher Gegner um sich herum zu Boden wirft, der nächste die Kosten für den Einsatz sämtlicher Kämpfer senkt usw.

Es dauert lange, bis man alle Anführer gesammelt hat, was nur ein Grund dafür ist, dass ich unverschämt viele Stunden mit der manchmal unübersichtlichen, aber sehr unterhaltsamen Echtzeit-Taktik verbracht habe. Alleine damit hält mich Yakuza 6 nach dem Abspann noch bei der Stange.

Kazuma läuft heiß

Aber nicht nur damit. Mir hat es nämlich auch das Kampfsystem auf eine Art angetan, wie es bisher weder der Hauptserie noch einem der Konsolenableger gelungen ist – so sehr, dass ich mich zum ersten Mal ernsthaft in ein neues Spiel auf dem nach dem ersten Durchlauf freigeschalteten höchsten Schwierigkeitsgrad vertiefe.

Immerhin kehrt Kazuma zu seinen Wurzeln zurück, indem er zum einen darauf verzichtet ständig eine Waffe zu tragen und zum anderen auch nicht zwischen verschiedenen Kampfstilen wechselt. Damit liegt der Fokus stärker auf dem richtigen Beherrschen ganz bestimmter Angriffe, Bewegungen und Konter und häufiger als zuletzt auf dem Duell Mann gegen Mann. Die Prügeleien sind stärker von Taktik und Timing geprägt, wobei sich Kazuma dank neuer Animationen und einer deutlich verbesserten Steuerung agiler anfühlt. Yakuza 6 kommt endlich ohne jene frustrierende Momente aus, in denen sich Kazuma einfach nicht präzise steuern ließ.

Ein letztes Mal lässt Kazuma Kiryu die Fäuste schwingen, was in manchen Einstellungen an die letzten Fight-Night-Titel erinnert...

Klasse außerdem, dass seine Heat-Energie nicht mehr nur zum Ausführen starker Finisher dient, sondern man auch einen Heat-Modus aktiviert, in dem er grundsätzlich größeren Schaden anrichtet und sowohl zusätzliche Angriffe als auch besondere Finisher zur Verfügung hat. Insgesamt ist dieser Modus leider zu stark, denn damit gehen selbst große Bosskämpfe verblüffend schnell vorüber. Alles in allem ist er aber eine tolle Belohnung für das vorherige Sammeln der Heat-Energie.

„Ihr habt ja keine Ahnung, mit wem ihr euch angelegt habt!“

Nicht zuletzt ist Kazuma wieder die einzige spielbare Figur, was dem Abenteuer unheimlich guttut. Ich war nie ein Fan davon, seit Teil vier stets die Geschichten mehrerer Charaktere statt eines grundlegend verbesserten Spiels zu erleben. Yakuza 6 ist fokussierter und damit sowohl spielerisch motivierender als auch erzählerisch greifbarer...

... was sich spätestens in den letzten Stunden bezahlt macht, wo dem Spiel etwas gelingt, das ich beim genervten Wegschauen während manch alberner Filmszene nicht für möglich gehalten hatte: Es macht Kazuma Kiryu – gerade weil es so überzogen inszeniert ist – zur Legende.

... einmal noch, bevor er endgültig zur Legende wird.

Da Sega nämlich seinen mit übermenschlichen Kräften gesegneten Ritter nicht nur absurd überhöht, sondern als eine Art bodenständigen Superhelden durchaus ernst nimmt, erreicht Kazuma, nachdem die letzte Klappe gefallen ist, doch tatsächlich ein ausgesprochen logisches, emotional perfektes Ende seiner Abenteuer.

Owari

Und seitdem das geschehen war, fühlt sich Yakuza 6 trotz ärgerlicher Schwächen einfach rundum gut an. Mir ist klar, dass dieser (anhaltende) Eindruck von einer gewaltigen Portion sentimentaler Romantik getragen wird und wohl nicht bei jedem Spieler entstehen wird. Ich habe allerdings nicht vor, mehr als zehn Jahre meiner Videospiel-Vita ausgerechnet an dieser Stelle einfach wegzudrücken.

Yakuza 6 ist ein hervorragender Abschied von einem Helden, der mich lange begleitet hat. Schön, dass er einen so starken Abgang macht!

Fazit

Ich habe die Augen verdreht, als Filmszenen als Karikatur ihrer selbst zwischen sentimentalem Pathos, albernen Männlichkeitsfantasien und gähnender Langeweile umher torkelten. Ich bedauere außerdem, dass nahezu alle Interaktionsmöglichkeiten nur am Fleck verortete Minispiele sind und die offene Welt abseits zufälliger Prügeleien fast ohne dynamische Ereignisse auskommen muss. Und trotzdem ist Kazumas siebter Ausflug in Japans Unterwelt sowohl spielerisch als auch erzählerisch ein verdammt guter! Das liegt zum einen an den überragenden Kulissen, die erstmals komplett vertont wurden und in denen jeder begehbare Raum ohne Ladeunterbrechung erreichbar ist – auch Kazumas Animationen sowie die akribische Detailverliebtheit der Ausstatter sorgen dafür, dass man tiefer in diese Welt gezogen wird als in jedem vergleichbaren Spiel. Es liegt nicht nur an der schieren Menge richtig guter Minispiele, die gefühlt jeden Meter dieser offenen Welt zu einer funktionalen Wirklichkeit machen. Es liegt auch am überarbeiteten Kampfsystem, in dem Taktik und Timing an Bedeutung gewonnen haben, sowie an einer Art Sammelkarten-Minispiel, dessen Echtzeit-Taktik gar auf eigenen Füßen stehen könnte. Hauptsächlich liegt es aber daran, dass Sega die Geschichte um Kazuma Kiryu in ein vor allem für langjährige Fans sehr logisches und ausgesprochen zufriedenstellendes Finale führt. Es war das letzte Mal, dass er die Hauptfigur seines eigenen Abenteuers ist. Und das erste Mal, dass es ein richtig großes war!

Pro

erzählerisch gelungener Abschluss der Ära Kazuma Kiryu
lebendige Kulissen mit sehr detaillierter unmittelbarer Umgebung und vielen begehbaren Gebäuden
(zügige) Schrittgeschwindigkeit als normale Fortbewegungsart verortet Kazuma stärker in seiner Umgebung
harte, flott spielbare Schlägereien mit zahlreichen Kombinationen aus Schlägen und Tritten, Haltegriffen, Partner-Angriffen und dem Einsatz von Gegenständen der Umgebung...
umfangreiche, freie Charakterentwicklung mit vielen Techniken, Bewegungen, anderen Fähigkeiten sowie dem Verbessern verschiedener Werte
untereinander verknüpfte Minispiele und andere Aktivitäten
etliche optionale Missionen sowie sehr unterhaltsame Minispiele
Clan-Kämpfe: motivierende Mischung aus Sammelkarten-Prinzip und Echtzeit-Taktik mit Missionen und kompetitiver Online-Anbindung
übersichtliche Karte und genaue Beschreibungen statt Symbolüberflutung
großer technischer Fortschritt zu Yakuza 0 und Kiwami: erstmals komplett vertont und Speichern ist jederzeit möglich, Dialoge können jederzeit weiter geklickt werden
wahlweise Ego-Perspektive beim Herumlaufen
stellenweise richtig guter Soundtrack abseits von Pop und Hard-Rock-Geschrammel

Kontra

viele langweilige Monologe und absurd überdrehte Gefühlsausbrüche statt spannender Filmszenen
Charaktere für Nebenmissionen und Minispiele bewegen sich praktisch nie durch die Straßen und stehen nach Beenden eines Missionsabschnitts sofort an neuem Fleck
Dialogoptionen gaukeln oft Freiheit vor, die nicht existiert: Minispiele müssen profan gewonnen werden
... aber viele Kämpfe sind auf höchstem Schwierigkeitsgrad auch zu leicht
Japanisch mit englischen Texten es gibt weder deutsche Sprache noch deutsche Texte

Wertung

PlayStation4

Ausgesprochen umfangreiches und trotz mancher Peinlichkeiten erzählerisch gelungenes Finale in einer atemberaubend lebendigen Kulisse.

Echtgeldtransaktionen

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