The 3rd Birthday01.04.2011, Mathias Oertel
The 3rd Birthday

Im Test:

Es ist schon ein Weilchen her, seit man mit Aya Brea gegen übernatürliche Kräfte antreten musste: Über zehn Jahre sind seit dem letzten Ableger der Parasite Eve-Serie auf der guten alten PSone ins Land gezogen. Dass sich dieses Abenteuer mit der mittlerweile in Vergessenheit geratenen Heldin hinsichtlich des Namens neu orientiert, ist aber hoffentlich kein schlechtes Omen.

Parasite wer?

Ist schon okay. Es ist keine Schande, wenn man sich nicht an Parasite Eve 2 erinnert oder gar zugeben muss, es nicht gespielt zu haben. Allerdings hat man etwas verpasst. Denn zusammen mit dem 1998 erschienenen Vorgänger, der hierzulande leider nicht veröffentlicht wurde, hatte Squaresoft zwei heiße Eisen im Feuer, die versuchten, Rollenspiel à la Final Fantasy (sprich: Active Time Battles) mit Survival-Horror im Stile von Resident Evil zu verbinden. Wobei Teil 2 sogar noch die Rollenspiel-Anteile zugunsten des Horrors zurückschraubte. Mit einem Zugang zum amerikanischen PlayStation Store kann man diese Lücke ansatzweise füllen: Dort ist im Kielwasser des Releases von "The 3rd Birthday (ab 19,95€ bei kaufen)" (T3B) das erste Parasite Eve wieder veröffentlicht worden.

Andererseits: Es macht zumindest in erzählerischer Hinsicht gar nichts, wenn man keine Ahnung hat, worum es geht. Denn damit steht man auf einer Stufe mit der Hauptdarstellerin. Aya Brea leidet unter Amnesie und kann sich weder an die Geschehnisse der ersten Episoden ihres Software-Lebens erinnern noch an die Ereignisse, die in ihrer jüngeren Vergangenheit liegen.

Der Schlüssel liegt in der Vergangenheit

Dementsprechend kann sie sich auf die Gegenwart fokussieren - und die ist problematisch genug. Denn im New York der näheren Zukunft ist das Chaos ausgebrochen: Die so genannten Twisted, Monster sowie organische Albträume haben die Metropole eingenommen. Als Mitglied des so genannten "Counter Twisted Investigation Teams" muss sie herausfinden, was es mit dieser Invasion auf sich hat. Und dafür muss sie mit ihrem Geist in ihre eigene Vergangenheit reisen. Klingt verwirrend? Ist es auch. Vor allem, weil man sich immer wieder vom Hauptstrang entfernt und sich plötzlich in metaphysischen Philosophien über Schuld, Sühne, das Sein oder Opferbereitschaft wiederfindet. Schwere Kost, die inhaltlich nicht überzeugend zusammen gehalten wird, so dass es häufig scheint, dass man sich irgendetwas aus den Fingern saugen musste, um bestimmte Inhalte und Mechaniken halbwegs plausibel zu erklären. Wie z.B. Ayas Fähigkeit, mit ihrer Seele in der Vergangenheit Besitz von anderen Personen zu ergreifen und diese dann zu steuern.

Scheinbar als Ausgleich für diese Verworrenheit bekommt man dafür aber Zwischensequenzen auf allerhöchstem Square-Niveau: Aufwändig inszeniert und kinoreif geschnitten bringen die Videos zwar kein Licht ins erzählerische Dunkel, doch lassen sie einen häufig mit einem staunenden "Wow" auf den Lippen zurück. Was man über Aya als Hauptfigur nur eingeschränkt sagen kann. Das Mysteriöse, mit dem sie sich in den ersten Parasite Eves umgab, wird hier ersetzt durch eine häufig unglaubwürdige Mischung zwischen Angst vor der eigenen Vergangenheit auf der einen Seite, einer eiskalten Action-Heldin auf der anderen sowie einem dazwischen gefangenen Schulmädchen-Klischee. Keine guten Voraussetzungen, um sich für eine Protagonistin interessieren zu können. Und vielleicht ein guter Grund, weshalb Square ganz bewusst auf namentliche Bezüge zu den Serienursprüngen verzichtet.

Action-Rollenspiel

Und wie sieht es inhaltlich aus? Fans der Reihe dürften enttäuscht sein, denn hat sich Teil 2 schon stark vom Rollenspiel abgewandt, fehlt hier zudem der Survival Horror-Ansatz, der die PSone-Fortsetzung auszeichnete. Stattdessen setzt man auf

Die Kämpfe werden gut inszeniert und bieten meist einige taktische Möglichkeit, doch Steuerung und Kamera werden zu Stolpersteinen.
weitgehend "gewöhnliche" ballistische Action mit Schulterkamera in linearen Schlauchlevel-Strukturen, die mit leichten Rollenspiel-Einschlägen wie Erfahrungspunkten und Levelaufstieg ergänzt wird.

Das funktioniert dank einiger interessanter Mechaniken bis zu einem gewissen Grad richtig gut. So gibt es für die in zahlreiche Klassen eingeteilten insgesamt 50 Waffen nicht nur die Möglichkeit, sie an bestimmten Punkten aufzurüsten und damit die Grundwerte der Schießprügel zu erhöhen. Zusätzlich erhöht sich die Fähigkeit Ayas hinsichtlich der Effektivität, wenn man diesen oder jenen Typus entsprechend häufig nutzt. Dieses "Learning by Doing" z.B. ist eine Mechanik, die ich im Allgemeinen sehr schätze, weswegen ich auch geneigt bin, viele kleine und sogar die eine oder andere größere Macke zu schlucken.

Denn auch wenn man meinen möchte, dass mit der nicht gerade kleinen Zahl an gelungener 3rd-Person-Action auf der PSP von Jak & Daxter bis Syphon Filter genug gute Beispiele vorhanden sind, an denen sich T3B hätte orientieren können, hat man einige unglückliche Design-Entscheidungen getroffen.

        

Hektische Kamera, fragile Deckung

Dazu zählt z.B. die Kameraführung, die in hektischen Momenten (und davon gibt es genug) zusammen mit der Zielerfassung dazu neigt, aus dem Ruder zu laufen. Und das führt meist dazu, dass man nicht nur die Orientierung verliert, sondern beispielsweise auch exakt den Gegner ins Visier nimmt, den man in just diesem Moment überhaupt nicht brauchen kann.

Auch die Deckungsmechanik ist gelegentlich ein Stein des Anstoßes. Nicht, weil manche Deckungselemente von den Gegnern gezielt zerlegt werden und man dann schnell zur Zielscheibe wird und sich umorientieren muss. Sondern weil z.B. Nachladen aus der Deckung heraus zu einem Glücksspiel wird. Und weil selbst ein vermeintlich sicheres Versteck unmöglich scheinende Treffer zulässt.

Das Waffenarsenal bietet nicht nur viel Auswahl, sondern auch Aufrüstmöglichkeiten.
Nicht zuletzt trägt die hakelige Steuerung mit Ayas träger Lauf-, pardon: Jogging-Geschwindigkeit und ihrem halbgaren Ausweichschritt bzw. der Rolle zur Seite dazu bei, die Geduld auf eine Probe zu stellen.

Diese drei Elemente spielen bei den leider überstrapazierten Trial & Error-Sequenzen wie der Flucht vor einem so genannten Reaper (einem fiesen Riesenmonster, das man anfänglich nicht verletzen kann) eine zunehmend größere Rolle und sorgen mitunter für mehr Frust, als dem Spiel gut tut.

Dementsprechend fühlt man nach Bewältigung solcher Abschnitte eine gewisse Erleichterung, weiß aber auch nicht genau, ob man es eher zufällig geschafft hat oder ob tatsächlich die spielerischen Fähigkeiten für den Erfolg verantwortlich waren.

Taktische Rettung

Diese Mankos sind insofern bedauerlich, da man mit Ayas Fähigkeit, sich in andere Figuren zu versetzen eine ebenso coole wie taktisch interessante Möglichkeit integriert hat, um die Action-Gefechte vom Einerlei abzuheben. Das kann man sich in etwa wie vor ein paar Jahren bei der Konsolen-Version von Battlefield 2 - Modern Combat vorstellen: Man kann in jede der menschlichen Figuren hineinschlüpfen, die von den Designern in der Umgebung platziert wurden.

Und damit hat man z.B. auch Zugriff auf neue Waffentypen, die Aya ansonsten (noch) nicht benutzen darf. Zusätzlich wird man taktisch vor allem bei Bosskämpfen gefordert, da man die Figuren nutzen kann, um auf dem Schlachtfeld hin- und her zu springen, sich in vorteilhafte Position zu beamen oder schlichtweg auch nur, um einen der armen Teufel zu opfern, um sich selbst zu retten - zumal es keine Auswirkungen hat, wieviele der Zivilisten oder Soldaten überleben, die man nutzt oder die nur mit einem laufen und ggf. das anvisierte Ziel mit aufs Korn nehmen.

Denn es ist nicht nur damit getan, die dämonisch-monströsen Gegner der ewigen Ruhe zuzuführen. Wer dosiert feuert und den richtigen Moment abwartet, kann mit Ayas Seelenangriff, dem "Overdive", in das Vieh schlüpfen und mächtigen Schaden anrichten, bevor man wieder in den eigentlichen Gastkörper zurück kehrt. Die Belohnung dafür sind zusätzliche Erfahrungspunkte sowie Gegenstände, die in einem Modul angeordnet werden können und bestimmte Eigenschaften erhöhen. Die taktischen Möglichkeiten, die sich dadurch anbieten, sind zwar eher gering, aber innerhalb der Mechanik eine nette Ergänzung.

Technisch ansprechend

Dass man trotz linearer Levelschläuche, Frustmomenten und nervigem Trial & Error trotzdem immer wieder zu Ayas mentalem Ausflug in die Vergangenheit zurückkehrt, ist auch der Kulisse zuzuschreiben - wenn man mal die zu

Abseits der unglücklichen Laufanimation der Heldin bekommt man einige visuelle Highlights geboten.
schulmädchenhaften "Girlie"-Animationen der Heldin beiseite lässt.

Denn auch abseits der grandiosen Zwischensequenzen kann sich T3B sehen lassen. Die Abschnitte sind abwechslungsreich und reichen von unterirdischen Anlagen über Nachtklubs und Hinterhof-Außenarealen bis hin zu bekannten New Yorker Touristenattraktionen. Einziger Wermutstropfen in dieser Hinsicht ist die überschaubare Größe der Gebiete.

Auch beim Charakterdesign und den Animationen gibt es Licht und Schatten: Einerseits trifft man zwar zahlreiche Gegner aus dem Klonlabor, doch das Design der Monster und vor allem der Bosse, die mal albtraumhaft Richtung Silent Hill gehen, mal insektoide Züge zeigen, kann sich wirklich sehen lassen.

Bei der Akustik gibt man sich ebenfalls keine Blöße: Zwar fällt das Fehlen einer deutschen Version (und sei es nur in Textform) negativ auf, doch die englische Sprachausgabe ist durchweg gut, während die dynamische Musik es immer wieder versteht, Akzente zu setzen.    

Fazit

Dass Square auf "Parasite Eve" im Namen verzichtet hat, war eine gute Entscheidung. Denn unter dem Strich hat The 3rd Birthday außer der Heldin nicht mehr viel mit den Geheimtipps der PSone-Ära gemein. Was als Rollenspiel mit Active Time Battle-System begann, ist mittlerweile eine beinahe reinrassige Baller-Action mit Schulterkamera. Und der thematische Wechsel wäre sogar aufgegangen, wenn Aya Brea nicht nur durch schicke Kulissen toben und ihre schauspielerische Leistung in größtenteils hervorragenden Zwischensequenzen präsentieren würde, sondern auch mechanisch überzeugen könnte. Doch trotz taktisch interessanter Ansätze wie dem Personenwechsel bleibt die Action zu gewöhnlich und unnötig hakelig, was vor allem dem unausgereiften Deckungssystem, den unnötigen Trial & Error-Sequenzen  sowie der problematischen Kameraführung zuzuschreiben ist. Zudem wird die mit schweren Themen überladene Geschichte sehr verworren erzählt. Wer sich trotz aller Mankos mit Aya Brea in ihre Vergangenheit aufmacht, kann zwischen all den Mankos und Problemen durchaus ansprechende Feuergefechte finden. Vom Kult ist allerdings nicht viel übrig geblieben.

Pro

thematisch interessante Geschichte...
ballistische Action mit Rollenspiel-Einschlägen
Deckungssystem...
hervorragende Video-Sequenzen
Möglichkeit des Figurenwechsels birgt taktische Elemente
gutes Gegnerdesign

Kontra

- ... die allerdings unnötig kompliziert erzählt wird
mitunter holprige Kameraführung- ... das allerdings nicht ganz reibungslos funktioniert
unnötige Trial&Error-Sequenzen
hakelige Steuerung in Krisensituationen

Wertung

PSP

Technisch gut und erzählerisch interessant, aber kompliziert, bleibt die ballistische Action trotz taktischer Ansätze zu herkömmlich.

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