Im Test:
Aus Alt mach Neu
Retro ist die neue Moderne. Zumindest in der Spielewelt hat dieser Satz immer größere Bedeutung. Dabei geht es nicht nur um die 1:1-Veröffentlichung von Klassikern, die ggf. sogar einen einen grafisch aufgehübschten Darstellungsmodus besitzen wie die Monkey Island-Remakes. Auch in die Entwicklung brandneuer Titel fließen Retro-Aspekte ein. Sei es nun das
Metroidsche Spielprinzip, das in Titeln wie Bionic Commando Rearmed oder Shadow Complex Einzug hält. Oder das Artdesign in Spielen wie 3D Dot Game Heroes, das seine Retro-Wurzeln ebenso wenig verheimlichen kann wie z.B. Geometry Wars oder Gravity Crash. Auch "What did I do to deserve this, my Lord!? 2 (ab 72,70€ bei kaufen)" (Lord 2), Importeuren vielleicht sogar unter dem deutlich eingängigeren Namen "Holy Invasion of Privacy, Badman! 2: Tighten up the Security" bekannt, gehört in diese Kategorie. Die audiovisuelle Präsentation orientiert sich an 8-Bit-Systemen: Dazu gehören Piep-Sounds, eher rudimentäre Animationen sowie eine an den C-64-Klassiker Boulder Dash erinnernde Kulisse, weswegen man an dieser Stelle auch nicht mehr viel Worte darüber verschwenden muss. Nein, es sieht nur nach einem Mix aus Gauntlet und Boulder Dash aus. Tatsächlich ist Lord 2 ein nicht ganz durchschauberer Puzzle-Strategie-Mix!
Strategie? Puzzle? Albern?
Doch worum geht es? Würde es helfen, wenn ich sage, dass Lord 2 am ehesten eine Mischung aus SimAnts und Dungeon Keeper darstellt? Vermutlich nicht. Ok, dann versuche ich es so: Lord 2 ist ein Mix aus "Götterspiel" und "Okösystem-Simulator". Hilft auch nicht? Ein abstrakter Puzzle-Strategie-Mix! Auch nicht? Langer Rede, kurzer Sinn: Lord 2 ist nicht ganz einfach auf einen Nenner zu bringen. Was unter Umständen auch damit zusammenhängt, dass man als Spieler nur Herr über eine Spitzhacke ist, mit der man Felder in einem unterirdischen 2D-Dungeon aufgraben kann. Und um die Verwirrung komplett zu machen, muss man letztlich dafür sorgen, dass der Dungeon-Bewohner Badman, ein böser Overlord, nicht von irgendwelchen Rollenspiel-Helden an die Oberfläche gezerrt wird und dort irgendwelchen Ritualen zum Opfer fällt.
Aller Anfang ist simpel
Das Konzept von Lord klingt überschaubar, birgt aber nicht nur eine kaum hinter der schnöden Fassade vermutete Tiefe, sondern vor allem eine steile Lernkurve. Und das, obwohl es mit dem Training sowie den integrierten Herausforderungen einen eigenen Modus gibt, der die Kampagne sowie den Sandkasten-Modus (Badmans Kammer) ergänzt.
Man stelle sich einen unterirdischen Dungeon vor, ganz klassisch zweidimensional, quasi eine Seitenansicht: An der Oberfläche befindet sich eine menschliche Siedlung, aus der sich von Zeit zu Zeit Helden auf den Weg in die düstere Höhle machen.
Der Spieler als allgegenwärtiger Gott der Zerstörung ist mit einer Spitzhacke "bewaffnet" und kann jedes einzelne Feld des Dungeons zerstören und somit Wege bis hin zu einem Labyrinth formen. Im Sandkasten-Modus kann man sich den Dungeon ganz nach Belieben zusammenstellen.
So weit, so gut. Allerdings ist der Dungeon nicht beschützt. Es gibt keine Monster, die ihn und den Bewohner Badman bewachen. Zerstört man ein mit Nährstoffen durchzogenes Feld (markiert durch grüne Bemoosung) wird ein Schleimmoos befreit, die niedrigste Lebensform in der Welt. Sie ist in erster Linie dazu da, sich auf den entstandenen Pfaden fortzubewegen (man kann sie nicht aktiv lenken oder beeinflussen) und auf ihrem Weg Nährstoffe im Dungeon zu verteilen, vergleichbar der Bestäubung, die Bienen auf ihrem Weg von Blüte zu Blüte durchführen. Haben sich auf diese anfangs willkürliche Art und Weise genügend Nährstoffe in einem Feld gesammelt, so dass es weiß wird, kann man die nächsthöhere Tierstufe "freiklopfen", das Omnom, ein käferähnliches Lebewesen, das sich nicht nur verpuppen und in die wirkungsvollere Omnomfliege verwandeln kann, sondern auch die Grundform der Dungeonverteidigung darstellt. Sobald ein Held den Weg kreuzt, greifen die Dungeonbewohner an und kämpfen bis zum bitteren Ende.
Die Komplexität nimmt zu
Mit noch mehr in einem Feld angesammelten Nährstoffen ist es sogar möglich, wirkungsvolle Eidechsenmänner in die Dungeonbevölkerung aufzunehmen. Allerdings ist Timing und Vorsicht geboten. Nicht nur, dass die Schleimmoose bei ihrem unaufhaltsamen Marsch vielleicht genau in dem Moment dem Feld Nährstoffe entziehen, in dem man den Eidechsenmann
herausschälen möchte, dann aber nur mit einem Omnom vorlieb nehmen muss. Auch der Nahrungsbedarf, der für die "natürliche" Vermehrung der Lebewesen eine Rolle spielt, darf nicht außer Acht gelassen werden. Eidechsenmänner ernähren sich von Omnoms aller Evolutionsstufen, die zur Ernährung wiederum auf Schleimmoose zurückgreifen. Bricht einer dieser Stützpfeiler weg, entweder, weil z.B. die Schleimmoose und die daraus entstehenden Knospen und Blüten sich gegen die Omnoms zur Wehr setzen und diese ausrotten, kann die gesamte Dungeon-Verteidigung zusammen brechen. Das Konzept ist simpel: Sorge dafür, dass die bösen Helden den Dungeon nicht lebend verlassen.
Die Komplexität dieses Ökosystems wird noch gesteigert, da es auch die magischen Pendants zu versorgen gilt. Geister verteilen Mana im Dungeon, Liliths ernähren sich von Geistern und Drachen nehmen sowieso alles zu sich, was nicht schnell genug laufen kann.
Und so ist man schnell Hals über Kopf damit beschäftigt, einen möglichst alle Lebewesen zufrieden stellenden Kreislauf zu entwickeln, der sich nicht nur einer Bevölkerungsexplosion oder Hungersnot als Gefahr gegenüber sieht, sondern der einen auch ständig mit invasierenden Helden konfrontiert, die einen Ausflug in die düsteren Höhlen unternehmen. Da dies jedoch mitunter verdammt schnell nach Levelstart passieren kann und man zu diesem Zeitpunkt vielleicht nicht einmal ansatzweise eine Verteidigungslinie aufgebaut hat, kann es schnell zu Frust kommen. Lord 2 ist in der Kampagne hammerschwer und teils hat man das Gefühl, das sman den unfair scheinenden Helden-Angriffen nur mit Glück entgegen wirken konnte.
Doch irgendwann macht es "Klick" und man lernt, die Verhaltensweisen der verschiedenen Anwohner besser einzuschätzen und vorauszuahnen, was man als Nächstes tun oder lassen sollte. Und wenn man mehr oder weniger stressfrei experimentieren möchte, kann man sich immer noch dem Training oder dem Sandkasten zuwenden.
Mutationen und Dämonen
Auch wenn man nur mit einer Spitzhacke unterwegs ist, braucht man die nicht frustriert ins Korn werfen - Übung macht den Meister. Und wenn alle Stricke reißen greift die Natur ein und wirft bei bestimmten Vorkommnissen Mutationen ins Spiel. Sprich: Wenn z.B. verhältnismäßig viele Räuber in der Nahrungskette über ihnen stehen und eine Ausrottung droht, kann mit der nächsten Generation eine resistente Unterart entstehen, die dafür allerdings mit anderen Nachteilen wie niedrigerer Angriffskraft, langsamerer Fortbewegung etc. fertig werden muss. Schaut man in den Almanach gibt es mehrere hundert Einträge, die gefüllt und entdeckt werden können. Zu guter Letzt kann man mit gewissen Techniken und abhängig von der Schichttiefe, in der man sich befindet, potente Dämonen beschwören, die den Dungeon unsicher machen, aber sich auch an der vorhandenen Fauna laben.
Und das alles kann man erleben, obwohl man letztlich nur mit einer Bergbauhacke Felder abbaut - wobei sogar noch eine zusätzliche Schwierigkeit dadurch aufgebaut wird, dass man meist nur eine bestimmte Anzahl Felder abbauen kann und man für nicht verwendete Aktionspunkte Boni bekommt, so dass eine weitere subtile taktische Ebene entsteht. Als ob das Konzept des "Ökosystem-Simulators" nicht komplex genug wäre, gibt es einen Haufen Mutationen bei den Monster zu entdecken.
Frust und Lust
Und so gräbt man sich durch die Gesteinsschichten, freut sich, wenn irgendwo ein Stufe 3-Wesen entsteht, dass sich im Idealfall sogar noch rechtzeitig fortpflanzt, um dem Heldenstrom Einhalt zu gebieten. Man ärgert sich, wenn die doofen Schleimmoose die Nährstoffe genau an den falschen Stellen verteilen, weil man im Eifer des Gefechtes einen falschen oder zu umfangreichen Weg gezogen hat. Man ist genervt, wenn sich die Dungeon-Bewohner gegenseitig dezimieren, weil sie ihren Nahrungs- oder Verteidigungsroutinen gehorchen und just in dem Moment, in dem die Schleimmoose nach einer Mutation sämtliche Omnoms ausrotten und damit das komplette Ökosystem zusammen bricht. Ja: Manchmal ist Lord 2 eher ein eher auf Zufällen basierender Puzzler als eine taktisch anspruchsvolle 2D-Variante von Peter Molyneux' Klassiker Dungeon Keeper, für die man es anfangs halten könnte.
Und dennoch: Auf Frust folgt Freude. Weil Lord 2 trotz aller unfair scheinenden Momente immer suggeriert, dass mit entsprechender Planung auch der Zufall aus den Gleichungen eliminiert werden kann. Und nicht zuletzt auch, weil die sporadischen Unterhaltungsansätze mit Badman und den in die Dungeons strömenden Helden immer wieder sehr selbstironisch mit dem Rollenspiel an sich umgehen und viele Klischees aufs Korn nehmen. Nicht so offensichtlich, dass es zu spontanem Schenkelklopfen reicht. Aber Rollenspiel-Kenner alter Schule werden immer wieder eine Aussage finden, die das Genre subtil karikiert.
Fazit
Man könnte sich schon fragen, ob "What did I do to deserve this, my Lord!? 2" (um nur einmal den kompletten Namen genannt zu haben) tatsächlich als Spiel ernst zu nehmen ist. Die Mischung aus Puzzler, Ökosystem-Simulator, Glücksspiel sowie Taktik mit Einschlägen aus "Götterspielen" nimmt sich und das Genre der Rollenspiele überhaupt nicht ernst und zeigt sich auch sonst sehr sperrig. Und das liegt nicht nur an der steilen Lernkurve, dem exorbitant schnell steigenden Schwierigkeitsgrad in der etwas zu kurz geratenen Kampagne oder dem konsequent in Bild und Ton durchgezogenen 8-Bit-Retro-Stil. Doch gerade diese Sperrigkeit ist es, die Lord 2 auch sehr sympathisch macht. Man flucht, man lacht, man freut sich im Stillen und immer wieder ist man kurz davor, die UMD mitsamt der PSP einfach durch die Gegend zu pfeffern, wenn die eigenwilligen Viecher im Dungeon wieder mal genau das Gegenteil von dem tun, was man sich eigentlich erhofft hatte. Dass diese Emotionen bei einem Titel entstehen, der dem Spieler mit der Bedienung einer Bergbauhacke im Wesentlichen nur eine Aktion zur Verfügung stellt, ist umso bemerkenswerter. Lord 2 ist trotz seiner einfachen Grundvoraussetzung sehr gewöhnungsbedürftig und wird ungeduldige Naturen zur Weißglut treiben. Wer sich auf das ungewöhnliche Prinzip einlässt, wird zahlreiche charmante Anspielungen und Seitenhiebe auf das sich viel zu häufig zu ernst nehmende Rollenspiel-Genre in den Höhlen finden.
Pro
Kontra
Wertung
PSP
Albern, undurchschaubar und herausfordernd: Lord 2 ist ein ungewöhnlicher Mix aus Puzzler und Strategie mit charmantem Retro-Look.
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