Grand Theft Auto: Liberty City Stories30.11.2005, Paul Kautz
Grand Theft Auto: Liberty City Stories

Im Test:

Das Phänomen der Handheld-Umsetzungen erfolgreicher Konsolen- oder PC-Serien lässt sich in den meisten Fällen mit »Mist« oder »fast völlig anderes Spiel« umschreiben – man denke in diesem Zusammenhang an Need for Speed: Most Wanted oder Serious Sam. Kein Wunder, schließlich sind Handhelds technisch ja generell ihren großen Brüdern unterlegen. Dann kam die PSP. Dann kam Rockstar. Und dann kam das erste Spiel, das sich nahezu genauso großartig spielt wie seine Vorbilder: GTA Liberty City Stories.

Die Liebe einer Mutter

Das kann passieren, wenn man »familiäre Probleme« hat: Wir schreiben das Jahr 1998. Toni Cipriani musste vor drei Lenzen untertauchen, nachdem er den Boss einer gegnerischen Mafia-Familie erledigt hat. Mittlerweile ist Gras über die Sache gewachsen, Toni kehrt in seine Heimat zurück und wird von seinem alten und neuen Boss Salvatore Leone  (den GTA 3-Spieler noch sehr gut in Erinnerung haben dürften) warm begrüßt. Aber wieso setzt ihm der alte Mann den klugscheißenden Jungspund Vincenzo als Vorgesetzten vor die Nase?

Toni Cipriani, bevor er ordentlich zunahm: Liberty City Stories spielt drei Jahre vor GTA 3.
Und wieso darf Toni am Anfang nur Handlangerarbeiten machen? Bis er sich vom »Angestellten« zum gemachten Mann hocharbeitet, legt er sich mit kriminellen Banden an (verschiedene Mafia-Familien, Yakuza, Gewerkschaft oder Polizei), liefert sich unendlich viele Schussgefechte, fährt die heißesten Kisten und erkundet drei große Inseln. Außerdem kämpft er verzweifelt um den Respekt seiner Mutter, die ihn nicht nur für zu dünn, sondern vor allem für einen Versager hält und am liebsten tot sehen würde - zu diesem Zweck hetzt sie ihm sogar Auftragsmörder auf den Hals, vor denen euch das Spiel warnt, wenn sie zu nahe kommen.

Wenn ihr Liberty City Stories zum ersten Mal betretet, dann dürften sich einige Déjà-vu-Gefühle breitmachen: Das kenne ich doch! Jawoll, wie der Name schon verspricht, spielt das Ganze in derselben Stadt, die schon als Kulisse für GTA 3 diente. Die Straßenzüge, die Häuser, die Plätze, die drei Inseln Portland, Staunton Island und Shoreside Vale - alles ist bis auf wenige Ausnahmen identisch aufgebaut! Die Veränderungen sind kosmetischer und natürlich chronologischer Natur: wo in GTA 3 Häuser sind, sind hier teilweise noch Baustellen, und wo später Ruinen sein werden, stehen Gebäude noch - die ihr aber teilweise selbst in die Luft jagt.

Kenner werden die Straßenzüge von Liberty City sofort wiedererkennen.
Einige Etablissements (wie Luigis Stripbar) laufen noch unter einem anderen Besitzer, aber im Großen und Ganzen ist alles vertraut. Traditionell seid ihr am Anfang auf  Portland beschränkt, nach einer Weile geht es auf die zweite Insel - und Shoreside Vale kommt erst spät ins Spiel.

Besser rasen

Aufgrund der schieren Größe von Liberty City verbietet sich ein Dauerlauf von selbst - schließlich geht Toni nach kurzer Zeit des Sprintens die Puste aus, ein verbesserndes »RPG-System« wie in San Andreas gibt es hier nicht. Also greift der Gangster von Welt zum motorisierten Vehikel, wobei die meisten Fahrzeuge ebenfalls aus GTA 3 bekannt sind:  Autos wie Patriot, Banshee, Stinger, Infernus oder Cheetah bevölkern die Straßen, dazu gibt es einige frische wie den V8 Ghost. Neuestes (und für mich persönlich wichtigstes) Mitglied der Raserfamilie sind die Motorräder: Jawoll, Liberty Citys Straßen werden jetzt zweirädrig mit Gummi verschönert! Die meisten aus Vice City bekannten Bikes wie Sanchez, Freeway oder die pfeilschnelle PCJ-600 sorgen für herrlichen Fahrspaß - leider gibt es keine Fahrräder wie in San Andreas.  Natürlich werden die Hobel für illegale Straßenrennen genutzt, die ihr euch immer zwischen den Missionen liefern könnt.

Zusätzlich empfehlen wir:

Test: GTA 3

Interview: GTA LCS Wie auch die »großen Versionen« besteht Liberty City Stories eigentlich aus zwei Spielen: dem Hauptmissionsstrang - und allem anderem! Ihr könnt etliche Nebenmissionen erledigen, nach »Unique Jumps« oder den obligatorischen verstecken 100 Päckchen suchen (die in bestimmten Mengen aufgesammelt immer frische Waffen ans Versteck liefern) und natürlich in andere Rollen schlüpfen: erledigt Aufträge für die Polizei, die Feuerwehr, das Rote Kreuz oder die Taxiunternehmen, außerdem dürft ihr neuerdings auch auf sehr abgefahrene Weise Autohändler spielen.                  

Dieser »Nebenher-Kram« macht gut 40% des Spiels aus und ist natürlich für das Haupt-Erlebnis nicht nötig - aber euch entgeht eine Menge, wenn ihr ihn nicht beachtet! Dazu gehören auch die vielen freispielbaren Kostüme 

Ganz neu in Liberty City: Motorräder! Mit denen ihr natürlich einige Stunts machen könnt.
vom Mafia-Suit über das Chauffeur-Outfit bis zum gelben Drachen-Dress im Bruce Lee-Stil und die vielen Boni wie unbegrenzter Sprint, Bonusgeld, Autos, unbegrenzte Munition oder kugelsichere Motorräder. Ausufernde Statistiken führen wie gewohnt akribisch Buch über all eure Aktionen, so dass ihr jederzeit nachlesen könnt, wie viele Kilometer ihr bislang zurückgelegt, wie viele Fahndungssterne angehäuft, wie viele Autos geschrottet, wie viele Gegner erledigt oder wie viele Fische gefüttert habt. Selbst euer favorisierter Radiosender sowie die nach einem Sturz zurückgelegte Flugdistanz wird aufgezeichnet! Wie gewohnt musste Publisher Take 2 hierzulande einige Schnitte veranlassen, die sich aber weder negativ auf das Spiel auswirken noch tatsächlich vermisst werden: Bestimmte Rampages wurden entfernt, es gibt bei Kopftreffern keine Blutfontänen mehr und niedergeschlagene Passanten verlieren kein Geld.

Aller Anfang ist schwer

In der Story dreht sich alles um Toni und wie er versucht, sich seinen rechtmäßigen Platz in der Familie wiederzuholen. Ihr trefft auf viele aus GTA 3 bekannte Figuren wie Salvatore Leone, Maria oder Donald Love (der hier jünger ist und Bürgermeister werden will), dazu gibt es massig Insidergags und interessante Informationen - so erfahrt ihr z.B. wie die die Diablos nach Hepburn Heights kamen und verfolgt den Werdegang der Yardies. Die gelegentlich mit Zeitlimit versehenen Missionen bieten das 

Euer Waffenarsenal ist gewohnt umfangreich.
obligatorische Spektrum aus Schießereien, Diebstahl, Sabotage, Rennen und typischen Mafia-Beschäftigungen wie der »Entsorgung« eines allzu singfreudigen Zeugen. Mit wenigen Ausnahmen sind die Aufträge aber leichter und kürzer als von der GTA-Serie gewohnt - Missionensnacks, wenn man so will. Die Polizei ist nicht so harsch hinter dem Spieler her, die Aufträge meist direkt beim ersten Versuch zu schaffen - für den geübten GTAler eine kleinere Enttäuschung, aber wohl ein unvermeidlicher Kompromiss an die Handheld-Spieler, ihre Spielgewohnheiten (wer will in der U-Bahn eine halbe Stunde an einer Mission kauen?) und natürlich die zwangsweise vereinfachte Steuerung. Auch die Story ist dieses Mal nicht das Gelbe vom Ei, es fehlt der spürbare rote Faden: Ihr erledigt eure Aufträge, sehr euch die großartigen Zwischensequenzen an - aber irgendwie fehlt das Große, das Ganze, das all euer Tun miteinander verbindet. Darüber hinaus mangelt es dem Spiel an bekloppten Figuren: JD O'Toole ist zwar angemessen durchgeknallt, aber leider eine der wenigen Ausnahmen. Wirklich abgefahrene Gestalten wie Ken Rosenberg, The Truth oder Love Fist sind hier Mangelware.

Dem Spiel mangelt es an markanten Figuren - JD O'Toole ist eine der wenigen Ausnahmen.
Ein absolutes Novum in der offiziellen GTA-Welt stellt der Mehrspielermodus dar: Bis zu sechs Gangster dürfen sich in sieben Spielmodi auf einer Insel jagen. Natürlich benötigt jeder Zocker sein eigenes Modul, denn prinzipiell habt ihr im Multiplayer alle Freiheiten wie im Singleplayer: Klaut Autos, besorgt euch Waffen und Ausrüstung - ein Pfeil weist dabei jederzeit auf die Position der Widersacher, ansonsten würde man sich auf dem großen Spielgebiet nur selten begegnen. Die Größe und Freiheit ist damit gleichermaßen Segen wie Fluch, denn mit entsprechend vielen Spielern macht der Modus höllisch viel Spaß - tretet ihr dagegen nur zu zweit gegeneinander an, bleibt die Laune über kurz oder lang auf der Strecke. Die Modi umfassen neben einem reinen Deathmatch (sogar mit Panzern!) auch Teamgames, ein Checkpoint-Rennen und ein Auto-Sammel-Spiel. Das Ganze läuft ausschließlich lokal über WiFi (also kein Internet-Gaming), allerdings nicht versionenübergreifend! Habt ihr euch also eine amerikanische oder britische LCS-Version importiert, könnt ihr sie nicht zusammen mit einer deutschen Variante spielen.                

Seid ihr die PS2-Steuerung gewöhnt, braucht LCS ein paar Momente der Gewöhnung, der sensible Analognippel verleitet anfangs zum Im-Kreis-Rennen. Doch schon nach kurzer Zeit hat man Toni genauso gut im Griff wie seine GTA-Kollegen, auch weil das Buttonlayout von den bisherigen Games übernommen wurde.  Allerdings gibt es eine neue und sehr wichtige Ausnahme: das Zielsystem. An der PSP hantiert ihr nur an stationären Geschützen bzw. dem Scharfschützengewehr mit einem Fadenkreuz. Ansonsten drückt ihr zum Anvisieren eines Feindes einfach den rechten Trigger und feuert drauflos, mit dem Digipad

Das neue Zielsystem funktioniert sehr einfach und erleichtert Schusswechsel enorm.
schaltet ihr zwischen mehreren Feinden hin und her - fantastisch einfach und sehr intuitiv. Müsst ihr euch mit einem Fadenkreuz herumschlagen, könnt ihr die Scrollgeschwindigkeit außerdem mit dem zusätzlich gedrückten linken Trigger halbieren: perfekt für präzise Schüsse.

Seid bereit für LCS!

Technisch ist LCS ein mittelgroßes Wunder: Liberty City liegt komplett auf der UMD, und es wird nur ein Mal lang (und das nicht mal besonders lang) vor Spielbeginn geladen, danach lassen nur Zwischensequenzen bzw. Inselübertritte kurz auf sich warten - verdammt beeindruckend. Obwohl das Spiel auf einer komplett neuen 3D-Engine basiert, wirkt es optisch 1:1 wie GTA 3: der Grafikstil, die Figuren, die Animationen, das Geschwindigkeitsgefühl auf bzw. in schnellen Maschinen - schon wieder beeindruckend! Natürlich gibt es einiges zu bemängeln: die bei hohen Geschwindigkeiten spät eingeblendeten bzw. gelegentlich verschwindenden Texturen sind nach wie vor da. Die Figuren sind etwas grob designt. Die Zwischensequenzen sind nicht immer bugfrei - mal bewegen sich die Lippen,  mal nicht. Der Blur-Effekt bedarf einiger Gewöhnung, denn an Konsole und PC ließ er sich abschalten, hier nicht. Das Spiel läuft nicht immer flüssig, ins Bild poppende Objekte und kleinere Geschwindigkeitseinbrüche gehören zur Tagesordnung. Und zu mauer Letzt

Die Weitsicht ist beeindruckend hoch.
ist die Kameraführung nicht optimal gelöst: Mangels zweitem Analogstick könnt ihr hier nur mit einer Tastenkombination den Blickwinkel verändern, was gerade inmitten von größeren Gefechten ein Ding der Unmöglichkeit ist.

Klingt nicht so doll, oder? Ist es aber! Dieses beeindruckende Gefühl einer »echten« Stadt, das bisher bei jedem GTA-Teil vorhanden war, ist hier mindestens ebenso ausgeprägt. Die beeindruckende Weitsicht ist sogar höher als bei GTA 3 an der PS2, die herrlichen Sonnenblendungen nach wie vor ein toller Anblick. Die großartig animierten Figuren entschädigen für das Hackebeil-Design, die toll inszenierten Echtzeit-Zwischensequenzen halten die Stimmung permanent oben. Auf den Straßen von Liberty City ist immer was los, der (beschleunigte) Echtzeit-Tagesverlauf taucht die Umgebung in immer neue Lichter, dazu regnet es mal oder Nebel umwabert die Straßen.

Im Laufe des Spiels, bekommt ihr immer neue Klamotten.
Und dann natürlich der Sound: Selbstverständlich sind alle Zwischensequenzen großartig englisch vertont (und deutsch untertitelt). Die Dialoge triefen vor schwarzem Humor und Gemeinheiten, außerdem lernt man interessante Schimpfworte kennen - alleine der Dialog zwischen Salvatore und Maria ist das Geld wert, zudem gibt es eine herrliche »Hot Coffee«-Anspielung. Dazu gibt es die geliebten Radiostationen von Rise FM (fetziger Techno) über Flashback FM (eher poppig) bis hin zur Laberstation LCFS. Neu im Programm ist Radio Del Mundo, der arabisch angehauchte Sender, den ihr hauptsächlich in Taxis zu hören bekommt - mit Songs wie »Im NinAlu« von Ofra Haza. Zwischen den lizenzierten Songs gibt es fantastische Radiowerbung mit vielen Insiderwitzen wie »Space Monkey 7« oder großartigen Anti-Internet-Werbespots, die ziemlich eindeutig in die Richtung eines gewissen Anwalts zielen. Falls ihr aus irgendeinem Grund die jederzeit änderbare Musik nicht mögen solltet, könnt ihr auch mit etwas Gefummel und einem separaten Tool von Rockstar eure eigenen Lieblings-CDs auf den Memory Stick pappen - warum nicht einfach darauf platzierte MP3-Files genutzt werden, bleibt das Geheimnis von Rockstar.          

Fazit

Ihr habt eine PSP? Dann raus mit euch, Geld gezückt, Liberty City Stories gekauft! Der neueste GTA-Teil ist für mich das erste wirklich Muss für Sonys Handheld: das Aussehen, das Spielgefühl, die großartige Atmosphäre von GTA 3 wurde perfekt eingefangen; LCS ist kein Klein-GTA wie GTA Advance, sondern ein ausgewachsenes Grand Theft Auto, das sich da in eurer Hosentasche tummelt! Noch nie musste ich innerhalb einer Spielesession so oft den PSP-Akku nachladen - gut, das mag gegen den Akku sprechen, aber es spricht definitiv für das Spiel. Okay, die Story ist nicht die gelungenste und gelegentlich fühlt sich LCS einfach wie ein GTA3-Add-On mit einigen Verbesserungen aus Vice City an. Doch trotz der bekannten Stadt ist es ein selbständiges Game, die gut 70 Missionen halten euch mindestens 20 Stunden beschäftigt - und danach warten nochmal so viele Bonus- und Nebenaufträge! Ein großartiges Spielerlebnis, das sich kein GTA-Fan entgehen lassen sollte!

Pro

riesige Stadt
fantastischer Soundtrack
großartige Atmosphäre
tolle Zwischensequenzen
fantastische Sprachausgabe
sehr viel Handlungsfreiheit
einfache Steuerung
intelligentes Zielsystem
skurrile Charaktere
kurze Ladezeiten
spaßiger Mehrspielermodus
massig freizuspielen
sehr guter Wiederspielwert
witziges Handbuch

Kontra

problematische Kamera
ab und an aussetzender Sound
allerlei Grafikbugs
gelegentliche Ruckler
unausgewogener Schwierigkeitsgrad
gewöhnungsbedürftiges Grafik-Nachziehen
langatmige Story-Entwicklung
dumpfe Kollegen-KI

Wertung

PSP

GTA in Bestform - ein absolutes Must-Have für die PSP!

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