Valkyrie Profile: Lenneth06.05.2007, Benjamin Schmädig
Valkyrie Profile: Lenneth

Im Test: In den Himmel oder auf Erden?

Kennt ihr Rollenspiele aus Fernost? Natürlich! Allen voran Final Fantasy. Zufällig auftauchende Gegner, zähe Rundenkämpfe, schön bebilderte, pathetische Geschichten - die ewig gleiche Formel? Dann kennt ihr das acht Jahre alte Valkyrie Profile nicht. Ein Ausreißer, der über den Tellerrand blickte, um neue Abenteuer zu erzählen. Und ich bin dem Grüner-Punkt-System PSP dankbar. Denn Valkyrie Profile: Lenneth (ab 27,86€ bei kaufen) ist heute einzigartig!

Wer hätte es gedacht?

Wer hätte vor drei Jahren gedacht, dass es spannend wäre, einen Handheld per Touchscreen zu bedienen? Wie viele von euch haben geglaubt, dass Nintendo ein halbes Jahr nach Einführung seiner "New Generation" nicht mit der Produktion nachkommen würde? Und wer hätte es für möglich gehalten, dass ausgerechnet die PlayStation 3 schon am Erstverkaufstag wie Blei in den Regalen liegen würde? Manchmal ist man einfach baff. Sprachlos. Erst letztens erging es mir ähnlich. Als mal wieder ein Rollenspiel aus Fernost auf meinem Schreibtisch einflog. "Hey, ein japanisches Rollenspiel. Kennst du!" Rundenkämpfe, Zufallsgegner, pathetische Geschichten - ihr wisst schon. Pustekuchen! Valkyrie Profile: Lenneth hat mich kalt erwischt.

Es gibt nur einen Grund, weshalb ich nicht schon in den ersten Minuten begeistert war: die furchtbar langatmige, meist in Dialogfenstern erzählte Einleitung. Auch wenn der Einstieg genauso liebevoll erzählt wird wie die späteren Zwischensequenzen: Die textlastige Zweidimensionalität verlangt Durchhaltevermögen. Zumal ihr viele Sequenzen vollständig anschauen oder komplett überspringen müsst. Einzelne Dialogfetzen dürft ihr nicht wegdrücken. Nur die wunderschöne Musik hat mich an den Bildschirm gefesselt, bis ich nach einer geschlagenen Stunde endlich die volle Kontrolle über meine Charaktere hatte. Das schafft nicht einmal Final Fantasy!

Der Flug der Walküre

Doch seitdem kämpft Lenneth unaufhörlich auf meinem Bildschirm. Ich habe noch nicht einmal die Muße gefunden, sie gegen Stars wie Ratchet & Clank einzutauschen. Denn Square Enix, oder vielmehr Entwickler Tri-Ace, orientiert sich zwar an bewährten Rollenspielmustern, stellt aber taktische Kämpfe in den Vordergrund, streicht zufällig attackierende Monster aus der feindlichen Armee, gibt mir freie Hand über mein Vorgehen, schickt mich als Jump&Run-Held durch Höhlen und macht die Entwicklung meiner Mitstreiter zum zentralen Thema. Denn genau darum geht es: Lenneth erhält von Odin, dem Göttervater der nordischen Mythologie, den Auftrag, Krieger für die entscheidende Schlacht im Himmelsreich Walhalla auszubilden. Die Walküre kann Menschen aufspüren, deren Tod unmittelbar bevorsteht und genau diesen gewährt sie eine Chance. Indem sie ihre Seelen auffängt, die fortan in Midgard an ihrer Seite kämpfen. Knapp 200 Perioden habt ihr

So erkundet Lenneth Midgard: Verschiedene Bilder im Hintergrund erzeugen die Illusion von Tiefe.
Zeit, um Kämpfer für den heiligen Krieg zu rekrutieren, wobei jeder Besuch eines Ortes die Zeit bis zum Finale verkürzt. Das sind eure Vorgaben. Jetzt tut, was ihr wollt!

Traurig, nüchtern oder voller Freude?

Tatsächlich: Ihr dürft machen, wonach euch der Sinn steht. Fliegt doch einfach in eine von Monstern besetzte Höhle und rottet die dort kreuchende Brut aus. Oder besucht noch einmal die Heimat eurer Helden, um mehr über deren Hintergrund zu erfahren. Oder nutzt Lenneths Spirituelle Konzentration, um ihren nächsten Rekruten zu finden. Egal was ihr tut: Ihr erfahrt (in nüchternen Mitteilungen) regelmäßig, wie es um den Krieg in Walhalla steht. Wenn ihr einen besonders starken Kämpfer lieber behaltet oder falls ihr es einfach nicht schafft, die Vorgaben Odins zu erfüllen, erhält Lenneth eine schlechte Bewertung und das Schlachtglück im Himmelsreich Asgard wendet sich von den Göttern ab. Dann seht ihr eben nur den gewöhnlichen Abspann. Vielleicht aber auch den traurigen. Oder ihr widmet euch voll und ganz eurer Aufgabe und erlebt das erfolgreiches Ende.

Habt ihr gegrübelt, als von Fliegen die Rede war? Erinnert euch: Lenneth ist eine Göttin - und so legt ihr keine langwierigen Wanderungen über die Weltkarte zurück, sondern begebt euch auf dem Luftweg an den gewünschten Ort. Trefft ihr dort einen neuen Mitstreiter, erfahrt ihr in einer der langen Zwischensequenzen viel über seine Geschichte und verlasst den Ort umgehend wieder. Gilt es, ein Gebiet von Unholden zu säubern, lauft, rennt, springt und kämpft ihr euch bis zum Herrscher über den Ort vor. Allerdings blickt ihr Lenneth weder über die Schulter noch lenkt ihr ihre Schritte von schräg oben; ihr erblickt die Welt von der Seite. Ungewöhnlich - genau wie die Momente, in denen ihr unter niedrigen Felsen kriecht, mit Kristallen eine Treppe baut , Gegenstände verschiebt, über Abgründe springt, aktiv Monster angreift oder sie einfriert. Die Walküre lässt sich zwar nicht so direkt wie in einem echten Jump&Run steuern, doch das Erkunden fühlt sich wunderbar dynamisch an. Dabei entfaltet Valkyrie Profile erst in den Kämpfen sein ganzes Potential...

Eine Frage der (Ein-)Stellung

Taktische Rundenkämpfe, in denen es auf das richtige Timing ankommt mit einem Hauch von Final Fantasy. Denn zum einen legen sich bis zu vier Charaktere eurer Gruppe mit der angriffslustigen Flora und Fauna an und jeder kann Zaubersprüche lernen, von denen sie einige je nach Bedarf selbstständig ausführen. Es ist ein Segen, dass ihr euch ums Heilen nur nach schweren Treffern kümmern müsst - ansonsten verarzten sich eure Mitstreiter unaufgefordert gegenseitig. Zum anderen erinnern die anspruchsvollen Reibereien mit den Unholden an Final Fantasy Tactics. Ihr dürft die Zusammenstellung des Teams ändern, Waffen wechseln, Tränke, Gegenstände oder Magie einsetzen sowie die Formation anpassen. Denn solange die Monster in der hinteren Reihe von einem Mitglied ihres Quartetts gedeckt werden, könnt ihr sie nur mit Fernwaffen erreichen. Vor allem gegen starke Zauberer ist es deshalb sinnvoll, eine Überzahl an Bogenschützen oder Magiern aufzustellen. Später könnt ihr dann die Speer- und Schwertträger einwechseln.

Falls ihr einen Bösewicht möglichst schnell aus dem Weg räumen wollt, startet am besten einen kombinierten Angriff mit möglichst vielen Treffern, denn das füllt die Anzeige für Spezialangriffe. Natürlich tun die Feinde ihr bestes, um solche Kombos abzublocken; nur starke oder aufeinander folgende Hiebe durchbrechen die Abwehr. Anstatt Zug um Zug mit vier einzelnen Helden zu stürmen, können dabei alle an der gleichen Attacke teilnehmen. Allerdings wird ein unkoordinierter Angriff wirkungslos verpuffen, solange das Timing nicht stimmt. Falls das Ziel z.B. von einem Zauberspruch zurückgeworfen wird, geht ein darauf folgender Schwerthieb vielleicht ins Leere. Blockt der Gegner hingegen einen Schlag, gehen euch wichtige Treffer verloren - eventuell wehrt das Monster 

Sieht in Bewegung noch beeindruckender aus: einer der mächtigen Spezialangriffe.
sogar alle weiteren Angriffe ab. Nur wenn die vier Charaktere im richtigen Moment attackieren, füllt ihr die Komboleiste. Dann führen alle Mitstreiter einen besonders mächtigen und brachial in Szene gesetzten Schlag aus. Aber Vorsicht: Ihr müsst die Anzeige mit jeder Spezialattacke neu auffüllen. Nur dann können auch die restlichen Kämpfer zuschlagen. Solltet ihr euch nicht schnell genug für den nächsten Charakter entscheiden, sinkt die Anzeige.

Fordernd, befriedigend, packend

Das ist aber noch längst nicht alles. Schließlich kontert ihr Angriffe mit einem rechtzeitigen Tastendruck und sammelt unterschiedliche Kristalle, wenn ihr einen Feind in der Luft oder am Boden trefft. Das beschert euch entweder Erfahrungspunkte oder verkürzt die Wartezeit bis zum nächsten möglichen Spezialangriff. Dass Valkyrie Profile nicht nur Wissen über Zaubersprüche und dicke Klingen fordert, ist fantastisch! Ihr müsst ein Händchen für gutes Timing sowie eine sinnvolle Vorbereitung beweisen und werdet oft genug grübeln, in welcher Reihenfolge eure Helden am stärksten zuschlagen.

Das Problem dabei: Das Spiel erklärt nur die wichtigsten Grundlagen. Einen Großteil des Prinzips lernt ihr erst durch Ausprobieren. Das gilt auch für Charakterentwicklung. Ganz zu schweigen davon, dass die ersten Stunden im Spiel unter dem Vorzeichen eines großen Fragezeichens stehen. Es dauert viel zu lange, bis ein Neuling begreift, was wirklich von ihm oder ihr verlangt wird. Bis ihr versteht, wie Lenneth alle von Odin geforderten Kämpfer effektiv trainiert und nach Walhalla schickt, kann so viel Zeit vergehen, dass der Sieg im heiligen Krieg zur Mission: Impossible wird. Deshalb ist mir auch völlig unverständlich, weshalb Square Enix dem Spiel kein einziges deutsches Wort gönnt. Das ist bei so komplexen Zusammenhängen ein unbedingtes Muss! Aber wenn ihr den Bogen endlich raus habt, entdeckt ihr sowohl im Ausbilden der Helden als auch in den Kämpfen so viel Tiefe, dass euch das Spiel lange in seinen Bann zieht. Und dann ist Valkyrie Profile auf einmal ungemein fordernd, befriedigend und packend!

Vor allem aber verheddert es sich nicht in Nebensächlichkeiten. Vom Verzicht über ausgedehnte Wanderschaften bis hin zum schnellen Kauf eurer Ausrüstung: Ihr könnt euch ganz auf das eigentliche Abenteuer konzentrieren. Waffen, Rüstung und Gegenstände findet ihr nämlich nicht in entlegenen Läden. Vielmehr erhaltet ihr Materiepunkte, aus denen ihr die gesuchten Objekte formt. Überflüssiges Material verwandelt ihr hingegen in seinen Urzustand und vergrößert so euren Vorrat an Materie. Einige Gegenstände dürft ihr sogar transformieren. Dann erhaltet ihr z.B. neue Zaubersprüche oder erschafft aus Federn Heiltränke. Einige Möglichkeiten habt ihr zwar nur über der Weltkarte sowie an Speicherpunkten, doch die könnt ihr jederzeit erreichen. Schließlich stehen euch auf dem Weg zurück keine zufälligen Begegnungen mit unsichtbaren Unholden im Weg.

Gestreckt und vorberechnet

Das Einzige, was das Umsorgen der Charaktere in die Länge zieht, sind die Verzögerungen beim Aufruf der Menüpunkte. Außerdem stiftet die furchtbar umständliche Übersicht unnötige Verwirrung. Ich habe mich noch nach zehn Stunden mitunter ins falsche Menü gedrückt! Das ist vor allem deshalb ärgerlich, weil ihr den Kriegern nicht nur Waffen in die Hand drückt, sondern auch deren Eigenschaften verbessert, Fähigkeiten lernt und aufwertet, die Formation ändert, Charaktere auswechselt, sie nach Walhalla schickt, Gegenstände erschafft oder Erfahrungspunkte verteilt. Das Besondere daran ist, dass ihr nicht einfach eure vier Lieblinge wieder und wieder in die Schlacht schickt, sondern überlegen müsst, wer trainieren sollte - auch wenn der Kampf dadurch schwieriger wird. Wer eignet sich am besten als der momentan von Odin geforderte Held? Und wie trainiert ihr ihn am effektivsten? Dabei ist es klasse,

Wunderschön: Die Handlung wird auf PSP in vorberechneten Filmen erzählt.
dass ihr einige Erfahrungspunkte jeder beliebigen Person zuweisen dürft, nachdem ihr einen Sumpf oder eine Höhle von Monstern befreit habt. So macht ihr aus einem schwachen Neuling in eurer Gruppe schnell einen wertvollen Krieger - falls ihr wollt.

Ja, ich weiß: Wer Glück hatte und eins der wenigen, nie in Deutschland erschienen, Valkyrie Profile auf PlayStation besitzt, kennt das alles schon seit sieben Jahren! Tatsächlich hat Tri-Ace gerade mal für ein breites Bild gesorgt, ansonsten aber die Finger von seinem Spiel gelassen. Gut so, denn so kommen Nachzügler wie ich doch noch in den Genuss des großartigen Abenteuers! Dass wir dafür allerdings die schwache Hilfestellung sowie das vertrackte Menü des Vorbilds in Kauf nehmen müssen, ärgert mich. Immerhin: Lenneth erzählt seine Geschichte in wundervollen vorberechneten Szenen, anstatt die Comic-Schnipsel des Originals noch einmal durchzukauen. Schade vielleicht, dass ihr im Verlauf der Handlung viele ausgefeilte Figuren kennenlernt, aber der Plot nie in die Tiefe geht - das ist nun mal der Preis für Handlungsfreiheit und dafür, dass ihr die fertig ausgebildeten Charaktere nach Walhalla schickt. Doch es ist auch nur ein kleiner Wermutstropfen auf einem verdammt heißen Stein.

Fazit

Zugegeben: Eine deftige Portion Schmerzfreiheit gehört dazu. Aber wer endlich die schlecht und nur in Englisch erklärten Grundlagen begreift, der wird das PlayStation-Remake lieben! Lenneth schlägt taktisch anspruchsvolle Rundenkämpfe, die noch dazu das richtige Timing verlangen. Ihre Truppe kann für Erfahrungspunkte kämpfen oder Kraft für besonders starke Attacken sammeln. Sie kann sich frei über Midgard bewegen und ihre Entscheidungen beeinflussen den Fortgang der Geschichte. Und sie hat viel Spielraum bei der Entwicklung ihrer Krieger. Mich haben vor allem die anspruchsvollen Kämpfe in den Bann gezogen. Ich bin aber auch begeistert bei der Sache, wenn das Ausrüsten und Trainieren meiner Helden wieder einmal geschlagene 30 Minuten dauert. Ich liebe die asiatischen Rollenspiele. Ich liebe die taktische Herausforderung. Und in Valkyrie Profile: Lenneth verläuft die Grenze nahezu unsichtbar. Hoffentlich ist Valkyrie Profile in Zukunft nicht mehr einzigartig - ich will mehr davon!

Pro

komplexe taktische Kämpfe mit Echtzeit-Elementen
Charaktere führen einige Zauber automatisch aus
aktives Erkunden der Umgebung statt dröges Umherlaufen
sehr umfangreiche Charakterentwicklung
großer Handlungsspielraum
schwerwiegende Entscheidungen beeinflussen Handlung
drei verschiedene Enden
wunderschöner Soundtrack
sehr effektvolle Spezialangriffe
schnelles Umwandeln und Herstellen von Gegenständen
aufwendige vorberechnete Filme

Kontra

ungenaue Fortschrittsberichte & Zielbeschreibung
wenig Erklärung im Spiel
Gefahr von Hilflosigkeit für Unerfahrene
mitunter zähe Zwischensequenzen in Spielumgebung
furchtbar umständliches Menü mit Ladezeiten
keine Lokalisierung

Wertung

PSP

Einzigartiges Rollenspiel mit großartigen taktischen Kämpfen und umfangreicher Charakter-Entwicklung.

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