Dragoneer's Aria21.02.2008, Mathias Oertel
Dragoneer's Aria

Im Test:

Die PS2 als Rollenspiel-Plattform scheint langsam aber sicher ausgedient zu haben. Bei den neuen Systemen steht derzeit die 360 im Mittelpunkt der Fans und bei den anderen Konsolen rückt die PSP immer mehr ins Zentrum. Nippon Ichi, der Publisher hinter Perlen wie Disgaea, versucht mit einem Drachenabenteuer alter Schule das Feuer neu zu entfachen.

Alte Schule, neue Hoffnung?

Spiele wie Devil May Cry 4 oder jüngst Lost Odyssey haben es gezeigt: Das, was viele wehmütig und einige despektierlich als "Old School" bezeichnen, kann auch heute immer noch seinen Reiz ausüben - wenn das Umfeld stimmt und die Entwickler ihr Handwerk nicht nur technisch, sondern auch erzählerisch verstehen.

Dementsprechend hoch lag meine Erwartungshaltung bei Dragoneer´s Aria (DA), denn immerhin steht als Publisher Nippon Ichi hinter dem Rollenspiel, das von Hitmaker entwickelt wurde. Wir erinnern uns: Hitmaker hat für Sega unter anderem Spiele wie die Crazy Taxi-Serie entwickelt und auf PSP mit dem ambitionierten

In einer mit Klischees und Vorhersehbarkeiten prall gefüllten Geschichte ist die Piratin Mary der einzige kleine Lichtblick...
Blade Dancer auf sich aufmerksam gemacht.

Doch obwohl das Team sich bemüht, alles zu integrieren, was ein Rollenspiel alter Schule interessant macht, scheitert DA auf breiter Front.

Klischeekiste

Nehmen wir z.B. die Geschichte: Normalerweise genießen Drachen einen Coolness-Bonus. Sie dreht sich um den jungen Drachenritter Valen, der ausgesandt wird, um mit den elementaren Schutzflugechsen die Zerstörung seiner Heimat durch den wieder auferstandenen schwarzen Drachen zu verhindern. Aber die Geschichte wird nicht nur schlecht erzählt, sondern schreckt vor allem bei den Figuren vor keinem Klischee zurück: Die naive Heilerin ist ebenso zu finden wie der zynische menschenhassende Elf. Einzig die mit einer Riesenknarre hantierende Piratin Mary schafft es hin und wieder, so etwas wie Esprit in die trockenen und zumeist vorhersehbaren Dialoge und Story-Wendungen zu bringen. Doch nicht nur deswegen habe ich Probleme, mich mit der Weltenrettung zu identifizieren. Auch der u.a. wegen seines durch ultralangen und "wunderschön" geflochtenen Zopf sehr feminin wirkende Hauptdarsteller schafft es nicht, mich zu begeistern.

Doch die dünne Story könnte ich sogar noch verschmerzen, wenn das Umfeld wie z.B. Charakteraufbau und vor allem die Kämpfe versöhnlich stimmen würden. Und obwohl man sich in diesen beiden Bereichen deutlich an den klassischen Vorzeigetiteln aus dem Hause Square-Enix orientiert, schafft es DA nur höchst selten, hier für die dringend benötigte Motivation zu sorgen.

Keine Zufallskämpfe, oder wie?

Das Für und Wider hinsichtlich der Zufallskämpfe wurde erst vor kurzem bei Lost Odyssey reichlich diskutiert. Dabei fällt natürlich auch zwangsläufig der Begriff Final Fantasy XII, Squares eigentliche Abkehr der klassischen zufällig initiierten Kämpfe. Man konnte seine Gegner schon im Vorfeld sehen und sich dementsprechend darauf einstellen.

DA verfolgt ein ähnliches Prinzip: Auf der Übersichtskarte der geräumig scheinenden, aber meist linearen Abschnitte sind

Obwohl die Kämpfe mit guten Ideen angereichert wurden, sorgen die langatmigen Animationen für unnötige Zeitverschwendung...
Gegner als rote Punkte verzeichnet. Sobald ihr euch bis auf geschätzte 15 bis 20 Meter angenähert habt, könnt ihr den Feind bzw. die Feindesgruppe als schwarzgraues "Wolkenauge" erkennen. Und damit beginnen die Probleme: Egal, ob ihr einem schweren oder leichten Gegner gegenübersteht, einer Gruppe oder einem Individuum - alle Feinde werden einheitlich durch das Wolkenauge gekennzeichnet. Da zudem leicht lösbare Kämpfe direkt neben kaum schaffbaren liegen können und damit die gesamte Spielbalance in Frage gestellt wird, löst sich die ganze löbliche Abkehr von Zufallskämpfen in Luft auf. Wäre es so schwer gewesen, den stärksten Gegner der Gruppe statt des Gegnertypen gibt, und diese meist nur mit einer anderen Farbe (ein brauner Vogel statt einem schwarzen und schon wird ein Adler aus einer Krähe...) dargestellt werden.

Grind vs. besseres Wissen

Auch gegen das so genannte "Grinden" habe ich prinzipiell nichts: Also den Fokus auf Kampf auf Kampf auf Kampf auf Kampf, um den Figuren eine Erfahrungsstufe nach der anderen zu spendieren, damit man gegen starke Gegner wenigstens den Hauch einer Chance hat.

  

Aber dann müssen wenigstens zwei Grundvoraussetzungen geschaffen werden: Zum einen müssen Duelle gegen schwache Kreaturen schnell erledigt sein. Und zum anderen muss ich wissen, wie weit ich noch aufsteigen muss, um den Feinden die Stirn bieten zu können. Dazu kann ich zwar bei den Wolkenaugen-Platzhaltern die Stärke in Relation zu meiner Gruppe sehen, doch im Kampf habe ich keinerlei Feedback, auf welchen Gegner ich mich zuerst konzentrieren sollte, da für meine Kontrahenten keinerlei Trefferpunktanzeigen zu sehen sind - von einer Zugreihenfolge, um mich evtl. dahingehend zu wappnen, ganz zu schweigen. Da hilft es mir auch wenig, dass ich vor jedem Zug die Reihenfolge meiner Figuren frei festlegen und so z.B. bestimmte Kombos entdecken kann.

Dass zusätzlich selbst Kämpfe gegen 08/15-Monster auf Grund der eintönigen, langwierigen und bis auf sehr wenige

Drachen sind cool. Leider nicht hier...
Ausnahmen sehr unspektakulären Animationen bei jedem auch noch so fitzeligen Standard-Angriff in die Länge gezogen werden, macht das Spiel nicht sympathischer.

Gute Ideen

Dabei hat das klassisch in Runden ablaufende Kampfsystem im Zusammenspiel mit der Charakterentwicklung und der Magie durchaus ein paar gute Ideen zu bieten. Die so genannten Luces z.B. gehören in diese Kategorie: Ähnlich der Materia in Final Fantasy VII könnt ihr diese besonderen Gegenstände in eure Ausrüstung einsetzen, wobei im Laufe der Zeit bis zu sechs dieser Luces Platz finden.

Mit Hilfe dieser auch unter den Charakteren austauschbaren Gegenstände könnt ihr zaubern. Das Schöne: Die Luces steigen nach und nach in ihrem Wirkungslevel auf und können in dieser Form auch von anderen verwendet werden. Man muss nicht immer bei Null anfangen, so dass Grinding zumindest in dieser Hinsicht minimiert wird. Zusätzliche Magiefähigkeiten können über Drachenkristalle erlernt werden, wobei diese nicht austauschbar sind.

Das Besondere an allen magischen Fähigkeiten: Die gesamte Gruppe teilt sich einen Mana-Balken, der erst durch konventionelle Angriffe aufgeladen wird, was unter Umständen durchaus aufwändig sein kann, wenn man für einen bestimmten Spruch drei oder fünf Mana der insgesamt zehn Felder umfassenden Anzeige braucht.

Andererseits kommt durch dieses Element die einzige wesentliche taktische Komponente ins Spiel: Verbrenne ich jetzt Mana, um einen Gruppenfeuerzauber zu wirken und evtl. zwei der drei Feinde auszuschalten oder sollte ich lieber noch mal konventionell mit dem Schwert zuschlagen, damit mein Heiler in der nächsten Runde loslegen kann und ich immer noch genug Energie für meine Feuermagie habe?

Doch diese interessante Mechanik wird spätestens dann ad absurdum geführt, wenn ich eine Waffe angelegt habe, die nahezu jeden Zauber an Schaden übertrifft. Und damit sind wir wieder bei dem Stichwort "ausgewogenes Balancing" angelangt. Note: 4 Minus. Danke. Setzen.

Könnt ihr hier irgendwo entdecken, wie viele Lebenspunkte die Gegner noch haben? Eben...
Die Note 2 hingegen kassiert das Team für ein cleveres Defensiv-System, das ich gerne in anderen Titeln sehen würde. Wenn ihr die defensive "Guard"-Variante für eine oder mehrere Figuren auswählt und die Feinde dann tatsächlich diese angreifen, wird ein kleines Mini-Spiel gestartet: Eine Art digitale Blume öffnet sich, wobei fünf der Blütenblätter eine andere Farbe besitzen. Schafft ihr es, in einem Reaktionsspielchen, den sich schnell drehenden Zeiger auf einer der andersfarbigen Markierungen zu stoppen, erleidet ihr 20 Prozent weniger Schaden. So kann unter idealen Voraussetzungen der komplette feindliche Angriff verpuffen. Aber: Wenn euer Timing nicht stimmt, wird der gesamte Defensiv-Bonus wieder auf Null gesetzt.

Altbacken

Die Kulisse mit ihren nur selten ins Auge stechenden Hintergründen, den durchschnittlichen Allerwelts-Animationen und nur den sporadischen Effekt-Höhepunkten im Kampf hat in etwa das Niveau eines PS2-Starttitels. Auch die schlechte sowie nur in Englisch und ohne Untertitel verfügbare Sprachausgabe reißt keine Bäume aus. Hinzu kommt eine vollkommen unspektakuläre Musik, die zwar u.a. von Bach (ja, dem Johann Sebastian) stammen soll, aber keinerlei Emotionen in mir weckt. Kurz gesagt: Schon zum PSP-Start wäre Dragoneers Aria technisch nicht auf der Höhe gewesen... 

Fazit

Namen sind Schall und Rauch. Das bewahrheitet sich bei Dragoneer’s Aria wieder einmal sehr schmerzlich. Doch auch ohne meine leicht erhöhte Erwartungserhaltung angesichts von Nippon Ichi als Publisher ist das Drachenabenteuer ein Rückfall in die Old School-Steinzeit. Es reicht mittlerweile nicht mehr aus, sich nur auf die nötigsten Spielelemente zu verlassen und ein paar gute Ideen wie das Luces-System oder die aktive Verteidigung in Form eines Minispieles draufzusetzen. Wo bleiben Story, ausgefeilte Charakterzeichnung oder Atmosphäre? Da die Kulisse ebenfalls bis auf wenige Ausnahmen in der Vergangenheit stecken geblieben ist und sich auf dem Niveau eines PS2-Starttitels präsentiert, kann ich die Drachensaga kaum empfehlen. In Zeiten, in denen zweidimensionale Titel wie Disgaea auf Monate Spielspaß garantieren und Square gerade dabei ist, die ersten Episoden der Final Fantasy-Serie auf der PSP einer neuen Spielergeneration nahe zu bringen, finden sich reihum interessante Alternativen. Dragoneer’s Aria ist im Gegensatz zu Lost Odyssey kein gutes Beispiel für Rollenspiele alter Schule.

Pro

Defensiv-System als Minispiel
Gegner auf Karte verzeichnet
an Materia (FF7) erinnerndes Luces-System
grundsätzlich interessantes Mana-System

Kontra

nervende und unnötig in die Länge gezogene Kampfanimationen
unausgewogenes Balancing von Waffen und Magie
klischeehafte Charaktere
keinerlei erzählerische Tiefe
verkappte Zufallskämpfe
Kulisse auf Niveau eines PS2-Starttitels

Wertung

PSP

Alte Schule und ein paar gute Ideen reichen nicht für ein erfolgreiches Rollenspiel-Erlebnis

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