Assassin's Creed 3: Liberation02.11.2012, Benjamin Schmädig
Assassin's Creed 3: Liberation

Im Test:

Wie "sorgfältig" das frühe Amerika auf Vita inszeniert wird, macht eine knappe Filmszene deutlich: Da blickt die gesuchte Assassine Aveline de Grandpré auf das Fort, das sie ungesehen infiltrieren soll – auf offenem Terrain unterhält sie sich seelenruhig mit einer Freundin, während die Wachen vor ihnen patrouillieren. Kann man einen solchen Attentatskrimi überhaupt ernst nehmen?

Schnipselwerk

Einmal Fauxpas, immer Fauxpas: Das kleine Assassin's Creed ist voller erzählerischer Fehler. Ob die behände Heldin im eigenen Hauptquartier nicht einmal knöchelhohe Hindernisse hinaufsteigt, ob Aveline gerade noch an den friedvollen Wachen einer Baustelle vorbei schlendert, die von einer Sekunde zur nächsten zum Sperrgebiet mit tödlichen Folgen wird oder ob sie zwei Wachen nicht ohne vorheriges Morden bestehlen kann, obwohl sie sonst jederzeit jede Figur beklauen kann. Auf Vita wird ein Abenteuer zusammengestrickt, das nur zum Selbstzweck Missionen aneinander fügt. Und wann immer es sein muss, tritt dieser interaktive Stichpunktzettel die eigentliche Stärke eines Assassin's Creed, die glaubhafte offene Welt, einfach mit den Füßen.

Mit einem Fußtritt in den Hintern wird man auch zu Beginn ins kalte Wasser getreten: "Hallo Spieler! Du bist die kleine Aveline, das ist ihre Mutter, mit dem linken Stick läufst du umher. Hoppla, du hast deine Mutter verloren. Schleiche durch einen Hinterhof an sie heran. Oh, es ist gar nicht deine Mutter. Und Schnitt!" Das Ganze dauert zwei, drei Minuten – es ist die komplette Einleitung. Immerhin: Der knappe Abriss passt ins Bild. Denn Assassin's Creed: Liberation erzählt den Großteil seiner Geschichte in kurzen Dialogschnipseln, die Motive und Emotionen nur oberflächlich anreißen. Selbst Aveline bleibt blass, weil sie sich als Mischling zweier Außenseiter ständig für die politisch und moralisch korrekte "UNO-Lösung" starkmacht.

Die Touch-Bedienung

Ein Vitaspiel muss die Funktionen des Handhelds nutzen - so lautet wohl die Regel. Und so öffnet man Briefe, indem zwei Finger über die vordere und hintere Touch-Oberfläche fahren. Man stiehlt, indem ein Finger auf der Rückseite nach oben oder unten fährt und man kippt die Vita, um eine Kugel durch ein kreisrundes Labyrinth zu lenken.

Besonderes Letzteres funktioniert allerdings unglaublich schlecht und auch der Diebstahl erinnert eher an Glücksspiel. Manche Menüs sind zudem teilweise nur über Touchscreen, teilweise nur per Taste zu bedienen.

Dabei ist die Handlung auf dem Papier sogar spannend, denn die Attentäterin mit afrikanischen und französischen Wurzeln muss in der Neuen Welt nicht nur ihren Platz behaupten, sie bekommt es auch mit Sklavenhandel zu tun – ein Aspekt, den das zur gleichen Zeit stattfindende Assassin's Creed 3 nur am Rand beleuchtet. Und sogar die futuristische Ebene um den Animus spielt eine geheimnisvolle kleine Rolle, obwohl die Drahtzieher der historischen Simulation diesmal nicht im Vordergrund stehen. Umso bedauerlicher, dass sich die Erzählweise auf nüchternes Stichpunktflimmern verlässt, anstatt starke Szenen zu zeigen.

Neues, altes Orleans

Kann der Vita-Ableger, der bis auf eine Begegnung mit Connor keine direkte Verbindung zu Assassin's Creed 3 herstellt, wenigstens spielerisch an den Serienvater anknüpfen? Nein. Wenn man Assassin's Creed 3 als Flickenteppich unzusammenhängender Elemente betrachtet, so ist Liberation die Flickensammlung, aus der mal ein Teppich werden sollte.

Auf den ersten Blick mutet das Spiel noch wie ein großes an: Aveline kann sich frei in ihrer Heimatstadt New Orleans bewegen. Ihr Gebiet erstreckt sich vom Hafen über arme, reiche sowie Geschäftsviertel bis hin zum weitläufigen Friedhof und die Attentäterin rennt, springt und klettert genau wie Connor über Dächer oder Bäume. Kleider und Nahaufnahmen sind dabei erstaunlich fein gezeichnet – geschenkt, dass der Ablauf eine Stufe langsamer ist als in den Konsolenvorbildern, weil er die Vita an ihre technischen Grenzen zwingt.

Teuer bezahlen muss man die Detailverliebtheit allerdings, wenn das Geschehen mal wieder stottert oder Passanten fehlerhaft an Avenline vorbei zuckeln. Und kämpft die

Einen Tag/Nachtwechsel gibt es zwar nicht, aber in New Orleans warten prachtvolle Aussichten.
Einen Tag/Nachtwechsel gibt es zwar nicht, aber in New Orleans warten prachtvolle Aussichten.
Heldin gegen eine Handvoll Wachen, gerät das Timing der Gegenwehr zur Glückssache – die eigenwillige Kamera tut das Übrige. Ein großes Assassin's Creed auf Vita? Es scheint durchaus möglich! In dieser Form ist Liberation allerdings noch nicht reif für den Handheld.

Folge dem Licht!

Zurück zur Flickensammlung, die zunächst noch wie ein Teppich anmutet: Die Attentäterin erfüllt freiwillige Mordaufträge, findet Schatztruhen, befreit Sklaven und erklimmt Türme. Sie baut ein Handelsimperium auf, für das sie mit Importware beladene Schiffe auf einer Landkarte verschiebt, um deren Güter anderswo gewinnbringend abzustoßen. Tatsächlich kann sie das Geld sogar gebrauchen, denn stärkere Schuss- und Stichwaffen sind ebenso teuer wie größere Munitionstaschen und andere Ausrüstung.

Schade nur, dass sie eine bessere Ausrüstung kaum nötig hat, weil sich die Kämpfe, das Schleichen und das Klettern wie von selbst erledigen. Der spielerische Anspruch hält sich in Grenzen – was in diesem Ableger ein noch größeres Problem ist als im Konsolenvorbild. Die große Freiheit einer offenen Welt gibt es nämlich nicht. Nebenmissionen? Sind vorhanden, aber ihre Menge ist überschaubar. Und so tut die junge Miss vor allem eins: Sie sprintet im Rahmen der Handlung von einem Wegpunkt zum nächsten. Viele Ziele kommen dabei aus dem Nichts. Oft gibt es nicht einmal den Versuch einer Erklärung, warum die Heldin wohin soll.

Enge offene Welt

Eine dynamische Verbindung der Herausforderungen fehlt ebenfalls: "Töte ungesehen fünf Wachen", heißt es da, "Schleiche hier vorbei", "Töte diesen Bösewicht" oder "Rede mit jener Person". Es sind Bruchstücke, die als Mini-Herausforderungen hintereinander gereiht werden. Anstatt die Handlungsfreiheit einer offenen Welt zu nutzen, sind die

Mehrspieler-Schiebung

Auch dem Vita-Ableger spendiert Ubisoft eine Onlinevariante, die sich allerdings nicht um Echtzeit-Attentate dreht. Vielmehr schieben Assassine und Templer Truppen auf einer Weltkarte umher, um für ihre Partei die Oberhand zu gewinnen - ein netter, aber unscheinbarer Zeitvertreib. kurzen Aufgaben meist auf kleine Areale beschränkt und schlecht durchdacht. So ist es ausgesprochen öde, zwei Personen zu verfolgen, die auf einem Weg flanieren, der rechts und links ohnehin begrenzt ist. Oft darf sie außerdem nicht ihren eigenen Weg in einen Komplex suchen, sondern muss sich durch den Haupteingang kämpfen.

Nein, als Levelschlauch funktioniert Assassin's Creed einfach nicht! Genau dort zwängt Ubisoft den weiblichen Attentäter aber spätestens dann hinein, wenn Avenline auch in separate Gebiete wie einen Sumpf oder nach Mexiko reist. An den Ausflugszielen finde sie anders als in New Orleans nämlich kaum noch freiwillige Aufträge. Tatsächlich dienen die vergleichsweise kleinen Areale wieder nur einem Zweck: "Töte fünf Soldaten", "Schleiche dich ungesehen an", "Unterhalte dich mit jener Person"...

Ein letzter Trumpf

Der Witz ist: Auf dem Papier hat Liberation einen gewaltigen Trumpf im Ärmel, denn die Attentäterin zwängt sich je nach Bedarf in eines von drei Outfits. Als Dame guten Standes darf sie etwa Wachen bestechen oder Edelmänner betören, die ihr daraufhin als Beschützer

Die Kämpfe sind wieder einmal viel zu einfach - in dem den geradlinigen Ablauf wirkt dies noch schwerer als in der offeneren Welt der Konsolen.
Die Kämpfe sind wieder einmal viel zu einfach - in dem den geradlinigen Ablauf wirkt das noch schwerer als in der offeneren Welt der Konsolen.
folgen. Klettern kann sie in dem teuren Fummel allerdings nicht. Als Sklavin versteckt sie sich hingegen unter arbeitenden Angestellten, während sie als Attentäterin die stärkste Rüstung und die besten Waffen trägt, aber überall sofort erkannt wird. Cool – man kann also wählen, ob man eine Aufgabe lautlos, gerissen oder mit Getöse angeht!

Haha, nein. Im Gegenteil: Meist darf Aveline eine Mission erst dann angehen, wenn sie ins geforderte Outfit geschlüpft ist. Mensch, Ubisoft! Die Wahl unterschiedlicher Stärken und Schwächen hätte die kreativste Serienneuerung seit Jahren sein können. Es ist richtig erfrischend, statt der Kletterkünste mal den damenhaften Kopf zu nutzen. Es tut gut, als Sklavin die dreckige Seite der Neuen Welt kennenzulernen. Und manchmal hat man ja die Wahl – dann kitzelt ausgerechnet der Handheld-Ableger endlich daran, was in der Attentäter-Mär noch alles drinsteckt.

Doch so viel Eigenregie traut Ubisoft seinen Spielern nicht zu. Schlimmer noch: Sie bauen eine Idiotensicherung ein, denn selbst die schwache Lady nimmt es jederzeit mit einem Rudel Wachen auf und hat dabei nicht die geringsten Schwierigkeiten. Meist genügt es ja, die Angriffstaste zu malträtieren, selten ist ein Konter nötig. Halbwegs cool ist lediglich ihre Peitsche, mit der sie einen Gegner für den Todesstoß zu sich heranzieht – auch das macht es ihr allerdings viel zu einfach. Letztlich ist es egal, welche Rolle die Heldin annimmt: Sie verliert sich so oder so in einem auf Einbahnstraße getrimmten "Assassin's Creed Mini".

Fazit

Es ist richtig ärgerlich, wie offensichtlich Ubisoft die Logik der offenen Welt zugunsten einer Missionskette mit Mini-Herausforderungen opfert: Freie Areale werden von einer Sekunde auf die nächste grundlos zu Sperrgebieten, Figuren verschwinden abrupt und auf einmal darf die Heldin nicht mehr ihre Kleidung wechseln. Dabei ist gerade das Ändern des Outfits ein hervorragender Einfall, denn als erste Attentäterin muss Aveline verschiedene Schwächen mit unterschiedlichen Stärken wettmachen. Das bringt frischen Wind in das betagte Automatik-Morden, während zumindest das weitläufige New Orleans eine prachtvolle Spielwiese mit ausreichend spielerischer Freiheit ist. Andere Gebiete legen allerdings viel zu plumpe Brotkrumen aus, an denen lediglich banale Herausforderungen warten. Das und die technischen Schwächen machen Liberation zu einem enttäuschenden Ableger, der die Handlungsfreiheit seiner Vorbilder nicht zu schätzen weiß.

Pro

unterhaltsame Geschichte, interessanter Nebenplot
drei Personas mit verschiedenen Eigenschaften
weitläufiges, detailreiches New Orleans
verschiedene Missionen (kämpfen, verfolgen, schleichen, klettern)
einige Nebenmissionen und kleiner Management-Teil
bessere Waffen sind teuer

Kontra

uninspirierte, stichpunktartige Erzählweise
glatte, politisch überkorrekte, völlig uninteressante Heldin
schludrig inszenierte Missionen
Wegpunkt-Abklappern statt freiem Erforschen
wenig Freiheit: benötigte Persona wird meist vorgegeben
verfolgende Gegner bleiben ratlos vor Mauern stehen
schwache Bildrate mit Einbrüchen, späte Details, zuckelnde Passanten
im Kampf passen Animationen zweier Figuren häufig nicht aufeinander
eigenwillige Kamera verhindert guten Überblick
unsinnige, teils schlechte Einbindung der Touchoberflächen
merkt sich Wahl der Waffen nicht

Wertung

PS_Vita

Technischer schwacher und spielerisch stark beschränkter Ableger, dem die Handlungsfreiheit seines Vorbilds fehlt.

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