Hotline Miami 2: Wrong Number11.03.2015, Mathias Oertel

Im Test: Die Rückkehr der Pixelgewalt

Dennaton hat 2012 mit Hotline Miami einen der Grundsteine für Erfolg und Aufschwung der Indie-Spiele gelegt. Pixelkunst, brachiale Gewalt und ein motivierendes Trial&Error-Prinzip konnten erst am PC, später auch auf PlayStation-Systemen für Unterhaltung sorgen. Kann man mit der Fortsetzung noch eine Schippe drauflegen? Wir prüfen im Test, was Hotline Miami 2 auf dem Kasten hat.

R? X? Egal!

Auf den ersten Blick hat sich in Hotline Miami 2 (HM2) nichts im Vergleich zum Vorgänger getan. Die 16-Bit-Pixelkunst erinnert nach wie vor an die ersten GTA-Teile und wird wie gehabt konsequent genutzt, um die comichafte, aber kompromisslose Gewalt ins Zentrum zu rücken. Mechanisch sucht man Neuerungen anfangs ebenfalls vergebens: Man nutzt Türen, um dahinter postierte Gegner kurzzeitig zu Boden zu schicken, wo man sie mit einem Finisher aus dem Verkehr zieht - sofern man nicht von deren Kumpanen bemerkt wird. Man kann Kontrahenten markieren, so dass man sie immer im Visier hat - Sichtlinien müssen natürlich beachtet werden, auch wenn die Knarre hier und da mal durch die Wand clippt. Man kann die fallen gelassenen oder herumliegenden Waffen nutzen und im Zweifelsfall auch als Projektil gegen den Schädel der Feinde schmettern. Ergebnis: Sie fallen zu Boden. Finisher. Finito. Der Nächste bitte. Je abwechslungsreicher, schneller und effektiver man sich durch die clever designten Levels pflügt, umso mehr Punkte gibt es in der Endabrechnung der großzügigen 25 Abschnitte.

An der stylischen Pixel-Kulisse lässt sich nicht ablesen, welchen Teil man vor sich hat. In diesem Bereich hat sich wenig getan.
Und natürlich wird die R-Taste bzw. X auf PlayStation-Systemen wieder zum besten Freund werden. Denn wie man es von Teil 1 kennt, ist der im weitesten Sinne als Twinstick-Ballerei/Action-Puzzler-Mix zu kennzeichnende Ausflug in das Gangstermilieu von Miami gegen Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre mit seinem Trial&Error-Ansatz ein Spiel, das fordert. Teilweise bis zum Frust. Und manchmal sogar noch einen Schritt weiter. Der ohnehin schon knackige Schwierigkeitsgrad, der einem kaum Fehler verzeiht, wurde nochmals gestrafft. Allerdings nicht dadurch, dass die Gegner intelligenter agieren - ganz im Gegenteil. Man kann ihr Intelligenz-Defizit auch ausnutzen, indem man sie durch laute Geräusche anlockt und einen nach dem anderen erledigt, wenn sie z.B. wie an der Schnur gezogen durch eine offene Tür laufen. Doch die feindlichen Gruppen haben nicht nur numerisch zugelegt, um einem das Leben schwer zu machen. Sie laufen auch mittlerweile nicht mehr stur auf ihren vorgegebenen Wegen. Von dieser Kategorie gibt es zwar immer noch genug, doch man findet auch viele Kontrahenten, die zufällig auf den großen, häufig mehrstufigen Karten patrouillieren und die einen immer wieder aus einer unvorhergesehenen Richtung unter Beschuss nehmen. Und man darf sich auf durchgeknallte Bosse freuen, deren Ableben immer wieder ganz besonders aufwändig zelebriert wird.

Hart, aber fair

Trotz interessanter Story bleibt die Inszenierung spröde.
Dennoch gelingt Dennaton das Kunststück, dass Hotline Miami 2 trotz aller Frustmomente, in denen man geneigt ist, die Kontrollgeräte quer durch den Raum zu feuern, fair bleibt. Das Spiel ist nicht schuld daran, wenn die Gegner einen durch die Scheiben ins Visier nehmen. Es kann auch nichts dafür, wenn man im Eifer des Gefechts das Magazin leert und für den nächsten anrückenden Feind keine Munition mehr hat. Es liegt nicht am Spiel, wenn man nicht das Anvisieren nutzt, in einem Moment hektischer Panik die Maus (oder den Stick) verreißt und damit den geleerten Schießprügel zielsicher am Kontrahenten vorbei schmeißt. Auch wenn man mit einem Messer oder einem Baseball-Schläger zur Schießerei kommt und danach in einer Lache grellen Pixelblutes verendet, kann man die Schuld nur bei sich selbst suchen. Wer das Kläffen ignoriert und plötzlich einen Dobermann an der Kehle hat, darf auch nur sich verfluchen - um dann die Zähne zusammenzubeißen, R zu drücken und einen erneuten Anlauf zu unternehmen. Und noch einen. Und noch einen. Noch. Einen. Weiteren. Verdammt. Bis man es geschafft hat. Mitunter mit etwas Glück. Aber dennoch mit der Gewissheit, dass einen Gedächtnis und Reflexe nicht im Stich gelassen haben. Sehr schön.

Obwohl Dennaton sich hier für meinen Geschmack zu sehr auf sicheren Pfaden bewegt und letztlich nur das verfeinert, was den ungehobelten Charme des Vorgängers ausgemacht hat, gibt es paar kleine punktuelle Änderungen. So ist man z.B. nicht mehr mit nur einer Figur unterwegs, die abhängig von der ausgewählten Maske besondere Fähigkeiten besitzt. Stattdessen folgt man immer wieder anderen Figuren, die mitunter mit merkwürdigen Ticks versehen wurden, die wiederum die Art und Weise beeinflussen, wie man den Abschnitt lösen muss. In der Rolle eines Reporters z.B. ist man mit einer Schusswaffen-Aversion konfrontiert: Will man ein Gewehr oder eine Pistole aufnehmen, entlädt er sie und schmeißt sie wieder hin. Dementsprechend muss man sich auf seine Nahkampf-Künste verlassen. In einer anderen Mission wiederum ist man Mitte der 80er Jahre à la Rambo II im Dschungel unterwegs, um gegen Kommis zu kämpfen. Doch der Marine weigert sich komplett, die feindlichen Waffen aufzunehmen und verlässt sich entweder auf sein treues Messer oder muss sich Munition für seine Knarre suchen, wenn die Magazine leer sind. So wird man immerhin ab und an mal ansatzweise überrascht und neu gefordert. Bei anderen Protagonisten wiederum hat man die Wahl, was man als Hilfsmittel mit in den Abschnitt nimmt, mit wem man versucht, die Aufgabe zu bewältigen oder welche der Maskenvariationen man aufsetzt. Hat man einmal die Wahl getroffen, gibt es übrigens keine Möglichkeit des schnellen Wechsels mehr. Stellt man z.B. fest, dass das Duo Alex & Ash (einer ist mit Kettensäge unterwegs, während der andere mit Knarren hantiert) einem aktuell nicht passt, kann man nicht problemlos zu Mark wechseln, der mit zwei MPs gleichzeitig um sich ballern darf. Hier hilft nur, die Mission komplett abzubrechen, und über den Umweg ins Hauptmenü den Neustart des Kapitels zu unternehmen.

Schöne Grüße von David Lynch

Eine Aversion gegen Pixelblut ist bei Hotline Miami 2 Fehl am Platze - ebenso eine geringe Frustresistenz.
Schon Teil 1 hat mit seiner Erzählstruktur für Verwirrung bei den Spielern und Zuschauern gesorgt. Zumindest in dieser Hinsicht schaltet Dennaton nicht nur einen oder zwei Gänge höher, sondern zündet den Turbo: Man wechselt nicht nur dauernd die Figuren, sondern springt auch ständig in der Zeit hin und her, wobei tatsächlich die Stränge irgendwann zusammen führen - oder zumindest diesen Eindruck erwecken. Absurde Szenen, merkwürdige Dialoge, ein Wechsel zwischen Film-Realität, gespielter Realität und Halluzinationen – die Dennaton-Schreiber müssen große Fans von Regisseuren/Drehbuchautoren wie David Lynch, David Cronenberg oder Abel Ferrara sein, wobei die Gewaltexplosionen auch Züge von Robert Rodriguez oder Eli Roth tragen. Schade, dass die Dialoge nicht vertont wurden, sondern nur in Schriftform ablaufen und man aufs Kopfkino angewiesen ist.

Die aberwitzige Geschichte, die mit vielen Klischees spielt und mitunter auch Grenzen überschreitet  - wegen einer (optionalen)  Szene mit sexuellen Anspielungen wurde das Spiel in Australien mit dem höchstmöglichen Alterslabel versehen - wäre mit Sprachausgabe nochmals cooler. Vor allem die Fanboys, die sich auf die Geschehnisse des Vorgängers beziehen und als Trittbrettfahrer bzw. Nachahmer ihre mörderischen Verbrechen begehen, hätten eine ordentliche Sprachausgabe verdient. In dieser Form lässt man leider unnötig viele Atmosphäre-Punkte liegen, die von anderen Designentscheidungen mühsam aufgebaut werden. Dazu gehört z.B. abermals das gelungene Pixelartdesign, dessen Videorekorder-Effekte wie Vor- oder Zurückspulen, Bildschirmrauschen, Bluescreen usw. die Atmosphäre gleichermaßen steigern wie sie den Spieler vor dem Schirm mitunter verwirren oder verstören können.

Überall gelungen

Am Trial&Error-Prinzip hat Dennaton festgehalten. Dennoch bleibt Hotline Miami 2 stets fair.
Obwohl Hotline Miami 2 sich auf keinem der getesteten Systeme (PC, Vita, PlayStation 4) großartig absetzen kann, favorisiere ich die Gangster-Ballade am Rechenknecht. Zwar werden die Berührungsoptionen der PlayStation-Systeme gut genutzt, indem man z.B. auf dem Touchpad des PS4-Controllers das Kartenscrolling nutzen kann, während man auf der Vita komfortabel die Zielmarkierung per Berührung auf dem Gegner platziert. Und unter dem Strich passt die Pixel-Kulisse so optimal auf den Vita-Bildschirm, wie die Baseball-Keule auf die Stirn des hinter der Tür wartenden Feindes. Doch wenn ich alle Faktoren zusammenzähle, fühle ich mich am PC am wohlsten. Die Steuerung ist akkurat, die Kulisse so gut, wie es der gewählte Stil hergibt.

Ganz großes Lob gebührt auch dem Soundtrack. Die Synthie-Kompositionen sind technisch sauberer als im „dreckigen“ Vorgänger und schaffen ein ganz großes Kunststück: Obwohl frisch und neu, lassen sie über ihren Stil Erinnerungen an B- und C-Filme bzw. Fernsehserien der VHS-Ära wach werden - klasse! Weniger klasse ist allerdings, dass der letztes Jahr auf der E3 vorgestellte Editor es letztlich nicht in die Release-Version geschafft hat. Er soll nachgeliefert werden, hätte aber die Wertung bei entsprechender Qualität nach oben drücken können.

Fazit

Obwohl Dennaton Hotline Miami 2 ein paar interessante Ergänzungen verpasst hat, schafft es der brachiale Pixelkunst-Actionpuzzler nicht, sich aus dem Schatten seines Vorgängers zu lösen. Obwohl man sich dank zufälliger Wege einiger Gegner nicht mehr nur darauf verlassen kann, die Level auswendig zu lernen und trotz neuer Figuren oder Fähigkeiten spielt es sich meist wie Teil 1 - und sieht auch so aus. Es bietet mehr Umfang und ist unter dem Strich dank der verwirrenden Erzählstruktur sowie der zahlreichen Charaktere auch abwechslungsreicher als der erste Ausflug in die Florida-Metropole. Doch es fehlt abseits der Kulisse das gewisse Etwas, der rauhe, ungebügelte Charme, der aus dem Vorgänger etwas Besonderes machte und der zusammen mit Titeln wie Binding of Isaac die Indiewelle ins Rollen brachte. Diese Frische kann Hotline Miami 2 trotz herrlich verworrener Story, auf die David Lynch sicher stolz wäre, nicht bieten. Auch der ursprünglich vorgesehene Editor wird erst später nachgeliefert. Doch mit seinem nach wie vor gelungenen und an die frühen GTAs erinnernden 16-Bit-Artdesign, dem famosen Synthie-Soundtrack sowie der vollkommen überbordenden Gewalt wird man ebenso gut unterhalten wie vor zwei Jahren mit dem Vorgänger. Allerdings sollte man eine erhöhte Frustresistenz mitbringen - der Schwierigkeitsgrad hat ordentlich zugelegt.

Pro

herrlich absurde Story...
explizite comichafte Gewaltdarstellung
Abschnitte größer und mit mehr Gegnern gefüllt als in Teil 1
bockschwer, aber bis auf ganz wenige Ausnahmen fair
fantastischer Synthie-Soundtrack
ordentliche Nutzung der Touch-Funktionen (PS4, Vita)
zahlreiche spielbare Charaktere, teils mit beeinflussenden Modifikatoren (z.B. keine Schusswaffen)

Kontra

... die aber unspektakulär und ohne Sprachausgabe inszeniert wird
Kulisse hat nur unwesentliche Fortschritte gemacht
mitunter gewaltige KI-Probleme
immer noch starkes Trial-and-Error
Editor fehlt (noch)

Wertung

PlayStation4

Trotz Verfeinerungen in der Spielmechanik und einer vollkommen abgefahrenen Story schafft es die fordernde Action nicht, aus dem Schatten des Vorgängers zu treten.

PS_Vita

Trotz Verfeinerungen in der Spielmechanik und einer vollkommen abgefahrenen Story schafft es die fordernde Action nicht, aus dem Schatten des Vorgängers zu treten.

PC

Trotz Verfeinerungen in der Spielmechanik und einer vollkommen abgefahrenen Story schafft es die fordernde Action nicht, aus dem Schatten des Vorgängers zu treten.

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