Child of Light02.07.2014, Jörg Luibl
Child of Light

Im Test: Modernes Märchen für die Hosentasche

Ubisoft Montreal hat auch auf der PS Vita ein Herz für Märchen: In Child of Light (ab 13,49€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) kämpft man in der Rolle einer guten Prinzessin gegen die Machenschaften einer bösen Hexe.  Eines Tages erwacht die rothaarige Aurora in einem seltsamen Königreich voller skurriler Gestalten und Gefahren. Wo ist sie und wie kommt sie bloß zurück nach Hause? Ob die Mischung aus Plattformer, Rundentaktik und Rollenspiel aufgeht, klärt der Test.

Prinzessin der Morgenröte

Austrias Kronland? 1895 zur Osterzeit? Keine Bange: Franzl, Sissi und Schloss Fuschl müsst ihr nicht befürchten. Auch wenn Ubisoft Montreal  die Geschichte im alten Österreich beginnen lässt, bleibt man von kaiserlichem Schmalz im Stile der Filmtrilogie verschont. Zwar spielt man auch eine Prinzessin, aber keine Thronfolgerin im goldenen Käfig, sondern ein Mädchen, das sich vom unschuldigen Opfer zur Kämpferin des Lichts "entwickelt" – da passt der Name Aurora, die römische Göttin der Morgenröte, natürlich wunderbar. Und wer begleitet sie? Ein putziger Lichtgeist, den auch ein zweiter Spieler steuern kann.

Die übergroße Krone auf dem langen roten Haar, die altmodischen Reime in den Dialogen, die lieblichen Melodien

Schade, dass es auf PS Vita bei der Erkundung leicht ruckelt: Ansonsten punktet die zauberhafte Kulisse auch im kleineren Format.
und das ikonische Stiefmutterböse, das Sonne, Mond und Sterne bedroht – fast schon etwas kindisch mutet das Abenteuer an. Aber Ubisoft Montreal spielt bewusst mit diesen Stilmitteln, um Child of Light als „modernes Märchen“ zu inszenieren.

Und das gelingt, denn die urige Gnadenlosigkeit eines Hänsel und Gretel wird man hier nicht finden, sondern viel modernen Komfort. Man fühlt sich wie in einem zum Leben erweckten Bilderbuch: gezeichnete Büsche wabern im Vordergrund, kleine Kreaturen blicken scheu dahinter  auf  und in der Ferne fliegen Wesen über die farbigen Tuschehimmel. Dieses Lemuria ist schon ein wunderliches Königreich, das in diverse Gebiete aufgeteilt ist - über eine gemalte Karte kann man sich später überall hin teleportieren.

Märchenhafte Kulisse

So stimmungsvoll Child of Light auch beginnt, gibt es auch Brüche hinsichtlich Präsentation und Artdesign: Zum einen werden die Reime sowie die altertümliche Sprache, die erst neugierig machen, später viel zu inflationär eingesetzt. So wirken sie aufgesetzt und erzählerisch  belanglos  – hier wären weniger, aber dafür markantere Dialoge besser gewesen. Und warum hat man die Chance nicht genutzt, um auch mal Wortspiele oder Reimrätsel einzubauen, die den Spieler zum Erinnern oder Nachdenken animieren? So klickt man nur passiv weiter, weil eh nichts passieren kann.

Die deutsche Erzählerin spricht zwar nicht alle Texte, aber die wenigen zu schnell, so dass etwas vom gemütlichen Märchenbuchflair verloren geht. Der englischen Originalbesetzung Caroline Dhavernas gelingt das auch hinsichtlich der Betonung besser, zumal die deutsche Übersetzung wenig Zauberhaftes, sondern viel Gestelztes mit sich bringt.

Die Umsetzung für PS Vita ist gelungen, was die Steuerung angeht - man kann Aurora präzise durch die Level bewegen.
Zum anderen sinkt die Qualität der ansehnlichen Kulisse, wenn die wirklich schwach gezeichneten Bewohner in den Dörfern auftauchen – sie wirken stellenweise wie plumpe Fremdkörper. Diese Stilbrüche in der Visualisierung kennt man von Ubisoft Montreal sonst nicht. Spiele wie Ni No Kuni, Der Puppenspieler oder LittleBigPlanet sind hinsichtlich des Artdesigns und der Ansprache stringenter.

Ein Hauch von Oz

Trotzdem bewahrt das Abenteuer seinen märchenhaften Charme und spätestens wenn Aurora die ersten liebenswerten Begleiter findet, fühlt man sich ein wenig an den Zauberer von Oz erinnert: Rubella der Karnevalsclown, Finn der Zauberer, Norah die Fee und Robert die Maus sind nur einige der verfügbaren Gefährten. Hinter der idyllischen Fassade verbirgt sich nämlich ein Abenteuer, das auf ungewöhnliche Art die Elemente eines Plattformers mit Rollenspiel und Rundentaktik verbindet. Aurora kann nicht nur mit ihrem Schwert zuschlagen, sondern muss eine Party sowie Artefakte managen und in Kämpfen mit allerlei Magie sowie Fähigkeiten gegen Monster mit Widerständen bestehen. Nur sollte man keine erzählerische oder emotionale Entwicklung der Heldin erwarten: Viel zu schnell haut die unschuldige Prinzessin volle Kanne drauf. Das ist natürlich okay, wenn da ein riesiger Troll zuerst Ärger macht. Aber dass man hier über die knapp zehn Stunden Spielzeit etwas mehr erwartet hat, liegt auch an den Entwicklern, die in ihrem Making-of noch von einer Entwicklung Auroras sprachen - daher die Anführungszeichen im ersten Absatz.

Rundentaktik im Plattformpelz

Man rennt, hüpft, verschiebt Kisten, bedient Schalter – in den ersten Minuten fühlt sich das Spiel noch an wie ein gewöhnliches Jump’n’Run. Nur dass man selbst oder ein Partner mit dem rechten Analogstick gleichzeitig den Lichtgeist Igniculus steuert, der sehr nützliche Eigenschaften besitzt: Er kann dunkle Areale erleuchten, entfernte Schalter aktivieren, Aurora heilen und Monster so blenden, dass sie erstarren und man vielleicht vorbei schlüpft oder noch besser: sie von hinten attackiert - man hat also kooperativ durchaus Spielraum. Recht früh darf Aurora auch auf Knopfdruck fliegen und quasi durch die Abschnitte schweben. Dabei kann sie Winde nutzen, muss Fallen ausweichen, Mechanismen in Gang bringen und kann zig Kisten sowie Geheimverstecke finden.

Diese Plattformelemente sind zwar relativ abwechslungsreich, man muss seine Flüge auch mal gut timen, aber sie

Die rundenbasierten Kämpfe stehen auch auf PS Vita im Mittelpunkt: Links stehen bis zu zwei Helden, rechts bis zu drei Monster.
sind alles andere als fordernd. Zu schnell cruist man relativ gefahrlos durch die schönen Gebiete. Gerade aufgrund des permanenten Fliegens (man verbraucht keine Energie) kann Aurora recht überlegen die eigentlich fremden Abschnitte erkunden, so dass man wie nebenbei all die Kisten öffnet, Edelsteine, Tränke und Geheimnisse einsackt – für den ersten Besuch in einem wunderlichen Märchenland ist das etwas zu komfortabel.

Zudem kann Igniculus seine Energie nahezu endlos an leuchtenden Blumen aufladen, so dass man nie mit seinen Aktionen haushalten muss und Aurora eigentlich immer bei voller Lebensenergie bleibt. Obwohl es auch mal kleine Rätsel gibt, in denen man über den Lichtgeist auch Farben bewegen muss, vermisst man gerade in einem „modernen Märchen“ mehr Anspruch und Kreativität, was mechanische oder auch symbolische Aufgaben angeht.

Rollenspiel light

Hitpoints? Mana? Charakterwerte? Fähigkeiten? Ja, Child of Light bietet auch etwas Rollenspiel. Man kann die Ausrüstung seiner Gruppe anpassen, Artefakte mit Elementarwirkung aus Edelsteinen herstellen und diese gezielt in Angriff, Widerstand oder Zauber einsetzen, aber man muss weder Entscheidungen treffen noch kann man aus verschiedenen Antworten wählen – sehr schade, wenn man bedenkt, dass man ja mehr als ein halbes Dutzend Gefährten mit kleinen Biographien um sich schart. Sobald man aufsteigt, steigen Leben und Mana sowie die sieben Charakterwerte wie Stärke, Magie, Tempo & Co automatisch an. Man kann einzelne Werte lediglich über Sternenstaub permanent steigern; das wirkt sich allerdings nicht spürbar auf das Spielerlebnis aus.

Wichtiger sind da die speziellen Fähigkeiten von Aurora sowie ihrer Begleiter. Hier hat man auch mehr Freiheit, denn nach einem Aufstieg kann man drei Wege in einem Baum einschlagen. Wenn man Finn den Zauberer entwickelt, muss man sich also überlegen, ob man eher auf Feuer-, Blitz- oder Wasserschaden gehen will. Man kann natürlich auch alle drei Pfade freischalten, aber dann dauert es natürlich länger, bis man die wirklich effizienten Aktionen freischaltet. Es gibt je nach Figur unterschiedliche passive und aktive Verstärkungs-, Beschleunigungs-, Schutz- und Angriffsfähigkeiten.

Kampfsystem mit Spätzündung

Sobald man auf ein Monster trifft, schaltet das Spiel in eine Arena um, in der auf der linken Seite zwei Helden warten und auf der rechten bis zu drei Monster lauern. Jetzt beginnen Rundengefechte, wobei man auf einer Zeitleiste

Auch wenn man mal Fallen ausweichen muss: Das Erkunden ist viel zu komfortabel.
erkennen kann, wer wann zuschlägt. Das Kampfsystem ist durchaus interessant, weil man Monster über Igniculus gezielt bremsen, Aktionen unterbrechen und über cleveres Verteidigen effiziente eigene Angriffe vorbereiten kann. Dabei muss man auf elementare Widerstände achten und hier kommen auch die Edelsteine ins Spiel: Hat man seine Ausrüstung optimal an die Feinde angepasst? Hat man an Feuerwiderstand und Wasserattacke gedacht?

Leider dauert es in der Praxis sehr lange, bis das Kampfsystem sein taktisches Potenzial ausspielt - daher empfehle ich einigermaßen erfahrenen Rollenspielern sofort den höheren Schwierigkeitsgrad. In den ersten Stunden kann man mit einfachen Hieben und ohne große Mühe nahezu alle Feinde besiegen. Der besondere Clou ist auch gleichzeitig der Fluch für die Spannung: Aurora kann ihren Lichtgeist nicht nur auf ein Monster jagen, um es zu blenden und seine Aktionen damit zu verlangsamen. Sie kann damit auch während der Kämpfe heilen. Und das kann man recht ausgiebig, weil das dafür benötigte Mana reichlich in den Arenen vorhanden ist.

Child of Light kriegt aber in der Mitte die Kurve, wenn man endlich von stärkeren Widersachern und Bossen gefordert wird. Hier muss man dann etwas cleverer mit den Widerständen und Spezialangriffen, mit Verlangsamungen und Verteidigungen haushalten, um zu bestehen – trotzdem sind die Schwächen der Bosse ebenfalls zu schnell durchschaut. Schön ist, dass man jederzeit zwischen seinen zwei Helden wechseln kann: So wirkt Norah einen schützenden Zauber, bevor man Finn aktiviert, der den Monsun regnen lässt. Man kann also optimal kombinieren und experimentieren, weil das aktive Duo nicht vor dem Kampf festgelegt ist, sondern ständig rochieren kann.

Fazit

Child of Light ist auch auf PS Vita ein charmantes Abenteuer, das Elemente von Plattformern, Rollenspiel und Rundentaktik verknüpft. Und wenn man seine liebenswerten Gefährten um sich schart, fühlt sich das fast an wie beim Zauberer von Oz. Aber Ubisoft Montreal hat den ersten Teil von „modernes Märchen“ etwas überstrapaziert: Das relativ gefahrlose Cruisen durch die Bilderbuchkulisse bei Dauerpflückerei von Schätzen, Tränken und ständiger Heilmöglichkeit raubt die Spannung. Man vermisst das Urige, Gefahrvolle und Rätselhafte eines Märchens, während man in relativer Sicherheit das hübsch illustrierte Königreich  erkundet. Das Sammeln, Ausrüsten und Kombinieren von Edelsteinen ist durchaus unterhaltsam. Aber es gibt weder eine dramatische Story noch eine spürbare Entwicklung der Heldin. Und anstatt die zu Beginn noch interessant anmutenden Reime auch mal für Wortspiele zu nutzen, werden sie inflationär in überflüssigen Dialogen eingesetzt – kreative Rätsel sucht man vergeblich. Das spielerische Highlight sind letztlich die rundenbasierten Kämpfe, die viel taktisches Potenzial bieten, aber die recht spät fordern. Trotzdem wird man dank Figurenwechsel, Widerständen und Spezialfähigkeiten immer wieder zum Experimentieren animiert.

Pro

märchenhaftes Artdesign
interessantes Kampfsystem
offene Fähigkeitenbäume
diverse Begleiter mit Spezialfähigkeiten
eigene Boni/Gegenstände erstellen
kooperativ spielbar (Held und Leuchtwesen)
zwei Schwierigkeitsgrade
stimmungsvolle Musik
komplett auf Deutsch

Kontra

kaum kreative Rätsel
zu gefahrloses Erkunden und Sammeln
Kämpfe fordern erst sehr spät
etwas zu schnelle deutsche Sprecherin
Reime und Sprache wirken aufgesetzt
belanglose Dialoge ohen Entscheidungen
einige plumpe Figuren-Zeichnungen
Story dümpelt, Heldin entwickelt sich nicht
leichte Ruckler (PS Vita)

Wertung

PS_Vita

Trotz leichter Ruckler ist Child of Light auch auf PS Vita ein charmantes Abenteuer, das stimmungsvoll inszeniert wird - es fehlt allerdings an Anspruch.

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