Murasaki Baby24.09.2014, Jan Wöbbeking

Im Test: Berührend oder verkrampft?

Nach Metrico setzt ein weiterer Vita-Exklusivtitel auf Fingerakrobatik: Ein hilfloses Horror-Baby wird direkt per Fingerspitze an die Hand genommen und durch eine morbide Welt geführt. Ein berührendes Abenteuer oder verkrampfte Fingerakrobatik?

Morbider Babysitter

Bereits auf der E3 sorgte der etwas andere Säugling für ruhige Abwechslung im Messegetöse: Ein Entwickler des kleinen Studios Ovosonico bestand darauf, dass ich mir geschlossene Kopfhörer aufsetze – nur so könne man voll in die finstere Welt abtauchen. Und tatsächlich: Auch in der finalen Version fällt sofort auf, wie viel Mühe sich die Sound-Designer gegeben haben. Trotz Stereo-Klang scheinen leise Flüsterstimmen und das unheimliche Rauschen aus allen Ecken des Raumes in meine Ohren zu kriechen. Im leisen Wohnzimmer musste ich sogar mehrmals die Kopfhörer abnehmen, weil ich kaum glauben konnte, dass die seltsamen Geräusche nicht aus der Nachbarwohnung kamen. Der Titelsong stammt übrigens aus der Feder von Silent-Hill-Komponist Akira Yamaoka.

Es werde Licht: Wie verscheucht man die gruseligen Fledermäuse aus der Höhle?
Auch die an Tim Burton angelehnten finsteren Zeichnungen wirken sehr stimmungsvoll: Das seltsame Baby mit dem umgedrehten Kopf (Mund und Augen sind vertauscht) sucht eigentlich nur nach seiner Mami, wird aber von morbiden Riesenbohnen, an Galgen hängenden Gesichtern und anderen gruseligen Gestalten mächtig eingeschüchtert. Also reiche ich dem zitternden Winzling per Fingerspitze die Hand und führe es durch die mit Fallen gespickte Welt. Je weiter ich den elastischen Arm nach vorne ziehe, desto schneller trippelt mein Schützling voran. Übertreibe ich es, fliegt er allerdings auf die Nase und muss sich erst einmal wieder aufrappeln.

Führen, streichen, ziehen

Ein Wisch mit zwei Fingern auf dem Rückseiten-Touchpad ändert die Kulisse - was mitunter für lästiges Umgreifen sorgt.
Fast alle Elemente werden per Touchscreen und Rückseiten-Touchpad bewegt. Ich wuchte ein fettes Hindernis in die Luft, führe mit dem zweiten Finger rechtzeitig das Baby darunter hindurch und ziehe kurz danach seinen herzförmigen Luftballon nach unten, damit er keine Stacheln berührt. Ohne sein beruhigendes Schwebespielzeug bricht das Baby in pechschwarze Tränen aus und verweigert die Kooperation. Auch Zyklopspinnen, aufdringlich herbei flatternde Büroklammern und anderes Getier wird direkt mit Fingertippsern verscheucht.

Eine wichtige Rolle spielen die Kulissen, welche ich per Wischbewegung auf dem hinteren Touchpad ändere. Nach einem Strich über die Rückseite der Vita färbt sich der Hintergrund violett und ich kann die Spielwelt auf den Kopf stellen. Dazu drehe ich die Vita einfach um, so dass das Baby an die Decke fällt und einen weiten Abgrund überquert. Danach lasse ich es mit einem weiteren Dreh des Handhelds zurück plumpsen. An anderer Stelle wechsle ich in den blau glühenden Gewitter-Modus, in dem ich Blitze per Rückseiten-Touchpad zu elektrisch angetriebenen Fahrzeugen leite. Ein anderer Hintergrund dient als Ablenkung: Während eine Wand voller lärmender Fernseher die Aufmerksamkeit eines Horror-Häschens auf sich zieht, kann sich das Baby an ihm vorbei schleichen. Cool ist auch die Gefrierfunktion, mit der sich Flüssigkeiten und elastische Hindernisse verfestigen lassen – ähnlich wie in Max: The Curse of Brotherhood.

Steuerungs-Alptraum?

Auch Plattformen werden mit dem Finger verschoben.
Die Entwickler haben ihrer Fantasie freien Lauf gelassen: Ähnlich wie in Metrico sprüht das Abenteuer vor Ideen und Abwechslung. Leider funkt hier aber noch häufiger die hakelige Touchscreen-Steuerung dazwischen. Oft kam ich relativ fix auf die Lösung, musste mich aber noch minutenlang mit dem Rätsel herumquälen, weil wieder einmal eine der Eingaben nicht präzise genug erkannt wurde. Um z.B. zurück zu laufen, muss ich das Baby erst einmal umständlich mit einem Fingerstrich nach links umdrehen, bevor ich es wieder an die Hand nehmen kann. Auch das flexible Händchen des Horror-Säuglings zickt in hektischen Momenten gerne einmal herum und flutscht mir unter dem Finger weg. Als ich mich gegen Ende des Spiels parallel um Baby, Ballon, Gegner und diverse Hindernisse kümmern musste, wurde es mitunter richtig frustig. Warum hat man nicht wenigstens manche Kommandos wie die Kulissen-Wechsel auf die Tasten gelegt, damit man nicht ständig umgreifen muss? Lediglich eine kleine Rennspiel-Einlage mit Kinderwagen lässt sich mit den Analogsticks steuern – eine erholsame Abwechslung.

Manche Geröllhaufen lassen sich dank kleiner Programmfehler nicht immer wie geplant beseitigen.
Noch nerviger wird es, wenn einer der Bugs oder Abstürze dazwischenfunken: Ein Geröllhaufen z.B. stürzte erst nach mehreren Stampf-Attacken ein. Eigentlich hätte er sofort in sich zusammenfallen sollen, daher irrte ich Minuten lang ratlos durchs Level. Auch ein paar sich ständig wiederholende Schreie und verzerrte Winselgeräusche haben meine Geduld auf eine harte Probe gestellt. Manchmal habe ich den Ton daher komplett deaktiviert – schade um den gelungenen Soundtrack. Wenn man etwas Geduld aufbringt und die Zähne zusammenbeißt, lohnt sich Murasaki Baby aber trotzdem. Vor allem die kreativ miteinander verbundenen Rätsel und die düstere Stimmung haben mich immer wieder motiviert, das rund zwei Stunden kurze Abenteuer zu Ende zu bringen. Auch die Geschichte macht neugierig: Sie kommt zwar ohne Worte aus, hält sich zu sehr im Hintergrund und lässt zu viele Fragen offen – trotzdem lernt man ein paar angenehm verschrobene Figuren kennen, denen das Baby bei ihren Problemen auf die Sprünge hilft. Dazu gehört eine äußerst neugierige Person, die immer wieder von einem Riesenhäschen verschluckt wird oder ein siamesischer Zwilling, der sich mit seiner anderen Hälfte zerstritten hat.

Fazit

Nicht schon wieder! Ähnlich wie in Metrico ist auch die Touchscreen-Steuerung von Murasaki Baby Fluch und Segen zugleich. Einerseits inszeniert Ovosonico viele interessante Rätsel, die fast alle mit den Fingerspitzen gelöst werden: Immer wieder muss man umdenken, Hindernisse zurechtzupfen, tödliche Seen gefrieren oder sogar die Welt auf den Kopf stellen. Andererseits mangelt es vielen Kommandos an der nötigen Präzision. Hier habe ich sogar noch deutlich häufiger geflucht als bei Metrico. Warum unterbricht man den Spielfluss mit umständlichen Befehlen wie dem Umdrehen des Babys per Gestenkommando? Warum haben die Entwickler nicht wenigstens den Kulissenwechsel auf Knöpfe oder auf Bildschirm-Symbole verlegt? Zu allem Überfluss stiften auch noch kleine Bugs Verwirrung. Wer sich trotzdem durchbeißt, wird mit einem zwar hölzernen, aber sehr stimmungsvollen Abenteuer belohnt. Die morbiden Zeichnungen, der unheimlich räumliche Soundteppich und schön kombinierte Puzzles erzeugen eine angenehm bizarre Atmosphäre.

Pro

bizarre morbide Alptraumwelt
gruselig räumlicher Soundteppich
viele coole und abwechslungsreiche Rätselideen

Kontra

hakeliger Touchscreen-Steuerung mangelt es oft an Präzision
kleine Bugs stiften zusätzlich Verwirrung
nervige Stöhn
und Schreisamples wiederholen sich zu oft
nur rund zwei Stunden kurz

Wertung

PS_Vita

Der stimmungsvolle und ideenreiche Puzzle-Plattformer wird immer wieder von der hölzernen Touchscreen-Steuerung gestört.

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