Special: Game Studies (Sonstiges)

von Jörg Luibl



Game Studies
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Interview mit Danny Kringiel

4Players: Sie sind noch keine 30, spielen begeistert Anarchy Online und erforschen Games an der Universität Frankfurt. Warum interessieren Sie sich auch akademisch für Spiele?

Danny Kringiel: Die Interessen sind vielfältiger Art. Zunächst einmal gehöre ich einer Generation an, die mit Computer- und Videospielen groß geworden ist. Es ist für mich schon vor diesem biografischen Background einfach nicht ohne weiteres ersichtlich, weshalb diesem Medium die Aufmerksamkeit verwehrt bleiben sollte, die wir anderen Medien wie dem Buch oder dem Film ganz selbstverständlich entgegenbringen. Zweitens bin ich als Erziehungswissenschaftler einerseits interessiert an der Frage, wie es möglich ist, zu einem mündigen Umgang mit diesem Medium zu finden, und andererseits entsetzt über das Niveau vieler pädagogischer Beiträge zu Computerspielen. Obwohl dies natürlich nicht pauschal gelten kann, gibt es gerade in der Pädagogik viele im Hinblick auf digitale Spiele schlecht informierte Autoren, die hochemotional und tabuisierend über den Gegenstand herfallen, anstatt eine produktive Auseinandersetzung mit ihm zu fordern und zu fördern. Das geht so weit, dass einzelne pädagogische Wissenschaftler wie etwa Prof. Jürgen Fritz, die es wagen, Computerspiele als ernstzunehmendes und durchaus interessantes Kulturphänomen zu betrachten, für diesen Tabubruch blanke Hasstiraden anderer Pädagogen über sich ergehen lassen müssen. Ich erinnere mich selbst daran, wie in einem von mir für eine pädagogische Zeitschrift verfassten Artikel eine Passage, die gewisse Tendenzen des gesetzlichen Jugendmedienschutzes in Deutschland kritisierte, einfach durch redaktionelle Nachbearbeitung "abgemildert" wurde - ohne dass ich darüber in Kenntnis gesetzt wurde.

Zu guter Letzt bin ich als ausgebildeter Kunstlehrer auch an dem künstlerischen Potential von Games interessiert. Obwohl sich die Mainstream-Spieleindustrie mit ihren Hollywoodbudgets zunehmend in die kreative Handlungsunfähigkeit manövriert, gibt es doch immer wieder ästhetisch hochinteressante Titel: Spiele wie Bad Day on the Midway, Bad Milk, MDK, XIII, Tron 2.0, Rez und viele andere zeigen ganz deutlich, wie originell Gamedesign sein kann. Und auch abseits der kommerziellen Spieleschmieden gibt es zahlreiche Beispiele dafür, was man mit diesem Medium noch alles anstellen kann - ob man sich nun unkonventionelle Mod-Projekte wie "The Family Modification" zu Max Payne oder auch Games von Künstlern wie Brody Condon oder dem Duo Fuchs-Eckermann anschaut.

4Players: In Ihrem Gastbeitrag malen Sie ein ernüchterndes Bild von der Lage der Game Studies in Deutschland. Fühlen Sie sich als Mitglied einer exotischen Spezies?

Danny Kringiel: Der Umstand, dass man hierzulande noch nicht, wie es ganz vereinzelt im Ausland der Fall ist, Game Studies-Studiengänge eingerichtet hat, bedeutet ja noch nicht, dass hier keine Auseinandersetzung mit diesem Themenfeld stattfände. Zahlreiche deutsche Forscher wie etwa Matthias Bopp, Britta Neitzel, Klaus Walter, Karin Wenz, Michael Bhatty, Claus Pias oder Bernd Hartmann haben sich mit großem Engagement den Game Studies zugewandt. Dennoch ist mein Tätigkeitsfeld - besonders für einen Erziehungswissenschaftler - sicher eher exotisch.

4Players: Es gibt schon seit knapp zwanzig Jahren Film- & Fernsehwissenschaften in Deutschland. Und in England, Dänemark und den USA gibt es bereits Fakultäten zur Spielerforschung. Warum steckt die wissenschaftliche Betrachtung der Spielewelt hierzulande noch in den Kinderschuhen?

Danny Kringiel: Die Trennung in E- und U-Kultur wird hier in Deutschland wesentlich vehementer vollzogen als es in anderen Ländern - insbesondere im angloamerikanischen Raum - üblich ist. Für viele altehrwürdige deutsche Wissenschaftler ist ein Vorgehen wie das der "Cultural Studies", die diese Trennung aufbrechen, scheinbar noch immer unseriös. Johannes Gutenberg wurde in Mainz geboren, nicht in Boston oder Kopenhagen. Zu allem Überfluss kamen dann auch noch Goethe, Schiller und Konsorten. Dieses Erbe ist offenbar noch heute sehr wichtig - neue Medien wie das Hörspiel oder der Film sind in Deutschland immer wieder danach befragt worden, ob sie auf irgendeine Weise die Buchkultur in Gefahr bringen könnten. Unter diesen Bedingungen kann man sich leicht vorstellen, dass man sich nicht besonders viele Freunde macht, wenn man Gotthold Ephraim Lessing und Tim Schaefer in einem Satz nennt. Trotz allem: Ich denke, dass Deutschland in punkto Game Studies durchaus den Kinderschuhen bereits entwachsen ist. In Organisationsformen wie der "AG Games" stellt sich auch allmählich eine Vernetzung der Forschenden her. Möglicherweise könnte allerdings ein Problem darin bestehen, dass man den Anschluss an die internationale Debatte noch nicht vollständig gefunden hat. Viele Fragen, die ich in jüngeren Aufsätzen aus dem Dunstkreis der amerikanischen und skandinavischen Spieleforscher finde, sind in deutschen Arbeiten schon Jahre zuvor gestellt und teilweise auch beantwortet worden. Das Problem ist: Welcher Amerikaner oder Norweger lernt schon Deutsch, nur um eine deutschsprachige Dissertation lesen zu können?

4Players: Warum denken Sie, dass das Spiel als Kulturgut erforscht werden muss? Was können Spiele-Wissenschaftler leisten?

Danny Kringiel: Das Spiel wird ja schon sehr lange als Kulturgut erforscht. Friedrich Schiller oder Johan Huizinga sind nun wirklich alles andere als exotische Randgestalten in der Welt der Wissenschaft, und für sie war das Spielen ein grundlegender Teil dessen, was uns als Menschen ausmacht. Die Pädagogik schenkt dem Spiel besondere Beachtung, da man davon ausgeht, dass für Heranwachsende gerade im Spiel wichtige Lernprozesse stattfinden. In der heutigen Zeit, in der dem Spielen durch digitale Games wieder neue Bedeutung eingeräumt wird, sollte das Interesse an diesem neuen Kulturgut eigentlich ganz selbstredend groß sein.

Was Spieleforscher leisten können? Das ist ebenso schwer auf einen einzigen Punkt zu bringen wie die Antwort auf die Frage "Was kann die Literaturwissenschaft leisten?". Zusammenfassend könnte man sagen: Spieleforscher können uns helfen, digitale Spiele differenzierter zu verstehen. Beispielsweise können sie uns helfen, uns bewusst zu werden, was eigentlich mit uns passiert, auf welche Weise uns eine virtuelle Welt vermittelt wird, wenn wir Computerspiele spielen. Insofern können Spieleforscher uns also zu einer mündigeren Perspektive auf Games verhelfen. Sie können uns sicher auch dabei behilflich sein, ein feineres Gespür für die Darstellungsmittel von Games zu entwickeln und so spielerischen Genuss zu steigern bzw. ein klareres Bild davon zu entwickeln, was genau uns an einem Spiel gefällt bzw. missfällt. Auch für den Spielejournalismus könnte so etwas durchaus hilfreich sein. Eine solche nicht rein technologische Schärfung der Wahrnehmung von Spielen - sowohl bei Gamern als auch bei Spieleentwicklern - könnte schließlich maßgeblich zur Erweiterung der Möglichkeiten des Gamedesigns beitragen: Gamer könnten erkennen, was außer schicken Partikeleffekten und hohen Auflösungen von Computerspielen auch noch erwartet werden kann. Und den Designern könnten Impulse geliefert werden, wie man abseits rein technologischer Fragen das Design eines Titels verbessern könnte. Das wären nur einige Beispiele für mögliche Leistungen der Spieleforschung. Unter dem Titel Game Studies verbergen sich ja derzeit eine ganze Menge unterschiedlicher Fragestellungen und Perspektiven. So unterschiedlich wie diese Ansätze werden auch die Ergebnisse und Verdienste der Studien sein.

4Players: Sie schreiben gerade an ihrer Doktorarbeit zum Thema "Angewandte
multiperspektivische Computerspielanalyse" - was untersuchen Sie genau?


Danny Kringiel: In meinem Forschungsvorhaben plane ich, eine Reihe prominenter Ansätze der Game Studies auf ihre analytischen Leitfragen an Spiele abklopfen und mit diesen Fragen verschiedenen Computerspielen zu Leibe rücken, um so ganz pragmatisch zu klären, welche Probleme sich in der analytischen Arbeit an den Spielen ergeben oder wo blinde Flecken der Ansätze liegen, welche Perspektive besonders fruchtbar im Hinblick auf welchen Genrevertreter scheint usw. Wesentlich ist, dass ich versuche, mich in einer Studie mittlerer Reichweite ganz zentral mit der Arbeit an Spielen zu beschäftigen, anstatt 400 Seiten Theorieapparat aufzufahren und dann anschließend im Anhang noch 20 Seiten Spielanalyse nachzureichen, die lediglich die Eignung meiner Herangehensweise belegen soll. Ich halte das in den Game Studies derzeit nicht selten vorzufindende Vorgehen, vollmundig Theorien und Merkmale des Computerspiels schlechthin aufzustellen und diese dann beispielsweise mit 10 Seiten analytischer Arbeit an irgendeinem Textadventure belegen zu wollen, für reichlich übereilt. Das Medium und die Forschung dazu sind noch jung, daher sollte meiner Meinung nach zunächst einmal so eng wie möglich an konkreten Einzelfällen gearbeitet werden, um sich nicht von Anfang an in einem Diskurs über den Diskurs zu verlieren oder Gefahr zu laufen, einfach eine Nummernrevue älterer Theorieansätze zu präsentieren, die man anlässlich der Erfindung des Computerspiels noch einmal aus der Schublade geholt hat. Die Verlockung ist natürlich groß, sich auf dem noch unbestellten Acker der Game Studies gleich eine möglichst große Parzelle abstecken zu wollen, doch Allgemeingültigkeitsansprüche sind meines Erachtens zu diesem Zeitpunkt leicht zum Scheitern verurteilt.

4Players: Können Sie schon andeuten, zu welchem Ergebnis Sie in Ihrer Arbeit kommen?

Danny Kringiel: Da die Arbeit gerade erst ins Rollen kommt, wäre es unsinnig und hochverdächtig, jetzt schon detaillierte Aussagen zu den Ergebnissen machen zu wollen. Meine Ziele sind es, Querverbindungen zwischen den sich teilweise noch vehement voneinander abgrenzenden Theorieansätzen aufzeigen zu können, Theorieansätze auf ihre Praxistauglichkeit zu überprüfen, Impulse für Genremerkmale zu finden und auf blinde Flecken der bisherigen Analyseansätze aufmerksam machen zu können.

4Players: Erst kürzlich wollte die Entertainment Software Association mit einigen Klischees über amerikanische Spieler aufräumen. Vor allem die Mär vom dauerzockenden Stubenhocker mit maßlosem Spielkonsum und dürftigem Sozialverhalten soll damit ad acta gelegt werden. Was halten Sie von solchen Studien?

Danny Kringiel: Eine solche Untersuchung im Auftrag des US-Branchenverbandes ESA hat natürlich eine begrenzte Überzeugungskraft. Was für die Gegenseite nicht minder gilt. Die fragwürdig designten Wirkungsstudien, deren erklärtes Ziel es von Anfang an war, eine schädliche Wirkung des Computerspielens nachzuweisen, und die dies nachher dann auch schaffen, sind Legion. Wesentlich interessanter als die ESA-Studie selbst finde ich den Umstand, dass sie in den Massenmedien überhaupt Erwähnung gefunden hat. Das sagt Einiges über das Vorrücken von Gamern in meinungsbildende Institutionen aus. Mit etwas Glück haben wir damit demnächst zwei Standpunkte in der öffentlichen Debatte um die sozialen Auswirkungen des Computerspiels - das wäre dann schon fast differenziert zu nennen.

4Players: Sie sind Gamer und Wissenschaftler, Spaßkonsument und Analytiker. Was würden Sie lieber auf eine einsame Insel mitnehmen: Spiel oder Buch?

Danny Kringiel: Eine einsame Insel mit 230V Einphasenwechselstromversorgung, nehme ich an?

4Players: Selbstverständlich!

Danny Kringiel: Schwer zu sagen: Wenn das Spiel einen guten Leveleditor hat, hat man da immerhin einen kreativen Zeitvertreib. Andererseits eignen sich Bücher einfach besser als Klopapier und zum Flaschenpost-Schreiben. Ich schätze, beide Alternativen würden einen auf die Dauer in den Wahnsinn treiben. Obwohl: Reden wir hier von einer Insel mit oder ohne Internetzugang?

4Players: Ohne, sonst würde die Trennung zwischen Spiel und Buch schwer fallen - apropos: Sie haben 2004 einen Artikel namens "How to read a game" veröffentlicht. Kann man ein Spiel tatsächlich lesen?

Danny Kringiel: Der Titel ist eine Anspielung auf James Monacos Buch "How to Read a Film", ein filmwissenschaftliches Standardwerk. Monaco hat durch seinen Wortgebrauch darauf hingewiesen, dass Filme keineswegs so mühelos und selbstverständlich erschlossen werden können, wie es zunächst den Anschein haben mag. Die Übertragung des Wortes Lesen auch auf andere Medien als das Buch ist mittlerweile in den Wissenschaften weitverbreitet, und auch in dem angesprochenen Artikel geht es um notwendige Kompetenzen zum Aufbau einer "Lesefähigkeit" für das Computerspiel aus Sicht des Jugendmedienschutzes.

4Players: Lesen Sie Previews und Reviews, bevor Sie sich für einen Kauf entscheiden?

Danny Kringiel: Auf viele interessante ältere Spiele bin ich erst durch Reviews auf Homepages wie www.adventure-archiv.com oder "Home of the Underdogs" gestoßen. Auch die Reviews in Spielezeitschriften stoßen mich gelegentlich an, mich genauer zu einem Titel zu informieren, der aus der Masse hervorzustechen scheint. Allerdings sind die üblichen Bewertungskriterien der großen Zeitschriften dazu nicht immer hilfreich. Mein Interesse für das Spiel wird mitunter gerade durch Kriterien geweckt, die in der Fachpresse eine Abwertung nach sich ziehen - beispielsweise "zu abgedrehtes Design" oder "wirre Geschichte". In den meisten Reviews wird sehr viel Platz dafür verwendet, Dinge zu beschreiben, die für meine Kaufentscheidung vollkommen irrelevant sind, z.B. "Zwar unterstützt das Spiel Normal Maps, aber leider bestehen die Figuren lediglich aus soundsoviel Polygonen". Als ich vor ein paar Jahren MDK 1 gespielt habe, war das Spiel schon so veraltet, dass selbst eine olle RIVA TNT2-Karte die Oberflächenglättung nicht mehr hinbekommen hat. Es war total verpixelt. Dennoch hatte das Spiel ein derart eigenständiges Design, dass es einfach großartig aussah. In einem aktuellen Review würde so ein Spiel es sich alleine schon aufgrund der fehlenden Oberflächenglättung unmöglich machen, über eine 10%-Bewertung hinauszukommen. Was Previews angeht: Mir will einfach nicht in den Kopf, wieso man für Spiele, die noch nicht einmal fertiggestellt sind, bereits Bewertungen vergibt. Aussagekräftiger sind da dann schon Demos. Es ist ja auch einigermaßen auffällig, dass die Bewertungen in Previews lediglich zwischen den Werten "exzellent", "sehr gut" oder "gut" schwanken. In den Game Studies stößt man auf ein weiteres Problem: Zwar gibt es tonnenweise Reviews zu aktuellen Titeln und Previews zu demnächst erscheinenden Spielen, aber viel zu wenig Rezensionen zu alten Titeln. Der Versuch, Infos zu interessanten älteren Spielen zu bekommen und dann auch herauszufinden, wie man sie unter XP zum Laufen bringt, stellt einen immer wieder vor nicht zu unterschätzende Probleme. Da würde ich mir definitiv mehr Re-Reviews in der Spielepresse wünschen.

4Players: Momentan befindet sich auch die Spielepresse im Fluss - noch nie gab es so viele Magazine am Kiosk. Newcomer wie die GEE oder [ple:] versuchen erwachsene Gamer mit einem reiferen Ansatz anzusprechen; auch Wertungskästen fallen weg. Was halten Sie von dieser neuen Richtung?

Danny Kringiel: Ich finde es auf jeden Fall erfreulich, dass es Versuche gibt, es auch einmal anders zu probieren. Der Markt für solche Magazine ist offenbar vorhanden, schließlich hält sich beispielsweise die GEE bereits eine ganze Weile. Den Verzicht auf Wertungskästen begrüße ich ebenfalls - besonders schön finde ich es, wenn man gegensätzliche Kommentare zu dem Spiel gegenüberstellt. Auch die Einbindung computerspielhistorischer Infos und die Diskussion auch computerspielkritischer Wirkungsfragen halte ich für einen Schritt in die richtige Richtung. Die Frage ist allerdings, ob die Spieleindustrie derzeit wirklich monatlich ausreichend viele "erwachsenere" Titel auf den Markt wirft, mit denen man sich überhaupt sinnvoll in einer solchen "erwachseneren" Rezensionsform auseinandersetzen könnte. Sicherlich trägt eine solche Form der Auseinandersetzung aber auch dazu bei, der Industrie vorzuführen, das angesichts des wachsenden Durchschnittsalters der Gamer auch neue Anforderungen an Spiele gestellt werden. Ich hoffe sehr, dass die Entwickler mit entsprechenden Titeln darauf reagieren werden.

4Players: Wie beurteilen Sie die angelsächsische Tendenz des New Games Journalism? Hier wollen Tester gar nicht mehr untersuchen, wie gut ein Spiel gewisse Dinge (Gameplay, Sound, Optik) macht, sondern welche Dinge (Spaß, Frust, Neugier) es mit dem Spieler macht…

Danny Kringiel: Ich halte es für sinnvoll, die Illusion einer objektivierbaren Meinung zu einem Computerspiel, wie sie bisher in Spielemagazinen üblich war, aufzugeben. Interessanter ist es für mich, klar subjektive Kommentare zu lesen, die aus ihrer Subjektivität mir gegenüber keinen Hehl machen, sondern mir zu erkennen geben, wo der Rezensent steht und welche persönlichen Erwartungen er an ein Spiel stellt. Aufschlussreich finde ich es dann auch, mehrere Meinungen nebeneinander zu stellen, ohne sie auf einen in Prozent erfassbaren Mittelwert reduzieren zu wollen. Eine solche vermittelt subjektive Form hat sich schließlich auch für Literaturkritiken längst durchgesetzt.

Der New Games Journalism greift ja den Begriff des New Journalism der 60er auf, der sich für radikale Subjektivität und Hinwendung auch zu popkulturellen Phänomenen stark gemacht hat. Diese Subjektivität hat vieles hervorgebracht, das ich am heutigen Journalismus schätze, aber auch einiges, das mich stört. Insbesondere im Bereich des Musikjournalismus gibt es die Tendenz, die Subjektivität des Rezensenten so zu zelebrieren, dass die Texte zunehmend hermetisch werden. Wenn die Subjektivität so weit geht, mir nur noch über die Empfindungswelt des Autors Auskunft zu geben, ohne einen Zusammenhang zu dem von ihm rezensierten Werk und seiner Beziehung dazu erkennen zu lassen, geht für mich schnell der Sinn einer solchen Rezension flöten. Das hat Paul Celan schon früher und interessanter gemacht. Letztendlich hängen Sinn und Unsinn des New Game Journalisms für mich also daran, wie gut es der Text trotz seiner Subjektivität schafft, sich dem Leser zu öffnen und ihm die Bedingungen seiner Subjektivität zu vermitteln.

4Players: Denken Sie, dass das Spiel als Kulturgut Lobby-Arbeit nötig hat? Was wäre sinnvoll?

Danny Kringiel: So etwas wie die ESA-Studie lässt sich ja bereits als Lobbyarbeit bezeichnen. Besonders die Computerspielindustrie scheint in letzter Zeit immer häufiger derartige Lobbyarbeit innerhalb der öffentlichen Debatte zu leisten. Es ist zwar erfreulich, dass das Phänomen Gaming mittlerweile so breiten Rückhalt in der Bevölkerung hat, dass man solche Positionen überhaupt öffentlich zu Wort kommen lässt, aber glaubwürdiger wird insbesondere die durch die Industrie geleistete Lobbyarbeit dadurch nicht unbedingt. Überhaupt ist "Lobbyarbeit" ein ziemlich negativ besetzter Begriff: Ich sehne mich nicht besonders danach, dass nun, nachdem das Computerspiel jahrelang als Untergang des Abendlandes angeprangert wurde, möglichst viele Computerspielbegeisterte möglichst einflussreiche Positionen besetzen, um auf die Vorwürfe zu antworten, Computerspiele würden zwangsweise aus uns allen bessere Menschen machen und unter gar keinen Umständen irgendwelche negativen Wirkungen zeitigen.
Ich hoffe eher darauf, dass die Machtverhältnisse zwischen Games-Gegnern und Games-Befürwortern demnächst so ausgewogen sein werden, dass eine inhaltlich differenzierte Debatte möglich wird und nicht jeder nur permanent versuchen muss, mit möglichst plakativen und radikalen Thesen sein Territorium zu sichern.

Was zur Zeit meiner Meinung nach viel mehr zu einem Ernstnehmen digitaler Spiele als Teil auch der Erwachsenenkultur beiträgt, sind die neuen Formate der Spielepresse, die aufblühenden Game Studies und das gestiegene Durchschnittsalter der Gamer, die mit solchen Spielen ganz selbstverständlich umgehen. Wenn Sarah Kuttner im Fernsehen am C64 sitzt, hat das natürlich auch eine politische Dimension. Aber diese Faktoren würde ich nicht wirklich zur bloßen "Lobbyarbeit" abwerten wollen.

4Players: Die "Game Studies" scheinen momentan für Einzelkämpfer verschiedener akademischer Herkunft interessant zu sein: Sprach-, Film- und Medienwissenschaftler treffen auf Psychologen und Soziologen. Ein Tummelplatz der Eitelkeiten oder fruchtbares Gären?

Danny Kringiel: Im Großen und Ganzen finde ich die derzeitige Positionenvielfalt in den Game Studies ausgesprochen anregend. Allerdings sind die strikten Abgrenzungsbewegungen einiger Positionen nicht unbedingt produktiv. Auch sehe ich die Gefahr, sich in einem bloßen Wiederholen von Erkenntnissen der hinzugezogenen Wissenschaften zu verlieren und damit am Gegenstand vorbeizuziehen.

4Players: Die Ludologen gelten als Hardliner unter den Spiele-Wissenschaftlern, da sie alle Ansätze der alten akademischen Schule ablehnen. Was halten Sie von dieser Richtung?

Danny Kringiel: Man muss da immer noch zwischen verschiedenen Vertretern der Ludology unterscheiden: Während beispielsweise Markku Eskelinen vor allem durch äußerst aggressive Abwehr der "kolonialisierenden" Ansätze auffällt, räumt jemand wie Gonzalo Frasca durchaus ein, dass die Ablehnung von Fremdansätzen durch die Ludologen keineswegs so strikt ist, wie es zunächst scheinen mag. Er weist darauf hin, dass die Ludology eher besondere Vorsicht gegenüber dem bloßen Überstülpen älterer Ansätze walten lässt. Relativiert man das Programm der Ludology allerdings so stark, stellt sich für mich die Frage, ob sie sich wirklich noch kategorisch von anderen Ansätzen unterscheidet. Relativiert man es hingegen überhaupt nicht im Sinne Frascas, so stellt sich die Frage, ob so etwas überhaupt möglich ist: Eine vollkommen autonome Computerspielforschung, frei von allen wissenschaftlichen Fremdeinflüssen.

Ich sympathisiere grundsätzlich mit der Skepsis der Ludologen davor, das Computerspiel einfach mit wissenschaftlich bereits etablierten Theoriekonstrukten aufzurastern und abzuhaken, ohne sich für jene Elemente zu interessieren, die auf diese Weise nicht erschlossen werden können. Allerdings finde ich diese gesunde Skepsis auch in vielen Arbeiten der Fremddisziplinen, die die Ludology ablehnt. Anstatt eines Aussperrens älterer Theorieansätze halte ich es für sinnvoll, auch diese Blickwinkel auf das Computerspiel zu integrieren und als legitime Perspektivierungen nebeneinander zu stellen. Auch in der Literaturwissenschaft gibt es ja eine enorme Vielfalt verschiedenster Ansätze, die einander nicht unbedingt wohlgesonnen sind, die aber durch ihr Nebeneinander die Möglichkeit eröffnen, Literatur von den verschiedensten Seiten aus zu betrachten und sich auch der Beschränkungen der einzelnen Ansätze bewusst zu werden.

4Players: Wie sieht es eigentlich in Japan aus? Gibt es dort so etwas wie Game Studies?

Danny Kringiel: In Japan gibt es wesentlich weniger Vorbehalte gegenüber Dingen, die hier in Deutschland bestenfalls naserümpfend als Popkultur geduldet werden - man denke nur an die Bedeutung von Mangas. An der Tokyoter Universität beispielsweise beschäftigt man sich selbstverständlich auch mit Game Studies-relevanten Themen. Gerade im vergangenen Oktober wurde dort eine Konferenz abgehalten, auf der auch Gonzalo Frasca zu aktuellen Tendenzen der Game Studies referiert hat, und Dr. Kenji Ito wird die Universität Tokyo auf der diesjährigen Konferenz der Digital Games Research Association in Vancouver vertreten. Allerdings sind die Japaner in der internationalen Game Studies Debatte derzeit noch weniger präsent als die Skandinavier oder Amerikaner.

4Players: Wie haben Sie die Gewaltdebatte erlebt, die im Herbst 2004 durch die Medien rauschte? Gab es da auch an der Uni Streitgespräche?

Danny Kringiel: Diese Art der Gewaltdebatte ist wirklich nichts Neues. Seit Jahren wiederholt sie sich immer mal wieder mit den gleichen eindimensionalen Argumentationen und Schuldzuweisungen, lediglich die Darsteller der Komödie wechseln regelmäßig. Interessant ist immer wieder, wie begeistert die Medien dieses Thema stets mit den gleichen publikumswirksamen Schockeffekten aufbereiten, die sie doch eigentlich dem angegriffenen Computerspiel vorwerfen. Das Ganze ist für die seriöse Wirkungsforschung ebenso bedauerlich wie für die Gamer. Soweit ich das wahrnehmen kann, wird angesichts dieser wiederkehrenden völlig verflachten öffentlichen Wirkungsdebatte unter den Computerspielforschern mittlerweile eher auf Durchzug geschaltet. Diese Debatte dient noch am ehesten der Machtdemonstration, und die Machtverhältnisse zwischen Spielegegnern und Gamern ändern sich derzeit.

4Players: Gibt es eigentlich Spiele, die Sie aus wissenschaftlicher Sicht interessieren, aber persönlich kalt lassen?

Danny Kringiel: Das lässt sich weniger unterteilen in aus "wissenschaftlicher" Sicht interessante und aus "unwissenschaftlicher" Sicht uninteressante Spiele. Es gibt aber immer wieder Titel, die mich auf einer bestimmten Ebene sehr reizen und auf einer anderen kalt lassen. Half-Life 1 beispielsweise interessiert mich auf der Ebene der Erzählweise, insbesondere wenn man es im Verbund mit Opposing Force und Blue Shift betrachtet. Und ebenfalls bin ich mir der historischen Wichtigkeit dieses Spiels für das Design von Ego-Shootern bewusst. Die Story, die Charaktere und das Gameplay selbst hingegen begeistern mich weniger. Ein anderes Beispiel wäre das Adventure I Have No Mouth and I Must Scream nach der Kurzgeschichte von Harlan Ellison. Die Story und das Setting des Spiels finde ich hochinteressant, doch das Gameplay halte ich für ziemlich vergurkt, die didaktisch kohärente Aufbereitung der Spielaufgaben für mangelhaft. Hinzu kommt, dass die deutsche Version durch den Einfluss des Jugendmedienschutzes wirklich bis zur Unkenntlichkeit verstümmelt wurde. Oder "Bad Milk": Eines der unkonventionellsten Spiele, die ich kenne. Doch aufgrund fehlender Speicherfunktion eine Zumutung für den Spieler.

4Players: In Ihrem Porträt schreiben Sie, dass Sie Spiele ärgern, die aus falschem Ehrgefühl der Entwickler heraus unfair designt sind. Was meinen Sie damit?

Danny Kringiel: Designer haben oftmals den Ehrgeiz, ihr Spiel nicht zu "billig" weggeben zu wollen, es dem Spieler unter gar keinen Umständen zu leicht zu machen. Der Spieler soll beweisen, dass er es wert ist, das Ende des Spiels zu erleben. Aus diesem Grunde halten sich Designpatzer wie mangelnde Modifizierbarkeit des Schwierigkeitsgrades und fehlende Speicherfunktionen auch so hartnäckig. Einige Gamer begrüßen das sogar, das hat dann allerdings mehr mit Männlichkeitsgebaren zu tun als mit der Frage nach stimmigem Gamedesign.

4Players: Sie haben ein traumhaftes Budget. Welche Art von Spiel würden Sie fördern?

Danny Kringiel: Ein Spiel ohne Elfen, Drachen, Zwerge, Zauberer, Level-32-Totenbeschwörer, Weltraummonster, Marines und 90-60-90-Blondinen in Eisenrüstung, die, ihre Minigun auf den Rücken geschnallt und den alabasternen 8000-Credits-Kelch göttlicher Verblendung in der Hand, in ihrem getunten Lamborghini in den Sonnenuntergang fahren, um die Welt vor einem wahnsinnigen dreiköpfigen Wissenschaftler aus einer Paralleldimension und seinem atomar verseuchten Mutanten-Zwillingsbruder zu retten.

4Players: Wow - uns wird gerade schwindelig. Aber es trifft die Marktlage ganz gut. Was schwebt Ihnen als Alternative vor?

Danny Kringiel: Interessant fände ich beispielsweise ein Spiel, in dem der Spieler seine Figur durch Befolgung der Spielanweisungen allmählich zu Grunde richtet und sie nur durch Abkommen von den ausdrücklich vorgegebenen Spielaufgaben retten kann. Oder ein Spiel, in dem der Spieler versuchen muss, zu verlieren. Wie wäre es mit einem Shooter, in dem alle NPCs sterben, wenn man ihnen nicht zur Hilfe eilt, und in dem man versuchen muss, so viele wie möglich zu retten? Oder ein Spiel, das die Spielgeschichte in aufeinander aufbauenden Flashbacks von hinten nach vorne erzählt? Ein Rollenspiel mit einem Alltagssetting in der heutigen Welt, in dem der Spieler sich mit der Midlife-Crisis seines Avatars auseinandersetzt und die Quests etwa darin bestehen, seine Beziehungsprobleme mit der Partnerin zu lösen oder endlich das Coming Out als Schwuler zu wagen. Ein vollkommen surreales Spiel, dessen Mechanismen sich nicht unmittelbar durch Vergleich mit Real-Life-Situationen ableiten lassen, das sich ausschließlich in einer Traumwelt abspielt. Ein Spiel, in dem alle "Bösen" Models sind und alle "Guten" richtig scheiße aussehen. Ein Spiel, das kritisch auf die Spielsituation des Gamers vor dem Bildschirm referiert und dessen Schluss in ihm den Wunsch weckt, hinauszugehen und etwas an seinem realen Leben zu ändern. Ein Spiel, das den Spieler mit einer zutiefst verabscheuungswürdigen Hauptfigur konfrontiert. Kurz: Jedes Spiel, das es wagt, etwas grundlegend Anderes zu versuchen als der Mainstream.

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Vom Spiel zur Uni? Aber sicher!
4Players: Das war ja ein Sammelsurium höchst interessanter Ideen! Da können wir uns nur anschließen, obwohl es in naher Zukunft eher massentauglich zur Sache geht. Trotzdem: Auf welche Titel freuen Sie sich besonders in diesem Jahr?


Danny Kringiel: Psychonauts, Splinter Cell 3 (wegen der Tonarbeit), Call of Cthulhu (wenn es überhaupt noch erscheint). Und ich bete natürlich für Sam & Max 2.

4Players: Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg mit der Dissertation!
         

Kommentare

Miuti schrieb am
Danke für das interessante Interview.
Jörg Luibl schrieb am
Hi Ragism,
schön, dass dir der Artikel gefallen hat. Ich denke, dass Danny hier sehr gut aufgedröselt hat, um was es sich bei den "Game Studies" handelt. Das ist ja trotz der fehlenden institutionellen Akzeptanz ein sehr weites Feld mit vielen kleinen, aber dafür sehr interessanten Maulwurfshöhlen (Ludologie etc.), die sicher in Zukunft noch mal genauer untersucht werden.
Bis denne
Ragism schrieb am
Sehr interessant! Viel wahres steht in diesem Interview. Endlich werden auch mal Artikel veröffentlicht, die man sich zuhause an den Kühlschrank hängen kann, ohne sich insgeheim dafür schämen zu müssen. Und endlich werden uns mal neue Sichtweisen auf Spiele nähergebracht. So beeindruckend doch zum Beispiel sie Gesichtsanimationen bei Half-Life 2 sind, so sehr hatte man das Gefühl, die \\\"Darsteller\\\" kamen direkt von Barbara Salesch. Wenn wir Spieler solche erzählerischen Mängel anfangen zu kritisieren, dann ist der erste Schritt getan, Spiele gesellschaftsfähiger zu machen.
Ein riesengroßes Lob an 4Players, die sich als erstes Online-Magazin wirklich ernsthaft mit dem Thema beschäftigen! Bitte mehr davon!
schrieb am