SOS - The Final Escape21.12.2002, Jörg Luibl
SOS - The Final Escape

Im Test:

Wie kommt ein Erdbeben von Japan über die USA nach Deutschland? Ganz einfach: Publisher BigBen Interactive hat einen Deal mit dem amerikanischen Asien-Spezialisten Agetec in die Wege geleitet, der vielversprechende japanische Software in Übersee vermarktet - darunter auch das Katastrophen-Spiel "Disaster Report". In deutschen Händlerregalen werdet Ihr den Titel als "SOS - The Final Escape (ab 58,00€ bei kaufen)" finden. Ob das Ganze wohlige Spielspaß-Erschütterungen auslösen kann, verrät unser Test!

Überleben im Chaos

Die Brücke lebt: Tausende Tonnen Beton schwanken bedrohlich hin und her. Busse werden gerade noch von Leitplanken gehalten, Autos rollen bedrohlich auf Abgründe zu. Und bevor sich das ganze Ausmaß der Zerstörung auf die Netzhaut brennen kann, beginnt es wieder zu beben. Ich nehme die Beine in die Hand und hetze los. Als die ersten Stahlseile reißen und Autos wie tote Käfer auf den Asphalt klatschen, renne ich um mein Leben - willkommen in "SOS - The Final Escape".

Reporter auf Abwegen

Als junger Zeitungsreporter Keith werdet Ihr von der Katastrophe überrascht: Direkt unter der fiktiven Insel-Metropole "Capital City" befindet sich das Epizentrum eines gewaltigen Erdbebens. Ganze Häuserschluchten sind bereits eingestürzt, Autobahnbrücken hängen bedrohlich in der Luft und zu allem Übel steigen die Fluten an der Küste. Das Schlimmste sind unberechenbare Nachbeben, die Euch gnadenlos per Rumble-Feature erreichen.

__NEWCOL__Euer Ziel ist es zunächst, zu überleben. Aber hinter den zerstörten Fassaden findet Ihr nicht nur akrobatische Herausforderungen, sondern auch mysteriöse Hinweise, die das Erdbeben in ein ganz anderes Licht rücken - eine kriminelle Spurensuche beginnt. Unterwegs könnt Ihr zudem Verletzte und Überlebende finden, die sich Euch evtl. anschließen oder wertvolle Tipps geben.

Schnell & durchdacht

Spielerisch bietet SOS ähnlich viel Abwechslung wie gute Survival-Horror-Games à la Silent Hill 2. Zwar wurde der Nahkampf hier durch das gefährliche Erkunden ersetzt. Aber mal ist schnelles Reagieren gefragt, mal logisches Kombinieren oder ein gutes Auge. Und in den Trümmerfeldern müsst Ihr des Öfteren klettern wie ein Weltmeister, denn manche Ausgänge sind nur über hohe Streben oder Simse zu erreichen. Die Steuerung reagiert hier ausgesprochen gut und toleriert so manchen Fehler beim Absprung, so dass Ihr Euch oft um Haaresbreite retten könnt. Außerdem springt man automatisch und erklimmt auch Hindernisse von selbst; angesichts der sehr hektischen Situationen eher ein Pluspunkt.

Rätsel & Gegenstände

Die Rätselkost wird Denker zwar nicht gerade ins Schwitzen bringen, weil die Aufgaben sehr linear und die benötigten Items schön markiert sind, aber dafür bleibt alles logisch und durchaus fordernd. Zu Beginn muss man zwar gerade Mal zwei Gegenstände wie Seil und Haken kombinieren, oder Brechstange und Feuerlöscher richtig einsetzen.

Aber im Laufe des Spiels kommen immer mehr Objekte hinzu, die schnell die Kapazität Eures kleinen Rucksacks sprengen: Wasserflaschen, Batterien, Radios, Taschenlampen, Verbandszeug, Leuchtmunition und vieles mehr will verstaut werden - gut, dass man später größere Rucksäcke findet.

Sehr ärgerlich ist allerdings das plötzliche Verschwinden von abgelegten Gegenständen. Depots, an die man später zurückkehrt, lassen sich leider nicht anlegen.

Richtig interessant wird es, wenn es ans Montieren und Trennen geht. Ihr könnt z.B. einen Regenschirm in seine drei Einzelteile Griff, Gestell und Nylon zerlegen, um aus den Einzelkomponenten oder neuen Items wieder etwas Anderes zu basteln - z.B. einen Kleiderbügel, mit dem man ein Stahlseil hinabgleiten kann. Hat er seinen Dienst getan, lässt er sich wieder umbauen. Leider halten sich diese netten Kombinationsspielchen in Grenzen; meist reicht ein Gegenstand aus.

__NEWCOL__Richterskala im Blick

Ihr könnt zwar auf den ersten Blick relativ frei die riesige 3D-Stadt erkunden, aber gescriptete Ereignisse sorgen an bestimmten Stellen für eine neue Situation: Wenn das Hafengelände in der Flut versinkt, ist es natürlich nicht mehr zu erforschen. Stück für Stück arbeitet Ihr Euch langsam von der Autobahnbrücke über das Hafenviertel in das Zentrum der Stadt. An einer Stelle habt Ihr sogar die Möglichkeit, zwischen zwei Routen bzw. Personen zu wählen - ansonsten bleibt das Spiel linear. Auf einer Karte werden wichtige Ereignisse und Orte wie z.B. Shops markiert. Sehr hilfreich sind die rot markierten Bereiche, die ähnlich wie in Silent Hill 2 auf Sackgassen aufmerksam machen.

Immer, wenn ein neues Beben aufkommt, solltet Ihr Schutz suchen und per R1-Taste in die "sichere Haltung" gehen. Erst dann könnt Ihr Schäden durch Stürze vermeiden. Zeit zum Verschnaufen und Speichern bieten alle Wasserquellen, die sehr häufig vorkommen und keinen Wiederholungsfrust aufkommen lassen. Hier könnt Ihr Eure Flaschen auffüllen oder etwas trinken, damit sich Eure Wasseranzeige wieder füllt. Solltet Ihr durch Gesteinsbrocken oder Stürze verletzt werden, helfen nur Bandagen oder Mullbinden.

Auf dem Weg zur Wahrheit?

Doch hinter dem Katastrophen-Survival verbirgt sich weit mehr als eine adrenalinhaltige Flucht vor Gesteinsmassen. Im Laufe des Spiels werdet Ihr Personen begegnen, die das Spiel mit Gesprächen, kleinen Aufträgen und einer Prise emotionaler und einem mächtigen Schuss politischer Brisanz bereichern. Außerdem müsst Ihr Euch an vielen Stellen entscheiden, ob und zu wem Ihr nett, ignorant oder schroff seid - immerhin gibt es sieben verschiedene Enden (leider erreicht man das kürzeste Finale schon nach etwa fünf Stunden). Zwei Beispiele:

Ihr rettet eine Frau, besteht ein paar brenzlige Situationen und es kommt zu simplen bis skurrilen Fragestellungen: Seid Ihr Gentlemen und lasst die Dame zuerst die Treppe hinunter, da sie scheinbar keinen Slip trägt? Leiht Ihr der Frau bei Regen den Schirm? Und rettet Ihr ihren kleinen Hund? Es liegt an Euch.

Jetzt die politische Seite: Ihr findet einen Mann, der gerade an seinen Schusswunden erliegt. Gebt Ihr im Wasser? Wenn ja, wird er Euch seine Visitenkarte zustecken. Als Ihr die Verfolgung des Täters aufnehmt, müsst Ihr mit ansehen, wie ein Mann mit Schrotflinte gerade von einem Hubschrauber eingesammelt wird. War das der Mörder? Und stehen nicht alle Helikopter unter Regierungskontrolle?

Stadt in Trümmern

Optisch präsentiert sich SOS leider durchwachsen: Da wäre auf der Habenseite die durchaus stimmungsvolle Stadtkulisse, die ein sich ständig veränderndes Bild der Verwüstung präsentiert. Die Mischung aus Rissen, Kratern, Betonbrocken und halbwegs intakten Gebäuden hinterlässt ein sehr realistisches Bild der Zerstörung. Hinzu kommen herrlich gescriptete Mini-Katastrophen wie einstürzende Brücken oder ganze Häuserfronten, die plötzlich wegbrechen - das ist schon atemberaubend.

__NEWCOL__Aber sobald man die Stadt in Ruhe erforscht zeigen sich große Schwächen im Detail: Die Texturen sind teilweise sehr platt, feine Details sucht man vergeblich und Clipping-Fehler trüben so manche Klettertour. Vor allem im Inneren der Gebäude vermisst man feinere und abwechslungsreichere Grafik-Sets - es gibt immer dieselben Topfpflanzen und Möbel. Und dass der PS2-Prozessor trotzdem manchmal grundlos in die Knie geht und nur noch Zeitlupenmärsche erlaubt, ist spielerisch ärgerlich und technisch völlig unverständlich. Zwar ist die Sichtweite teilweise respektabel, aber nie spektakulär.

Oh, mir tun die Ohren weh!

Angesichts der spielerischen Qualitäten von SOS wirkt die akustische Untermalung wie ein schlechter Witz: Das, was einem da als Schritt- und Schwimmgeräusch aus den Boxen schallt, wäre nicht mal in C64-Zeiten besonders hörenswert gewesen. Besonders fatal wirkt sich das Krächz-Stakkato des laufenden Protagonisten angesichts der fehlenden Hintergrundmusik aus, denn diese hätte wenigstens mit einem Teppich an musikalischen Klängen dämpfen können.

Einzig und allein die Erdbeben samt der einstürzenden Gebäude und der darauf folgenden Malm- und Schottergeräusche wirken authentisch. Sprachausgabe gibt`s übrigens nur auf Englisch, dafür wurden die Texte jedoch übersetzt. Aber sowohl Sprecher als auch Dialoge laden des Öfteren zum Schmunzeln ein, da vieles einfach zu gekünstelt wirkt.

Fazit


SOS - The Final Escape ist eines der Spiele, die dem Genre neue Impulse und mir als Spieler endlich neue Abenteuer verschaffen. Ich habe gegen Geister, Zombies und Mutanten gekämpft, gegen Irre, Tyrannen und Diktatoren. Aber gegen die Erde? Abseits vom typischen Survival-Horror werdet Ihr hier in ein Katastrophenszenario katapultiert, hinter dem sich noch eine tolle Story verbirgt. Auch wenn die grottenschlechte Akustik einer PS2 nicht würdig ist und vor allem im grafischen Detail sehr viele Wünsche offen bleiben, vermitteln die eingestürzten Schluchten und wankenden Brücken ein authentisches Gefühl der Zerstörung. Spielerisch gelingt den Entwicklern der Spagat zwischen Action, Rätseln und Interaktion. Vor allem die Einbindung der fremden Charaktere und der mysteriösen Hintergrundstory sorgt für Spannung bis zum Schluss. Trotzdem kann ich nur jenen Action-Adventure-Fans den Trip nach Capital City ans Herz legen, die über technische Mängel, optische Schwächen und eine kriminelle Akustik hinwegsehen können. Auch die kurze Spielzeit von etwa fünf Stunden schlägt negativ zu Buche - selbst, wenn es sieben Enden gibt.

Pro

<li>einfache Steuerung</li><li>packendes Szenario</li><li>tolle Story-Einbettung</li><li>kombinierbare Items</li><li>interessante Charaktere</li><li>teils imposante Stadtkulisse</li><li>viele überraschende Wendungen</li><li>hervorragende Erdbeben-Effekte</li><li>motivierende Entscheidungsfreiheit</li><li>insgesamt sieben verschiedene Enden</li>

Kontra

<li>zu kurz</li><li>Clipping-Fehler</li><li>nervige Slowdowns</li><li>grottenschlechte Akustik</li><li>teils gekünstelte Dialoge</li><li>keine Lösungsalternativen</li><li>im Detail anspruchslose Grafik</li><li>Gegenstände verschwinden beim Ablegen</li>

Wertung

PlayStation2

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