This is Football 200328.09.2002, Jörg Luibl
This is Football 2003

Im Test:

Seit der WM in Japan und Südkorea gehört Deutschland wieder zur Creme de la Creme des Weltfußballs. Und genau da will Sony mit seinem neuesten Soccer-Spross TIF 2003 auch hin. Eine generalüberholte Grafik, verfeinertes Gameplay und Mittelfeld-Star Michael Ballack als Marketing-Partner lassen auf einen ernst zu nehmenden Gegner für die FIFA- und Pro Evolution-Reihe hoffen.

Im Schatten der Großen

Auch wenn TIF 2002 im Herbst 2001 respektable 82% bei uns einheimsen konnte und mit einer klasse Präsentation und spektakulären Torszenen protzte, stand es immer noch im Schatten von FIFA und Pro Evolution Soccer. Dem Arcade-Gameplay ließen sich schnell Standardtore entlocken und Ballphysik sowie Spieler-KI waren auch nicht gerade berauschend. Das soll jetzt alles besser werden: Die Entwickler haben den goldenen Mittelweg zwischen Arcade und Simulation gesucht - herausgekommen ist ein gefälliger, aber wenig packender Kompromiss.

Spielmodi & Editor

Neben Freundschaftsspielen und den gängigen internationalen Wettbewerben wie WM, EM, Afrika-Cup, Asien-Cup etc. lässt sich in TIF 2003 auch eine ganz persönliche Karriere starten: Als Trainer einer jungen Schulmannschaft könnt Ihr Euch ersten Respekt auf kleinen Bolzplätzen verschaffen, neue Spieler anwerben und langsam die Tabelle hochklettern. Schön, dass man hier alles den eigenen Wünschen anpassen kann: vom Trikot-Design über die Spielernamen bis hin zu eigens kreierten Nachwuchsprofis. Im Taktikbereich lassen sich alle erdenklichen Formationen spielend leicht variieren und austauschen. Ausführliche und übersichtliche Team- und Spielerstatistiken runden diesen neuen Modus ab.

Schwalbe, Spurt und Schuss

Der Steuerung von TIF 2003 gebührt ein großes Lob: Sauber und präzise lassen sich die Akteure über den Rasen treiben. Und in Sachen Bewegungsrepertoire kann sich TIF wirklich sehen lassen: Neben einfachen Pässen, Spurts und Flanken könnt Ihr auf zwei ansehnliche Dribbling-Varianten, den Doppelpass, den Steilpass und die wirklich bereichernde Ballvorlage zurückgreifen. Bei Letzterer sorgt ein schnelles Antippen der rechten Schultertaste dafür, dass der ballführende Spieler sich das Leder einige Meter vorlegt - ideal, um Flankenläufe einzuleiten. Von dieser Vielfalt könnte sich selbst Pro Evolution Soccer eine Scheibe abschneiden.

__NEWCOL__Ein Schmankerl ist übrigens die Schwalben-Funktion, die im Angriff mit einer Schultertaste ausgeführt wird. Schön ist hier, dass die Schiedsrichter wirklich genau hinsehen und Tieffliegern schnell die gelbe Karte zeigen. Nur ganz gut getimte Schwalben sind von Erfolg gekrönt. In der Abwehr müsst Ihr leider auf eine automatische Verteidigung à la Pro Evolution Soccer verzichten, aber könnt neben dem einfachen Tackling auch effektive Grätschen und absichtliche Fouls einleiten. Trotzdem lässt die Kollisionsabfrage manchmal zu wünschen übrig, wenn flache Bälle z.B. durch Abwehrspieler durchjagen.

Das alte Dilemma: Ballphysik

Der Ball ist rund. Aber trotz dieser Weisheit ist er noch so viel mehr: ein eigenwilliges, manchmal unberechenbares Rund, das bei richtigem Effet herrliche Kurven durch die Luft schneidet und schmatzend auf dem Pfosten einschlägt - wer Pro Evolution Soccer spielt, kommt dem sehr nahe. Leider klebt der Ball in TIF 2003 am Spielerfuß wie ein Stück Eisen am Magneten. Zwar hat sich die Ballphysik gegenüber dem Vorgänger ein wenig verbessert, aber bei Flanken und Schüssen ist trotz lobenswerter Effet-Unterstützung immer noch viel zu scharfer Drall möglich. Und gerade bei Torschüssen wird man das Gefühl nicht los, einen Federball zu kicken, den der Torhüter wie eine Fliege fängt. Für einen guten Spielfluss empfiehlt sich übrigens mindestens der zweite der vier Schwierigkeitsgrade, sonst ist das Ganze zu pomadig.

Wo bleibt die Spannung?

Im Gegensatz zum Vorgänger wirken die Strafraumszenen leider nicht nur weniger artistisch, sondern absolut unspektakulär: So mancher Pfiff geht z.B. unter, Kopfbälle sind Mangelware und meist kommt es nach Flanken zur ewig gleichen Brustannahme samt Volleyschuss. Das ist noch zu verschmerzen, aber wenn gefährliche Schüsse, Strafraumattacken und vor allem schöne Tore akustisch und optisch untergehen, kommt Frust auf: Kein aufgeregtes Raunen, keine außergewöhnlichen Zeitlupeneffekte, keine adrenalinhaltige Fußballspannung. Der Ball ist plötzlich im Netz und weiter geht`s…

Die Künstliche Intelligenz der eigenen Mitspieler ist verbessert worden, so dass sich jetzt öfter Spieler anbieten und freilaufen. Auch die Gegner-KI kann ab der zweiten Stufe für herausfordernde Partien sorgen, so dass sich auch ein WM-Turnier gegen den Computer lohnt. Nur die Torhüter neigen zu recht seltsamen Patzern, die es im Vorgänger in dem Maße nicht gegeben hat: Gerade Schüsse auf Kopfhöhe lassen sie schon mal durchsausen, obwohl sie ansonsten elegant in Ecken hechten und Bälle gekonnt abwehren.

Tanz der Vampire

Wenn die Ballakrobaten auflaufen, fühlt man sich unweigerlich nach Transsylvanien versetzt: Bleiche Gesichter und blasse Haut dürften Draculas Schönheitsideal entsprechen, aber die Profifußballer wirken einfach unrealistisch blutleer. Das ist schade, denn die Gesichter überzeugen mit hervorragenden Details und bei den ganz großen Namen wie Beckham, Zidane & Co erreicht der Wiedererkennungswert fast fotorealistische Ausmaße. Dass das nicht bei allen 13.500 Profis der Fall ist und dass auch einige Schönheitsfehler dabei sind - Jan Koller und Deisler lassen grüßen - ist zu verschmerzen.

Schließlich kann man jeden Spieler dank des praktischen Editors einer schnellen Schönheitsoperation unterziehen: Egal ob Gesichtsform, Bart, Augen- oder Haarfarbe - hier lässt sich jeder Charakter formen. Und da man auch die fußballerischen Werte wie Ausdauer, Sprungkraft, Abschluss, Beschleunigung etc. anpassen kann, steht der Erschaffung des persönlichen Fußballgotts nichts mehr im Wege.

__NEWCOL__Und im Animationsbereich hat TIF 2003 ordentlich zugelegt: Konnte man sich beim Vorgänger noch über seltsame Enten-Sprints amüsieren, zeigt der aktuelle Teil sehr weiche und realistische Bewegungsabläufe - sowohl bei Spielern als auch bei den Torhütern. Trotzdem wirken die Sprints und Drehungen noch zu glatt - als würden die Spieler auf Scheiben gleiten. Und leider setzen die Linienrichter zum Watschelspurt an. Dafür sind die Grätschen, Übersteiger und Glanzparaden genau so sehenswert wie die Gesten und Unschuldsbekundungen der Kicker. Im direkten Vergleich zu FIFA 2003 und dem in Japan bereits erhältlichen Winning Eleven 6 müssen sich die Animationen trotzdem geschlagen geben: weniger Vielfalt, weniger Realismus. Nicht sehr ansehnlich sind zudem die hässlichen Pappaufsteller, die das Publikum darstellen sollen. Überhaupt ist die Stadionkulisse trotz bengalischer Feuer und bewegter Zuschauer im Vergleich zur pompösen FIFA-Inszenierung nur Durchschnitt.

Fans hui, Kommentar pfui!!

Können Fangesänge und Stadionakustik noch mit bekannten Chören à la "Ihr könnt nach Hause fahren!" eine authentische Stimmung beschwören, sorgen die Kommentare schon nach wenigen Spielminuten für Kopfschütteln. Sat1- und Premiere-Moderator Thomas Herrmann will sich zwar kompetent und souverän geben, ist aber ein einziger Reinfall: langweilig, emotionslos und manchmal unpassend. Hier hat Sony wirklich viel Atmosphäre verschenkt. In Sachen Stadion-Feeling und Kommentar liegt man noch weiter hinter Präsentationsmeister FIFA zurück als in der Darstellung der Fußballtempel.

Fazit


Nein, TIF 2003 kann die hohen Erwartungen leider nicht erfüllen: Trotz aktueller FIFpro-Lizenz, vorbildlicher Dribbling-Features und Karriere-Modus kommt auf dem Platz einfach keine Begeisterung auf. Zwar lässt sich dank der sauberen Steuerung schnell ein ansehnliches Spiel aufziehen, aber in Strafraumnähe springt der Funke angesichts der biederen Umsetzung und der vielen gleichen Standardszenen einfach nicht über. Das war im letzten Jahr noch ganz anders: Da protzte TIF im Torraum wenigstens mit Rasanz und Dynamik. Diese spektakulären Arcade-Feature wurden leider zu drastisch zurückgefahren. Einsteiger und Gelegenheitskicker werden sicher schnell auf ihre Kosten kommen, aber für eingefleischte Fußball-Fanatiker wird dieses Jahr einfach zu wenig Adrenalin und Atmosphäre geboten. FIFA 2003 und Pro Evolution Soccer 2 brauchen TIF 2003 wahrlich nicht fürchten.

Pro

<li>schöne Dribblings</li><li>saubere Steuerung</li><li>detaillierte Gesichter</li><li>Schwalben-Feature</li><li>neuer Karrieremodus</li><li>unkomplizierter Einstieg</li><li>übersichtliche Menüs & Statistiken</li><li>eigene Spieler & Trikots kreieren</li><li>aktuelle Spieler- und Vereinsnamen</li>

Kontra

<li>dürftige Kulisse</li><li>seltsame Torwart-KI</li><li>langweilige Kommentare</li><li>unbefriedigende Ballphysik</li><li>schnell einstudierte Standardtore</li><li>sich wiederholende Torraumszenen</li><li>keine automatische Abwehr-Funktion</li>

Wertung

PlayStation2

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