Kingdom Hearts 230.09.2006, Jens Bischoff
Kingdom Hearts 2

Im Test:

Eigentlich bin ich ja gar kein großer Disney-Fan, aber Kingdom Hearts hatte mich seinerzeit dennoch begeistert. Nie hätte ich gedacht, so viel Spaß daran zu haben, mich mit Donald und Goofy auf die Suche nach Micky Maus zu machen... Vier Jahre später gibt es endlich die lang erwartete Fortsetzung, die erfreulicherweise auf den Stärken des Erstlings aufbaut und einige Kritikpunkte konsequent ausmerzt. Comic-Helden auf dem Weg zum Platin-Award?

Wo ist Sora?

Die Story setzt ein Jahr nach den Ereignissen aus Kingdom Hearts an und überrascht zunächst mit einem neuen Helden namens Roxas.

Unbekannte Gesichter: Zu Spielbeginn seid ihr mit Roxas und seinen Freunden unterwegs.
 Mit seinen Freunden verbringt er die letzten Tage der Sommerferien in einem verschlafenen Städtchen namens Twilight Town, wo er es mit so genannten Niemanden und der mysteriösen Organisation XIII zu tun bekommt. Doch keine Angst: das Wiedersehen mit Sora, Donald, Goofy & Co. lässt nicht lange auf sich warten und die anfangs zunächst etwas verwirrende Rahmenhandlung klärt sich später ebenfalls auf.

Gute Ansätze

Den Hauptteil des Spiels verbringt ihr jedenfalls erneut damit, mit vorgefertigten oder selbst gebastelten Gummischiffen zwischen vertrauten und frischen Diney-Welten hin und her zu reisen, um Herzlose zu jagen, dunkle Machenschaften zu durchkreuzen und bekannten Zeichentrickhelden wie Mulan, Herkules oder Winnie Puuh aus der Patsche zu helfen. Eine erfreuliche Nachricht gleich vorweg: Die drögen Flugabschnitte des Vorgängers wurden gewaltig überarbeitet und machen endlich das, was sie sollten - nämlich Spaß! Das grundlegende Konzept eines 3D-Shoot-em-Ups auf Schienen blieb zwar unverändert, aber Spielbarkeit, Präsentation und Leveldesign haben immens zugelegt und reichen fast schon an Panzer Dragoon- oder Lylat Wars-Niveau heran.

Ein weiterer Kritikpunkt, den sich die Entwickler zu Herzen genommen haben war die unhandliche Kamerasteuerung über die Schultertasten, die sich dank Sticksteuerung nun wesentlich besser bewerkstelligen lässt. Die automatische Anpassung der Spielansicht wurde ebenfalls verbessert, auch wenn das Ergebnis noch lange nicht optimal ist. Gerade bei Kämpfen gegen mehrere Gegner geht die Übersicht nach wie vor regelmäßig flöten, während man mit überdimensionalen Begleitern wie Biest im Schlepptau oft nicht mal mehr die eigene Spielfigur sieht.

Umstrittener Kurswechsel

Des Weiteren wurde der Schwierigkeitsgrad von Kingdom Hearts oft kritisiert, was Square Enix wohl dazu bewogen hat, den Spieler gleich von Beginn an zwischen drei Stufen wählen zu lassen. Eine echte Herausforderung stellt jedoch keine der drei Varianten dar, selbst Bossgegner geben viel zu schnell klein bei und in der Regel reicht stupides Tastenhämmern völlig aus, um 95 Prozent der Gegner problemlos platt zu machen. Gezielte Magieattacken oder Aufrufe wie im Vorgänger spielen fast keine Rolle mehr und auch die neuen Drive-Verwandlungen bringen selten entscheidende Vorteile. Dem Spielfluss kommt dieser Umstand zwar zugute aber die Befriedigung über einen errungenen Sieg ist deutlich geringer als im ersten Teil. Lediglich optionale Kämpfe wie am Ende der Hadesarena oder gegen Sephiroth stellen euer Können wirklich auf die Probe. 

Ein weiterer Schritt in die falsche Richtung stellen meiner Meinung nach die deutlich kleineren und geradlinigen Schauplätze des Spiels dar. Zwar wurden die insgesamt 15 Spielumgebungen erneut mit viel Liebe zum Detail entworfen, aber für Erkundungen abseits des Hauptpfades ist nicht mehr viel Platz und auch die in jeder Welt verstreuten Schatzkisten findet man fast alle im Vorbeigehen. Zwar dürft ihr euch abermals an zahlreichen Minispielen versuchen, aber dass z. B. Arielles Atlantica nur noch als Bühne für primitive Rhythmusspielchen fungiert, ist irgendwie traurig.

Gelungene Erweiterung: In bestimmten Situationen löst ihr per Dreieck-Taste aufwändige Spezialattacken aus.
Auch die radikale Reduzierung der im Vorgänger sicher zu Recht kritisierten Hüpf- und Rätseleinlagen hinterlässt einen schalen Beigeschmack. Frustmomente bleiben so zwar aus, aber es wäre auf jeden Fall wünschenswerter gewesen, die Kritikpunkte auszumerzen als die kritisierten Passagen einfach weg zu lassen...

Grandiose Inszenierung

Uneingeschränktes Lob verdient hingegen die neue Nostalgiewelt, in der alles im Stil der ersten Disneyfilme präsentiert wird - inklusive altmodischer Schwarzweißgrafik, antiquierter Soundkulisse sowie Donald und Goofy in Originalform. Auch sonst passen sich Sora und seine Gefährten äußerlich erneut den aktuellen Schauplätzen an - allerdings nicht immer, was gerade im sehr realistisch gehaltenen Fluch der Karibik-Szenario für herbe Kontraste sorgt. Insgesamt ist die Präsentation der Themenwelten und Charaktere jedoch abermals erstklassig - sowohl was Technik als auch Authentizität betrifft. Figuren, Animationen und Effekte wurden liebevoll gestaltet und versprühen nicht nur in den grandiosen Zwischensequenzen perfektes Zeichentrickflair. Da verschmerzt man sogar den Umstand, dass man fast mehr Zeit mit Zuschauen als mit Spielen verbringt.

Auch bei der Vertonung hat man einmal mehr keine Kosten gescheut und ein geradezu sensationelles Aufgebot an deutschen Original-Synchronsprechern verpflichtet. Das gleiche gilt für die vorbildliche Übersetzungsarbeit, bei der selbst Wortwitze gekonnt angepasst wurden. Schade nur, dass nicht alle Dialoge vertont wurden, aber der Anteil an Sprachausgabe ist dennoch erfreulich hoch.

Gewaltig aufgebohrt: Die Shoot'em-Up-Passagen können sich dieses Mal in jeder Hinsicht sehen lassen.
 Die musikalische Untermalung kommt in meinen Augen bzw. Ohren zwar nicht ganz an die Brillanz des Vorgängers heran, ist atmosphärisch aber nach wie vor topp und lässt Eigenkompositionen und Originalthemen harmonisch in einander fließen. Und wenn wir schon beim Loben sind: Auch die PAL-Anpassung ist mit absolut balken- und ruckelfreiem 50Hz-Vollbild dieses Mal tadellos und hat wie die grandiose Lokalisierung für zukünftige Square Enix-Spiele hoffentlich Vorbildcharakter.

Viel zu tun

Vorbildlich sind auch die zahlreichen Nebenbeschäftigungen, denen ihr in Kingdom Hearts II nachgehen könnt. Egal ob Item-Synthese, Gummischiffbau, Arenenwettkämpfe oder die zahlreichen Minispiele, Langeweile kommt so schnell keine auf. Auch beim Charakter-Management habt ihr viele Freiheiten: So wechselt ihr Gruppenmitglieder aus, weist verfügbare Items, Fertigkeiten und Zauber zu oder legt das KI-Verhalten eurer Mitstreiter fest. Ärgerlich nur, dass ihr diese Einstellungen nicht auch während eines Kampfes verändern könnt. Wer die falschen Zauber, Fertigkeiten oder Items ausgerüstet oder unpassende KI-Anweisungen vorgenommen hat, muss wohl oder übel damit leben - im Vorgänger hattet ihr zumindest noch die Möglichkeit eure Gefährten auf bestimmte Gegner anzusetzen. Der harmlose Schwierigkeitsgrad und das faire Continue-System gleichen diese Einschränkung jedoch problemlos aus, auch wenn die daraus resultierende Unwichtigkeit der Einstellmöglichkeiten berechtigte Zweifel am Vorhandensein selbiger aufkommen lässt...         

Mehr Möglichkeiten

Ansonsten hat sich am Kampfsystem nicht viel geändert: Ihr führt mit Soras Schlüsselschwert Combos und Spezialattacken aus, wirkt Magie, blockt Angriffe, wirbelt mit beherzten Sprüngen durch die Lüfte, setzt ausgerüstete Items ein, tauscht Gruppenmitglieder aus oder beschwört bei Bedarf mächtige Aufrufe wie Dschinni oder Peter Pan herbei.

Retrotrip: Das Nostalgie-Szenario spiegelt gekonnt Technik und Stil der ersten Disney-Filme wider.
Neu sind die team-basierten Limit-Moves, die quasi die ortsgebundenen Trio-Techs des Vorgängers ersetzen, und die Drive-Verwandlungen, die euch vorübergehend mit erhöhten Attributen, Fertigkeiten und zwei Schlüsselschwertern kämpfen lassen.

Die wichtigste Neuerung stellen aber wohl die individuellen Situationskommandos dar, bei denen ihr im richtigen Moment durch einen Druck auf die Dreieckstaste allerlei gegner- und situationsbezogene Konter und Spezialattacken wie beispielsweise in God of War ausführen könnt - besonders bei Bossfights eine oft spaßige, stylische und höchst effektive Angelegenheit. Aber auch bei Standardgegnern stellt diese Erweiterung eine willkommene Abwechslung zum eintönigen Hämmern auf die Angriffstaste dar. Schade nur, dass ein Drücken der Dreieckstaste im falschen Moment keine Auswirkungen hat und es gerade bei vorhersehbaren Situationskommandos gegen Bossgegner reicht, blind auf die Dreieckstaste zu hämmern bis die nächste Aktionsmöglichkeit angezeigt und ausgeführt wird...

Zu viel des guten?

Das Kampfmenü selbst wird dieses Mal über das Steuerkreuz und nach wie vor in Echtzeit bedient, was gewisse Bewegungseinschränkungen mit sich bringt, da man nur schwer gleichzeitig laufen bzw. ausweichen und Befehle erteilen kann. Zum Glück lassen sich bis zu vier Zauber oder Items als schnell ausführbare Kurzbefehle speichern -

Chaotisch: Bei manchen Spezialattacken oder hohem Gegneraufkommen geht die Übericht schon mal flöten.
Aufrufe, Drive-Verwandlungen, Team-Auswechslungen oder gezielte Limit-Moves bzw. nicht ausgerüstete Zauber und Items müssen aber umständlich über das mittlerweile mehrseitige und überladen wirkende Kampfmenü aktiviert werden - das hätte man sicher besser lösen können. Bei mir hat dieser Umstand jedenfalls dazu geführt, dass ich zusätzlich durch den harmlosen Schwierigkeitsgrad begünstigt auf Aufrufe, Verwandlungen und Auswechslungen fast völlig verzichtet habe, was irgendwie schade ist.

Ansonsten gibt es am Kampfsystem aber nicht viel zu kritisieren, das Zusammenspiel aus automatischer Zielerfassung und manueller Zielfixierung klappt meist wunderbar und die stetig anwachsenden Fertigkeiten bieten immer wieder neue Aktionsmöglichkeiten, die man individuell arrangieren darf. Lediglich die KI eurer Mitstreiter sorgt, wenn diese mal wieder mitten im Getümmel regungslos in der Gegend herum stehen, für unnötiges Ärgernis. In solchen Momenten habe ich mir mehr als sonst einen kooperativen Mehrspielermodus gewünscht, der sich angesichts des teambasierten Spielprinzips ja durchaus angeboten hätte. Vielleicht klappt's ja beim nächsten Mal - auf meiner Wunschliste steht dieses Feature jedenfalls schon seit dem Erstling ganz oben.       

Fazit

Kenner des Vorgängers werden sich in Kingdom Hearts II trotz einiger Neuerungen wie den Situationskommandos, den Drive-Verwandlungen oder den partnerspezifischen Limit-Moves schnell heimisch fühlen. Doch auch Neulinge dürften keine Probleme haben, sich rasch mit der eingängigen Spielmechanik vertraut zu machen. Um die Story in vollen Zügen genießen zu können, sind Vorkenntnisse des ersten Teils  sowie des GBA-Ablegers Chain of Memories jedoch äußerst hilfreich, auch wenn Rückblicke und Tagebucheinträge entsprechende Wissenslücken oft schließen. Doch egal, welche Voraussetzungen ihr mitbringt, für junge und jung gebliebene Disney- bzw. Final Fantasy-Fans geht mit Kingdom Hearts II erneut ein Traum in Erfüllung. Ein Traum, der dank liebevoller Inszenierung und erstklassiger Präsentation sowie hervorragender Lokalisierung und PAL-Anpassung zumindest äußerlich über jeden Zweifel erhaben ist. Allerdings sind die Schauplätze dieses Mal doch sehr klein und linear, die Kameraführung kann nach wie vor recht chaotisch sein und das in Echtzeit zu navigierende Kampfmenü wirkt inzwischen überladen. Zudem ist der Schwierigkeitsgrad trotz drei wählbarer Stufen äußerst harmlos und blindes Tastenhämmern für die meisten Kämpfe völlig ausreichend. Auf der anderen Seite sorgt dies jedoch für ungebremsten Spielfluss und weniger Frust bei Anfängern. Ansonsten wurde vieles konsequent verbessert - sogar die vormals eher drögen Gummischiff-Passagen machen dieses Mal richtig Spaß. Auch wenn es aufgrund einiger Mängel am Ende nicht ganz für Platin gereicht hat, war Kingdom Hearts II für mich auf jeden Fall eines der sympathischsten und charmantesten Spielerlebnisse des Jahres.

Pro

zahlreiche Minispiele
ungebremster Spielfluss
famoses Charakterdesign
erstklassige Präsentation
tadellose PAL-Anpassung
neue Situationskommandos
neues Verwandlungsfeature
hervorragende Lokalisierung
faires Speicher- & Rücksetzsystem
individuelles Charaktermanagement
aufgemotzte Gummischiff-Passagen
leicht zugänglicher Action-/RPG-Mix
liebevolle Final Fantasy-/Disney-Symbiose

Kontra

kaum fordernde Kämpfe
nicht optimale Kameraführung
etwas überladenes Kampfmenü
sehr kleine, lineare Schauplätze
keine durchgehende Sprachausgabe

Wertung

PlayStation2

Grandios inszenierter Action-RPG-Mix mit charmantem Zeichentrickflair.

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