FIFA Football 200428.10.2003, Jörg Luibl
FIFA Football 2004

Im Test:

Nachdem Konami bereits mit Pro Evolution Soccer 3 für Fußballeuphorie sorgt, wartet die Spielewelt gespannt auf EAs Antwort. Und dieses Jahr wird der Kampf um den Genre-Thron nicht nur auf der PS2, sondern auch auf dem PC ausgetragen. Nur auf der Xbox und dem GameCube tritt FIFA 2004 alleine an. Wir haben den Kick genau studiert und verraten Euch, wer den Kampf um den Spielspaßball gewinnt!

Schüsse aus allen Lagen

Feuer frei: Del Piero nimmt den Ball mit der Brust an und jagt ihn per Dropkick aus dreißig Metern Richtung Tor. Ronaldinho zuckt nur mit den Schultern, legt noch mal zehn Meter drauf und ballert das Leder unter die Latte. Henry lacht nur, stellt sich hinter die Mittellinie und lässt aus dem Stand ein Pfund krachen, das der Torwart nur mit Mühe halten kann.

Wir sind hier nicht bei einem privaten Wettbewerb oder dem Dreh für einen neuen Werbespot, sondern mitten im Spiel, mitten drin in FIFA 2004. Leider ermöglicht die unrealistische Ballphysik explosive Schüsse aus allen Lagen - egal ob bedrängt, aus dem Stand, viel zu weit weg oder aus der Drehung. Sogar Kopfbälle aus der zweiten Reihe sind möglich. Die Bälle jagen alle gleich gefährlich wie an der Schnur gezogen Richtung Tor; bei Bedarf ordentlich angedreht.

Fußballfans mit einem Faible für authentischen Spielfluss werden aufgrund dieser verkorksten Ballphysik enttäuscht den Kopf schütteln, denn auch taktisch hat es negative Auswirkungen: Warum soll ich mir noch eine gute Schussposition erarbeiten? Wieso frei dribbeln, wenn ich auch so abziehen kann?

Doch FIFA zieht eine Notbremse, die den Spielspaß rettet: Die Torhüter halten die übertriebenen Weitschüsse meist, so dass der Aufbau über die Außenlinien oder mit Kurzpässen durch die Mitte nicht ganz an Bedeutung verliert.

__NEWCOL__Mittelfeld war gestern!

Aber fast: Die Überbrückung des Mittelfeldes ist nämlich kein Problem mehr, denn mit der neuen Off the Ball-Kontrolle kann man gezielt auf zwei Arten in die Spitze passen. Die erste Variante ist die komfortablere, denn ein Buttondruck genügt, um Icons über drei Angriffsspielern anzuzeigen. Jetzt wählt Ihr einen per Einfach-, Zweifach- oder Dreifach-Druck aus, betätigt die hohe oder flache Passtaste und schon wird der Stürmer angespielt -mit einer Erfolgsquote von 70 bis 80 Prozent, aber in Begleitung eines Abwehrspielers.

Da schafft die zweite Variante Abhilfe: Wollt Ihr in den freien Raum passen, könnt Ihr den ausgewählten Spieler mit dem rechten Analogstick direkt steuern und in die Spitze schicken. Ist er frei, bedient Ihr ihn mit der Passtaste. Diese Methode ist theoretisch effektiv, aber aufgrund der Abseitsregel und der nötigen Koordinationsfähigkeit praktisch schwerer umzusetzen. Man kann jedoch getrost auf dieses manuelle Freilaufen verzichten, da man ja auch in Bedrängnis gefährlich abschließen kann.

Insgesamt ist diese Neuerung zwar eine feine Sache, aber sie raubt natürlich die Motivation, das Spiel selbst aufzubauen, intuitiv zu passen oder Lücken im Mittelfeld zu finden. Man kann ja auf Knopfdruck blitzschnell und genau von der Abwehr in den Angriff spielen. Und hier versenkt man schon nach wenigen Matches spektakuläre Direktabnahmen. Zwar funktioniert das mit Top-Spielern besser als mit Zweit- oder Drittligakickern, aber dadurch verliert FIFA an authentischem Flair - das Mittelfeld wird spielerisch fast überflüssig.

Künstliche Intelligenz

Dabei ist es dieses Jahr wesentlich schwerer, gute Situationen rauszuspielen oder frei vor das Tor zu gelangen. Denn erstens postiert sich die Defensiv-KI sehr gut, sobald man die Mittellinie überschreitet, macht Räume eng und direkte Wege zum Tor zu - was gut ist. Und zum anderen agiert die eigene Offensiv-KI viel zu lethargisch, als dass man tödliche Pässe in die Tiefe oft spielen kann; es sei denn, man legt selbst Hand an den gewöhnungsbedürftigen rechten Analogstick - was schlecht ist.

Die gegnerischen Stürmer haben von Vorchecking scheinbar noch nichts gehört, denn anstatt einen stehenden (!) Abwehrspieler zu attackieren, verharren sie gnädig einige Meter vor ihm und lauern auf den Ball. So kann man sich das Leder gemütlich am eigenen Strafraum zuspielen, um Zeit zu schinden. Erst im Mittelfeld geht die KI in die Zweikämpfe. Positiv ist, dass man jetzt endlich einen eigenen zweiten Verteidiger auf den Gegner hetzen kann.

Trotzdem fehlt es mir an dynamischem Spielfluss, denn selbst auf der höchsten Geschwindigkeitsstufe und Weltklasseniveau wirkt FIFA noch seltsam pomadig, wenn man über kurze Pässe und Dribblings, die dieses Jahr auf ein Minimum an Körpertäuschungen beschränkt sind, den Gegner knacken will. Das liegt auch daran, dass die Steuerung trotz verbesserter Ballführung nicht wirklich punktgenau ist, und manche Spieler vor der Ballannahme verlangsamen.

__NEWCOL__Freistöße & Ecken

Die Freistöße sind sehr gut inszeniert und erinnern an die 3-Klick-Methode beim Golfen: Ihr visiert zunächst eine Ecke des Tores mit einem Fadenkreuz an, bestimmt dann den Drall, klickt ein mal für den Anlauf des Balkens, ein mal für die erwünschte Schusskraft und zum Schluss für die Präzision. Das System ist zwar schnell erlernt und sehr motivierend, da die Bälle spektakulär um oder über die Mauer gezogen werden, aber es wirkt natürlich sehr technisch.

Auch die Ecken glänzen mit neuer Dynamik: Euer Schütze hat die Wahl zwischen einigen vorgefertigten Zielen à la "Langer Pfosten" oder "Mitte". Den Schuss übernimmt dann die KI, während Ihr einen Stürmer im Strafraum zu einem angezeigten Punkt bringen müsst. Und da der Verteidiger Euch daran mit geschicktem Stellungsspiel und besserem Timing hindern kann, machen diese Zweikämpfe inklusive Gerangel und Geschupse einen Heidenspaß.

Wer üben will, kann dieses Jahr endlich auf den Trainingsplatz: Im freien Spiel lässt sich bequem die neue Off the Ball-Kontrolle testen, und in Standardsituationen könnt Ihr Ecken, direkte sowie indirekte Freistöße einstudieren. Minispiele mit Belohnungen und Ranglisten à la Pro Evolution Soccer 3 gibt`s allerdings nicht, so dass die Langzeitmotivation fehlt.

Torwart-Sorgen

Auffällig sind manche Totalausfälle der Goalies: Beim Abschlag aus der Hand (!) wird schon mal über den Ball getreten, so dass man als Stürmer leicht einnetzen kann. Und bei vielen weiten Flanken an den langen Pfosten weigert sich der Torwart trotz idealer Position, den Ball zu fangen - der einen Meter hinter ihm lauernde Stürmer kann locker einköpfen. Wir haben hier übrigens mit Lehmann und Buffon gespielt. Die Torwart-KI ist zwar kein Totalausfall, reagiert bei Schüssen solide und die butterweichen Fang-, Abwehr- und Faust-Animationen sind erstklassig, aber diese Schwächen sind dennoch ärgerlich.

Fernsehreife Kulisse

Fotorealistische Spielergesichter von Freier über Henry bis Metzelder, perfekte Stadienarchitektur, klasse Bewegungsabläufe - optisch ist FIFA 2004 vom Einlauf bis zum Abpfiff fast fernsehreif. Selbst die Aufregung durch Fouls und Schiedsrichterentscheidungen wurde mit der realistisch inszenierten Rudelbildung gut eingefangen. Und wer genau hinschaut wird bemerken, dass die Trikots mit der Zeit verschmutzen - sehr schön!

Auf dem PC und der Xbox bekommt Ihr natürlich das beste Bild, vor allem die Grastexturen, Spielerfiguren und das Publikum wirken auf Microsofts Konsole besser als auf Sonys. Trotzdem kann die Zuschauerkulisse optisch nicht an die hauseigene NHL-Qualität anknüpfen, und auf dem PC zeigen sich bei Ecken und dem Training hässliche Texturtapeten im Hintergrund.

__NEWCOL__Manager gesucht

Managernaturen dürfen sich im neuen Dynastymodus austoben. Hier könnt Ihr ein Team Eurer Wahl auf die Erfolgs- und Pokalstraße führen. Schön ist, dass man auch Vereine aus der zweiten deutschen oder dritten englischen Liga führen darf. Ihr bekommt sofort am ersten Tag eine Zielvorgabe: Als Juventus-Trainer müsst Ihr innerhalb einer Saison 1000 Punkte gewinnen.

Dabei stehen verschiedene kleine Ziele zur Auswahl, wie z.B. weniger als 55 Tore zu kassieren (800 Punkte), mindestens 70 Punkte zu erreichen (800 Punkte) oder die wenigsten Niederlagen einzufahren (200 Punkte). Im Laufe der Saison könnt Ihr Spieler kaufen, verkaufen und die Finanzen verwalten.

Natürlich kann sich dieser Modus in Sachen Komplexität und Wirtschaftsteil nicht mit dem kommenden Fußball Manager 2004 messen. Der wird übrigens von keinem Geringeren als Gerald Köhler entwickelt und ist komplett mit FIFA 2004 kompatibel, so dass Ihr theoretisch alle Spiele selbst austragen und sogar Mannschaften und Daten des Managers importieren könnt - diese "Football Fusion" dürfte für viele das Nonplusultra der Spieler-, Trainer- und Manager-Verknüpfung darstellen.

Gänsehaut & Endlosschleife

Fast perfekt ist die Zuschauerkulisse: Es gibt frenetischen Jubel, beißende Pfiffe und typische Schlachtrufe wie z.B. "Ruhrpott" auf Schalke, "Schieber" oder "Ihr könnt nach Hause fahren!" - das sorgt für packende Ligastimmung. Allerdings nur die ersten Spielminuten, denn die Gesänge münden irgendwann in eine nervige Endlosschleife.

Insbesondere das "Borussia" im Westfalenstadion wird auf Dauer seltsam intoniert; außerdem hört man "Deutschland"-Gesänge auch schon mal in einer rein italienischen Partie. Akustisch ist EA dem japanischen Konkurrenten PES3 trotz dieser kleinen Schwächen weit überlegen.

Selbst auf dem neuen Trainingsplatz freut man sich über kernige Rufe wie "Raus!" oder "Sauber", wenn man den Ball abfängt. Und wie in den NHL- und NBA-Titeln könnt Ihr auf eine große Soundpalette zurückgreifen, die lockere südamerikanische Rhythmen, groovige Beats und Pop bietet - Radiohead, Tribalistas und Underworld geben sich das Mikro in die Hand.

__NEWCOL__Auch die Kommentatoren überzeugen mit kompetenter Fachsimpelei und bleiben situationsabhängig meist auf Ballhöhe. Wer es euphorisch und witzig mag, wird zwar von dem nüchternen Stil schnell gelangweilt, aber EAs Sprecher bringen mehr Abwechslung als die Konkurrenzreporter.

Online-Spaß?

Nach zwölf Einwahlversuchen lande ich auf dem EA-Server. In der Lobby finde ich viele Gleichgesinnte, die gerne ein Spielchen wagen würden. Aber der Server macht Zicken und so enden mehrere Versuche, ein Match zu eröffnen, mit einem Netzwerkfehler oder Verbindungsabbruch. Doch irgendwann klappt es: Der BVB läuft gegen Manchester auf, zum ersten Mal ist ein Konsolenfußball übers Internet spielbar - hurra!

Die Freude währt allerdings nur kurz, denn FIFA 2004 spielt sich online einfach weniger ansehnlich, als würde die Grafikqualität etwas runtergeschraubt, und vor allem selten flüssig. Wer den Wettbewerb sucht, findet immerhin Statistiken, die immer wieder zu einem Neuanlauf motivieren. Trotzdem ist aufgrund der technischen Hürden ein Match gegen Freunde im Wohnzimmer immer noch attraktiver; auf dem PC ist der Onlinemodus wesentlich ausgereifter.

Fazit


FIFA 2004 ist ein gutes Fußballspiel - nicht mehr und nicht weniger. Eigentlich habe ich dieses Jahr mit einem spannenderen Zweikampf zwischen EA und Konami gerechnet. Und auf den ersten Blick überzeugt FIFA auch mit seiner gewohnt erstklassigen Präsentation - nur die Ruckler stören das ansonsten fernsehreife Erlebnis auf der PS2. Aber auf dem Platz können auch die überzeugenden Features wie die dynamische Eckballsituation oder die gefährlichen Freistöße nicht verschleiern, dass es an zwei wesentlichen Punkten hapert: Spielfluss und Ballphysik. Ersterer wird durch die in meinen Augen kontraproduktive Off the Ball-Kontrolle auf Abwehr und Angriff beschränkt, denn die langen und meist präzisen Pässe Richtung Stürmer machen das Mittelfeld und taktischen Aufbau fast sinnlos. Außerdem wirkt die Steuerung ab und an zu pomadig und der KI fehlt der letzte Schliff freier Offensivbewegung. Die Ballphysik enttäuscht vor allem durch die Schüsse, die aus jeder Lage raketengleich Richtung Goalie jagen und fast immer gleich aussehen. FIFA ist trotz all dieser Kritik spielenswert, ansehnlich und für Freunde schneller Partien sicher interessant. Und immerhin gibt es endlich einen Online-Modus, der zwar seine technischen Tücken hat, aber viele Fans zum ersten Mal übers Internet gegeneinander antreten lässt. Letzendlich muss sich FIFA aber knallhart am Genre-König PES3 messen: Und Konamis Kick zelebriert einfach Spielfluss, Abwechslung und Authentiziät auf einem anderen, auf lange Sicht begeisternderen Niveau.

Pro

<LI>klasse Fangesänge<LI>cooler Soundtrack<LI>offizielle Lizenzen<LI>neuer Dynasty-Modus<LI>sehr gute Kommentare<LI>neuer Trainingsmodus<LI>detaillierte Profigesichter<LI>klasse Stadiondarstellung<LI>Online-Modus (PC, PS2)<LI>Spieler ohne Ball steuerbar<LI>Reinrufen &amp; Rudelbildung<LI>zweiter Verteidiger aktivierbar<LI>auch 3. Liga-Vereine spielbar<LI>Trikots verschmutzen im Spiel<LI>gutes Ecken- &amp; Freistoßsystem</LI>

Kontra

<LI>viele gleiche Tore <LI>einige Ruckler (PS2)<LI>Grafikfehler bei Ecken (PC)<LI>einige Server-Probleme (PS2)<LI>ab und an Torwart-Aussetzer<LI>Gegner-KI ohne Vorchecking<LI>keine punktgenaue Steuerung<LI>Schüsse aus allen Lagen explosiv<LI>zu wenig Freilaufen der Offensiv-KI<LI>gewöhnungsbedürftige Off the Ball-Kontrolle<LI>kein Online-Modus (Xbox, GameCube)</LI>

Wertung

PlayStation2

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