Im Test:
Comeback in Einzelteilen
Wer erinnert sich an das grandiose Finale vom Januar 2003? Das schwer gepanzerte Metallvogelmonstrum Clockwerk feuerte aus allen Rohren, um dem letzten der diebischen
Waschbären mit Flammen, Strom und Lasern das Lebenslicht auszuhauchen. Nur dank seiner filigranen Ausweichmanöver konnte Sly diesen atemberaubenden Bosskampf überstehen und Clockwerk die Flügel stutzen. Danach wurde der Oberbösewicht in seine Einzelteile zerlegt und Sly Coopers fulminante Weltrettung mit unserem Award (Wertung: 92%) gekrönt.Taubengestöber über Pariser Dächern. Leider erinnert der Prolog mit Slys Flucht stark an den Vorgänger: 4P|Stream: Flucht (Laufzeit: 0:45 Min.)
Aber dieser Ruhm ist längst vergangen und nach knapp zwei Jahren scheint eine neue Saat des Unheils aufzugehen: Der demontierte Erzfeind der Cooper-Familie steht vielleicht kurz vor seinem Comeback! Denn die hochgradig kriminelle Klaww-Gang ist dabei, die Teile des mechanischen Monsters wieder einzusammeln. Aber wozu? Wollen sie das Ungetüm tatsächlich wiederbeleben? Wie dem auch sei: Sly Cooper darf hier nichts dem Zufall überlassen und trommelt seine beiden Freunde zusammen, um das Schlimmste zu verhindern.
Erste Ernüchterung
Wer bereits 2003 mit dem Waschbär unterwegs war, wird im gespielten Prolog so vielen Déjà-vus begegnen, dass sich zunächst der schale Geschmack einer lieblosen Fortsetzung aufdrängt: Die Cel-Shading-Grafik und die Moves ähneln dem Vorgänger wie Zwillinge und schließlich beginnt auch der zweite Teil mit einer Fluchtszene und Mrs. Fox´ Hetzjagd - genau so wie in Teil 1.
Spielt man hier etwa einen müden Abklatsch? Nein, diese Sorge verflüchtigt sich spätestens zu Beginn des ersten Kapitels, wo man schnell eines Besseren belehrt wird: Sly 2 zeigt hier tatsächlich eine neue Stärke - die Erkundungsfreiheit. Ganz im Stile von Jak II: Renegade bekommt ihr zwar einen Hauptauftrag, könnt aber auch die Nacht für lukrative Entdeckungen nutzen, um euer Konto aufzufrischen. Und es gibt weitere motivierende Neuerungen in Sachen Teamplay, Beute und Fähigkeiten.
Trio auf Beutejagd
Diesmal dürft ihr nämlich nicht nur den eleganten Sprungakrobaten Sly steuern, sondern auch in die Haut des schlagfertigen Nilpferds Murray oder in den Panzer der gewitzten Schildkröte Bentley schlüpfen - manchmal seid ihr sogar im Duett unterwegs, und müsst euch klug ergänzen. Das rosa
Diese fiese Echse besitzt einen Nachtclub und ihr wollt hinein. Eine leise Verfolgung beginnt...Nilpferd kann mit seinen Wrestlingangriffen selbst übergroße Gegner plätten, per Stampfattacke Feinde sowie Gegenstände in die Luft befördern und diese dann gezielt werfen. Die kurzsichtige Schildkröte ist zwar der Schwächling des Trios, aber dafür legt sie fiese Tretminen und schickt große Feinde per Armbrust ins Land der Träume.
Auch Sly hat vor allem beim Schleichen neue Möglichkeiten: Er kann von hinten an einen Feind herantapsen, um ihn mit einer tödlichen Zweierkombo direkt ins Jenseits zu befördern - herrlich animiert durch eine Attacke samt Judo-Wurf. Außerdem kann er sich jetzt als Langfinger austoben: Sobald er hinter einer arglosen Wache steht, kann er mit seinem Sichelstab zugreifen - neben einfachen Goldmünzen können sich auch wertvolle Gegenstände wie Ringe oder Rubine darin befinden.
Shoppen im ThiefNet
Wer genug Geld auf dem Konto hat, darf im ThiefNet shoppen gehen. Neben einfachen Rauchgranaten für läppische 300 Coins lassen sich hier ab 1000 Coins aufwärts spektakuläre neue Moves für jeden der drei Charaktere freischalten: Bentley kann z.B. mit einem Adrenalin-Schub ordentlich Fahrt aufnehmen oder mit einem Hover-Pack durch die Lüfte jagen. Murray darf seine Sprungattacke in einen Inferno-Flop verwandeln, der explosiven Bereichsschaden anrichtet, oder in einen wütenden Berserkerrausch verfallen.
Aber Sly ist immer noch der Star des Spiels. Und deshalb legt er auch den coolsten Move aufs Parkett: Wenn er sich für 1600 Coins mit den Diebes-Reflexen ausstattet, darf er sich in Zeitlupe an Fallen vorbeischleichen und Gegnern nähern. Wenn er jetzt mit seinem Sichelstab zuschlägt weht ein Hauch von Matrix ins Wohnzimmer, denn jeder Schlag und jeder Sprung wird Millimeter für Millimeter
zelebriert - klasse! Gerade dieses Aufrüsten sorgt dafür, dass man die Levels akribisch nach jeder Münze durchforstet. Schließlich gibt es für Sly noch sieben weitere Nettigkeiten, darunter neue Attacken, Ausweichrollen oder den Paraglider. Kurzsichtig, aber verdammt schlau: Schildkröte Bentley hilft mit Hackerkünsten. 4P|Stream: Bentley (Laufzeit: 0:35 Min.)
Aufmerksame Wachen
Trotz aller fulminanten Action ist und bleibt Sly 2 ein Schleichspiel, daher ist Vorsicht angesagt: Eine Lautstärkeanzeige gibt immer Aufschluss darüber, ob euch eine Wache nicht bereits gehört hat. Wenn ja, wird sie Alarm schlagen und euch verfolgen. Vor allem die Gegner mit Schusswaffen werden euch so lange hetzen, bis ihr per Doppelsprung und Markise auf die Dächer flüchtet. Aber die Verfolger klettern sogar Rohre hoch und feuern auch, wenn sie euch auf einem erhöhten Sims sehen - die KI kann vollauf überzeugen.
Anspruchsvolle Stealth-Action à la Metal Gear Solid sollte man trotz dieser Aufmerksamkeit allerdings nicht erwarten. Sly 2 spielt sich wesentlich einfacher und verzeihlicher: Erstens alarmieren die Wachen nicht immer bei Sichtkontakt, zweitens kann der Waschbär im Kampf jetzt dank Hitpointleiste mehr einstecken als im Vorgänger und drittens ist sein wirbelnder Sichelstab eine tödliche Waffe. Hinzu kommt, dass sich hinter all den zerstörbaren Kisten, Tischen und Vitrinen neben funkelndem Gold meist auch Heilpakete verbergen, die die Gesundheit schnell wieder herstellen.
Angenehme Spielbalance
Überhaupt zieht der Schwierigkeitsgrad nur angenehm sanft an, so dass Einsteiger flott und Experten fast schon zu problemlos vorankommen. Wer ein Abenteuer für entspannte Stunden sucht wird jedenfalls eher bedient, als ein ehrgeiziger Jump`n´Run-Perfektionist. Frustrierendes Trial&Error à la
Jak 2 gibt es nämlich nicht und auch Sackgassen bzw. langes Umherirren sind kein Thema: Dank der interaktiven Maske kann Sly jederzeit seine Umgebung scannen, um die Startpunkte für die nächste Aufgabe oder sein Hauptquartier zu finden. Abgerundet wird der Komfort durch ein intelligentes Speichersystem, das eure Fortschritte selbst innerhalb einer langen Aufgabe automatisch festhält. Oh, oh: Dieser elektrische Würgegriff hat`s in sich. Trotzdem kann sich Sly meist elegant befreien. 4P|Stream: Kabeltanz (Laufzeit: 0:45 Min.)
Lineares Comic-Abenteuer
Über acht Kapitel hinweg wird euch das Abenteuer etwa fünfzehn bis zwanzig Stunden beschäftigen - das ist doppelt so lange wie noch im Vorgänger. Leider merkt man dem Spiel auf Dauer an, dass diese beeindruckende Zeit auch einigen Wiederholungen im Missionsdesign zu verdanken ist. Schnell ähneln sich einige Aufgaben wie das unvermeidliche Fotos schießen, Computer hacken oder Schlüssel rauben. Es geht meist darum, mit Bentley hier, mit Murray da und Sly schließlich dort etwas vorzubereiten. Zwar könnt ihr im Hauptquartier aussuchen, wer etwas zuerst erledigen soll, aber das Missionsdesign bleibt streng linear, die Aufgaben sind klar verteilt.
Außerdem hält sich der Wiederspielwert stark in Grenzen, denn bis auf das Einsammeln der 30 grünen Flaschen gibt es kaum einen Grund, erneut in die Abschnitte einzutauchen. Hier hätte Sucker Punch für Profis etwas mehr Anreize bieten müssen. Allerdings kommt beim ersten Durchspielen nie
Langeweile auf, denn die Story wird in coolen Comic-Schnipseln erzählt und kann mit viel Charme, Witz und einigen Überraschungen aufwarten. Vorsicht: In Indien patrouillieren Elefanten.
Dazu tragen auch die beiden weiblichen Hauptdarsteller Carmelita Fox und Neila bei, die scheinbar ein intrigantes Spiel treiben. Und trotz der Wiederholungen gibt es immer wieder interessante Aufgaben, die geschicktes Teamplay oder kluge Manöver verlangen: Da muss der kleine Bentley z.B. in die mächtigen Arme Murrays springen, um von ihm wiederum auf einen Sims in einem Turm geworfen zu werden. Oder Sly muss erst einen LKW-Schlüssel stehlen und dann auf ein Dach klettern, damit Bentley den Wagen fahren und den Wurfhaken Richtung Sly feuern kann. Hinzu kommen kleinere Verschieberätsel, kreative Mini-Games oder explosive Panzerfahrten mit Murray, die das Abenteuer auflockern.
Traumhafte Kulisse
Und man darf die erstklassige Cel-Shading-Kulisse nicht vergessen, die von einer famosen Musik
begleitet wird und sofort Entdeckerinstinkte weckt. Die intriganten Melodien erinnern an die konspirative Stimmung aus Grim Fandango und passen wunderbar zum diebischen Szenario. Das Trio treibt es von den Pariser Dächern in den indischen Dschungel, die düsteren Prager Gassen und den kanadischen Winter. Jeder Abschnitt überzeugt mit einer traumhaft lebendigen Grafik, die den beeindruckenden Vorgänger noch toppt: Während in der Stadt graue Dämpfe aus Gullys empor schleichen und Laternen im Zwielicht schimmern, geht es in Indien wie in einem Märchen aus Tausendundeiner Nacht zu. Murray ist ein Wrestler mit Leib und Seele. Seine Gegner kann er gezielt werfen. 4P|Stream: Murray (Laufzeit: 0:42 Min.)
Obwohl im Texturdetail Wünsche offen bleiben, zeigt Sly 2 in Sachen Architektur, Figurendesign und Animationen ruckelfreie Muskeln. Da schlendern riesige Wildschweine mit Knarren in Paris umher, mächtige Elefanten patrouillieren wankend vor orientalischen Palästen. Und vor allem der Waschbär gehört mit seinen tänzelnden Schritten und akrobatischen Wirbelsprüngen zu den ansehnlichsten Videospielfiguren überhaupt: Selbst wenn er nur vorsichtig um die Ecke schaut, während er seinen buschigen Schwanz einrollt und dabei sprungbereit auf den Fersen wippt, ist er einfach cool. Einen Preis fordert die 3D-Kulisse allerdings: Ab und zu kommt es zu Kameraproblemen, wenn man irgendwo herunterspringt und plötzlich eine Wand die Sicht über die Schulter versperrt. Diese
Situationen lassen sich allerdings mit einem Schwenk der Perspektive schnell bereinigen.Slys Zeitlupen-Angriffe sind eine einzige Augenweide.
Komplett in Deustch
Sony hat das Abenteuer komplett lokalisiert und mit guten, aber leider nicht immer ganz überzeugenden Sprechern bestückt. Ab und zu trüben kleinere Rechtschreibpatzer sowie wenig markante Stimmen die intrigante Atmosphäre. Bösewicht Dimitri hätte z.B. wesentlich fieser zischeln und fluchen können und auch Sly wirkt insgesamt einen Tick zu brav. Gerade zu Beginn fehlt einigen der Dialoge auch diese witzige Coolness und Spritzigkeit, die den Vorgänger so auszeichnete - das wird später besser, kratzt aber an der ansonsten so durchgestylten Comic-Atmosphäre. Im englischen Original werden die Figuren einfach akustisch prägnanter eingefangen.
Fazit
Nach der ersten Spielstunde hätte ich nicht gedacht, dass Sly 2 erneut einen Award erobern könnte - es roch einfach zu sehr nach einem müden Abklatsch. Aber der Waschbär entfacht im weiteren Verlauf so viel Action-Adventure-Spaß, dass ich dem Team von Sucker Punch nur gratulieren kann. Es kracht zwar nicht so laut wie in Ratchet & Clank 3, aber dafür verströmt das diebische Abenteuer eine leise akrobatische Eleganz, die ihresgleichen sucht. Hinzu kommen viele kreative Herausforderungen und eines der besten Leveldesigns, das ich kenne: Die Schwierigkeit zieht sanft an und Frust à la Jak 2 ist Fehlanzeige. Man hangelt, schleicht und kämpft sich Stunde um Stunde durch wunderbar lebendig wirkende Areale, löst klar strukturierte Aufgaben und hat sein Ziel ohne Sackgassen immer vor Augen. Ihr könnt euch in der Stadt nach Belieben austoben, Charaktere wechseln, Items kaufen und auch abseits der Story auf Schatzsuche gehen. Dass am Ende nur Gold und kein Platin schimmert liegt daran, dass es auf Dauer einige Wiederholungen im Aufgabenspektrum gibt, dass die deutschen Sprecher nicht immer überzeugen und dass sich der Wiederspielwert in Grenzen hält. Trotzdem: Sly 2 ist ein Langfinger-Abenteuer mit Stil, das jeden Cent wert ist!
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation2
Stilvoll, diebisch, schön - das eleganteste Action-Adventure des Jahres!
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