Astro Boy12.04.2005, Jens Bischoff
Astro Boy

Im Test:

Seit gut einem halben Jahrhundert düst Osamu Tezukas kindlicher Manga-Held Astro Boy (ab 49,90€ bei kaufen) durch diverse Comics und Zeichentrickserien. Höchste Zeit also, dem Kult-Knaben auch ein eigenes Konsolenspiel zu verpassen. War uns seine GBA-Premiere vor kurzem noch einen Gold-Award wert, ist Astro Boy auf der PS2 aber leider nur noch ein Schatten seiner selbst. Und das, obwohl niemand Geringeres als das Sonic Team für die Versoftung verantwortlich zeichnet.

Kümmert euch lieber um euren Igel!

Au Backe, was haben sich die Sonic-Schöpfer bloß gedacht, als sie den Manga-Klassiker schlechthin in dieses lieblose und dilettantische Videospielkorsett gezwängt haben?

Enttäuschende Versoftung: Selbst Astro Boy bedeckt im Anime-Intro die Augen voller Scham...
Okay, sicher hatte niemand eine Pulitzer-verdächtige Story, vor Charisma strotzende Charaktere, eine spielerische Sensation oder einen technischen Überflieger erwartet, aber diese Billig-Versoftung ist ein Schlag ins Gesicht jedes Astro Boy- und Videospiel-Liebhabers.

Entwickelt Sega noch für PSone...?

Selten hat man so sterile Umgebungen, oberflächliche Charaktere, künstlich begrenzte Levels, dämliche Dialoge, öde Spielstrukturen und einschläfernde Melodien ertragen müssen wie hier. Hinzu kommt eine Steuerung und Kameraführung, wie sie umständlicher und zickiger kaum sein könnte sowie eine Präsentation, mit der sich selbst ein PSone-Titel nicht rühmen könnte. Selbst ein Cartoon-Held hat mehr Polygone und Animationsphasen verdient als dieser umherzappelnde kantige Pinocchio-Kasper, den das Sonic Team Astro Boy nennt.

Was ist denn mit deinem Schatten los?

Peinlich auch, dass Astro Boy trotz teils ganz passabler Lichteffekte keinen natürlichen Schatten wirft, sondern immer nur von einem vorsintflutlich eckigen Rundschatten verfolgt wird, wie man ihn das letzte Mal bei ersten 3D-Gehversuchen auf längst nicht mehr erhältlichen Konsolenplattformen zu sehen bekam.

Nichts wie weg hier: Vor dem katastrophalen Gameplay hilft nur noch eine beherzte Flucht.
Vielleicht wollte man mit diesem Schockeffekt von den sterilen und texturarmen Spielumgebungen ablenken, bei deren Erkundung ihr mit eurer Schmalzlocke alle paar Meter gegen eine unsichtbare Barriere klatscht, wenn ihr nicht gerade dem sinnlosen Gewäsch der völlig profillosen Mitbürger lauscht.

Ich muss mal was erledigen...

Durch lästigen Smalltalk könnt ihr gelegentlich jedoch eine Neben-Quest aktivieren, um eine der knapp fünfzig im Spiel versteckten Sammelkarten freizuschalten, was der ideale Zeitpunkt ist, ein Bad zu nehmen, mit dem Hund Gassi oder einkaufen zu gehen. Denn die Textanzeigegeschwindigkeit fällt in einem solchen Fall auf unglaubliche zwei Buchstaben pro Sekunde ab, ohne dass ihr das Missionsgestotter beschleunigen oder abbrechen könnt... Ein deutliches Indiz dafür, dass Astro Boy keinerlei Qualitätssicherung durchlaufen haben muss, denn eine solche Tortur hätte selbst den geduldigsten Tester zur Weißglut getrieben.         

Französisch für Grundschüler?

Selbst die anvisierte Zielgruppe der Sieben- bis Zehnjährigen kann schneller Lesen als hier der Text auf den Screen geruckelt kommt.

Kurze Lichtblicke: Die Bossfights sind trotz mieser Kameraführung teils recht unterhaltsam.
Bei den in Spielgrafik präsentierten Zwischensequenzen schaltet hingegen der Turbo zu,so dass jüngere Spieler Müh und Not haben dürften, die vorbeihuschenden Dialogtexte überhaupt vollständig lesen zu können. Aber an die potentiellen Käufer hat man bei Sega wohl sowieso nicht gedacht, denn sonst hätte man die Sprachausgabe nicht auf Englisch belassen und die Texte besser eingedeutscht. Wer Hilfe im Handbuch sucht, muss sogar französisch können, um alle Features zu verstehen, da beim Druck offensichtlich ganze Seiten beider Anleitungen vertauscht wurden - und keiner hat‘s bemerkt...

Alles nur ein böser Traum?

Am besten hätte man jedoch die Auslieferung des Spiels verpennen sollen, denn so hätten weder Astro Man noch Sega einen solchen Image-Schaden hinnehmen müssen, wie ihn dieser Titel zweifelsohne verursacht. Das Beste, was euch passieren kann, ist, dass ihr vom Gedudel des Fahrstuhl-Soundtracks sowie der Tristesse der Umgebungsgrafik einpennt und davon träumt,

Kaum der Mühe wert: Wer diesen Quizmarathon durchsteht, bekommt eine läppische Visitenkarte...
dass ihr dieses Spiel überhaupt nicht gekauft habt. Dann müsstet ihr aber jemanden bitten, die PS2 während eures Nickerchens auszuschalten und die Spieldisk fachgerecht zu entsorgen, denn sonst könnte das Erwachen vor dem Bildschirm, auf dem noch immer irgendein abstruser Missionstext unerbittert vor sich hin rattert, zu schweren traumatischen Schäden führen.

Puh, endlich vorbei!

Etwas Linderung verschaffen lediglich die sporadischen Bossfights und Skill-Upgrades, bei denen ihr nach und nach Gebrauch von Spezialfähigkeiten wie Raketenfüßen, Fingerstrahl, Röntgenblick oder Armkanone machen könnt. Eure Gegner könnt ihr dabei mehr oder weniger bequem per Zielerfassung anvisieren und mit schwammigen Boxhieben, Wirbelangriffen und Kraft zehrenden Spezialattacken malträtieren, bis sie klein beigeben oder von der wirren Kameraführung verschluckt werden. Doch trotz Kamerapatzer, Slowdowns und Clipping-Fehler,

Leben hinter Glasscheiben: Überall blockieren unsichtbare Barrieren eure Erkundungsabsichten.
dürften selbst ungeübte Spieler die meisten Widersacher mit links erledigen und sich nach wenigen Stunden wundern, dass das Trauerspiel schon zu Ende ist.

Eure blöden Visitenkarten könnt ihr behalten!

Zwar könnt ihr bereits besuchte Spielabschnitte beliebig oft wiederbesuchen, um neue Aufträge zu erhalten oder Spezialfähigkeiten anzuwenden, aber wer nicht unbedingt alle Sammelkarten mit Infos zu den darauf abgebildeten Charakteren freischalten will, dürfte wenig bis gar kein Interesse an dieser Art Spielzeitverlängerung haben. Ich hatte jedenfalls schnell keine Lust mehr, irgendwelche entlaufenen Tölen einzufangen, mit der Röntgenbrille unsichtbare Kisten aufzustöbern oder an witzlosen Quizrunden teilzunehmen, um meiner debilen Mitbewohnerin langweilige Visitenkärtchen von irgendwelchen Freaks zu überreichen - da schau ich mir lieber ein paar Astro Boy-Abenteuer im Fernsehen an oder kram mal wieder die alten Comic-Vorlagen raus.

     

Fazit

So hoch wie Astro Boy in Omega Factor auf dem GBA abgehoben ist, so tief ist er auf der PS2 wieder gefallen. Das Spiel wirkt einfach lieblos hingerotzt und bietet weder für Astro Boy-, noch für Action-Adventure-Fans irgendeinen Kaufgrund. Selbst zu einem Budget-Preis würde ich dringend abraten, Zeit und Geld für diese viertklassige Lizenzversoftung aufzuwenden. Hier stimmen weder Technik, Leveldesign, Gameplay, Präsentation noch Umfang. Auch für die halbgare Lokalisierung sollte sich Sega schämen. Ein Kinderspiel mit englischer Sprachausgabe, holprigen deutschen Untertiteln und teils französischen Handbuchseiten auszuliefern, zeugt nicht nur von Schlampigkeit, sondern auch von völlig verfehlter Zielgruppenpolitik. Absolut unbegreiflich, dass sich der vielleicht nicht mehr ganz zeitgemäße Kultheld nach 50jähriger Comic- und TV-Präsenz für so einen billigen Action-Murks hergeben muss. Finger weg!

Pro

60Hz-Modus
passable Bossfights
optionale Sidequests
teils nette Lichteffekte
verstecke Sammelkarten
sieben erlernbare Spezialfähigkeiten

Kontra

öde Charaktere
sterile Spielwelt
nervige Dialoge
geringer Umfang
schmucklose Optik
dürftige Präsentation
eintöniges Gameplay
zickige Kameraführung
schwache Lokalisierung
schwammige Steuerung
unzählige Levelbarrieren
einschläfernder Soundtrack

Wertung

PlayStation2

Lieblose Comic-Versoftung mit mieser Technik und ödem Gameplay.

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