Athens 200402.08.2004, Jens Bischoff
Athens 2004

Im Test:

Noch sind die Olympischen Spiele in Athen nicht einmal eröffnet, da schickt Sony mit Athens 2004 (ab 15,18€ bei kaufen) bereits das offizielle Videospiel zum sportlichen Großereignis ins Rennen. Mit exklusiver Lizenz, leicht zugänglichem Gameplay und über zwei Dutzend Disziplinen will man aus passiven Sofasportlern medaillenhungrige Olympioniken machen. Ob die Rechnung aufgeht, verrät euch der Test.

Auf nach Griechenland

Die Spiele sind eröffnet - und das schon bevor sich in Athen die ersten Athleten im Olympischen Dorf einquartiert haben. Dank offizieller Lizenz sind sogar die Originalstadien schon fertig gebaut und die Kommentatoren bereits live vor Ort.

Der Klassiker schlechthin: Der 100m Lauf der Herren darf natürlich bei keiner Olympia fehlen.
Schade ist nur, dass statt bekannter Spitzensportler nur geklont wirkende 08/15-Athleten für die insgesamt 64 teilnehmenden Nationen um die virtuellen Medaillen kämpfen. Und schade ist auch, dass bei der Siegerehrung statt der Nationalhymnen nur uninspiriertes Synthie-Gedudel die mit primitiven Zuschauertapeten zugekleisterten Stadien erfüllt.

Da fehlt doch was!

Auch sonst lässt die Präsentation vielerorts zu wünschen übrig: Es gibt nicht einmal eine Eröffnungsfeier mit Olympischem Feuer, Athleteneinlauf und Showeinlagen, um für authentische Atmosphäre oder Vorfreude zu sorgen. Stattdessen findet man sich gleich direkt auf der Tartanbahn, der Turnmatte oder am Beckenrand wieder und muss nach kurzer Aufwärmphase sofort zeigen, was man drauf hat. Wenigstens wird der Einstieg durch meist unkomplizierte und seit Jahrzehnten bewährte Gameplay-Mechanismen sowie aufrufbare Video-Tutorials erleichtert. Doch olympisches Flair kommt bei Athens 2004 nur selten rüber.

Aus eins mach vier

Selbst die insgesamt 25 zur Verfügung stehenden Disziplinen entpuppen sich bei genauerer Betrachtung als Mogelpackung: macht es doch überhaupt keinen Unterschied, ob ihr zu 100m Brust-, Schmetterling-, Freistil- oder Rückenschwimmen antretet. Denn außer den Zeiten und Animationen ist der Spielverlauf jeweils 100% identisch.

Brust, Rücken, Freistil oder Schmetterling? - Eigentlich egal, denn alle Schwimmdisziplinen spielen sich exakt gleich...
Ähnliches gilt auch für die Laufdisziplinen: Egal ob 100, 200 oder 400m - der Ablauf ist immer derselbe, nur die Länge, die man durchhalten muss, ändert sich. Bei 800 oder 1500m kommt es zwar zusätzlich noch auf die Ausdauer eures Athleten an, aber nur wenn man vor dem Zieleinlauf nicht bereits eingeschlafen ist...

Springen und Werfen

Weit interessanter sind da schon die Sprung- und Wurfdisziplinen, die mit teils sehr originellen, aber leider nicht immer optimalen Mechanismen ablaufen. Ist der 100 bzw. 110m-Hürdenlauf noch nichts anderes als ein Laufwettbewerb mit Sprungeinlagen, muss man beim Weit-, Drei-, Hoch- sowie Stabhochsprung auch noch bestimmte Markierungen möglichst exakt treffen. Wirklich individuell wird es aber erst beim Kugelstoßen sowie beim Diskus- und Speerwerfen, wo man völlig unterschiedliche Koordinationsabläufe meistern muss.

Mattentänzer im Vorteil

So kommen beim Diskuswerfen gar kreisförmige Bewegungen mit dem Analogstick zum Einsatz, während man beim Kugelstoßen nur zwei gezielte Knopfdrücke für Kraft und Stoßwinkel benötigt und man beim Speerwerfen mit einer Mischung aus beiden Systemen konfrontiert wird.

Anschauungsunterricht: Um sich mit der Steuerung vertraut zu machen, lässt sich zu jeder Disziplin ein Video-Tutorial abrufen.
Die Einstiegsfreundlichkeit mag darunter zwar etwas leiden, aber ansonsten tut diese Abwechslung dem ansonsten eher monotonen Tastenrubbeln durchaus gut. Ähnlich verhält es sich auch beim Bodenturnen, wo männliche Athleten mit Kraft und Timing zu Bestnoten kommen, während die Damen auf rhythmische Geschicklichkeit à la Dance Dance Revolution angewiesen sind. Leider sind die Tastenkombinationen dabei jedoch teils so unmöglich, dass man ohne Tanzmatte völlig aus dem Konzept kommt.

Geräteturnen und Schießen

Auch das Turnen an den Ringen erfordert etwas Gewöhnung, geht nach ein paar Anläufen trotz Verwendung zweier Analogsticks und Schultertasten aber erstaunlich gut von der Hand. Das Bockspringen läuft sogar in dynamischer Zeitlupe ab, deren Abspielgeschwindigkeit vom zuvor erreichten Kraftgrad abhängig ist. Schade nur, dass man bei den Turndisziplinen keine eigenen Figuren wählen oder aneinander ketten kann, sondern lediglich zwischen drei Schwierigkeitsgraden entscheidet, die verschiedene Maximalpunktzahlen ermöglichen. Eher klassisch präsentiert sich hingegen das Gewichtheben, wo wieder alles auf stupides Tastenrubbeln hinausläuft.

Beim Bogen- und Tontaubenschießen geht es dagegen nur um Geschicklichkeit, wobei auch Windrichtung und Fluggeschwindigkeit eingeplant werden müssen.

Anlauf zum Stabhochsprung: Die Leichtathletik ist mit insgesamt 13 Disziplinen traditionell am stärksten vertreten.
Da macht der Reiter plumps

Die letzte Disziplin im Bunde ist das Springreiten, das man getrost als Totalausfall abstempeln kann. Ähnlich wie der Kajak-Slalom bei der letzen Olympia-Versoftung hat man hier nämlich mehr mit der hakeligen Steuerung als mit dem Erreichen von Höchstpunktzahlen zu kämpfen und möchte aus dem störrischen Klepper schon nach wenigen Schritten am liebsten Salami machen. Insgesamt kommt es aber bei allen Disziplinen sowohl auf Schnelligkeit als auch Timing an, dessen Zusammenspiel man in der Regel schnell intus hat und sich beliebig anhand entsprechender Video-Tutorials einbläuen kann; so dass selbst völlig ungeübte Spieler schnell Erfolge feiern und sich mit vermeintlichen Pad-Akrobaten messen können. Ein spezieller Modus lässt euch aber auch mit dynamischen Handicaps spielen, die sich automatisch an die Unterschiede zwischen den Teilnehmern anpassen.

Die Qual der Wahl

Insgesamt können sich in Athens 2004 bis zu vier menschliche Kontrahenten miteinander messen, wofür wie gesagt 25 Einzeldisziplinen, vorgefertigte Wettbewerbe wie Zehnkampf, Turnen oder Schwimmen sowie selbst erstellbare Wettbewerbe mit bis zu zehn Disziplinen zur Verfügung stehen. 

Wer es besonders schweißtreibend mag, kann auch auf die speziell abgestimmte Tanzmatten-Unterstützung zurückgreifen, die allerdings maximal zwei Spieler zulässt und lediglich mit zehn Disziplinen kompatibel ist, die auch nur einzeln gespielt werden können. Ansonsten wählt ihr zwischen dem nicht ganz so regelgetreuen Arcade- oder dem authentischeren Wettkampf-Modus und versucht, neue Weltrekorde zu erzielen, die zwar abgespeichert werden, aber nicht via Online-Statistiken mit anderen Spielern aus aller Welt verglichen werden können.

Unzumutbare Pad-Steuerung: Tanzmatten-Besitzer sind beim Bodenturnen der Damen klar im Vorteil.
Enttäuschte Solisten

Schade auch, dass es keine direkten Online-Vergleiche gibt, wenn man mal keine willigen Teilnehmer zur Hand hat, denn allein wird die PS2-Olympiade schnell langweilig und bietet aufgrund des unausgewogenen Schwierigkeitsgrades auch viel Frustpotenzial. Dass es keine freispielbaren Extras oder selbst erstell- bzw. trainierbaren Athleten wie in Sydney 2000 gibt, senkt den Einzelspielerspaß. Hinzu kommen kleinere Mängel wie die nicht umkehrbare Steuerung beim Bogenschießen, die verhältnismäßig langen und häufigen Ladezeiten sowie die sich oft wiederholenden und teils völlig daneben liegenden Kommentare des Moderatorengespanns. Zwar konnte man immerhin bekannte Sportreporter wie Wolf-Dieter Poschmann verpflichten, aber wie im Fernsehen fühlt man sich dadurch noch lange nicht.

Technisch veraltet

Auch die übrige Soundkulisse kann trotz Dolby Surround nicht wirklich überzeugen: Die eher belanglose Musikuntermalung ist dabei eine Sache, aber das lethargische Publikum sowie die mittelmäßigen Sound-FX kosten wichtige Atmosphäre-Punkte.

Zielwasser allein reicht nicht: Beim Bogenschießen müsst ihr auch Windstärke und -richtung mit einkalkulieren.
Hinzu kommen die dank Motion-Capturing zwar ordentlich animierten, aber sehr klobig modellierten, mäßig texturierten und teils merkwürdig proportionierten Athleten, die aussehen als kämen sie aus dem nächsten Klonlabor und hätten beim Steroidefressen ihre Zähne verloren. Überhaupt ist die optische Präsentation sehr schlicht und steril, während grafische Spielereien Fehlanzeige sind oder antiquiert erscheinen. Zum Glück hat man während der Aktionseingaben aber ohnehin nicht viel Zeit auf die technische Umsetzung zu achten, die einer PS2 keineswegs würdig ist.

Verfehlte Standards

Insgesamt vermisst man zudem Duelldisziplinen wie Fechten oder Ringen. Auch Teamdisziplinen wie Staffelläufe haben es nicht in die virtuelle Olympiade geschafft. Selbst einige klassische Disziplinen wie Turmspringen, Hammerwerfen oder Rudern glänzen in Athens 2004 mit Abwesenheit. Positiv waren wir dagegen von der Möglichkeit angetan, manche Sportarten im Einzelspielermodus aus der Egoperspektive zu bestreiten, was doch ein gewisses Novum mit überraschend gelungenem Mittendrin-Gefühl bietet. Auch die fernsehgerechten Kamerafahrten und Replays wurden ansprechend in Szene gesetzt. Noch wünschenswerter wäre allerdings eine Unterstützung zweier Multitaps gewesen, um spannende Wettbewerbe für bis zu acht Spieler zu ermöglichen – das war sogar bei der letzten PSone-Olympiade Standard.

Fazit

Auch dieses Mal endet die virtuelle Teilnahme an den Olympischen Spielen wieder mit wunden Fingerkuppen, Unterarmkrämpfen und Controllerverschleiß. Seit Genre-Urvater Decathlon hat sich in den letzten 20 Jahren spielerisch kaum etwas geändert und wenn doch, dann ging der Schuss meist nach hinten los - wie auch Athens 2004 in einigen Disziplinen leidlich erfahren muss. Aber auch sonst müssen Sonys Olympioniken teils deutlich Federn lassen: So sind Präsentation und Technik einer heutigen Konsolen-Olympiade einfach unwürdig, viele Disziplinen nahezu identisch, die Tastenbelegung teils geradezu haarsträubend und die Kommentare trotz bekannter TV-Sprecher wie Wolf-Dieter Poschmann sehr wiederholungsanfällig oder einfach völlig daneben. Auch der Schwierigkeitsgrad präsentiert sich äußerst unausgewogen, während die nette Idee mit der Tanzmatten-Unterstützung nur bei wenigen Einzeldisziplinen für maximal zwei Spieler Verwendung findet. Allein hat man hingegen sowieso schnell die Nase voll von der PS2-Olympia, aber mit ein paar Freunden wiegen alle Mankos nur halb so schwer und die Motivation, es allen zu zeigen, lässt einen selbst physisches Leid und spielerische Totalausfälle wie das katastrophale Springreiten vergessen.

Pro

60Hz-Option
Vier-Spieler-Modus
Tanzmatten-Support
authentische Stadien
25 offizielle Disziplinen
bekannte Kommentatoren
Video-Tutorials zu jeder Disziplin
hübsche Kamerafahrten & Replays
selbst konfigurierbare Wettbewerbe
solide Motion-Capturing-Animationen
meist einsteigerfreundliches Gameplay
hoher Spaßfaktor im Multiplayer-Modus

Kontra

biedere Optik & Akustik
allein extrem öde & frustig
keinerlei freispielbare Extras
fehlende Klassikerdisziplinen
teils unmögliche Tastenbelegung
keine Originalathleten & Hymnen
keine Duell
oder Teamdisziplinen
viele nahezu identische Disziplinen
viele lästige Lade
bzw. Wartezeiten
keine freie Figurenwahl beim Turnen
extrem spärliche Rahmenpräsentation
maximal vier menschliche Teilnehmer
öde Ausdauerdisziplinen wie 1500m Lauf
keine Online-Spielbarkeit bzw. -Rankings
sehr unausgewogener Schwierigkeitsgrad
völlig hakelige Disziplinen wie Springreiten
sich wiederholende & deplazierte Kommentare
Einschränkungen beim Spielen mit Tanzmatten

Wertung

PlayStation2

Virtuelle Tastenrubbel-Olympiade, die nur in geselliger Runde für Spielspaß sorgt.

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