Death by Degrees19.04.2005, Paul Kautz
Death by Degrees

Im Test:

Tekken-Spieler kennen Nina Williams als wortkarge, in vorteilhafte Klamotten gewandte, stets im Dauerclinch mit ihrer Schwester Anna befindliche, zunehmend älter werdende, blonde Killerin. Doch wie hat das Ganze angefangen? Wie wurde Nina Williams zur »Queen of Iron Fist Tournament«? Die Antwort darauf versucht Namco im Spin-Off-Action-Adventure Death by Degrees (ab 39,90€ bei kaufen) zu geben.

Surreale Steuerungs-Abgründe

Einige Jahre vor dem ersten Tekken-Turnier: Nina Williams ist jung, attraktiv und ausgesprochen tödlich. Als Elite-Killerin wird sie vom britischen Geheimdienst MI6 engagiert, um bei einer Mission auf dem Luxusdampfer »Amphetrite« für Ablenkung zu  sorgen, während zwei weitere Agenten normalen Spionage-Tätigkeiten nachgehen. Denn die Verbrecherorganisation »Kometa« ist im Besitz einer fürchterlichen Waffe,

Keine Ruhe für Nina - aus dem geplanten Sonnenbad wird schnell ein Killerkommando.
was natürlich nicht im Sinne der freien Welt blablabla. Die Hintergrundgeschichte ist vernachlässigbar, das Wichtigste ist, dass die Pläne schief gehen und Nina jetzt auf die altbewährte Methode ans Ziel kommen muss: Knochen brechend. All das erfahrt ihr aus einem langen und technisch brillanten Intro-Video, welches geschickt zum Tutorial überwechselt.

Denn anhand von angreifenden Grimmigschauern lernt ihr gleich das wichtigste Feature des Spiels kennen: die 360°-Kontrolle. In der Theorie könnt ihr Nina mit dem linken Stick steuern, während sie mit dem rechten Kicks und Kombos in alle Richtungen austeilt. Wie gesagt: in der Theorie. In der Praxis ist das neue Feature, welches in ähnlicher Form auch im Jet Li-Spiel »Rise to Honor« Verwendung fand, der Hauptgrund dafür, dass Death by Degrees schnell frustriert: Ihr könnt und werdet zwar mehrere Gegner gleichzeitig bekämpfen, keinen davon aber präzise. So wischt ihr ständig mit dem Stick in die ungefähre Richtung des Feindes und hofft, dass der Tritt sein Ziel findet – was er meist nicht tut. Noch schlimmer wird es mit den Kombos: Im Grunde reicht es, immer wieder auf den rechten Stick einzuprügeln, woraufhin Nina automatisch die wildesten 

Die Schusswaffen lassen sich auch in Kombos einbinden.
Kombinationen vom Stapel lässt. Später könnt ihr allerdings auch besser aussehende Moves freischalten, deren Ausführung jedoch nicht nur die präzise getimte Nutzung beider Sticks, sondern auch die der Schulterbuttons und Analogbuttons (!) beinhaltet – teilweise sind schon die Bewegungs-Erklärungen kaum zu verstehen, geschweige denn die Anwendung! Dankbarerweise werden derartige Fingerverknoter im Spiel faktisch nicht gebraucht, aber die Hirnverbranntheit von Namcos System zeigt sich schon im kleineren Maßstab: Um etwas so simples wie einen Sprungkick zu machen, müsst ihr die Renntaste (Kreis) gedrückt halten, mit dem linken Stick steuern – und zum Absprung den rechten Stick bedienen! Eine Erklärung, wie das normal gebaute Spieler mit lediglich zwei Händen sinnvoll hinbekommen sollen, bleibt uns Namco schuldig. Man kann auch ausweichen oder blocken, aber das wird u.a. durch schnelle Doppelbewegungen des Sticks in eine bestimmte Richtung erreicht, was mitten im Kampf nicht zuletzt aufgrund der Trägheit der Analoghebel quasi nicht vernünftig zu machen ist.

Schleicher in Stöckelschuhen

Der Kampf Frau zu Mann ist zwar der größte, aber bei weitem nicht der einzige Teil in Death by Degrees. Ihr dürft auch mit Waffen loslegen, müsst Schleichpassagen überwinden und vielerlei Puzzles knacken. Fangen wir vorne an: Ihr findet nicht nur Schusswaffen, sondern auch Schwerter oder Schlagstöcke, die sich im Laufe der Zeit abnutzen. Per Druck aufs Digipad wechselt ihr zwischen euren Gerätschaften, wobei ihr nur wenige gleichzeitig tragen dürft. Wie beim normalen Gefecht dürft ihr Pistolen, Uzis und MGs in unterschiedliche Richtungen positionieren, und so mehrere Gegner gleichzeitig aufs Korn nehmen. 

Dank der 360°-Steuerung könnt ihr es mit mehreren Gegnern gleichzeitig aufnehmen.
Gelegentlich warten auch Scharfschützen-Einlagen, in denen ihr einen Kollegen mittels gezielter Schüsse vor heranstürmenden Feindscharen bewahren müsst. Wollt ihr lieber langsam vorgehen, bieten euch viele Gegner, Ninas klappernden Stöckelschuhen zum Trotz, die Gelegenheit, sie hinterrücks über den Zustand ihres Genicks zu befragen. Bleiben noch die Adventure-Elemente: Zum einen müsst ihr wie in den frühen Resident Evils Gegenstände, die ihr bei A gefunden habt, bei B benutzen – so offensichtlich, dass damit niemand überfordert sein dürfte. Ferner gilt es, Fingerabdrücke und Zugangscodes zu sammeln, um gesicherte Bereiche des Schiffes betreten zu können. Schlussendlich warten noch Puzzles, in denen ihr Bilder in die richtige Reihenfolge drehen müsst – das aber so oft, dass es über kurz oder lang unweigerlich nervt.            

Doch zurück zum Hauptteil des Spiels, dem Kampf: Ein Killer wie Nina verfügt immer über besondere Kräfte, in ihrem Fall ist es eine Art Röntgenblick. Bei Spezialschlägen zoomt die Ansicht in den Brustkorb des Gegners, wo ihr wichtige innere Organe

Röntgenblick macht's möglich: Ihr könnt gezielt gegnerische Einzelteile anvisieren.
anvisieren dürft, welche dann zerhackstückt werden. Dieses Feature ist zwar schon fast frech aus dem Jet Li-Film »Romeo Must Die« geklaut, sieht aber nichtsdestotrotz gut aus. Eine abgeschwächte Version davon gibt es, wenn ihr einen Gegner von hinten erledigt oder ihm per Judogriff nachhaltig demonstriert, wie sehr das Brechen eines Knochens die Bewegungsfähigkeit einschränkt. Für jeden umgehauenen Gegner gibt es Erfahrungspunkte, die ihr in bereits erwähnte Kombos investieren dürft. Die gewinnen lediglich bei den sporadisch auftauchenden Bossfights an Bedeutung, gegen den Standard-Niedrig-IQ-Widersacher sind sie, nicht nur aufgrund der Nerv-Steuerung, bedeutungslos. Kassiert ihr zu viele Treffer, müsst ihr euch vom Spielmenü aus mit Energieriegeln oder einem erfrischenden Schluck Wasser heilen; diese Boni bekommt ihr von erledigten Gegnern. Allerdings müsst ihr euch mit dem Aufsammeln beeilen, denn nach kurzer Zeit verschwindet das herumliegende Material aus mysteriösen Gründen – seid ihr gerade mit sechs oder mehr Feinden gleichzeitig beschäftigt, wirkt auch das nervend und willkürlich.

Abgerundet wird das alles vom Speichersystem, welches ebenfalls unweigerlich einen Hand-an-die-Stirn-Reflex auslöst: Natürlich dürft ihr nicht frei speichern. Ihr wisst auch nicht, wo sich Save-Punkte befinden. Stattdessen erwacht immer wieder unerwartet ein Radar-Symbol am rechten oberen Bildschirmrand zum Leben, welches euch darauf hinweist, dass irgendwo in der Nähe ein Speicherpunkt ist. Jetzt dürft ihr auf Basis eines »Warm-wärmer-kälter«-Systems herumlaufen, um den Punkt einzugrenzen und irgendwann gewissermaßen

Um einem Kollegen zu helfen, haltet ihr ihm Gegner mit dem Scharfschützengewehr vom Hals.
auszubuddeln. Ein Problem dabei ist, dass diese Vorgehensweise keine Höhenunterschiede kennt: So rennt ihr zeitweise mit fast voller Anzeige durch die Gegend, ohne dem Punkt näher zu kommen – weil er sich irgendwo unter oder über euch befindet.

Alte Bekannte

Entdeckernaturen werden sich freuen, dass es recht viel freizuspielen gibt: Neben Film- und Musicplayer erwarten euch zusätzliche Spielmodi, u.a. einer, in dem ihr als Annas Schwester Nina auf abenteuerliche Mission geht – und andere Tekken-Figuren wie Heihachi oder Dr. Boskonovich trefft. Und natürlich dürfen die Outfits nicht fehlen: Euch erwarten gut eine Hand voll verschiedener Klamotten, vom violetten Tekken-Catsuit über einen Bikini bis zum unerklärlichen Start-Set – dass man das Spiel in einem Hausmädchen-Kleidchen mit Strapsen beginnt, ist recht ungewöhnlich. Die Figuren sind schön anzusehen und gut animiert, auch wenn Nina klischeehaft überproportioniert daherkommt. Die Umgebungen dagegen sind größtenteils langweilig, blass und unaufregend; Death by Degrees sieht viel zu oft wie ein PS2-Starttitel aus. Nur in wenigen Räumen zeigen die Designer ihr Können, zumeist herrscht durchschnittliches Standard-Interieur vor. Erschwerend kommt hinzu, dass das Spiel wie Resident Evil auf fixe Kameraperspektiven setzt, die ihr nicht verstellen dürft: dadurch fehlt euch viel zu oft die Übersicht und Gegner sehen euch lange bevor ihr sie seht – die einzige Möglichkeit, dieses Manko zu vermeiden ist ein schnelles Umschalten in eine Schulterperspektive, in der ihr allerdings nur rennen, und nicht kämpfen dürft…

Akustisch herrscht gehobenes Mittelmaß: Normalerweise brummeln unauffällige Umgebungs-Sounds um euch herum, nur im Falle eines Angriffs wechselt die Tonlage von »ruhig« zu »rockig« - die Stücke sind ein guter Indikator dafür, wann eine Attacke 

Als Frau von Welt wechselt Nina regelmäßig ihre kaputt gehenden Klamotten.
vorbei ist, allerdings wiederholen sie sich sehr oft. Die Kämpfe werden von gutem Gekreische und Ratzfatz-Effekten wie aus einem klassischen Prügelfilm begleitet, in den Zwischensequenzen gibt es außerdem brauchbare deutsche Sprachausgabe – die allerdings aufgrund der teilweise miesen Übersetzung (z.B. wird aus »neck tie« im Deutschen eine »Halskette«, was angesichts der dazugehörigen Szene einfach nur idiotisch wirkt) gelegentlich unfreiwillig komisch ist. Nervtötend auch das ständige Nachladen, welches sich nicht nur auf die lange Warterei zu Beginn beschränkt, sondern bei jedem Raumwechsel, bei jeder kleinen Zwischensequenz, bei jedem Aufruf eines Menüpunktes ständig Daten schaufelt – man verbringt unerklärlich viel Zeit mit dem hässlichen Ladebildschirm.

Die hiesige Fassung ist, trotz einer 18er Einstufung, komplett blutfrei; getötete Widersacher lösen sich augenblicklich in Luft auf. Außerdem bekommen hiesige Spieler keine beiliegende Demo-Version von Tekken 5, sondern lediglich ein kurzes Trailer-Video.        

Fazit

Meine schlimmsten Befürchtungen sind wahr geworden: Bei Death by Degrees ist der Name Programm. Es ist mir unbegreiflich, wie Namco eine so interessante Idee so schludrig verschwenden konnte. Ich vermute aber, dass es schlicht und ergreifend daran liegt, dass die Entwickler einfach zu viel wollten: heiße Prügel-Action, aufregende Schleich-Einlagen, clevere Puzzles. Und was ist dabei raus gekommen? Gute Kämpfe mit fürchterlicher Steuerung, aufgrund der Kameraperspektiven oftmals gar nicht erst in Fahrt kommende Schleichereien und auf Dauer einfach nur nervende Adventure-Elemente. Hätte sich das Traditions-Unternehmen nur auf einen Bereich konzentriert, der bei Nina nun wirklich sehr nahe liegt, hätte Death By Degrees ein würdiges Tekken Spin-Off werden können. So ist es leider nur ein halbgares Nicht-Fisch-nicht-Fleisch-Irgendwas, gekrönt von massenhaft Logiklücken – was sich Ninas Entführer z.B. dabei denken, sie in ein Zimmer mit weit offen stehendem Verandafenster »einzusperren«, ist nicht völlig klar, genauso wenig wie Feinde, denen man Beine oder Arme bricht, die aber kurz darauf aufstehen und weiterkämpfen, als hätten sie nur einen Mückenstich kassiert. Die Grundidee des Spiels ist super, das Drumherum mit Renderfilmen, ästhetisch wertvollen Kombos und vielerlei Schlagmöglichkeiten verführerisch – doch es tut mir wirklich in der Seele weh, dass das Endresultat gerade mal für beinharte Nina-Fans mit stabilen Zähnen geeignet ist.

Pro

actionreiche Kämpfe
cooles »Röntgen«-Feature
schöne Animationen
großartige Renderfilme
nette Soundkulisse
ansehnliche Kombos

Kontra

fürchterliche Steuerung
blasse Grafik
lange Ladezeiten
aufgesetzt wirkende Adventure-Elemente
nervtötendes Speichersystem
massig Leerlauf
oftmals unpassende Kameraperspektiven
endlose Logiklücken
viele frustrierende Abschnitte
teilweise schlechte Übersetzungen
Menübedienung zäh wie Kaugummi

Wertung

PlayStation2

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