Tomb Raider: Legend18.04.2006, Jörg Luibl
Tomb Raider: Legend

Im Test:

Babe. Archäologin. Ikone. Superstar. Videospielgöttin. Marketinghure. Gefallener Engel. Es gibt viele Stempel für Lara Croft. Und in der Reihenfolge dieser Aufdrücke steckt tragische Wahrheit. Die einst strahlende Shooting-Lady der Spielewelt wurde so gnadenlos ausgeschlachtet, dass sie im Jahr 2003 nur noch ein düsterer Abklatsch ihrer selbst war. Kann ihr das neue Team von Crystal Dynamis zu alter Faszination verhelfen?  

Primitiver Einstieg

Miststück. Schlampe. Kotzen. Scheiße. Nein, das hat nichts mit britischem Understatement oder gar Humor zu tun. Das ist eine Wortsammlung aus den ersten Stunden Tomb Raider: Legend (ab 4,99€ bei kaufen) (TRL). Nicht, dass ich etwas gegen derbe Sprüche hätte, aber die Kraftausdrücke rauben dem Spiel gerade in der deutschen Fassung etwas von seiner mysteriösen Atmosphäre. Sie setzen gleich zu Beginn einen Kontrapunkt zur grandiosen Kulisse - die Ehrfurcht vor der Schwindel erregenden Steilwand oder dem tosenden Wasserfall kollidiert frontal mit diesem prolligen Unterton. Man merkt, dass sich

Die Lady, die Tiefe, der Absprung: eleganter kann man einen Kopfsprung ins Nass nicht ausführen. (PS2)
die kalifornischen Entwickler von Crystal Dynamics (CD) mehr Gedanken um die Geschmeidigkeit der Bewegungen als die der Worte gemacht haben.

Dabei hätte die Symbiose der Serie richtig gut getan. Doch sobald es zusammenhängende Sätze oder Dialoge mit dem über Funk verbundenen Jungwissenschaftler Alister gibt, sollte man entweder seinen Verstand oder die Ohren oder beides in die Warteschleife schicken. Spätestens, wenn 90-60-90-Lara im fast platzenden Top mit den Kollegen in ihrem Herrenhaus über das weitere Vorgehen plappert, möchte man trotz ihrer altklugen Stimme am liebsten "Stupid Girls" von Pink aufdrehen - und zwar richtig laut. Lara bleibt auch diesmal das hübsch anzusehende Klischee eines aufgedonnerten Babes. Schade, dass man nicht wenigstens eine kluge Archelady aus ihr gemacht hat. Vielleicht ist das zu viel verlangt, aber Helden sind erst dann richtig interessant, wenn sie sich als Charaktere entwickeln: Snake, Sam oder der persische Prinz, ja sogar Rayman haben es jeweils unter anderen Vorzeichen vorgemacht.

Die Qualität der Gespräche pendelt sich irgendwo zwischen dumm, dämlich und naiv ein. Humor und Slapstick kommen ansatzweise höchstens im englischen Original auf - ansonsten geht`s plump zur Sache: Da patrouilliert ein Wachsoldat im menschenleeren Dschungel und beschwert sich, dass er "niemanden abknallen" kann. Lara ballert ihm dafür erstmal in den Rücken, bevor seine Kollegen die "Schlampe töten" wollen und selbige per Rückwärtssalto in Deckung flieht, was ihrem Dialogpartner wieder fast "kotzen" lässt. Hier hat man viel Flair verschenkt. Wer den süffisanten Humor der Indiana Jones-Filme mag, wird hier ebenso wenig fündig werden wie der Liebhaber eines guten Drehbuchs. Ja, es gibt Zwischensequenzen. Ja, es gibt eine Story. Aber von einer guten Regie, einem intelligenten Plot oder gar Dramatik fehlt jede Spur. Nur ganz am Ende zeigt Lara die vielleicht stärkste Szene ihrer Videospielgeschichte - da will man ihr fast einen Oskar überreichen. Da ist sie fast zur Frau gereift. Da zeigt sie Charakter und kokettiert nicht blöd rum. Also lohnt sich der Weg ins Finale? Ja. Hör ich jetzt auf mit der Krittelei? Nein.

Artus & die Räucherstäbchen

Ärgerlich ist nämlich, dass das Abenteuer so verdammt verheißungsvoll anfängt: Man erfährt etwas über Laras Kindheit, ein altes Schwert in Bolivien lässt ihre Mutter verschwinden, Excalibur lässt grüßen, es gibt sogar einen spielbaren Rückblick, in dem man Lara als Teenager durch ein staubiges Höhlensystem lotst und schließlich weckt ein seltsamer Dämon die Neugier -

Lara beim Rätsel knacken: Das Schieben und Rollen von Gegenständen funktioniert jetzt in alle Richtungen. (360)
hier spürt man die angenehm düsteren Finger der Vampirexperten von CD. Bis dahin ist alles durchaus interessant. Aber was hat man aus diesen Zutaten gemacht? Viel zu wenig. Nein: erschreckend wenig. Man hat das Gefühl, dass am Anfang immer der Schauplatz stand und später eine kleine erzählerische Überleitung erfunden wurde - frei nach dem Motto: Lara soll in Japan klettern. Coole Idee. Warum soll sie dahin? Yakuza = Gegner = Schwert! Dabei hat das Team in der vampirischen Soul Reaver -Reihe bewiesen, dass es zu viel mehr fähig ist und selbst epische Momente aufbauen kann. Hier begeht man allerdings drei Fehler.

Erstens hat man die Flashbacks nicht konsequent genutzt, um mehr über Lara zu erzählen: Das interessante Mutter-Tochter-Verhältnis hätte sich aufgedrängt, wird aber nur gestreift. Wie gut hätte man das Stilmittel der Rückblicke für Laras Erinnerungen gebrauchen können! Zweitens hat man die Reise durch die Kontinente nur oberflächlich verknüpft: Da sitzt man gerade noch auf einem Motorrad in Afrika und ist plötzlich in einem militärischen Sperrgebiet in Kasachstan unterwegs. Wieso, weshalb, warum? Und drittens hat man die Story um die Bruchstücke des zerbrochenen südamerikanischen Schwertes so hanebüchen mit dem Artus-Mythos verknüpft, dass selbst militante Esoteriker mit mildem Räucherstäbchenblick das Grausen kriegen sollten. Mario Zimmer Bradley-Fans oder keltisch interessierte Hobby-Historiker sollten vor dem Spielen besser gleich Beruhigungstabletten nehmen, denn Lara sagt bedeutungsvolle Sätze wie "Es hat in allen Kulturen immer Steine und Schwerter gegeben." Geht`s noch platter?

                  

Rettung der alten Lara

Da haben wir also den Salat: Dialoge zum Weglaufen treffen auf eine Story zum Wegschmeißen. Bevor Fans jetzt empört nach Luft schnappen, gibt`s gleich die beruhigende Antwort auf die Kernfrage: Ist die gute alte Abenteuerlust wenigstens wieder da? Dieses erhabene Staunen in uralten Katakomben, vor kristallklaren Seen oder an tiefschwarzen Abgründen? Ja. Auch dieses Flair beschwört die neue Lara. All das kommt durchaus in einigen der starken von insgesamt acht Levels vor,

Die böse Antagonistin hier im passenden Schwarz mit schwelenden Flammen. Leider kann die Story trotz guter Ansätze nicht überzeugen. (PC)
die euch über knapp zehn Stunden endlich wieder weg vom Straßenmief in die Wildnis oder tief unter die Erde bringen: in Ghana, in England, in Nepal. Aber dieser spezielle Tomb-Raider-Kitzel dominiert immer nur dann, wenn alle den Mund halten oder in Ehrfurcht vor einem Monument lang gezogene Zisch-Laute von sich geben. In diesen Momenten hat CD sein Ziel erreicht und lässt euch nach der kalten Dusche des enttäuschenden Vorgängers wieder in einer warmen Wanne voller guter Erinnerungen aufatmen: Die Kräuter der Vergangenheit wirken, man kann die Action-Adventure-Seele wieder baumeln lassen.

Denn man darf bei aller Kritik nicht vergessen, dass die verbale Kommunikation noch nie zu den Schlüsselqualifikationen für Laras Erfolg gehörte: Es ging um eine voyeristisch angehauchte Kraxe- und Ballerei mit archäologischem Abenteuerflair. Lara ist der Archetyp des schlagfertigen Babes: Schurken töten, Artefakte heben, an Seilen schwingen, über Abgründe springen und Geheimnisse entdecken. Und hurra: Im Gegensatz zum gut gewollten, aber schlecht gekonnten Vorgänger löst TRL tatsächlich wieder das Ticket in die unbeschwerten 90er für euch. Die große Stärke des Spiels besteht darin, dass das neue Team von CD alte Instinkte bedient. Obwohl das Abenteuer erzählerisch und spieltechnisch nichts Besonderes bietet und euch fast schon in die Steinzeit des dreidimensionalen Action-Adventures zurückreisen lässt, treibt es ein starker Motor voran: die Nostalgie der guten alten Grabräubertage.

Neue Rätselkultur

Endlich gibt es wieder mehr zum Knobeln und Rätseln! Die größten Momente bietet Lara, wenn sie alle Möglichkeiten geschickt verknüpfen muss: Erst einen Kronleuchter per Magnethaken in Schwingung bringen, dann einen Felsen an die richtige Position schieben, von dort auf eine hohe Statue springen, dann an ein Gegengewicht springen, das eine Glocke in die Luft hievt und beobachten, wie der Kronleuchter sie mit einem Krachen zum Tönen bringt. Dieses Geräusch wiederum sorgt dafür, dass... Spoiler Ende.

TRL hat in Sachen Puzzles zu einer neuen Stärke gefunden. Im Gegensatz zu den Vorgängern muss man viel weniger Hebel an Punkt A bedienen, um an Punkt B weiter zu kommen. Diese stupiden Manöver gibt es zwar immer noch, aber sie wurden stark reduziert. Schade ist nur, dass euch die Levels immer nur einen klaren Weg zum Ziel anbieten und teilweise erschreckend enge Schläuche ohne Abzweigungen darstellen. Man hat zwar oft das Gefühl von räumlicher Tiefe, also dass es sehr weit sehr steil bergab gehen kann, aber Labyrinthcharakter oder räumliche Weite vermisst man. Dafür kommt es diesmal viel mehr darauf an, seine Umgebung genau zu erkunden und mit ihr zu interagieren. Und das ist gut so, denn das Spielerlebnis in Sackgassen ist jetzt unmittelbarer und abwechslungsreicher.

Physik & Magnethaken

Das liegt vor allem daran, dass die Physik erstmals richtig gut eingesetzt wird, um Wege zu öffnen oder Hindernisse zu überwinden: poröse Mauern lassen sich einstürzen, die Richtung der Wasserströmung lässt sich ausnutzen, um darauf Kisten zu transportieren, Statuen lassen sich kippen, Pfeiler lassen sich drehen, Kerzenleuchter schwingen und ihr könnt Wippen zu Katapulten umfunktionieren, um schwere Gegenstände in die Luft zu befördern. Und Kisten lassen sich übrigens endlich in alle Richtungen verschieben, so dass sie schneller ihre Druckplatte erreichen. Sie können auch als wichtiges Hindernis dienen: Wenn rasiermesserscharfe Sensen den Weg blockieren, schiebt man sie hinein und stoppt den Todeswirbel.

Wasserfälle, Doppelpistolen, Hebel, Kisten - es gibt viele nostalgische Momente. (PS2)
Die beste spieltechnische Neuerung ist der Magnethaken, der zahlreiche neue Manöver ermöglicht: Ihr könnt nicht nur Kisten und Gegner an euch heran ziehen, sondern auch unzugängliche Schätze damit bergen oder Räder auf Distanz betätigen. Das wird nicht nur in Bosskämpfen sehr gut ausgenutzt, sondern auch während der Erkundung. Lara kann sich z.B. auf eine schwimmende Kiste stellen und den Haken an eine Halterung werfen, um sich und die Kiste gegen die Strömung in diese Richtung zu ziehen - sieht klasse aus und ist sehr nützlich!

Scanner & Steuerung

Leider können die neuen Ferngläser mit Scanner da nicht mithalten: Sie erfüllen zwar auch ihren Zweck, da sie euch verraten, ob ein Gegenstand z.B. zerbrechlich oder beweglich ist, aber sie sind kein wirklich informatives Element der Entdeckung wie etwa in Metroid Prime 2 . Die meisten Situationen kann man auch ohne ihren Einsatz lösen, zumal die wichtigen Stellen in der Umgebung ohnehin aufblinken. Schade ist auch, dass die hier aufgeschnappten Hinweise nur als Icons verarbeitet, aber nicht erzählerisch genutzt werden, um z.B. mehr über Lara, die Höhle oder die Artefakte zu erfahren. Auch die neue Lampe an der Schulter ist nicht mehr als ein nettes Gimmick, das die Fackeln ersetzt.

Vergessen sind dafür die Zeiten der überempfindlichen Reaktionen: Lara ist immer sehr gut zu kontrollieren. Im Gegensatz zum Vorgänger gibt es hier keine Probleme mit der Steuerung, die auf allen Systemen optimal läuft. Besonders gut gefallen hat mir die intuitive Beschleunigung: Wenn Lara schneller an einem Seil hoch oder an einem Sims entlang klettern soll, drückt man einfach den entsprechenden Button schneller. Sieht man etwas verräterisch über sich bröckeln, sollte man einen Zahn zulegen - ein gelungenes Manöver. Allerdings kann die Kamera nicht immer die freie Sicht garantieren: Es passiert vor allem beim Ziehen mit dem Metallhaken auf Fässern oder in engen Gängen, dass die Perspektive plötzlich unvorteilhaft unter die Archäologin oder hinter Mauern wechselt, ohne dass man sie manuell korrigieren kann. Das führt dazu, dass man das nächste Wurfziel z.B. nicht sofort sieht.

          

Ballern ohne Anspruch

Kein Schleichen mehr. Keine Stealth-Kills. Keine Taktik. Das ist schade, denn es waren nicht diese Elemente, die den Vorgänger scheitern ließen, sondern ihre missglückte Steuerung. Vielleicht hätte man für diesen Teil einen Kompromiss finden können? Aber weg mit den Konjunktiven: Die Jungs um Lead-Designer Riley Cooper haben sich für eine lupenreine Arcade-Ballerei entschieden - basta. Wichtig ist also nur: Wird sie gut inszeniert? Lara hat unendlich Munition für ihre

Die Boden- und Wandtexturen auf der Xbox 360 sind körniger und plastischer. (360)
Doppelpistolen, kann automatisch Ziele anvisieren und ohne große Probleme nach rechts, links oder hinten ausweichen. Die Seitwärtsrollen und Salti sehen gut aus und die Archäologin kann sogar in ihre Gegner hinein grätschen oder aus kurzer Distanz zum beherzten Tritt ansetzen. Sollte es größere Probleme geben, darf sie auch Schrotflinten, Sturmgewehre, stationäre Geschütze oder Granaten einsetzen. Das kleine Sahnehäubchen ist der Zeitlupensprung direkt am Mann mit anschließendem Projektilfeuer - auch der darf übrigens unbegrenzt ausgeführt werden. All das sieht gut aus und geht komfortabel von der Hand.

Aber die Verlangsamung aus Max Payne setzt nach hundert Nachahmern langsam Staub an und kann die simple Third-Person-Ballerei nur kurz veredeln. Wenn man einmal den Dreh raus hat, wird die Action vorhersehbar und reine Routine. Das ist hübsch anzusehendes FastFood. Macht satt, ist lecker, hält aber nicht lange vor. Das liegt auch daran, dass es quasi keine KI gibt - sprich: eure Gegner sind strunzdumm, rennen blind in euer Feuer, suchen selten Deckung und alarmieren sich nicht. Sie haben nur zwei Stärken: Ihre Masse und ihre Granaten. Erstere habt ihr schnell im Griff, wenn ihr nur in Bewegung bleibt und die aufleuchtenden Benzinfässer oder anderes Explosives beschießt, Letzteren müsst ihr sofort per Rückwärtssalto ausweichen. Wer einigermaßen mit Videospielen und 3rd-Person-Action vertraut ist, sollte in den schwereren Modus wechseln: Hier treffen die Feinde genauer und ihr könnt weniger einstecken.

Unverständlich ist angesichts der sonst so gut genutzten Physik auf allen drei Schwierigkeitsgraden die katastrophale Kollisionsabfrage im Schusswechsel: Lara kann manchmal locker durch Felsen ballern, um höher stehende Gegner zu treffen. Das Spiel wirkt nicht nur in den Dialogen unnötig primitiv: Warum muss Lara Leoparden abknallen? Hätte man das nicht anders lösen oder wenigstens eine Alternative wie das geschickte Umgehen anbieten können? Die Wildkatzen verhalten sich zudem alles andere als tierisch, sondern bleiben manchmal wie blöde vierbeinige Roboter stehen, wenn man sie angeschossen hat.

Hilfsmittel & Bosskämpfe

Zur spärlichen Intelligenz der Feinde gesellt sich die üppige Flut an Hilfsmitteln: Es gibt weder Munitions- noch Heilpaketarmut. Bis zu drei Gesundheit spendende Päckchen darf Lara mitnehmen. Das ist auf der einen Seite entspannend für Einsteiger, aber auf der anderen Seite nicht gerade fordernd. Die Feinde bleiben zudem eine amorphe uniformierte Masse ohne individuelle Züge: gleich Kleidung, gleiche Gesichter, keine Abwechslung. Nur die Schlüsselfiguren sorgen für etwas Charakter, obwohl sie alles andere als eindrucksvolle Auftritte haben. Doch sobald diese Antagonisten auftauchen, gewinnt das Siel wieder etwas an Fahrt, denn in diesen Dialogen wird die Story vorangetrieben und danach gibt es endlich etwas anspruchsvollere Duelle. Die Bosskämpfe bieten zwar im Genrevergleich nur Durchschnittskost, aber sie sind nach den stupiden Ballereinlagen eine fordernde Wohltat. Hier geht es darum, die Schwäche des Gegners zu finden, mit der Umgebung zu interagieren und manchmal in mehreren Runden zum Sieg zu kommen: Mal muss man Vorsprünge mit gezielten Schüssen zum Einsturz bringen, einen Energieschild in zwei Phasen aktivieren oder ein Ungeheuer mit Tönen anlocken, um es dann in vier Dosen zu zerschmettern.

Böser Käfig-Bug

Apropos Töne und Monstrum: Wir haben einen ärgerlichen Bug entdeckt, der in England beim Bosskampf gegen jene riesige Wasserschlange zu einer Sackgasse führen kann. Auf dem PC kann das ein Patch beheben, aber auf den Konsolen? Dieser

Zeitlupensprung à la Lara: Diese Manöver könnt ihr beliebig oft ausführen. (360)
Fehler ist zwar nicht allzu tragisch, denn er lässt sich erstens umgehen und zweitens kann man jeden der nicht allzu weitläufigen Level wiederholen, aber er wird alle treffen, die neugierig experimentieren: Bevor man das Biest im unterirdischen Cornwall erweckt, kommt man in einen Raum mit vier Hebeln und vier großen Stahlkäfigen, die man später im Kampf unbedingt braucht. Denn nur, wenn man sie nach einem Magnethakenwurf auf den jeweiligen Hebel geschickt auf den Schädel des Monstrums fallen lässt, kann man es besiegen. Selbst eine Schrotflinte und Granaten helfen hier später nicht weiter.

Das Problem ist: Dieser Raum mit den vier Käfigen lädt schon lange vor dem Bosskampf zur Erkundung ein. Man will natürlich wissen, was passiert, wenn man die Räder aktiviert und so probiert man alles aus, um vielleicht einen Goldschatz zu ergattern. Man überlegt sogar, ob das gleichzeitige Fallenlassen aller vier Käfige einen geheimen Raum öffnet und gibt alles, um mit dem Magnethaken so schnell wie möglich zu sein - das ist alles vergebene Müh, denn da ist nichts. Dabei kann es dazu kommen, dass sich zwei Käfige plötzlich nicht mehr bewegen lassen; sprich: sie bleiben in ihrer erhöhten Position und lassen sich selbst durch mehrmaliges Hin- und Herziehen der Hebel nicht nach unten befördern. Da diese fehlerhafte Verankerung gespeichert wird, kann man den Bosskampf später nicht meistern. Man muss sich einen früheren Spielstand suchen, den Weg nochmals zurücklegen und den Raum bis zum Bosskampf am besten unangetastet lassen. Warum hat man hier nicht den Scanner oder den Funk genutzt, um den Spieler zu informieren?

           

Idiotentest & Mottorradprüfung

Ab und zu gibt es auch kleine Reaktionstests: Ein Button blinkt auf und ihr müsst ihn schnell drücken, damit sich Lara z.B. rechtzeitig duckt. Diese Quick-Time-Reactions können ein Abenteuer auflockern und bereichern, weil sie den Spieler quasi in eine interaktive Filmsequenz werfen. Aber das, was in Shenmue , Resident Evil 4 oder kürzlich in Fahrenheit für packende Momente gesorgt hat, wird hier zur kinderleichten Lachnummer. Erstens blinkt meist nur ein Icon auf, zweitens

Leider nutzen sich die Ballereinlagen auf Dauer ab. Man kann fast ohne Lebensverlust alles niedermähen - keine KI, kein Anspruch.   (PC)
ist es auch noch viel zu lange sichtbar. Selbst ein alkoholisiertes Dreifingerfaultier könnte diese Situationen meistern. Statt Herzklopfen herrscht hier gelangweiltes Gähnen. Hallo CD, welche einsteigerfreundliche Zielvorgabe hat euch denn hier geritten?

Auch beim Klettern fühlt man sich manchmal etwas zu stark gegängelt: Zum einen, weil Lara schon immer dahin schaut, wo es weiter geht - das ist eine visuelle Hilfe, die man dann gerne annehmen würde, wenn es denn verwinkelte Gangsysteme oder eine ausschweifende Levelarchitektur geben würde; hier sind die Abschnitte allerdings zu schnell durchschaut. Dort wo es weitergeht, leuchten auch noch die Simse auf, damit ich sie bloß nicht übersehe. Und damit ich bei einem schlecht getimten Sprung nicht falle, blinkt der Rettungsknopf noch angenehm lang auf. Hinter all diesen optischen Stützen steckt eine gute Idee, aber man hätte sie im Laufe des Spiels auch mit einer höheren Schwierigkeit oder komplexeren Katakomben verknüpfen müssen. So ist alles zu schnell zu komfortabel, es fehlt der Nervenkitzel einer Steilwand oder eines gewagten Absprungs. Es gab bisher kein Lara-Abenteuer, indem ich weniger gestürzt oder umhergeirrt bin.

Die schwächsten Phasen hat Lara immer dann, wenn sie sich auf ein Motorrad schwingt: Vollkommen frei von realistischer Physik oder Kollisionsabfrage rast sie wie auf einer weichen Wolke durch Levelschläuche mit zig Sprungschanzen, die sich in ihrer Architektur auch noch wiederholen. Es gibt keinen Grip, kein Motorenheulen, keine Schwere und auch keinen Anspruch. Das fünf Jahre alte Headhunter war da auf Dreamcast schon unterhaltsamer. Auch die motorisierten Feinde sind nicht mehr als ein schlechter Witz und in null Komma nichts abgeschossen. Man fühlt sich zurückversetzt in eine Spielhalle der 80er - nur dass es damals wenigstens bockschwer war. Selbst ich konnte als bekennender Rennspiellegastheniker ohne Probleme und Lebensverlust ins Ziel rasen. Das einzig Gute an diesen stupiden Drive-by-Shootings ist, dass es nur zwei davon gibt.

Wunderbare Kulisse

Auch wenn spieltechnisch nicht alles wie geschmiert läuft, gibt`s eine durchgängig klasse Kulisse: Grafisch haben vor allem PS2-Besitzer Grund zur Freude, denn Lara macht auf Sonys alter Konsole eine hervorragende Figur. Egal ob Bodennebel oder Höhlenausleuchtung, egal ob akrobatischer Rückwärtssalto oder eleganter Handstand - trotz schwächerer Technik

Über Abgründe, an Seilen, mit Kletterhaken oder ohne: Sobald Lara akrobatisch wird, hat sie starke Momente. (PC)
gibt`s einen starken Auftritt. Bis auf Laras peinlichen Entengang im schwarzen Abendkleid sind die Animationen eine einzige Augenweide. Das kann man von der GameCube-Fassung nicht in diesen hohen Tönen sagen: Keine Echtzeitschatten bei Lara, kaum Bewegung in der Flora und etwas zu hektisch wirkende Bewegungen. Trotzdem: Toby Gards Heldin hat einen sympathischeren Blick als sonst, wirkte in Bewegung noch nie so natürlich und geschmeidig. Sie schaut sich um, wenn sie etwas Interessantes entdeckt, sie schnappt nach dem Tauchen prustend nach Luft, sie federt bei der Landung das Bein ab und springt mit olympiareifer Eleganz kopfüber ins Wasser.

Natürlich sieht das Ganze auf der Xbox einen Tick und auf dem PC oder der 360 ein ganzes Stück besser aus - alles wirkt hier körniger, satter, durchgestylter. Im gespielten Rückblick, der einen braunen Filter über die gesamte Höhlenerkundung legt, kann man den Sand in der Luft fast spüren. Aber vor allem auf Microsofts neuer Konsole entfacht der Titel trotz einiger fantastischer Panoramablicke wie dem Wasserfall in Ghana noch nicht die Begeisterung der nächsten Generation. Obwohl Lara das Nass nach dem Tauchgang vom Körper perlt und Schmutz an ihr haften bleibt, obwohl die Lichtspiele hier markanter und die Plastizität von Holz und Stein wesentlich deutlicher sind, vermisst man einfache Last-Gen-Standards wie z.B. Fußabdrücke im Sand oder den feinen Figurenschatten, der im verschneiten Nepal fast schon grobklotzig wirkt - das ist einer 360 genau so unwürdig wie die sporadischen Einbrüche in der Bildwiederholrate. Die wird es übrigens auch reihenweise auf dem PC geben, wenn ihr die erweiterten Grafik-Features zuschaltet und euer Rechner nicht gerade 2 GB Ram und eine aktuelle 256 MB-Grafikkarte vorweist. Hinzu kommen Clipping-Fehler, Kollisionen ohne Schaden oder Luftnummern, die Lara optisch im Nichts stehen lassen, ohne dass sie fällt. Trotzdem ein großes Lob an die Grafik-Designer: TRL sieht auf allen Systemen richtig gut aus und läuft bis auf wenige Ausnahmen butterweich.

             

Fazit

Knapp zehn Stunden war ich auf der Jagd nach dem verlorenen Spielspaß, in berauschender Wasserfallkulisse in Ghana oder düsterer Katakombenluft in England. Ist Lara wieder die Alte? Nein, noch nicht ganz. Sie hat sich stark verbessert, aber als Charakter und Abenteurerin im Jahr 2006 noch viel Luft nach oben. Mir fehlte nicht nur der britische Humor oder eine gute Story, sondern aufgrund der klar erkennbaren Ausrichtung auf Einsteiger und Komfort der Nervenkitzel des Absprungs, die Abwechslung im Kampf oder die Freiheit komplexer Labyrinthe. Alles wirkt dynamischer und interaktiver, aber gleichzeitig auch eben so verdammt leicht und durchschaubar, manchmal schon fast primitiv - die billigen Motorradrennen, die stupide Ballerei, die schnell gemeisterten Bosskämpfe. Trotzdem: Das Team von Crystal Dynamics hat die richtige Richtung eingeschlagen, indem es die Steuerung fast perfektioniert, die Archäologin wieder in Höhlen und Wildnis katapultiert, die Rätsel über den klugen Einsatz der Physik modernisiert und neue Elemente wie den Magnethaken geschickt integriert hat. Tomb Raider: Legend ist ein unterhaltsames Abenteuer, das in seinen besten Momenten die Nostalgie alter Zeiten entfacht. Es gibt aber im Vergleich zu diesen vereinzelten Höhepunkten mit ihrer grandiosen Panoramakulisse noch zu viele Tiefpunkte, als dass man das Comeback euphorisch feiern könnte. Der erste gute Schritt ist getan, der Nachfolger kann davon nur profitieren.

Tomb Raider: Legend tut mir nach dem katastrophalen Angel of Darkness so gut wie Gevatterin Croft ein erfrischendes Wasserfallbad - das Teil spielt sich fast so gut wie der Erstling! Der Wechsel des Entwicklerteams hat der Serie einen spürbar frischen Wind verliehen, das Spielprinzip macht einen dringend benötigten Rückschritt, der einen wohl tuenden Fortschritt ermöglicht. Jedoch ist nicht alles so schön wie der Panoramablick in Ghana: Die Motorradsequenzen gingen mir nicht ganz so auf den Sack wie Jörg, aber dennoch wirken sie aufgesetzt, die immergleichen Standard-Scharmützel gegen geklonte Gegner sind bestenfalls Füllmaterial, die Story entfaltet kaum ihr vorhandenes Potenzial. Aber ich mag die gelungenen Geschicklichkeitsprüfungen, ich mag die tolle Optik, ich mag den trockenen Humor - der allerdings ausschließlich in der Originalversion rüberkommt! Schon merkwürdig: Die englische Fassung muss ich gelegentlich pausieren, um erstmal herzhaft abzugackern (persönliches Highlight: Cornwall), während Jörgs Miene mit der deutschen Fassung versteinert bleibt - einen herzlichen Glückwunsch an das spaßresistente Übersetzungsteam! Sei's drum: Tomb Raider Legend ist gerade angesichts der versauten Vorgänger ein Lichtblick, der mehr Appetit auf zukünftige Abenteuer macht. Kein Mega-Kracher, aber ein solides Abenteuer.

Pro

klasse Kulisse
einige gute Rätselmomente
sehr gute Steuerung
cooler Magnethakeneinsatz
schöne Kletterbewegungen
abwechslungsreiche Levels
altes Entdeckerflair blitzt auf
sehr gut versteckte Goldschätze
komfortables Schnellspeichersystem
physikalische Interaktion mit Umgebung
viele freischaltbare Kostüme, Artworks, Waffen
freischaltbarer Zusatzmodus (Level gegen die Zeit spielen)

Kontra

sehr schlechte KI
hanebüchene Story
sehr enges Levelkorsett
einige Kameraprobleme
blöder Bug im Wasserschlangen-Bosskampf
wenig Abwechslung im Gegnerdesign
naive Dialoge & primitive Kraftausdrücke
anspruchslose Arcade-Ballereien
billige Motorrad-Rallyes
viele unnötige Spielhilfen
ab und zu Clippingfehler & Bildratenprobleme
zu wenig echte Herausforderungen
einige Fehler in der Kollisionsabfrage

Wertung

360

XBox

PlayStation2

GameCube

Ein unterhaltsames Abenteuer, das in seinen besten Momenten die Nostalgie alter Grabräuber-Zeiten entfacht. Noch nicht perfekt, aber richtig gut!

PC

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