We Love Katamari29.01.2006, Benjamin Schmädig
We Love Katamari

Im Test:

Ende letzten Jahres ließ euch Namco mit einer kleinen Kugel auf die virtuelle Menschheit los: Eure Aufgabe war es, mit dem so genannten Katamari alles aufzurollen, was euch an Gegenständen und Lebewesen in den Weg kam. Der höchst eigenwillige Stil sowie das mutige, neuartige Konzept gewannen weltweit viele Anhänger, so dass dieser Tage ein Nachfolger ins Haus steht. Ein Pflichtkauf für Fans abgefahrener Ideen?

Phänomenal!

Wenn ich im Büro die PS2 anwerfe, gerate ich momentan in echte Schwierigkeiten: Paul behält gerade noch die Fassung, Michaels Kopf knallt auf die Tischplatte, Jörgs Reaktion wechselt zwischen Angst und Aggression und Mathias fasst die Situation in der rhetorischen Frage "Spielst du wieder Katamari?" zusammen. Sehr geehrte Leser und Leserinnen, Namco präsentiert den vielleicht größten Meinungs-Spalter in den Annalen der Spielehistorie! Warum? Weil Katamari Grenzen überschreitet und sowohl von seinen Fans als auch seinen Gegnern nicht als Spiel, sondern als äußerst eigenwilliges Phänomen wahrgenommen wird.

Noch schaut die Kuh dreist drein, aber in wenigen Minuten wird sie hilflos am Katamari zappeln!
Aber was genau ist es, das den Nachfolger zu einer so sonderbaren Erfahrung macht?

Zum einen ist da die grundsätzliche Idee, dank der ihr aus kleinen Murmeln riesige Bälle rollt. Wer schon mal einen Schneemann gebaut hat weiß, was gemeint ist. Ihr müsst also nichts weiter tun, als die Katamaris über den Boden zu rollen. Diese nehmen selbstständig alles auf, was eine bestimmte Größe nicht überschreitet und wachsen mit jedem gewonnenen Objekt. Somit fangt ihr mit dem Auflesen von Murmeln und Stiften an und rollt schon wenige Minuten später über Eiffelturm, Big Ben sowie die Pyramiden.

Geschmacksverirrungen?

Zum anderen werdet ihr Dinge sehen, hören und lesen, die sonst nur in schlechten Comics oder auf den Radiowellen eurer Großeltern existieren – nur dass sie hier noch hässlicher, noch abgedroschener und noch nervender vorkommen. Den Designern war keine Idee zu albern: Aus den Boxen dröhnt z.B. eine wahrscheinlich ungesunde, aber wundervoll abwechslungsreiche Mischung aus Tom Jones, japanischem Pop und Liedern, deren Interpreten kaum eine Note treffen. Das Menü ist ein knallbunter Haufen von Objekten und Figuren, die wie grob ausgestanzte Papierschnipsel wirken. Wo ein Auftrag wartet, machen die Figuren mit einem verzerrten Krächzen auf sich aufmerksam, das qualitativ nur knapp über dem "Hey, Taxi" aus C64-Zeiten liegt.

Auch wenn die Kollegen beim Lesen dieser Wörter einer Ohnmacht nahe sein werden: Wer meint, die hirnverbrannte Präsentation wäre ein Versehen, der irrt! Denn obwohl ihr euch die meiste Zeit über die durchgeknallten Einfälle zerkrümelt, gibt es auch immer wieder Ruhepausen, die von den Designern ebenso treffsicher inszeniert wurden wie das sonst herrschende Ideen-Chaos. Z.B. müsst ihr auf einer Karte bei entspannter Mondschein-Atmosphäre Glühwürmchen zu sanfter Cafè-Musik aufrollen.

Zwei Hände – zwei Sticks

Abgesehen vom Szenario unterscheiden sich Abschnitte wie Vorgarten, Campingplatz oder Rennstrecke kaum. Ziel ist es, die Kugel mal mit und mal ohne Zeitlimit auf eine bestimmte Größe zu bringen.

Playmobil-Alarm: Der naive Zeichenstil reizt die PlayStation 2 zwar nicht aus, fasziniert aber die Fans abgedrehter Optik.
 Das dürft ihr übrigens auch zu zweit erledigen: Spieler Nummer eins übernimmt den linken Stick seines Gamepads, Spieler Nummer zwei den rechten seines eigenen Pads. Dadurch seid ihr so direkt aufeinander angewiesen, dass der Begriff "Koop" eine neue Bedeutung erhält – eine fantastische Idee! Aber ob allein oder zu zweit: Beim Erledigen der Missionen werdet ihr kaum Schwierigkeiten haben, denn We Love Katamari (ab 43,90€ bei kaufen) stellt euch vor keine nennenswerte Herausforderung.

Etwas Anstrengung erfordert lediglich das Beherrschen der Steuerung: Die Analogsticks stehen stellvertretend für eure beiden Hände und wenn ihr sie vor oder zurück bewegt, dreht ihr den Katamari so, als wenn ihr mit der jeweiligen Hand schiebt oder zieht. Auch wenn das träge Drehen des Balls den lockeren Ablauf gelegentlich ins Stocken bringt, funktioniert das intuitive Prinzip hervorragend. Störend wirken sich hingegen Kameraprobleme und Clippingfehler aus, so dass ihr gelegentlich statt des Katamaris nur eine Wand vor Augen habt oder in einer Ecke hängen bleibt. Unschön auch, dass die Übersicht in weitläufigen Abschnitten leidet und ihr den Zielort eventuell nicht vor Ablauf der Zeit findet. Das passiert deshalb, weil ihr erst stehen bleiben und die Sicht wechseln müsst, um euch frei umzuschauen – separates Steuern der Kamera oder Minimap sind leider tabu. Klare Nachteile ergeben sich daraus zwar nicht, es bleiben jedoch kurze Frustmomente.         

Wiederholungsroller

Jeder einzelne Aspekt der Präsentation hat seinen eigenen Charme – sei es das überzogene Melodramatische der Zwischensequenzen, die wunderbar hanebüchenen Sprechblasen-Texte oder die alberne Story. Erinnert ihr euch? Im Vorgänger musstet ihr Katamaris rollen, um diese als Sterne in den Himmel zu schießen. Diesmal startet das Abenteuer ungleich banaler: Die Fans des König vom gesamten Kosmos’ (allesamt mit bescheidenem Intellekt gesegnet) fanden das erste Spiel einfach klasse und wollen deshalb noch mehr Sterne sehen. Punkt. Dass We Love Katamari damit ganz nebenbei eine Breitseite auf den Fortsetzungswahn der Videospiel-Branche feuert, sorgt einmal mehr für ein breites Grinsen.

Weniger erfreulich werden Kenner des Erstlings allerdings registrieren, dass sich Teil zwei bis auf unbedeutende

Hier rollt ihr das Gerümpel im Klassenzimmer auf. Außerdem natürlich die Schüler. Und die Lehrer. Sowie den gesamten Rest des Gebäudes.
Details nicht von Katamari Damacy unterscheidet. Als ähnlich ernüchternd stellt sich heraus, dass sich die Levels schnell wiederholen: Schon nach wenigen Stunden seid ihr damit beschäftigt, erneut in einem bereits gesehenen Gebiet anzurollen. Von diesem Zeitpunkt an macht ihr nur noch sporadisch die Bekanntschaft mit frischen Ideen wie dem Ansammeln von Wolken oder einer Rennstrecke, auf der ihr mit Karacho über die Piste fegt und sämtliche Kontrahenten überrollt. Einziger Trost: Die Katamaris werden beim zweiten und dritten Durchlauf meist größer als zuvor, so dass ihr buchstäblich eine neue Sicht auf das Szenario entwickelt.

Von fliegenden Walen…

Innerhalb der Levels weckt der verrückte Stil Erinnerungen an Playmobil-Zeiten: Kantige Formen und farblicher Einklang beherrschen das Bild und wenn ihr euch Lego-Figuren in Bewegung vorstellt, bekommt ihr einen guten Eindruck von den Animationen. Richtig skurril wird es in der von Keita Takahashi geschaffenen Welt aber erst, wenn apathisch zappelnde Menschen und Tiere am Katamari kleben und ihr fliegende Wale sowie Godzilla oder Dinosaurier aufrollt.

Ob das alles die PS2 ausreizt? Mit Sicherheit nicht. Der Stil ist dafür einzigartig und die Tatsache, dass eure Sicht mit größer werdender Kugel immer weiter in Richtung Stratosphäre rückt, so dass ihr später die ganze Welt einsehen könnt, entschädigt aber für die minimalistische Darstellung. Mich jedenfalls. Denn die Motivation packt längst nicht jeden: Jörg warf das Gamepad nach drei Minuten wieder aus der Hand, Mathias hat es immerhin auf ganze zwei Versuche ankommen lassen. Ihr tut gut daran, vor dem Kauf einen ausführlichen Blick auf We Love Katamari zu werfen!

Das "Tim Burton der Videospiele"

Aber wo liegt jetzt eigentlich der Reiz darin, in einem bewusst hässlichen Menü zu navigieren, schwachsinnige Texte zu lesen und immer wieder von klein auf eine Murmel zum Monsterball zu rollen? Tatsächlich ist es die Faszination am Absurden selbst, denn so sehr die Präsentation viele Spieler abstößt, so witzig empfinde ich die Parodie des Geschmacklosen und gleichzeitige Hommage an einfältige Designverbrechen. We Love Katamari

Einer der Höhepunkte ist die Märchenwelt von Hänsel und Gretel.
ist wie ein guter Tim Burton-Film: Skurril und trotzdem liebenswert. Liebenswert deshalb, weil das Spiel mit seinem naiven Charme Sympathien einheimst. Sei es das verträumte Trällern des Soundtracks, das Sammeln von Mohrrübe und Vollbart für meine Charaktere oder die erfrischende Idee des Aufrollens. Vor allem aber ist es das Letztere, was mich an den Monitor fesselt.

Im Grunde handelt es sich um nichts anderes als eine riesige Zerstörungsorgie mit alternativen Waffen. Statt eines dicken Bosses sorgt hier der Drang, große Kisten abzuschleppen, für Motivationsschübe. Später sind es Fahrräder, Elefanten, Autos, Häuser, Schiffe, Berge, Seeungeheuer – die Sammelwut wird wahrhaftig in höchste Höhen getrieben. Und spätestens, wenn ihr das Pfefferkuchenhaus samt Ofen und Hexe auseinander nehmt, nur um anschließend Hänsel und Gretel aufrollen zu können, wisst ihr eines ganz genau: Entweder liebt ihr Katamari oder ihr hasst es.    

Fazit

Ich glaube, ich bin verliebt! So verspielt und hemmungslos blödelnd habe ich noch kein Spiel erlebt. Dass es die Entwickler geschafft haben, die Mittel des schlechten Geschmacks so gekonnt einzusetzen, dass sie gleichzeitig begeistern und verzaubern können, ist schon eine Meisterleistung. Zusätzlich haben sie es aber vor allem geschafft, meine Freizeit um ein fantastisches Hobby zu bereichern: Städte aufrollen! Schade nur, dass die Fortsetzung nichts anders macht als ihr Vorgänger. Und auch die Tatsache, dass We Love Katamari das Feuer der Begeisterung nach dem genialen Einstieg nie so schüren kann wie in den ersten Minuten, fällt auf. Aber hätten die Entwickler ihre Einfälle geschickter gestreut und Teile des Ideen-Feuerwerks erst später verschossen, hätte ich den Blick wahrscheinlich nie mehr vom Bildschirm lösen können. Und selbst wenn Michael weiterhin versucht, mir den guten Geschmack abzusprechen oder Jörgs Blut in Wallung gerät, sobald die Titelmelodie ertönt: Wie sagt Game Designer Keita Takahashi so treffend? "Im Grunde ist es ein albernes Spiel, das nicht gerade viel Gehirnschmalz fordert. Aber wenn ihr wollt, lacht und singt einfach mit, während ihr rollt, rollt und nochmals rollt. Ich bin mir sicher, dass ihr jede Menge Spaß damit haben werdet." Herr Takahashi, ich kann gar nicht genug davon bekommen!

Pro

einfache Steuerung
"schreckliche" Soundeffekte
brillantes "B-Movie-Cartoon"-Menü
herrlich melodramatische Zwischensequenzen
Texte voll mit idiotisch guten Einfällen
süchtig machendes Wachsen der Kugel
massig durchgeknallte Ideen
witziger Koop-Modus
genießt das Lächerliche!

Kontra

etwas lahme Steuerung
Clipping-Fehler
gelegentliche Kameraprobleme
Level wiederholen sich schnell
keine deutschen Texte

Wertung

PlayStation2

Ebenso durchgeknalltes wie liebenswertes Spiel, das mit einem ungewöhnlichen Prinzip fesselt.

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