Im Test:
Zehn plus eins
Ich zähle mich zu den Leuten, die sich gerne von einer Story gefangen nehmen lassen, solange die Figuren greifbar und die Handlung spannend ist. Meinetwegen können Dutzende Filmszenen den Ablauf unterbrechen, wenn Liebe, Verrat und Mord Emotionen wecken, ist es mir sogar recht, wenn ein Spiel bekannte Versatzstücke zitiert. Advent Rising oder Prey haben das in diesem Jahr geschafft und auch wenn Sega versucht, sich vom gewohnten Action- und
Adventurealltag abzuheben, schlägt es in genau die gleiche Kerbe. Ihr müsst aber die Flut an Filmschnipseln schätzen können, denn sie machen nicht nur viel von Yakuzas Faszination aus, sondern nehmen auch einen Großteil eurer Spielzeit in Anspruch. Gleich die erste Stunde macht das mehr als deutlich, wo ihr nur für wenige Minuten das Gamepad in die Hand nehmt.Das Mädchen will sich auf dem Straßenstrich ein paar Yen verdienen - was ihr auf keinen Fall erlauben könnt.
Was sich wie die Einleitung des Handbuchs liest, ist in Wirklichkeit die komplette Einführung: Vor zehn Jahren (inzwischen sind es elf, denn in Japan erschien das Spiel schon 2005) nahm Kazuma, dem in den Reihen des organisierten Verbrechens eine goldene Zukunft bevorstand, den Mord des Yakuza-Chefs auf seine Kappe und wanderte dafür in den Knast. Nach seiner Rückkehr ist das Viertel, in dem er groß geworden ist, nicht mehr das gleiche: Handys haben die Welt erobert, ein riesiger Wolkenkratzer ragt aus dem Zentrum empor, die Familien der japanischen Mafia wurden durch Verrat um zehn Milliarden Yen betrogen und niemand weißt, warum seine große Liebe Yumi spurlos verschwunden ist. Kazuma selbst wird von den meisten Clans als gefährlicher Außenseiter betrachtet und auch wenn er nach seiner Rückkehr sofort in den Strudel der Gewalt gerät, sind seine Tage als Verbrecher eigentlich gezählt...
Schlägertyp mit Herz
Der Protagonist im weißen Anzug hat ein weiches Herz und geht mit Hirn vor: Er verbündet sich mit einem Polizisten, steht Unschuldigen zur Seite und hilft einem kleinen Mädchen, dessen Mutter irgendwie
mit Yumis Verschwinden zu tun hat. Um ihr Geheimnis zu lüften, müsst ihr durch Tokios meist nächtliche Straßen ziehen, auf denen ihr fiesem Gesindel den Garaus macht. Das Geschehen führt euch zwar nicht durch die komplette Metropole, lässt euch aber in Kazumas Viertel tun und lassen, was euch beliebt. Ihr wollt eure gesamte Kohle im Casino verzocken? Bitte sehr! Ihr schwatzt gern mit Hostessen oder schaut Stripperinnen bei der Arbeit zu? Macht doch! Ihr angelt gern mit einem zweiarmigen Greifer nach Plüschtieren? Ab in den "Club SEGA"! Dort zeigt sich allerdings auch, dass die Welt nicht ganz so offen ist, wie ich es gehofft hatte. Denn mehr als den Plüschtiergreifer könnt ihr nicht benutzten. SEGA-Klassiker aus vergangenen Jahren dürfen Gangster z.B. nicht zocken.Auch wenn sich noch so viele Menschen prügeln: Den Kämpfen fehlt eine eigene Dynamik.
Die Interaktion beschränkt sich darauf, Geld an einarmigen Banditen oder durch Wetten beim Roulette zu machen. Den Zaster steckt ihr anschließend in Supermärkten, Apotheken sowie Fast-Food-Läden in heilende Nahrung, Medizin sowie Hundefutter Erinnert ihr euch an das Mädchen? Die Kleine will einem Hund auf die Beine helfen, den ihr vor einer Band Halbstarker gerettet habt. Bei seltenen Dealern deckt ihr euch außerdem mit schützender Kleidung und Waffen ein.
Keine Macht dem Alkohol!
Doch die Schwerter, Pistolen oder Handgranaten halten nur wenige Schläge bzw. Schüsse, so dass ihr meist eure Fäuste sprechen lasst. Und das werdet ihr sehr oft tun, da es in Tokio vor befeindeten Familien sowie Straßenräubern nur so wimmelt. Ihr kommt kaum zweihundert Meter weit, ohne dass euch ein Fiesling ans Leder will. Habt ihr auf das Handgemenge keine Lust, könnt ihr zwar davonlaufen, weil die Streitsuchenden euch nach Umschalten der Perspektive nicht weiter folgen. Meist erwischen sie euch allerdings und der Kampf beginnt, nachdem sie einen protzigen Spruch zum Besten gegeben haben. Diese wiederholen sich zum Glück nur selten, was die Angreifer zu halbwegs glaubwürdigen Figuren macht. Trotzdem wird schnell deutlich, dass die zufälligen Prügeleien das Spiel strecken sollen.
Sie zerstören fast die Illusion einer echten Welt und geben Yakuza den Anstrich eines geradlinigen Prüglers mit ausgeweideter Handlung, in der ihr von einem Filmschnipsel zum nächsten lauft. Witzig ist die Idee, dass Kazuma im angetrunkenen Zustand mehr Aufmerksamkeit auf sich zieht als nüchtern. Das wurde mir klar, als ich so nett war, einen Penner mit Sake zu versorgen. Ich konnte sein Angebot zum Mittrinken doch nicht einfach ausschlagen! In den nächsten Minuten wurde ich allerdings häufiger belangt als vorher.Kazuma kehrt aus dem Gefängnis zurück und steckt sofort in einem Strudel aus Gewalt und Verrat.
Dass euch nur einzelne Widersacher gegenüber stehen, ist freilich selten; meist fällt gleich eine ganze Bande über Kazuma her. Wer sich mit euch anlegt, ist dabei fast egal, denn die Bösewichter unterscheiden sich kaum. Nur Zwischengegner existieren als eigenständige Figuren und treten härter zu als ihre Handlanger. Abgesehen davon tragen sie oft Waffen, beherrschen das Ausweichen und überraschen mit eigenen Angriffen. Der Rest des Feldes schlägt sich leider mäßig prächtig: rumstehen, hin und wieder zuhauen, sich verprügeln lassen - Ende der Ideenvielfalt. Wen Yakuza vor allem wegen der Action interessiert, der wird enttäuscht sein. The Warriors bot intelligentere Gegner, bessere Kontrolle und dank des Zusammenspiels mit euren Gangmitgliedern einen abwechslungsreicheren Ablauf
Interessant ist dafür, dass euch Yakuza den einfachen Schwierigkeitsgrad anbietet, wenn ihr eine Hand voll Kämpfe am Stück verliert. Das ist mir allerdings nur zu Beginn einmal passiert, danach hatte selbst ich den Dreh raus - obwohl ich nie gut im Prügelspielen war. Die Idee ist trotzdem klasse: Wer Probleme hat, darf auf "einfach" schalten, alle anderen werden nicht mit unnötiger Optionsvielfalt verwirrt. Eine Ecke schwieriger hätte die Action allerdings sein können.
"Fight Club" auf Japanisch
Was die Schlägereien auszeichnet und mich schon auf der E3 begeistert hat ist ihre brutale Bodenständigkeit: Ihr dürft zwar mit Fahrrädern, Stühlen oder Bierkisten auf eure Feinde einschlagen und gebt ihnen mit imposanten Kombos oder Finishern den Rest, doch Yakuza zeigt nie Szenen, die unglaubwürdig wirken - die Kämpfe machen "Fight Club" zum Spiel, obwohl sie verhältnismäßig unblutig verlaufen. Vielleicht ebenso realistisch, aber leider Spaß bremsend funktioniert die Steuerung, denn Kazuma dreht sich im Schneckentempo um. Dadurch schlagt
ihr immer wieder in die falsche Richtung oder kehrt den Gegnern beim Blocken den Rücken zu. Nur deshalb und weil euch sehr viele Gangster umringen, sind die Prügeleien eine Herausforderung. Es nervt einfach, wenn ihr schon eine komplette Kombo in die Tasten gehackt habt und zuseht, wie sie euer Alter Ego am Feind vorbei drischt. Dass er anschließend einen Tritt in den Rücken bekommt, ist da nur das Tüpfelchen auf dem i. So richtig machen die Schlägereien erst Spaß, nachdem ihr Kazumas Fähigkeiten aufgewertet und ein paar coole Techniken dazugelernt habt. Der Kick nach hinten ist spitze!Was weiß die kleine Haruka über die verschwundenen zehn Millionen Yen und Yumis Verschwinden?
Mit dem Einlösen von Erfahrungspunkten erhöht ihr entweder euren Gesundheitszustand, lernt neue Schläge oder haltet die gefüllte Heat-Anzeige länger aufrecht. Ach richtig, der Heat-Modus: Nach Treffern füllt sich die Anzeige und so lange sie voll ist, haut ihr stärker zu. Außerdem könnt ihr dann Spezialtechniken ausführen, mit denen ihr eure Widersacher packt und gegen eine Wand knallt oder sie mit Schlägen übersäht, während sie am Boden liegen. Das wird in vorgefertigten Einstellungen gezeigt - was auch nötig ist, denn in Eigenregie erhaltet ihr kaum klare Bilder. Im Klartext heißt das, ihr könnt die Kamera nur per Knopfdruck einmal auf den Gegner fixieren. Ansonsten tut sie, was sie will und lässt sich nicht über den rechten Analogstick drehen. Das verdirbt mitunter die martialische Laune, denn wer schaut schon gern in die entgegengesetzte Richtung, wenn ihm drei Männer in den Rücken fallen?
Quatschen und Flirten
Erkundet ihr die Stadt, stört das nicht, denn in den Straßen herrscht mehr Übersicht und ihr nutzt den rechten Stick, um auf der Minikarte euer Ziel zu suchen. Und das ist wiederum eine klasse Idee! Am Anfang werdet ihr davon häufig Gebrauch machen, denn obwohl Yakuza nur in einem Viertel Tokios spielt, ist der Schauplatz groß genug, um bei den ersten Schritten die Orientierung zu verlieren. Erst wenn ihr ein paar Mal Einkaufen wart oder alle Hostbars besucht habt, findet ihr euch ohne Hilfe zurecht. Hostbars? Ich vermute, ihr spitzt gerade eure Ohren. Tatsächlich: Wer statt schnöde Strip-Clubs zu besuchen lieber mit Hostessen plaudert, darf das
jederzeit tun. Tagsüber sind die Bars geschlossen, aber ihr seid ohnehin meist in der Dunkelheit unterwegs. Schließlich kommen die in Neonlicht getauchten Straßenzüge dann richtig zur Geltung!Alles, was auf der Straße steht oder liegt, könnt ihr als Waffe nutzen - jedenfalls für kurze Zeit.
Bevor ihr euch zum Plausch mit einem Mädel eurer Wahl trefft, solltet ihr euch ein paar Tipps holen, die einige Passanten auf Lager haben: Erina freut sich z.B. über Geschenke wie teures Parfüm oder Markenartikel, Reika kann mit schüchternen Männern nichts anfangen und Hiromi mag es gar nicht, wenn ihr Kunden teure Drinks ordern. Warum das von Bedeutung ist? Weil ihr es euch beim Besuch einer Hostbar auf dem Sofa gemütlich macht, etwas zum Trinken oder Essen bestellt, Geschenke machen könnt und euch in Ruhe unterhaltet. Dabei kommt es darauf an, aus drei Antworten die zu wählen, welche eurer Partnerin am meisten zusagt. Je mehr ihr die Mädchen damit beeindruckt, desto mehr gewinnt ihr ihre Zuneigung - was ihr in den kommenden Nächten fortsetzen könnt. Das führt jedoch nicht dazu, dass sich Kazuma eine Freundin anlacht oder gar Sex hat, wie es in Fahrenheit der Fall war. Die Hostessen schicken euch nach jedem Besuch lediglich eine SMS. Kostprobe gefällig? "Hi du! Hier ist Chisa vom Jewel. Bin immer so müde um diese Zeit. Ich habe grad meinen Finger geklemmt, als ich versuchte ne CD in den CD-Spieler zu legen! Aua!" Meist folgen Smilies, die ich in meinem Leben noch nicht gesehen habe. Köstlich!
Seltene Höhepunkte
Außerhalb der Bars führen Unterhaltungen mit mehreren Antworten-Möglichkeiten leider stets zum gleichen Ergebnis - vom Annehmen oder Ablehnen eines Bonusauftrags ("Finde mein verlorenes Manuskript", "Verprügle die Typen, die mich bestohlen haben") einmal abgesehen. Dabei hatte ich mir große Hoffnungen auf ein lebendiges Stadtleben gemacht, nachdem ich eine Frau vor ihrem Verfolger schützen durfte oder es lassen konnte. Natürlich habe ich die Dame verteidigt, bin mit ihr Trinken gegangen (auch das hätte ich nicht tun müssen), habe ein zweites Glas bestellt - und wurde im betrunkenen Zustand vom Barkeeper ausgeraubt. Blöd gelaufen, denn ich hatte den Braten gerochen und ein drittes Mal wollte ich nicht ansetzen. Trotzdem war die Szene klasse, aber leider eine der seltenen mit beeinflussbarem Ausgang. Ach ja: Mein Geld habe ich anschließend aus dem Wirt wieder heraus geprügelt.
Der wollte mir doch glatt Kohle anbieten, um die Sache unter den Tisch zu kehren. Weil ich sein Angebot abgelehnt hatte, schob er mir stattdessen eine heiße Information zu... Verdammt Sega, ich will mehr davon! Warum verstecken sich solche Szenen nicht an allen Ecken und Enden?Zwei mal gibt es Club SEGA in eurem Viertel. Videospiele dürft ihr aber in keinem der beiden zocken.
So bleiben lediglich die mäßigen, wenn auch intensiven Schlägereien, das trotz offener Wunschliste tolle Wandeln durch Tokio sowie ein erstklassiges Kinoerlebnis aus den Zwischensequenzen. Denn die sorgen dank unscharfer Objekten abseits vom Fokus der Kamera, einiger großartigen Kamerafahrten, glaubwürdiger Akteuren sowie Sprachausgabe aus Hollywood für ein professionelles Leinwandepos, in dem lediglich der häufige Ladebildschirm stört. Es ist nur schade, dass es wieder einmal keine vollständig eingedeutschte Fassung gibt. Falls ihr kein Englisch versteht, bleiben euch damit nur lokalisierte Untertitel, die allerdings viele Dialoge zu lapidar ins Deutsche übersetzen: Statt hartem Mafia-Slang wird den Figuren oft lässige Jugendsprache untergeschoben. Dass ich den Soundtrack nur zum Schluss erwähne, liegt übrigens daran, dass viele Szenen ohne akustische Untermalung auskommen. Meist werden einfach die Beats der Disko oder des Cafès gespielt, in dem die Szene spielt. Immerhin ist von Rock über Jazz bis Techno alles dabei und passt perfekt zum jeweiligen Schauplatz. Zwar trumpfen japanische Leinwand-Streifen selten mit einer einprägsamen Titelmelodie oder viel Musik auf, dem emotionalen Zusammenhalt hätten ein paar mehr der in einigen Sequenzen erstklassigen Melodien jedoch gut getan.
Fazit
Eine Frage konnte ich mir während der gesamten Zeit, die ich im Yakuza-Viertel von Tokio verbracht habe, nicht beantworten: Was hat das japanische Vorzeigemagazin Famitsu in dem Spiel gesehen, dass die Redakteure insgesamt 37 von 40 Punkten vergeben haben? Die Schlägereien können es nicht sein, denn Kazuma bewegt sich zu zäh und ungenau, als dass sie begeistern könnten. Erst später, wenn der Protagonist zusätzliche Techniken erlernt, kann man die mangelnde Kontrolle mit coolen Moves ausgleichen. Trotzdem bleiben die zufälligen Auseinandersetzungen nervig - weniger wäre mehr gewesen. Ebenso wenig kann mich das Erkunden der Stadt vollends begeistern; dazu fehlen trotz der Plauderei mit Hostessen die Freiheiten, die zwei Shenmue-Episoden schon vor Jahren boten. Einen Job annehmen, Videospiele zocken, kleine Figuren sammeln - all das gibt's nicht. Es ist auch schade, dass die Entwickler nicht noch mehr Situationen erdacht haben, in denen eure Entscheidungen zu unterschiedlichen Ergebnissen führen. Dort, wo es funktioniert, erweitert es den Horizont der Welt enorm. Durch die führt euch immerhin ein straffer roter Faden: Schöne Filmsequenzen, ein packendes Drama mit vielen geliebten Klischees und überraschenden Wendungen sowie das Neonlicht am nächtlichen Schauplatz laden immer wieder zum Erkunden ein. Mit mehr Handlungsmöglichkeiten, einer komfortablen Steuerung sowie weniger Zufallskämpfen wäre Yakuza vielleicht sogar grandios. Acht, Neun und Drei: Legt man die Karten einzeln auf den Tisch, haben die Entwickler kein starkes Blatt auf der Hand. Das Zusammenspiel von offener Stadt, intensiven Prügeleien und spannender Handlung atmet zwar die Luft eines großen Epos', doch anders als die echten Yakuza, kann Sega das Blatt nie endgültig wenden. Selbst die tolle Inszenierung macht aus ihrem Titel kein Meisterwerk. Gut unterhalten hat es mich trotzdem.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation2
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