Heavy Rain17.11.2010, Benjamin Schmädig
Heavy Rain

Special: Grandiose Traurigkeit

»Heavy Rain (ab 6,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen)« - schwere Kost fürs Gemüt. Denn wenn das Spiel im Mikrokosmos der Traurigkeit versinkt, erzählt es nicht nur die Geschichte eines Verlusts: Man erfährt das tragische Schicksal am eigenen Leib. Und weil Emotionen vorrangig über Musik transportiert werden, brauchte Spielregisseur David Cage einen besonderen Soundtrack. In Normand Corbeil fand er einen besonderen Komponisten.

Das schwere echte Leben

Traurigkeit ist auch den Videospielen keine Unbekannte - »Shadow of the Colossus« schwelgte ebenso in Melancholie wie es »Final Fantasy« gerne tut. Echte und anhaltende Schwermut war allerdings ein Novum, als »Heavy Rain« erschien. Denn wo andere Spiele das Tor zu einer wehmütigen Fantasie aufstoßen, geht es hier um Schicksalsschläge, die tatsächlich passieren könnten. Wie soll ein Komponist so fundamentale Gefühle widerspiegeln?

Allzu weit entfernt sich Regisseur David Cage dabei nicht von seiner vorangegangenen Arbeit. Obwohl Angelo Badalamenti nämlich die Musik zu »Fahrenheit« komponierte: Orchestriert und arrangiert wurde sie von Normand Corbeil. Der Kanadier untermalt dabei ähnlich wie Badalamenti vor allem Filme - »The Art of War«, »Hitler« sowie

»Emotional Arithmetic« gehören in sein Portfolio. Allzu groß ist Corbeils thematische Bandbreite dabei nicht; fast immer kreisen schwere Streicher wie Boten des Unheils über seinen Werken.

Der unvergessliche Mars

»Heavy Rain« ist keine Ausnahme: Violinen und Bässe dominieren sogar fast jedes Stück mit ihren tiefdunklen Klangfarben. Eigentlich schade, denn nachdem Corbeil die Bandbreite seiner Themen in den letzten Jahren behutsam ausbauen konnte, deutet das einen Stillstand in der Entwicklung des Künstlers an. Noch dazu wird ausgerechnet das tragende Thema - die Melodie des zentralen Charakters Ethan Mars - nicht nur Corbeil-Kennern, sondern vor allem Michael Nyman-Hörern vertraut vorkommen. Tatsächlich folgen wichtige Teile des Mars-Themas sehr genau einer Melodieführung aus »Gattaca« (»The One Moment«). Das ist umso ärgerlicher, weil Ethans Thema zu den bisher eindrucksvollsten Themen des Komponisten gehört. Der schmerzhafte Verlust, den der Protagonist zu Beginn erlebt, steckt in jeder Note schon des ersten Stückes. So lässt der Soundtrack von Beginn an keinen Zweifel an der Ausweglosigkeit, mit der er im finalen Titel enden wird. Dann nämlich wird die schwere Melodie auf leisen, schnellen Klavierflügeln zu fliehen versuchen - von unheimlichen, geisterhaften Violinen umschlossen - und sich schließlich in ihr Schicksal ergeben. Die letzten Anschläge des Klaviers tun weh. Der Soundtrack verstummt und lässt Tränen zurück. Bravo!

Corbeil kann etwas, das die meisten Spielekomponisten noch lernen müssen: Er entwickelt seine Themen. Er spielt Melodien nicht nur zweimal, dreimal, viermal im gleichen Tonfall, sondern baut mit ihnen unterschiedliche Stimmungen auf. Gerade die Mars-Stücke (auch »Painful Memories« und »Redemption« zählen dazu) leben von dieser Variation. Jedes einzelne erzählt sowohl in sich selbst als auch in Beziehung zu den anderen eine Geschichte.

Wer ist Scott Shelby?

Umso erstaunlicher, dass die andern vier an Figuren gebundenen Themen geradezu charakterlos wirken. Als Abriss über seine handwerklichen Fähigkeiten - Corbeil hat sich als depressive Weiterführung einiger Soundtracks von Thomas Newman oder Phillip Glass etabliert - zeigen sie, wie erdrückend der Kanadier Emotionen einfangen kann. Weil die Themen nach Ethan Mars allerdings wenig markanten Melodien folgen, verblassen die restlichen Protagonisten zu sehr.

Ausführliche Hörproben des Soundtracks gibt es übrigens auf der offiziellen Webseite des kanadischen Komponisten.

Zwar spielt Ethans Thema fast unscheinbar in Madisons »Main Theme« hinein und Detektiv Shelby zieht mit einem schleppenden Blues durchs Ohr - ein musikalisches Eigenleben verpasst ihnen der Komponist aber nicht.

Ganz drastisch fällt die Musik sogar im Spannungsaufbau ab. Denn es mag ein probates Stilmittel sein, das Orchester bedrohlich anschwellen zu lassen. Als immer wiederkehrendes Element erschöpft sich seine Wirkung allerdings schnell. Zumal Corbeil kaum über Melodien Spannung erzeugt, sondern zum großen Teil durch Lautstärke. Hier und da greift er zudem auf Percussion zurück wie sie Synthesizer-Komponisten gerne nutzen - das Trommeln steht hier nicht zum ersten Mal im Widerspruch zu seinen klassischen Streichern. Richtig enttäuschend ist dabei die Ähnlichkeit der vielen Actionthemen in der zweiten Hälfte: Mehr noch als die Charakterstücke zu Beginn gleichen sich die Titel so sehr, dass man sie kaum auseinander halten kann. Ob das zentnerschwere »The Bulldozer« oder das rasante »The Chase«: Corbeil hätte den zweiten Teil erschreckend verlustfrei in ein großes Medley packen können.

»Heavy Rain« ist eine wichtige Bereicherung für die Spielmusik! Es liegt nicht nur daran, dass Norman Corbeil im Thema des Protagonisten eine psychologische Tiefe vertont, die der digitalen Welt bisher fremd war. Es liegt auch daran, dass er dies mit einer handwerklichen Klasse tut, von der die meisten Spielmusikkomponisten träumen dürften. So spielen die Instrumente seines Orchesters nicht nur geschlossen die gleiche Melodie, sondern gestalten sie mit unterschiedlichen Klangfarben aus. Corbeil variiert, anstatt sich in der Wiederholung selbst zu zitieren - das zentrale Thema unterstreicht dies mit einer selten erlebten emotionalen Kraft. Das Thema ist aber auch der Scheitelpunkt des Soundtracks, denn es ist nicht neu. Ob der Komponist mit Absicht oder aus Versehen aus »Gattaca« rezitiert: Ein dominanter Wiedererkennungswert hinterlässt immer einen bitteren Beigeschmack. Die zahlreichen Actionthemen sind zudem von einförmigen Wiederholungen mit einem immer gleichen Spannungsaufbau geprägt und auch den Charakteren neben Ethan Mars gesteht Corbeil wenig Eigenleben zu. Schade! So sehr der Kanadier beweist, wie viele erstklassig vertonte Emotionen sich Videospiele noch von anderen Medien abschauen können - so sehr muss man »Heavy Rain« deshalb vorwerfen, dass die Musik eine mögliche erzählerische Tiefe trotz ihrer Klasse nur teilweise auslotet.

Einschätzung: gut

 
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