BlazBlue: Calamity Trigger16.10.2009, Paul Kautz
BlazBlue: Calamity Trigger

Im Test:

Beat-em-Ups sind im Vergleich zu Shootern oder Rennspielen ein Nischending - und 2D-Prügler sowieso! Trotzdem gibt es sie heutzutage noch genauso wie vor 20 Jahren, bewacht von einer Gruppe eisenharter Fans, die Serien wie Street Fighter, Marvel vs. Capcom oder Guilty Gear am Leben erhält. BlazBlue: Calamity Trigger (ab 2,46€ bei kaufen) dürfte dafür sorgen, dass dieser Überlebensinstinkt noch einige Jahre anhält.

Zwölf Freaks sollt ihr sein!

Prügelspiele sind nicht gerade Musterbeispiele, was das Erzählen von  fesselnden Geschichten angeht. Im Gegenteil, meist läuft es auf eine Variante von »Du hast meinen Vater/Meister/Bruder/Hund umgebracht, bittere Rache schwöre ich dir, graraaaaar!!« hinaus. BlazBlue: Calamity Trigger (BB) gibt sich da schon etwas mehr Mühe,

Video: BlazBlue liefert ein tiefgründiges, herausforderndes Kampfsystem - und verpackt es in handwerklich meisterhafte 2D-Grafik vor 3D-Hintergründen!wird doch eine Sage um eine mysteriöse Waffe erzählt, die einst das Böse aus der Welt vertrieb, aber ihrerseits für neue Scharmützel sorgte. Denn sie erweckte einen Kämpfer namens Ragna the Bloodedge, der sich zum Feind der neuen freien Welt machte und auf den nun ein beachtliches Kopfgeld ausgesetzt wurde - zwölf Kämpfer treten vor, um ihn zur Strecke zu bringen, jeder einzelne davon aus völlig unterschiedlichen Gründen. Die Vorgeschichte wird in Form eines solide animierten Anime-Films zusammengefasst, während die Fortführung der einzelnen Charaktere in Standbildern und gesprochenem Text erfolgt - entweder auf Englisch oder im japanischen Original.

Zwölf Fighter? Pfff, das ist ja nix, höre ich da Fans von Tekken, Soul Calibur, Street Fighter oder Marvel vs. Capcom hohnlachen! Andere Spiele bieten locker vier Mal so viele Kloppfreunde! Stimmt schon, und in den meisten Fällen geht das auch gut, da die Figuren über die Jahre in Design und Balance gereift sind. Für ein komplett neues Spiel (und das ist BlazBlue nun mal, auch wenn die Ähnlichkeiten zum ebenfalls von Arc System Works entwickelten Guilty Gear nicht von der Hand zu weisen sind) ist es aber sinnvoller, sich auf weniger Figuren zu beschränken und die lieber perfekt aufeinander abzustimmen als mit einer möglichst großen Zahl zu protzen. Was auch so schon eine herkuleske Aufgabe ist, denn das Dutzend könnte unterschiedlicher kaum sein: Da gibt es eine frontlastige Ärztin, die einen langen Stock schwingt, ein Katzenmädchen mit gigantischen Pfoten, einen fast Bildschirm füllenden Rothaut-Riesen, einen weiblichen Androiden oder einen blubbernden Schleimhaufen, der sich in verschiedene Angriffsformen verwandeln kann. Bereits Guilty Gear hatte einige der verrücktesten Figuren der Prügel-Historie - diese Designfreude wird hier nochmal locker getoppt: ideenreich, einzigartig und abgefahren!

Die Notizbücher gezückt, es wird gelernt!

Es ist nicht nur das Design der Kämpfer, das BB so aus der Masse der Prügler herausstechen lässt, es ist auch das Kampfsystem. Grundsätzlich ähnelt es Guilty Gear, spielt sich aber etwas zackiger - und ist weitaus anspruchsvoller als z.B. in Street Fighter. Es geht damit los, dass jede Figur (bis auf eine) mehrfach spurten (dashen) und mehrfach in der Luft springen kann,

Das Figurendesign reicht von »Anime-typisch verrückt« bist »Was zum Henker?«
wobei sich beides miteinander kombinieren lässt, was den Gefechten die erste Extra-Rasanz verleiht. Jeder Kämpfer hat schwache, normale und starke Angriffe, die sich hierarchisch miteinander kombinieren lassen. Was unter Profis dazu führt, dass ein Treffer reicht, um den Kampf zu entscheiden - wenn ein Nicht-Checker erstmal in der tödlichen Juggle-Kombo landet, gibt es kaum eine Möglichkeit, da wieder raus zu kommen. Falls man selbst eine Kombo ansetzt und mittendrin feststellt, dass sie doch nicht das Wahre ist, gibt es (wie in Street Fighter 4) auch Cancel-Moves, die zwar Spezialenergie kosten, aber den Gegner ordentlich verwirren können. Neben den Kombos warten auch Spezialangriffe, die Einsteiger übrigens auch über einen einfachen Druck auf den rechten Analogstick auslösen können, um sich das Leben etwas leichter zu machen.

Neu sind die »Drives«: Das sind individuelle Super-Spezialangriffe, die Energie kosten, aber auch das Kampfgeschehen in Sekundenbruchteilen wenden können. Ragnas Drive gibt ihm die Möglichkeit, mit jedem gelandeten Treffer etwas Lebensenergie zurück zu gewinnen. Jin friert seinen Gegner kurzzeitig ein, Rachel nutzt den Wind, um Gegner sowie deren Geschosse auf Distanz zu halten. Ihre Beherrschung ist ein ebenso essentieller Schritt zum Sieg wie das Wissen um die verschiedenen Formen der Verteidigung, die auf dem Guilty Gear-System aufbauen: Natürlich kann man ganz normal blocken, aber wer der Meinung ist, sich hinter sseiner Defensive verstecken zu können, hat sich geschnitten - nach ein paar Treffern bröckelt die Verteidigung und muss neu aufgebaut werden.       

Die für ein Prügelspiel überraschend gehaltvolle Story wird in Standbildern und viel Text weitererzählt, wobei letzterer entweder auf Englisch oder Japanisch vorgetragen wird.
 Taktische Naturen nutzen Konterattacken aus der Deckung heraus, oder verstecken sich hinter einem »Barrier Block«, der etwas mehr Widerstand leistet, aber auch nicht undurchdringlich ist und vor allem mehr Block-Energie kostet. Der »Barrier Burst« ist schließlich der verzweifelte Griff nach dem letzten Strohhalm, wenn alle Stricke reißen: Per Druck auf alle vier Digi-Buttons entlädt man eine Energiewelle, die den Angreifer zurückwirft - man ist danach aber sehr verletzlich. Eine ausgewogene Mischung aus Defensive und Offensive ist also der Schlüssel zum Sieg, und all die verschiedenen Techniken dienen einem weitaus höheren Zweck als einfach nur das Handbuch dick zu machen. Wer nicht wenigstens die Basics beherrscht, braucht nicht mal einen Gedanken an ein Online-Match zu verschwenden - selbst der Kampf gegen die KI auf dem niedrigsten der sechs Schwierigkeitsgrade wird ohne gründliche Vorbereitung (hallo Trainingsmodus) zur Qual!

Schreit es in die Welt hinaus!

Für Solisten hat BB einiges zu bieten. Neben dem Arcade-Modus ist vor allem die Kampagne interessant, die einen durchaus ordentlichen, gelegentlich sogar recht unterhaltsamen Plot für die Kämpfer erzählt. Aber wie in jedem Fighter zählt natürlich in erster Linie der Mehrspielermodus: Entweder geht es lokal mano-a-mano oder man wirft sich in die funkelnde Online-Welt des Beat-em-Ups. Und hier hat Arc System Works hervorragende Arbeit geleistet, denn der Netzcode ist fabelhaft: Selbst gegen Fighter aus Japan gibt es keinen spürbaren Lag, der sich negativ auf den Spielverlauf auswirken würde - wenn man im Hinterkopf behält, wie furchtbar unspielbar z.B. Tekken 5: Dark Resurrection Online heute noch auf PS3 ist, erscheint dieses Fast-wie-lokal-Erlebnis als Wunder der Technik! Zusätzliche gute Ideen verbessern die Online-Gefechte: Kämpfe können aufgezeichnet, als Replays gespeichert und mit der Welt geteilt werden - umgekehrt kann man sich auch jene anderer Spieler runterladen und daraus lernen. Ein nettes Detail ist auch, dass für den Gegner bis Kampfbeginn nicht sichtbar ist, welchen Fighter man nimmt - so wird vermieden, dass Balance-Probleme ausgenutzt werden. Keine Bange, das Kämpfer-Dutzend ist im Großen und Ganzen hervorragend aufeinander abgestimmt, übermächtig wirkt keiner. Dennoch sind gerade online ein paar Tendenzen feststellbar: Rachel und V-13 sieht man öfter als andere Figuren. Außerdem wirkt das automatische Matchmaking gelegentlich etwas fehlgeleitet - meist kämpft man gegen etwa gleich starke Gegner, hin und wieder wird man allerdings in einen Pott mit Widersachern gesteckt, die im »Player Ranking« viele, viele Levels über einem stehen - sowas geht natürlich nur selten gut.

Auf dem Bildschirm ist die ganze Zeit über wahnsinnig viel los - teilweise kratzt das Gezeigte hart an der Grenze zur Unübersichtlichkeit.
Wir schreiben das Jahr 2009, die Technik der 3D-Darstellung ist mittlerweile auf einem Niveau angekommen, bei dem man hin und wieder von »Fotorealismus« sprechen kann. Davon ist BlazBlue entfernt, weit entfernt - und zwar absichtlich: Während Tekken 6 und Soul Calibur 4 im Großen und Ganzen auf realistische Darstellung setzen und Street Fighter 4 einen prachtvollen, einzigartigen Comicstil pflegt, bleibt Arc System Works seiner Guilty Gear-Tradition treu und liefert handgezeichnete 2D-Grafik für die Kämpfer. Klingt altertümlich, ist vielleicht auch altertümlich, aber das Resultat ist einfach atemberaubend! Teilweise riesige, farbenfrohe, irre detailreich gezeichnete, in voller HD-Auflösung präsentierte Figuren bewegen sich beeindruckend weich durch die ideenreich designten Levels, die wiederum auf Polygongrafik setzen. Dazu wabern und krachen massig Effekte durch das Bild, Special Moves und Drives tauchen den ganzen Bildschirm in ein derartiges Feuerwerk, dass hart an der Grenze zur Unübersichtlichkeit gekratzt wird - ja, auch optisch ist BlazBlue etwas ganz Besonderes, das Gewöhnung bedarf. Akustisch warten ebenfalls einige Überraschungen, wenn auch vielleicht nicht für Guilty Gear-Kenner - der rockige Soundtrack geht gewohnt gut ins Ohr, der limitierten Startedition des Spiels lag sogar eine Soundtrack-CD bei. Dazu gibt es wahlweise englische oder japanische Sprachausgabe, die gelegentlich etwas zu viel des Guten wird: Jeder Spezialangriff, jede Deckung, jeder Drive wird lauthals kommentiert. Die Soundeffekte tragen ihren Teil zur krachenden Konfusion bei, hinterlassen allerding auch ganz weltliche Fragezeichen - erklingen sie doch in schnödem Stereo (bzw. Dolby Surround) statt in zeitgemäßem Dolby Digital.    

Fazit

BlazBlue: Calamity Trigger ist wie ein Buch von Ayn Rand: Schrecklich anspruchsvoll, in jeder Hinsicht eine harte Nuss, definitiv nichts für Jedermann - aber das Durchbeißen lohnt sich, denn wenn man den anfänglichen Overkill übersteht, brennt sich das Erlebnis für sehr lange Zeit im Gedächtnis ein. Hier legt man nicht einfach so los, selbst auf dem niedrigsten Schwierigkeitsgrad sind die Gegner fordernd und verlangen sowohl Disziplin am Stick (das Pad ist wie so oft bestenfalls zweite Wahl) als auch den Willen, sich durch das vielschichtige Kampfsystem durchzuwühlen - die benötigte Einarbeitungszeit ist hier weitaus höher als bei vergleichbaren Kloppern; Neulinge dürften heillos überfordert und beim wesentlich zugänglicheren Street Fighter 4 oder dem hierzulande ebenfalls noch nicht offiziell erhältlichen Battle Fantasia weitaus besser aufgehoben sein. Aber dann würde ihnen ein einzigartiges Spielerlebnis entgehen, das sich bemerkenswert deutlich von dem bekannten »Viertelkreis nach vorn + Schlag«-Schema abhebt: Das Kampf- und Deckungssystem bietet eine beeindruckende Tiefe, die gerade mal zwölf Fighter unterscheiden sich deutlich voneinander, der Online-Modus ist in jeder Beziehung beispielhaft - und die hochauflösenden, grandios animierten 2D-Fighter sind eine Meisterklasse für sich! Konsultiert den Importhändler eures Vertrauens (oder hofft darauf, dass das Spiel nächstes Jahr wirklich auch bei uns erscheint) und gebt dem Spiel eine Chance, auch wenn es euch in den ersten paar Stunden das Gefühl geben wird, dass ihr nix draufhabt - unter dieser bissigen Hülle wartet ein in vielerlei Hinsicht außergewöhnliches Beat-em-Up-Erlebnis!

Pro

<P>
herausforderndes, einzigartiges Kampfsystem
phantastische Grafik
kreatives Charakterdesign
sehr abwechslungsreiches Kämpferfeld
umfangreiche Spielmodi
exzellenter, lagfreier Mehrspielermodus</P>

Kontra

<P>
für Einsteiger völlig ungeeignet
gewöhnungsbedürftiger Grafikstil
unzuverlässiges Matchmaking</P>

Wertung

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Kommentare

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