Agarest: Generations of War26.11.2009, Jens Bischoff
Agarest: Generations of War

Im Test:

Wer auf klassische Taktikrollenspiele à la Final Fantasy Tactics , Disgaea , Vandal Hearts & Co steht, dürfte bereits ein Auge auf Agarest geworfen haben. In Japan ist der Titel bereits vor zwei Jahren erschienen. Hierzulande ist der epische Feldzug über fünf Kontinente und Generationen erst vor Kurzem gestartet. Ein Anime-Krieg zum Verlieben?

Vorbelasteter Nachwuchs

Liebe spielt in Agarest eine wichtige Rolle, schließlich muss der Spieler über mehrere Generationen hinweg seine Herzdame finden und mit ihr ein Kind zeugen, das das schwere Erbe seines Vaters fortführen muss. Urvater Leonhardt hat vor dem Hintergrund eines aus den Fugen geratenen Machtstreits der Götter nämlich geschworen, sein Leben und das seiner Kinder zur Wiederherstellung des göttlichen Gleichgewichts zu opfern.

So läuten am Ende jedes Kapitel die Hochzeitsglocken und ein neuer Held macht sich auf, das Werk seines Vaters fortzuführen. Aussehen und Attribute des neu geborenen Helden, die man per Horoskop vorzeitig einsehen kann, richten sich dabei nach den leiblichen Eltern.

Video: Der Trailer zeigt das team- und kombo-lastige Rundenkampf-System in Aktion.Wer die Mutter eures Kindes wird, legt man durch Gespräche und andere Entscheidungen während des aktuellen Feldzuges fest. Wer mehrere potentielle Gemahlinnen betören kann, darf am Ende sogar frei wählen.

Offener Spielverlauf

Doch nicht nur bei der Fortpflanzung darf man mit entscheiden, auch der Verlauf der Geschichte lässt sich immer wieder in gewissen Bahnen beeinflussen. Je nachdem wie man sich in bestimmten Situationen verhält, nimmt man Einfluss auf seinen zukünftigen Weg, besucht andere Orte, knüpft unterschiedliche Beziehungen. Nimmt man sich Zeit für die Interessen und Vorschläge seiner Begleiter oder konzentriert man sich voll und ganz auf seine eigenen Ziele? Greift man eine feindliche Stellung direkt an oder versucht man ihnen in den Rücken zu fallen? Eilt man jemandem geradewegs zur Hilfe oder nimmt man einen Umweg in Kauf, um unnötige Kämpfe zu vermeiden? Die Entscheidung liegt oft bei euch und beeinflusst nicht nur den Verlauf der Kampagne, sondern auch eure moralische Gesinnung und Beliebtheit unter den Gefährten, die oft recht unterschiedliche Ansichten haben.

Dadurch ergibt sich ein sehr individueller Spielverlauf, der natürlich auch einen recht hohen Wiederspielwert mit sich bringt. Manche Figuren schließen sich euch sogar erst an, wenn sie eure über ein moralisches Stimmungsbarometer angezeigte Gesinnung überzeugt. Ein Unterfangen, das einen wochenlang beschäftigen kann. Bei einem Krieg über mehrere Generationen hinweg muss man sich natürlich auch immer wieder von einstigen Weggefährten verabschieden, denn die in Kämpfen aktive Party umfasst maximal sechs Mitglieder. 

Auf den Schlachtfeldern herrscht grafische Tristesse. Die Dialog- und Anime-Sequenzen können sich hingegen sehen lassen - und das nicht nur wegen der oft sehr freizügigen Mädels.
Wem der Abschied schwer fällt, kann frühere Begleiter später jedoch in der Alchemistengilde reaktivieren und auch ohne Story-Bezug weiter an seiner Seite kämpfen lassen.

Vielschichtiges Angebot

Darüber hinaus gibt es aber auch noch andere Gilden, deren Angebote ihr nutzen könnt: In der Schmiedegilde kann man z. B. neue Waffen, Rüstungen und Gebrauchsgegenstände anfertigen, anschließend aufwerten und nach Erreichen der Höchststufe in neue Gegenstände umwandeln lassen. Dazu benötigt man jedoch entsprechende Rezepte, die wiederum gegen Bargeld im Shop oder mit im Kampf verdienten Technikpunkten in der Abenteurergilde erworben werden können. Die Abenteurergilde entwickelt auch neue Zauber-, Angriffs- und Spezialfertigkeiten auf Rezept, wenn ihr die dafür nötigen Materialien beschafft. Zudem belohnt sie bestimmte Leistungen wie das Besiegen von Gegnern oder Besitzen bestimmter Items mit einer Reihe von Auszeichnungen, die euch Geld, Bonuspunkte zur individuellen Charakterpflege und seltene Gegenstände einbringen. Erfreulich dabei ist, dass einmal geschmiedete oder entwickelte Items, fortan auch in den Geschäften in unbegrenzter Stückzahl angeboten werden.   

Als Letztes gibt es noch die Monstergilde, in der man gefangen genommene Gegner gegen Belohnungen tauschen oder miteinander kreuzen kann. Dazu muss man aber erst einen Charakter mit der Spezialfähigkeiten Fangen ausstatten und die Lebensenergie des Zielobjekts auf ein Minimum herunter prügeln - die Fähigkeit Gnadenschlag, die selbst einem getöteten Gegner noch einen Lebenspunkt lässt, ist dabei ungemein hilfreich. Auch sonst sollte man die Kombination der Fertigkeiten, die man in verschiedene Waffen-, Rüstungs- und Charakterslots einsetzen kann, gut überlegen.

Die verschiedenen Gilden stellen einen ungemein motiviernden Spielplatz abseits der Schlachtfelder dar.
Je nach Zusammenstellung ergeben sich dadurch nämlich unterschiedliche Kombo- und Teamangriffe, wenn diese untereinander oder mit denen der aktiven Gefährten harmonieren. Welche Kombos möglich sind, findet man entweder durch Experimentieren heraus oder man kauft sich entsprechende Broschüren. Wiederholt erfolgreich angewendet werden sie aber auch ohne entsprechendes Handbuch in einem jederzeit abrufbaren Nachschlagewerk festgehalten sowie bei der Auswahl entsprechender Einzelangriffe umgehend angezeigt.

Kombos sind zusammen mit klugem Stellungsspiel jedenfalls das A und O der in Bewegungsphase und Aktionsphase unterteilten Rundenkämpfe. Zunächst bewegt man seine bis zu sechs Kombattanten über das schachbrettartige Schlachtfeld. Die Arenen sind dabei ziemlich klein und es gibt keinerlei Hindernisse, Höhenunterschiede oder Umgebungsvorteile. Allerdings gibt es später je nach gewählter Startposition diverse Bonus- und Malusfelder, die einer Figur beim Betreten z. B. mehr Stärke verleihen oder auch den sofortigen Tod bringen können, der natürlich auch dann eintritt, wenn man von einem feindlichen Sturmangriff unfreiwillig auf das Feld gestoßen wurde. Wer will, kann aber auch das ganze Spiel auf der bereits zu Beginn verfügbaren Basisformation ohne Sonderfelder bestreiten. Lediglich bei Bosskämpfen muss man sich dem Feldwunsch des Gegners unterordnen.

Taktisches Stellungsspiel

Weit wichtiger als die clevere Nutzung verfügbarer Sonderfelder ist aber die generelle Positionierung der Spielfiguren. So verfügt jede Figur über ganz individuelle Einflussfelder, die teils in unmittelbarer Nähe (vorwiegend bei Nahkämpfern), teils aber auch weit entfernt (vorwiegend bei Zauberern und Schützen) liegen und sich der Blickrichtung des jeweiligen Charakters anpassen. Figuren, die über solche Einflussfelder miteinander verbunden sind, können ihre Attacken in der folgenden Aktionsphase nicht nur zu Teamkombos verketten, sondern auch Ziele attackieren, die eigentlich nur für einen der Beteiligten erreichbar sind. Darüber hinaus erhalten verbundene Figuren mehr Aktionspunkte und andere Vorteile.

Stehen eure Charaktere günstig, können sie vorzeitig agieren und gemeinsame Kombos vom Stapel lassen.
Charaktere, die aufgrund ihrer geringen Agilität eigentlich erst später an der Reihe wären, können sogar deutlich früher angreifen, wenn sie mit einem schnelleren Gefährten verbunden sind. Das mag anfangs gewöhnungsbedürftig sein, verleiht den ansonsten sehr klassisch gestrickten Rundenkämpfen aber eine frische, eigenständige Note.

Unschöner Nebeneffekt ist allerdings, dass die formationsbezogenen Schlachtfelder sehr einheitlich und steril wirken, sich neben den Sonderfeldern eigentlich nur durch ihre ortspezifischen Randbebauungen unterscheiden. Zudem sind die Arenen sehr kompakt, die darauf agierenden Einheiten nie besonders zahlreich. Dadurch und durch die weit reichend möglichen Angriffsverkettungen dauern die Auseinandersetzungen selten länger als zwei, drei Runden. Große, epische Schlachten fallen damit natürlich flach. Wirklich spannend sind eigentlich nur die teils übertrieben schweren Bosskämpfe, die oft langatmige Vorbereitungen und trotzdem unausweichliche Opfer fordern. Selbst Profis müssen auf normaler Stufe manchmal taktisch klug sterben, um zu überleben, während das Anfertigen und Verbessern spezieller Waffen und Rüstungen sowie die Beschaffung der dafür nötigen Materialien oft sehr viel Zeit in Anspruch nimmt. Viel Zeit zum Wiederbeleben hat man übrigens nicht, da sich gefallene Mitstreiter nach zwei Runden in Luft auflösen.

Der Spielverlauf gestaltet sich teilweise ungemein zäh. Selbst wer sich einfach generell zu schwach fühlt und aufleveln will, braucht jede Menge Geduld. Bereits gemeisterte Scharmützel lassen sich zwar beliebig oft wiederholen, bringen aber kaum Punkte, während besiegte Bossgegner den Überlebenden oft mehrere Stufenanstiege auf einmal bescheren und die Gefallenen und Unbeteiligten lange hinterher hinken lässt, da nur aktive und am Ende noch lebende Partymitglieder Erfahrung gewinnen. Hier stimmt einfach die Balance nicht. Zwar kann man vor Spielbeginn einen von drei Schwierigkeitsgraden wählen, aber statt einer harmonisch ansteigenden Herausforderung, fühlt man sich oftmals völlig über- oder auch unterfordert.

Bei der Entwicklung der Charaktere hat man viele Freiheiten - vom Steigern der Attribute bis zum Zuweisen von Skills.
Wenn man eine besonders harte Hürde schafft, ist der Erfolg allerdings umso süßer. Und wer keine Lust hat, sich mit harmlosen Gegnern zu beschäftigen, kann jederzeit den Auto-Modus aktivieren und die Arbeit der KI überlassen. Droht das Geplänkel aus dem Ruder zu laufen, kann man den Modus aber auch mitten im Gefecht wieder deaktivieren und selbst Hand anlegen.

Durchwachsene Präsentation

Ambitionierte Taktiker wollen davon natürlich nichts wissen und studieren lieber Reichweiten, Elementarschwächen, derzeitige Aktionspunkte und mögliche Spezialangriffe der Gegner, reißen verbundene Feindgruppen auseinander oder nehmen besonders gefährliche Gegner in die Zange, so dass immer ein besonders schmerzhafter Angriff von hinten möglich ist. Die Bedienung ist recht handlich, verbundene Charaktere sind optisch deutlich hervorgehoben, Sicht versperrende Aktionsfenster auf Knopfdruck ausblendbar. Die Kameraführung ist jedoch ein Graus: Man kann zwar in vier verschiedene Blickwinkel schwenken, um Verbindungslinien besser zu erkennen; eine feinstufige Rotation ist jedoch genauso wenig drin, wie ein Kippen, Heben, Senken oder Zoomen der Ansicht. Zudem werden Randobjekte der Arena wie Bäume oder Felsen nicht transparent, wenn sie zwischen Kamera und Spielfeld geraten, so dass einem manche Blickwinkel nur eine graue Wand auf den Bildschirm projizieren. Ärgerlich ist auch, dass die Bögen zwischen verbundenen Charakteren bei der Aktionsvergabe durch Fenster verdeckt werden, die bei ihrer Ausblendung die wichtigen Verbindungsbögen gleich mit verschwinden lassen, während die Kamera jegliche Justierung versagt.

Ansonsten wirkt jedoch alles recht übersichtlich und aufgeräumt. Die grafische Präsentation an sich ist jedoch unter aller Kanone. Kulissen und Charaktere sehen aus wie bei einem hoch skalierten PSone-Spiel aus den Neunzigern, obwohl die Figuren an sich sehr charmant gezeichnet und animiert wurden. In den seltenen Erkundungsabschnitten, wo man von Zufallskämpfen begleitet in mickrigen Iso-Dungeons auf Schatzsuche geht, fühlt man sich sogar noch weiter in die Vergangenheit zurück versetzt. Auch die Steuerung ist hier derart schwammig, als würde man ein Stück Butter in einer Pfanne spielen. Trotz Magerkulissen kommt es hin und wieder auch noch zu völlig unerklärlichen, aber gravierenden Slowdowns. Einziger Lichtblick sind die hoch aufgelösten Charakterportraits sowie die seltenen und teils übertrieben voyeuristischen Anime-Sequenzen. 

Auf der Weltkarte reist man bequem von Ort zu Ort. Städte können jederzeit aufgesucht, bereits gemeisterte Scharmützel beliebig oft wiederholt werden.
Im prüden Australien kassierte man dafür gleich die höchst mögliche Altersfreigabe sowie einen "Strong Sexual References"-Aufdruck, während in Deutschland schon ab zwölf losgesabbert werden darf. Fans können auch eine Reihe von Artworks und Charakterbiografien samt einzeln anwählbarer Sprachsamples freispielen.

Akustisch präsentiert sich Agarest aber sehr durchwachsen: Die ruhigeren Kompositionen können meist überzeugen, steigt das Tempo jedoch an, nimmt die Qualität meist deutlich ab und kommt selten über schnell nervendes Synthie-Gedudel hinaus. Die Sprachausgabe ist übrigens rein japanisch, Untertitel gibt es nur auf Englisch. Immerhin scheinen sich die eingesparten Lokalisierungskosten im Verkaufpreis, knapp 40 Euro, nieder zu schlagen. Wenigstens die Texte hätte man aber ruhig eindeutschen können. Punktejäger könnte es auch stören, dass es keine Trophäen gibt. Dafür kann man seine längsten Kombos und verheerendsten Schäden in Online-Ranglisten mit denen anderer Spieler vergleichen. Wer will, kann einen Teil der Spieldaten auch auf Festplatte kopieren. Die Ladezeiten halten sich aber auch ohne die erfreulicherweise freiwillige Installation in Grenzen, so dass Spieler mit begrenzten Speicherkapazitäten getrost aufatmen können.

Fazit

Agarest bietet klassische Rundentaktik in einem mehrere Generationen umspannenden Feldzug. Und das Schöne daran: Wie sich der Held und die Geschichte dabei entwickeln, lässt sich beeinflussen. Man trifft strategische Entscheidungen, pflegt Beziehungen oder kümmert sich um die Karriere seiner Mitstreiter. Die Kämpfe selbst sind jedoch alles andere als episch: Es bekämpfen sich stets überschaubare Gruppen auf mickrigen Schlachtfeldern und nach zwei, drei Runden ist meist alles vorbei. Trotzdem ist das kein Taktik-Fastfood: Jeder Zug will gut überlegt sein, da Sieg oder Niederlage sehr stark von durchdachtem Teamwork sowie Stellungsspiel abhängen - vor allem bei Bosskämpfen zahlt man erstmal Lehrgeld. Der dreistufige Schwierigkeitsgrad wirkt allerdings unausgewogen - mal geht es steil bergauf, dann wieder steil bergab, was den Spielverlauf oft sehr zäh erscheinen lässt. Zumal es Sprachausgabe nur auf Japanisch und Texte nur auf Englisch gibt. Und grafisch erinnert das Ganze an ein hoch skaliertes PSone-Spiel, das sogar mit Slowdowns und statischer Kamera serviert wird. Dafür gibt es Online-Ranglisten sowie jede Menge Freispielbares und abseits der Kämpfe motivierende Nebenbeschäftigungen wie das Schmieden und Aufrüsten, die Zauberei, die Forschung oder Monsterzucht. Eine spielerische Offenbarung oder Schönheit ist Agarest sicher nicht, doch geduldige und experimentierfreudige Hobbygeneräle werden auf lange Sicht solide unterhalten.

Pro

dynamischer Spielverlauf
spannende Monsterjagd & -zucht
individuelle Charakterentwicklung
interessantes Kombo- & Formationssystem
umfangreiche Crafting- & Upgradefunktionen
üppiger Feldzug über mehrere Generationen & Kontinente

Kontra

vorsintflutliche Spielgrafik
durchwachsene Spielbalance
unspektakuläre Kampfarenen
mitunter sehr zäher Spielverlauf
beschränkte Schlachtfeld-Kamera

Wertung

PlayStation3

Klassische Rundentaktik, die lange bei Laune hält, aber in einigen Punkten sehr antiquiert und unausgewogen wirkt.

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