Im Test:
Alptraumhafte Odyssee
Es sind zu viele – drei, vier oder fünf. Sie kreischen wie Furien aus der Hölle. Und sie sind verdammt schnell. Murphy rennt weg, einfach geradeaus die Straße runter. Immer weiter. Vielleicht findet er einen Unterschlupf, irgendeine Kaschemme? Aber die Chancen stehen schlecht, denn die meisten Häuser in diesem vernebelten Kaff sind verbarrikadiert. Er versucht sein Glück, hetzt ein paar Stufen hinauf. Mist, die Tür bleibt schon wieder zu. Er joggt weiter. Wohin eigentlich? Wie kommt er bloß aus dieser verfluchten Stadt heraus? Murphy schlägt die Karte auf, überfliegt die rot markierten Sackgassen, die blau markierten Fragezeichen.
Theoretisch kann er seine Route frei wählen. Vielleicht zurück zur Polizeistation? Zu diesem Kloster? In den Park? Oder in die Kanalisation? Wenn man dort im Untergrund
Man kann den Schwierigkeitsgrad sowohl hinsichtlich der Kämpfe als auch Rätsel in drei Stufen anpassen. Das Spiel hat sechs Enden, die man über zwei Entscheidungen sowie die allgemeine Spielweise beeinflusst. umher streift, scheinen sich die Distanzen wie von Geisterhand zu verkürzen – irgendwie unheimlich, außerdem hat er bereits eine dunkle Höhlentour mit Taschenlampe hinter sich. Oder doch zu diesem kleinen Haus mit dem blauen Fragezeichen, wo das Licht im Keller brennt und die Frau so bitterlich weinte? Aber das war auch unheimlich. Und Murphy fehlte ein Schlüssel. Er könnte auch nochmal versuchen, diesen Spind mit dem Zahlenschloss zu knacken – vielleicht gibt es da ja eine Schusswaffe!? Er muss sich gerade mit Steinen, Stangen, Flaschen oder Stühlen wehren, weil er für den Colt und die Nagelpistole keine Munition mehr hat. Außerdem darf er nur eine Schlagwaffe tragen.
Das Grauen im Regen
Angenehm ist, dass es nicht um endlose Wellen geht, dass die Konflikte mit den Monstern wohl dosiert sind. Ihrem Artdesign fehlt allerdings das Bizarre: Mal abgesehen davon, dass es nur sehr wenige Typen gibt, wirken sie oftmals zu gewöhnlich. Die Schreihexen können noch überzeugen. Aber was hat man sich nur bei den bärtigen Brüllaffen oder den übergroßen Nacktmulls gedacht? Das extrem Überzeichnete, das nicht aufgrund seiner plumpen Brutalität, sondern alleine aufgrund seines grotesken Anblicks verstören und ängstigen konnte, wird zu selten inszeniert. Ob das daran liegt, dass der japanische Horror von einem relativ unbekannten tschechischen Team entwickelt wurde? Vatra hat bisher nur Rush ‘N Attack Ex-Patriot für Xbox Live Arcade produziert.
Es ist nicht so, dass das alptraumhaft Groteske komplett fehlen würde: Irgendwann platzt es blutig aus aufgespießten Körpern, während man durch versiffte Kerker taumelt, verfolgt von einem archaischen Etwas. Dann wachsen Korridore schon mal ins Endlose:
Murphy kann das natürlich egal sein. Er hat genug mit diesen Kreaturen zu tun und kennt das bizarre Figurenkabinett der Serie nicht. Wo soll er hin? Er orientiert sich in Richtung Radiostation. Immerhin gab es da kürzlich noch eine Live-Sendung. Und hatte der DJ nicht etwas von Rettung oder Hilfe gefaselt? Das ist sein Ziel. Er trabt weiter. War da was hinter ihm? Er riskiert einen Blick zurück über die Schulter: Scheiße, eine dieser Fratzen ist ganz nah! Kaum dreht er sich zur Flucht, springt ihm die kreischende Furie auf den Rücken und krallt sich fest – eine hässliche, überaus schmerzhafte Begegnung. Sie wirkt auch wesentlich natürlicher als vorhin, wo die Ladys einfach im Quartett neben einem Polizeiwagen aus dem Nichts aufpoppten.
Der taktische Rückzug
Aber Murphy schnaubt bereits schwer, die Wunden machen ihn langsamer – schön. Also verwendet er den letzten Verbandkasten , das Blut verschwindet und er atmet tief durch. Ein Kampf gegen diese Überzahl ist sinnlos, zumal die Kamera bei mehreren Feinden immer wieder Zicken macht und man von hinten verwundbar ist. Meist ist die Flucht ohnehin die beste Taktik, zumal die Monster keine Türen öffnen und Murphy bei voller Gesundheit ohne zu ermüden sprinten kann – schade, denn ein Ausdauerverlust hätte die Panik noch verstärkt. Also rennt er wie ein Verfluchter weiter. Immer weiter in diesen Alptraum, in dem er nicht nur kämpfen, sondern auch wie in einem offenen Abenteuer viel erkunden und vor allem wie einem Adventure rätseln muss, um seinem eigenen Mysterium auf die Schliche zu kommen.
Wer ist Murphy?
Natürlich begegnet der Held auch in diesem Silent Hill schrittweise den Dämonen seiner eigenen Vergangenheit. Diese macht gerade zu Beginn neugierig, zumal man nur hier und da kleine Schnipsel einer kriminellen Biographie aufschnappt, die erst langsam ein vollständigeres Bild von Murphys Charakters ergibt. Es geht um uralte Themen wie Schuld und Sühne, Rache und Mitleid sowie das Böse im Menschen. Schade ist allerdings, dass dieser Murphy zwar manchmal authentisch beunruhigt auf so manche Situation reagiert, vor Schreck brüllt und sogar gesprochene Hinweise gibt, aber viele andere blutige Szenen wiederum komplett unkommentiert lässt – da hätte man über innere Monologe oder entsetzte Reaktionen an den passenden Stellen auch mehr Identifikation schaffen können.
Zwischen Schuld und Sühne
Aber sie beeinflussen die möglichen Enden. Auch die Art der Spielweise hat später Einfluss darauf – darunter die Frage, ob man in den Gefechten lediglich kampfunfähig macht oder tatsächlich mit einem finalen Schlag tötet. Bei Ersterem hat man das Problem der Wiedergänger, bei Letzterem rumort es bedrückend aus den Boxen…
Schon der äußerst brutale Einstieg im Gefängnis gibt einen Vorgeschmack auf die kommenden Extremsituationen, in denen es um das nackte Überleben in einer lebensfeindlichen Welt zwischen Realität und Alptraum geht. Warum enden Highways in Abgründen? Wie zur Hölle kommt ein Rollstuhl auf das Dach einer Tankstelle? Irgendetwas stimmt in der Gegend nicht. Und Murphy bekommt recht früh einen monströsen Blick hinter den Vorhang: Er durchsucht gerade noch ein verlassenes Gebäude nach Werkzeugen, als plötzlich die Wände schmelzen und etwas wie ein schwarzes Loch ihn durch gleißende Tunnel jagt, während er ausweichen oder Hindernisse umwerfen muss. Auch diese bizarre Fluchtszene wirkt zunächst wie ein Fremdkörper, weil sie zum einen technisch unheimlich gut gemacht ist (bis dato wirkte die Kulisse eher bieder) und weil sie zum anderen nach den subtilen Andeutungen (der Rollstuhl auf dem Dach) etwas zu früh die expliziten Register der Marke Hölle hoch drei zieht. Man hat fast das Gefühl, als wollten die Entwickler früh zeigen, was sie an visuellen Effekten drauf haben - spielerisch ist das Fluchterlebnis eher banal.
Adventure-Stimmung und Geisterflair
Aber das klassische Kombinieren von Items ist ohnehin nur in Ansätzen gefragt. Mal muss man Zahlen ergänzen oder ausschließen, Codes knacken, die passenden Farben aus einem Gedicht heraus filtern, ein Bild zusammen fügen, die richtigen Gegenstände an verfluchte Orte bringen oder clever einen Brand verursachen, indem man den Verdünner und sein Feuerzeug kombiniert. Falls man die Umgebung vorher nicht nach Hinweisen absucht, kann ein Mechanismus auch mal ein Buch mit sieben Siegeln sein – die Rätsel erreichen zwar kein Kopfnussniveau, sind aber mitunter knackig. Zu den atmosphärischen Highlights gehört die Inszenierung eines gespenstischen Theaterstücks, bei dem man in korrekter Reihenfolge Licht, Musik und Wetter für Hänsel und Gretel arrangieren muss – mit schaurigem Ausgang.
Schluckauf und Geisterbretter
Musikalisch gibt es nicht zu meckern: Die teilweise traurigen Melodien von Daniel Licht orientieren sich an den ruhigen Kompositionen der ersten Teile. Wer die Klänge von Akira Yamaoka vermisst, sollte übrigens seine Augen offen und ein paar Chips für die Jukebox bereithalten.
Murphys Abenteuer ist technisch leider eine halbe Katastrophe. Es gibt in regelmäßigen Abständen sekundenlange Aussetzer, die eine Bewegung manchmal komplett unterbrechen und die Kamera im schlimmsten Fall nach der erneuten Kontrolle anders ausrichten. Ein Ruckler hier oder da würde nicht ins Gewicht fallen, aber Silent Hill hat chronischen Schluckauf. Vor allem, wenn man gerade eine neue Gegend erkundet oder evtl. auf Feinde trifft, rauben einem diese erzwungenen Stopps den Nerv. Auch die Menüs sind alles andere als gelungen. Die Handhabung der Notizen und Karten ist denkbar umständlich: Wenn man z.B. die Texte vergrößert hat, um etwas zu lesen, muss man noch die Kamera schwenken, die dann wiederum zu ruckartig reagiert. Das Inventar selbst, in
Dass die Unreal Engine einige Texturen erst nach kurzer Zeit scharf darstellt, lässt sich verschmerzen. Hinzu kommen allerdings einige hässliche, wenn auch nicht spielbeeinflussende Bugs: Man findet z.B. eine mit Holzlatten verbarrikadierte Tür, zertrümmert die Latten mit einer Axt zu Kleinholz und geht durch – so weit so normal. Wenn Murphy dann allerdings zurückkehrt und im Werkzeugkasten ein Brecheisen aufnimmt, versperren die Latten plötzlich wieder den Rahmen, während die Tür offen steht. Geht man auf das „Hindernis“ zu, erweist es sich als reiner Grafikfehler – man wird nicht gestoppt. Sehr fummelig kann auch das Aufnehmen von Gegenständen sein: Wenn mehrere auf einem Fleck liegen, bekommt man keine Auswahl und muss so lange blind zugreifen, bis man z.B. das Hackmesser und nicht das Brecheisen hat. Auch das kann in der Hektik eines Gefechts wertvolle Sekunden kosten.
Fazit
Hier kommt ja fast beschauliches Adventure-Flair auf, wenn man über Notizen, Codes und Ziffern grübelt, während irgendwo Gespenster kichern und Türen zuknallen! Der ungewöhnlich hohe Rätselanteil und die Erkundungsreize in der offenen Stadt mit ihren Nebenmissionen sorgen für über zwanzig Stunden unterhaltsamen Horror. Allerdings ist die Technik eine herbe Enttäuschung: Mich stören Ruckler hier oder spät aufgelöste Texturen da in der Regel nicht, aber dieser chronische Schluckauf ist frustrierend. Hinzu kommt, dass das Kampfsystem zu plump, das Inventarsystem unhandlich, das Artdesign der Kreaturen für ein Silent Hill stellenweise zu gewöhnlich und die Regie zu sprunghaft wirkt - vor allem die ansehnlichen Fluchtszenen wirken inhaltlich wie künstliche Einschübe. Aber der gespielte Alptraum zeigt viele Facetten zwischen Grusel und Entsetzen. Und das ist eine Stärke, denn der Rhythmus wechselt angenehm zwischen Kampf und Stromern, Brutalität und Beschaulichkeit, Schock und einem subtilem Schrecken, der in seinen besten Momenten an die Ursprünge des Survival-Horror erinnert. Schade ist, dass der Regen als neues Leitmotiv nicht beklemmender eingesetzt wurde. Schade ist auch, dass man nach der kreativen dynamischen Anpassung der Spielerfahrung in Shattered Memories hier mit ein paar schnöden Entscheidungen abgespeist wird. Trotz der vielen Kritikpunkte kann ich das Abenteuer empfehlen, denn es trifft immer wieder diesen Nerv, der zum Weitermachen zwingt.
Wertung
360
Ärgerliche technische Probleme bremsen den Horrorspaß auf allen Systemen aus - trotzdem retten Rätsel und Umfang das gute Niveau!
PlayStation3
Silent Hill ist wieder ruhiger und investigativer, aber es fehlt der inhaltliche und technische Feinschliff.
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