Im Test:
Web 2.0
Wie gut sich die neue Steuerungs-Variante und die 3D-Kulissen schlagen, erfahrt ihr auf Seite 3. Zunächst einmal möchte ich euch erklären, was das Spektakel auf der Mattscheibe überhaupt zu bedeuten hat: Wer sich zum ersten Mal ins Spiel stürzt, wird sich vermutlich vorkommen, als hätte er auf dem Rave das falsche Glas erwischt: Hinter der Mattscheibe wuseln die aberwitzigsten Wesen durcheinander, während die in sämtlichen Farben des Regenbogens leuchtende Kulisse wild im Takt pulsiert. Doch das Chaos hat Methode, sein System erschließt sich auf den zweiten Blick: Child of Eden gehört wie der Sega-Klassiker Panzer Dragoon zu der Gattung klassischer Rail-Shooter; die Mission führt auf vorgegebenen Wegen durch eine Schar von Feinden. Statt mich um die Fortbewegung zu kümmern, kann ich also in Ruhe die Show genießen – und mich natürlich mit Hilfe meiner Raketen darum kümmern, dass mich keines der Biester ins Jenseits befördert.
Die glühenden Wale und Manta-Rochen sind nicht von Grund auf böse, sondern wurden von einem Virus korrumpiert, welches sich in ihrer Welt eingenistet hat. „Eden“ ist das Internet der Zukunft. In dem futuristischen Netzwerk sind sämtliches Wissen und alle Erinnerungen der Menschheit gespeichert. Sogar ein komplett virtuelles Wesen wurde in der digitalen Bilderbuch-Idylle geboren. Zu Beginn des Spiels sieht man die Schönheit aus Bits und Bytes barfuß über die Blumenwiese spazieren – bis finstere Viren vom Himmel regnen, um sie und ihre Welt unter ihre Kontrolle zu bringen. Sie ist das Namen gebende Kind des Netzwerks, das Child of Eden. Gespielt wird sie von der Sängerin von Mizuguchis Band Genki Rockets, welche auch einen großen Teil des Soundtracks beisteuert.
Virenscannen mal anders
Diese Leuchtfische lassen sich am besten mit der Sekundärwaffe ärgern. |
Doch zunächst einmal gehe ich an meine Arbeit als Anti-Virus-Programm. Während ich in der Ego-Perspektive durch die rhythmisch vibrierende Welt fliege, tauchen auch schon die ersten Gegner auf. Noch verhalten sie sich relativ ruhig. Doch wenn ich sie zu lange vor meinen Augen herumwuseln lasse, schicken sie mir einige pinkfarbene Projektile entgegen, welche beim Einschlag meine Energieleiste empfindlich schrumpfen lassen. Also komme ich ihnen zuvor und markiere sie mit meinem Fadenkreuz. Bis zu acht Gegner kann ich aufschalten. Dann lasse ich den Knopf los und genau so viele zielsuchende Raketen zischen ihnen entgegen. Im Notfall bereinigt eine gleißende Smartbomb das Chaos.
Taktvolle Action
Rez-Spieler kennen die Technik natürlich - neu daran ist ein rhythmischer Kniff: Wenn ich den Knopf im Takt der Musik loslasse, gilt das als Kombo. Die Technik funktioniert ähnlich wie in einem Musikspiel: Erwische ich den Beat perfekt, steigt der Punkte-Multiplikator auf einen Wert von bis zu acht Zählern. Verfehle ich ihn nur leicht, bleibt er immerhin auf der gleichen Stufe. Wenn ich ihn komplett verpasse oder z.B. nur sieben Gegner erwischt habe, sinkt er wieder.
Die psychedelische Reise bietet ein paar knackige Bosse, gestaltet sich aber nie unfair. |
Kurztrip
Manch ein Archiv musste ich also zweimal angehen - auch wenn ich es auf Anhieb geschafft hatte. Grund dafür ist wieder einmal die Kürze des Spiels: In nur rund vier Stunden alle Levels gesehen - abgesehen von den knackig schweren Bonus-Arealen. Die Redundanz ist aber kein Beinbruch, weil sich das Farbinferno sehr abwechslungsreich präsentiert: Innerhalb weniger Sekunden passiert derart viel, dass es mir auch beim fünften Durchzocken für die Leaderboards nicht langweilig wurde. Es macht richtig Spaß, mein Spiel nach und nach immer mehr zu perfektionieren.
In Level 4 werde ich z.B. mit zwei riesigen Zwillingsplaneten konfrontiert, welche wild umeinander rotieren – einer ein Eisriese, auf dem Gegenstück brodelt die Lava. Nachdem sie unter wildem Blitzgewitter aufeinander geprallt sind, gerate ich in ihren Fokus. Beim ersten Durchgang hat mich der Raketen-Overkill noch mächtig eingeschüchtert, doch je länger ich ihre Bahn studiert habe, desto leichter konnte ich sie aus der Luft fischen. Die Abwehr funktioniert nur mit der glühenden Alternativ-Waffe, sie ist die zweite Neuerung. Mit ihr mache ich alle pinkfarben und violett glimmende Geschosse unschädlich. Auch manch ein Gegner lässt sich damit überrumpeln: Die hartnäckigen Ammoniten z.B. beginnen bei Beschuss zu rotieren und legen kurzzeitig ihre Raketen-Schwachpunkte frei. Weitere Extrawaffen oder Aufrüstungen gibt es leider wieder nicht. Doch im Laufe des Spiels merkt man, wie perfekt das Zusammenspiel der beiden Waffen aufeinander abgestimmt ist.
Rock Band lässt grüßen
Die violetten Projektile lassen sich nur mit dem neuen Laser abwehren. |
Mizuguchis Band steuert einige gesanglastige Stücke bei. Wer eine Allergie gegen Vocal Trance oder euphorische Melodien hat, wird mit der Untermalung natürlich nicht glücklich; mir hat der Sound aber ausgezeichnet gefallen, denn er passt immer perfekt zum Geschehen. Zu kitschig wird es jedenfalls nicht, weil die kurzen Gesangs-Parts immer wieder in mystische und hypnotische Elektronik-Passagen eingebettet werden. Es ist ein ständiges Hin- und Her – wie in der visuellen Umsetzung.
Techno-Aquarium
Auch der Subwoofer bekommt gut zu tun: Wenn ich in einen Level abtauche, bringt der gewaltige Tiefbass die Möbel zum Knarzen. Schaltet unbedingt in den Spiel-Optionen den 5.1-Sound an – standardmäßig ist er deaktiviert. Das gilt auch für die Punkteanzeige, welche vermutlich deshalb ausgeschaltet wurde, um Anfänger zu Beginn nicht noch mehr zu verwirren.
Tetsuya Mizuguchi ließ sich von Kandinsky-Werken und der frühen Techno-Szene inspirieren. Diesmal fanden aber mehr organische Formen ihren Weg ins Spiel. |
Besser als Kinect?
Schon bei der Ankündigung von Child of Eden auf der letztjährigen E3 legte Publisher Ubisoft den Fokus auf die Kinect-Unterstützung und laut Packungsrückseite der 360-Version sollte sie sogar völlig neue "Erlebnisdimensionen" eröffnen. Ganz einhalten konnte die Bewegungssteuerung das Versprechen nicht. Sie funktioniert deutlich besser als im Großteil der Konkurrenz, die Präzision der Pad-Kontrolle erreicht sie aber nicht. Auf der PS3 wurde das Winken vor der Kinect-Kamera natürlich gestrichen - stattdessen wird der Move-Controller unterstützt. Das Markieren der Gegner funktioniert hier ein wenig genauer als mit Kinect, aber trotzdem nicht ganz so präzise wie die klassische Controller-Variante. Im Endeffekt war es wie auf der Xbox 360: Ich habe ein wenig mit der Bewegungssteuerung herumexperimentiert, bin aber letztendlich wieder auf den Controller umgestiegen.
Auch Musikspiele wie Rock Band werden ausgiebig zitiert. |
Trip in die dritte Dimension
Deutlich begeisterter war ich von der 3D-Anpassung: Schon auf gewöhnlichen Fernsehern sorgt das Spiel für rauschähnliche Zustände - in 3D ist das bunte Treiben sogar noch intensiver. Vor allem, wenn die Spiralen diverser Bossgegner in wilden Farbwechseln pulsieren, wirkt das beinahe wie aus einer anderen Welt. Die Cyber-Kulissen ragen zwar nicht all zu tief in den Hintergrund des Fernsehers hinein, doch ab und zu sieht immerhin einige der bunten Funken aus dem Bildschirm spritzen. Negativ aufgefallen sind mir nur die Geisterbilder: An einigen Objekten habe ich deutliche Doppelkonturen entdeckt, was in der Hitze des Gefechts aber kaum auffällt.
Fazit
Es ist schwer, die Schönheit von Tetsuya Mizuguchis Farbspektakel in Worte zu fassen, deshalb solltet ihr unbedingt einen Blick auf das Video-Fazit der 360-Version werfen. Inhaltlich hat sich auf der PS3 nämlich kaum etwas verändert: Die Move-Steuerung geht einen Deut präziser von der Hand als mit Kinect, kann aber trotzdem nicht ganz mit der klassischen Controller-Variante mithalten. Wer einen 3D-Fernseher besitzt und noch nicht zugeschlagen hat, sollte aber unbedingt zur PS3-Version greifen. Da auf dem Bildschirm ähnlich viel passiert wie in Motorstorm: Apocalypse, lohnt es sich auch hier, vor dem Start die Shutter-Brille aufzusetzen. Auch auf einem gewöhnlichen Bildschirm brennt die Luft: Viele psychedelische Arcade-Shooter haben sich in den vergangenen elf Jahren von Rez inspirieren lassen, doch das Design des Originals ist im zweiten Teil wieder eine Klasse für sich. Anspannung und Euphorie, Licht und Schatten, Laute und leise Töne wechseln sich hier derart schnell ab, das man in einen regelrechten Rausch gerät. Obwohl die organischeren Wesen und Pop-Einflüsse ein wenig massentauglicher wirken als im technoideren Vorgänger, passt das Ergebnis perfekt zum Gesamtkunstwerk. Child of Eden verkörpert das futuristische Design und die Aufbruchstimmung der frühen Techno-Jahre immer noch besser als jedes andere Spiel. Mizuguchi wagt zwar nur behutsame Änderungen, doch das rhythmische Kombo-System sowie die neue Waffe verleihen der Action trotzdem mehr Tiefgang. Das zeigt sich spätestens dann, wenn man einen Level zum fünften mal angeht, um noch ein paar Punkte mehr abzustauben. Der größte Kritikpunkt ist wieder die Kürze: Nach rund vier Stunden hat man bereits alle Archive gesehen – und es gibt nicht einmal einen Multiplayer. Immerhin sorgen Bonus-Levels, massig freischaltbare Goodies und die Highscore-Jagd für massig Extra-Motivation. Schon das zeitlose Rez wurde wie ein guter Wein jedes mal besser, wenn man es nach ein paar Jahren wieder für eine Session aus dem Regal holte.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation3
Bunt, laut und unheimlich motivierend: Child of Eden ist ein spielbarer Farbrausch in atemberaubender Kulisse!
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