Catherine25.08.2011, Mathias Oertel
Catherine

Im Test:

Ein Mann. Zwei Frauen. Bindungsängste. Psychische Blockaden, die im wahrsten Sinne des Wortes erklommen werden müssen. Entscheidungen. Konsequenzen. Mystery. Und das alles eingepackt in ein sehenswertes Anime-Artdesign. Catherine (ab 17,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) bricht mit Konventionen und mischt Genre munter zusammen. Kann die spannende Dreiecks-Beziehung auch spielerisch überzeugen?

Die gute alte Zeit

Früher war alles so einfach: Man nahm Bauklötzchen in verschiedenen Formen, ließ sie von oben hinunterfallen und von den Spielern zusammenbasteln, damit sie Linien ergaben, die daraufhin verschwanden und fertig. Oder man nahm Kisten, die verschoben werden mussten, damit ein Ausgang freigelegt wurde. Wieso? Weil die Spieldesigner es so wollten.

Klingt doch nach einem interessanten Beziehungs-Adventure mit Mystery-Note, nicht wahr? Doch das ist nur der Anfang. Denn all diese Story-Elemente sind nur das erzählerische Fundament eines Puzzlers in mehreren Akten, die sich auf die einzelnen Albträume verteilen, die Vincent Nacht für Nacht erleben muss und denen man sich trotz zahlreicher Interaktionsmöglichkeiten nicht entziehen kann.

Wie so häufig bei Spielen dieser Art ist die Aufgabenstellung ebenso einfach wie motivierend. Man muss als halbnackter sowie mit Schafhörnern verunstalteter Vincent einen Turm aus Blöcken erklimmen. Um nach oben zu kommen, müssen immer wieder Blöcke in zwei Dimensionen verschoben oder gezogen werden – nach rechts und links sowie in den Bildschirm hinein oder hinaus. Eine Bewegung nach oben oder unten ist nicht möglich. Dafür jedoch ist kein Limit gesetzt, wenn man mehrere Blöcke in einem Stück schiebt. Zusätzlich kann man sich an Blöcken entlang hangeln und kann sich eine der Schwerkraft widersetzenden Regel in der Albtraumwelt zu Nutze machen: Solange ein Block auch nur mit einer Kante an einen anderen Block angrenzt, kann er nicht fallen.

In den über 20 Abschnitten, die man erklimmen muss, kommen nach und nach Handicap-Blöcke hinzu. Dazu zählen z.B. unbewegliche Steine sowie Blöcke, deren Gewicht man nur langsam bewegen kann oder Elemente, die nach Betreten einen Countdown auslösen, der am Ende eine Explosion des Blocks sowie angrenzender Steine zur Folge hat. Auch die tödlichen Dornenfallen sowie die Eisblöcke, über die man bis in den Abgrund rutschen kann, sind nicht zu unterschätzen. Und damit man es sich nicht gemütlich machen kann, lösen sich die untersten Ebenen kontinuierlich auf und fallen in die

Die Kletterpassagen werden später mit Schikane-Blöcken wie Fallen oder Bomben aufgepeppt.
Die Kletterpassagen werden später mit Schikane-Blöcken wie Fallen oder Bomben aufgepeppt.
Tiefe! Das alles zu klassischer Musik von z.B. Bach, Händel, Mussorgsky oder Beethoven, die erstaunlich gut zu den Herausforderungen für Kopf und Fingerfertigkeit passt.

Anime-Abenteuer

Bei Catherine ist es unheimlich schwer, beide Spielelemente voneinander losgelöst zu betrachten - obwohl sie jeweils auch für sich funktionieren. Mit den in überzeugendem Anime-Artdesign dargestellten interaktiven Story-Sequenzen, die auch durch ihre Beschränkung auf wenige Räumlichkeiten (Vincents Zimmer, das Stray Sheep sowie ein Café) wie ein Kammerspiel wirken, wird eine erstaunlich differenzierte Geschichte erzählt, die von starken und überzeugend definierten Charakteren lebt.

Die Dialoge sind clever, kommen immer wieder auf den Punkt und lassen einen im richtigen Moment im Dunkeln, so dass man irgendwann selbst Überlegungen anstellt, wie es mit Vincents Oberstübchen aussieht. Vor allem angesichts der mitunter überbordenden Beziehungsängste, die jedoch gelegentlich einen Tick zu klischeehaft inszeniert werden, habe ich mir irgendwann die Frage gestellt, ob Catherine nicht nur in Vincents Fantasie und Träumen existiert und dort quasi die laszive und sexhungrige Variante seiner Katherine darstellt. Die Lösung werde ich an dieser Stelle nicht verraten, zumal mit einer Vielzahl an zur Verfügung stehenden Enden und subtilen Richtungsänderungen der Geschichte "die" Lösung ohnehin nicht existiert.

Denn auf dem Weg zum letzten Kletterakt kann man in der Bar allabendlich nicht nur vollkommen optional mit anderen Gästen über ihr Gefühlsleben und ihre Beziehungsprobleme sprechen oder saufen, wobei man sich mit jedem leeren Glas nicht nur im folgenden Albtraum etwas schneller bewegt, sondern auch vom Erzähler immer wieder mit nutzlosem Alokohol-Trivia zugestopft wird.

Man kann auf SMS und MMS reagieren, wobei es bei den Antworten häufig verschiedene Möglichkeitsbäume gibt. Und selbst hier können kleine Entscheidungen große Wirkung zeigen, wenn es um das Ende geht. Oder gaukelt das Spiel einem nur diese Möglichkeit vor und die SMS-Antworten haben keinerlei Einfluss? Egal, welche Antwort die Entwickler hier geben: Die Illusion ist da und zieht einen noch stärker in eine dramatische Dreiecksbeziehung.

Und wer sich für die allabendlichen Kletterpartien wappnen möchte, kann sogar am aufgestellten Rapunzel-Automaten üben. In 8-Bit-Grafik (und mit Musik aus diversen Persona- und Digital Devil Saga-Spielen unterlegt) gelten hier die gleichen Grundregeln wie in den Träumen. Allerdings hat man nur eine bestimmte Anzahl Züge zur Verfügung, um Rapunzel aus den Fingern der bösen Hexe zu befreien und den Turm zu erklimmen, in dem sie wider Willen festgehalten wird.

Für einen "einfachen" Puzzler bietet Catherine verdammt viel Drumherum und manchmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich die trotz Rücksetzfunktion teils unverschämt fordernden, aber nichtsdestotrotz enorm motivierenden Traum-Abschnitte hinter mich bringen wollte, um zu sehen, wie es mit Vincent in der echten Welt weitergeht...

Das Schöne daran ist: Alles ist optional. Wer keine Lust auf den ganzen sozialen Mumpitz hat, braucht sich nur ein Minimum an (abbrechbaren) Sequenzen anschauen, macht sich aus dem Stray Sheep auf den Weg nach Hause und geht den nächsten Albtraum an. Dass man dabei natürlich auf viele Anspielungen innerhalb der Spielwelt verzichtet, Vincents Motivation entsprechend schwer nachvollziehen kann und auch nur einen Bruchteil der Geschichte erlebt, ist zwangsläufig.

Ein Mann + zwei Frauen = Probleme.
Ein Mann + zwei Frauen = Probleme.
Dementsprechend kann sich auch die Kritik am gegen Ende etwas zu langatmigen Erzählstil, bei dem sich die Charaktere etwas verlieren und von ihrer klaren Zeichnung einbüßen, durchaus relativieren. Denn es liegt im Bereich des Möglichen, dass ich irgendwann im Spielverlauf die Entscheidungen getroffen habe, die zu eben diesen leicht verworrenen Figuren führen.

Sokoban-Bosse und Moral-Beichten

Die Puzzle-Abschnitte überzeugen nicht nur mit ihrem durchdachten Design, bei dem es häufig mehr als nur „den einen“ Weg gibt, um ans Ziel zu kommen. Denn am Ende jedes Albtraums wartet quasi ein Bosskampf. Die Grundvoraussetzung, das Erreichen der obersten Stufe, auf der die Tür den Ausgang aus dem Traum weist, bleibt gleich. Doch hier wird man nicht nur durch wegbrechende Blockebenen daran erinnert, dass die jeweilige Zeit knapp bemessen ist. Die Endgegner, die größtenteils monströse Personifizierung seiner Ängste darstellen, attackieren ihn bei seinem Aufstieg immer wieder und manipulieren die Umgebung, so dass auf einmal sicher geglaubte Blöcke wegbröckeln oder sich in Eis verwandeln. Besonders fatal ist der Angriff, bei dem sich die Steuerung kurzzeitig invertiert und auch die Attacke, die mich bis auf die letzte mögliche Ebene zurückwirft.

Klar hätten die Entwickler sich auch auf ein einfaches Zeitlimit verlassen können. Doch in dieser Form ist die Bedrohung ungleich intensiver, geht der Pulsschlag ungleich höher und wird die Verknüpfung zur Geschichte noch eindrucksvoller bewerkstelligt.

Zwischen den einzelnen Abschnitten gibt es Ruhezonen, in denen man speichern oder sich mit anderen Schafen unterhalten kann, die im Albtraum gefangen sind und um ihr Leben klettern. Die eine oder andere Stimme kommt mir doch bekannt vor? Richtig: Wer gut aufpasst, wird hier Personen (oder Opfer) wiederfinden, denen man auch in Vincents Realität begegnen kann. Und auf einmal öffnet sich eine neue erzählerische Dimension, in der beide Welten und die Schicksale aller Figuren mühelos miteinander verknüpft werden.

Ein klasse Gimmick: Am Rapunzel-Automaten kann man das Puzzleprinzip in 8-Bit-Grafik erlernen.
Ein klasse Gimmick: Am Rapunzel-Automaten kann man das Puzzleprinzip in 8-Bit-Grafik erlernen.
Bevor es dann mit einem "Raketenbeichtstuhl" in die nächste Stufe weitergeht, muss noch eine Frage rund um Beziehungen im Allgemeinen beantwortet werden, die nicht nur von Vincent, sondern auch dem Spieler wohlüberlegt werden muss. Ob man die Ehe als Anfang oder Ende des Lebens betrachtet? Ob man Rollenspiele (im sexuellen Sinne) bevorzugt? Ob man sich selbst als pervers bezeichnen würde? Ob man sich eher zu Katherine oder Catherine hingezogen fühlt? Der Clou: Ist man mit der Konsole online, bekommt man eine Auswertung, welche Antwort die Spieler beim ersten Stellen der jeweiligen Frage gegeben haben. Offline hingegen bekommt man die Ergebnisse einer repräsentativen Umfrage gezeigt, bei der man sogar zwischen den Resultaten der weiblichen und männlichen Befragten umschalten kann. Natürlich stellt sich hier automatisch die Vermutung ein, dass es vor allem diese Fragen sind, die den Story-Fortschritt verändern. Da jedoch die Reihenfolge bis auf wenige Ausnahmen nicht festgelegt scheint, bleibt auch hier ein Gefühl der Spannung: Entscheidet man sich jetzt ehrlich oder in der Hoffnung, die Geschichte in eine andere Richtung bringen zu können? Versucht man, Vincent zu helfen oder ihn weiter in Bedrängnis zu bringen?

Steuerungs-Defizit

Bei den Puzzleabschnitten, die aufgrund ihrer digitalen Basis (Blöcke können um ein Feld bewegt werden) vorzugsweise mit dem Digipad gespielt werden sollten, fällt die Steuerung mit einem hohen Maß an Genauigkeit positiv auf. Mit einer Ausnahme: Wenn Vincent beim Klettern bzw. Verschieben von anderen Blöcken verdeckt wird, verliert man gerne mal die Orientierung. Das ist an zwei Punkten festzumachen: A) Befindet man sich "hinten", wird die horizontale Steuerung invertiert. Und B) ist Vincent nicht mal als Silhouette zu sehen. Im schlimmsten Fall führt eine Kombination dieser beiden Situationen zu einer tödlichen Verkettung unglücklicher Umstände.

Zwar kommt es bedingt durch das ansonsten gelungene Leveldesign nur selten zu diesen Aussetzern, aber dann sind sie natürlich umso ärgerlicher. Was übrigens auch für das manchmal zu überstrapazierte Trial&Error-Prinzip gilt, das mich in einer Hand voll Abschnitte fast an den Rand der Weißglut brachte, mich aber letztlich nur noch mehr anspornte.

Dieser Importtest basiert auf der amerikanischen PS3-Version, bei der einige Abschnitte im Vergleich zur japanischen Version leicht verändert wurden. Daher wird es bei den Tests der deutschen Versionen nicht nur interessant, ob und wie weit für Europa zusätzliche Änderungen der Levelstruktur durchgeführt werden. Auch die 360-Steuerung wird dann unter besonderer Beobachtung stehen, da das Control-Pad der Microsoft-Konsole zusätzliche Defizite gegenüber dem PS3-Controller nicht verheimlichen kann. Doch da die grundsätzliche Qualität Catherines oder die Faszination, die von

Katherine oder Catherine? Das ist hier die Frage...
Es gibt Schlimmeres, als neben einer adretten Blondine aufzuwachen. Es sei denn, man ist bereits in einer Beziehung und wird Vater...

dem Titel ausgeht, keine großen Einbußen hinnehmen dürfte, steht zu erwarten, dass die PAL-Version sich in ähnlichen bis identischen Wertungsregionen aufhalten dürfte, wie diese NTSC-Variante. Gegenwärtig gibt es allerdings noch keinen Termin für eine Deutschland-Veröffentlichung.

Alternativ-Knobelei

Wer keine Lust hat, sich mit der Story herumzuschlagen, kann sich bei Bedarf sogar kooperativ auch am so genannten "Babel"-Modus versuchen. Hier kann man in verschiedenen freischaltbaren Umgebungen einen Turm erklimmen, dessen Bauteile per Zufall zusammengesetzt werden. Oder aber man geht ins Colosseum und kämpft dort nicht nur gegen die Blöcke, sondern auch gegeneinander. Hier feiert man ein Wiedersehen mit Abschnitten, die man in der Geschichte bereits kennengelernt hat und die für die Versus-Auseinandersetzungen angepasst wurden. Beide Varianten sind gut geeignet, um sich abseits des Story-Stresses die Zeit zu vertreiben, wirken sich aber nur eingeschränkt auf die Wertung aus.

Fazit

Ist Catherine ein Puzzler mit Erzählbasis oder ein Dialogadventure mit Puzzlelementen? Die Antwort liegt im Auge des Betrachters, führt aber in jedem Fall zu einem äußerst gelungenen Mix. Die vom Spieler sehr subtil, aber bis hin zu verschiedenen Enden beeinflussbare Geschichte wird ebenso spannend wie überzeugend  in einem markanten Anime-Artdesign erzählt. Und sie verdient ein Extralob für den Versuch, sich schwieriger Themen wie Beziehungsängsten oder Fremdgehen anzunehmen. Dass sie dabei ohne Pathos oder erhobenen Zeigefinger die vielschichtigen Figuren beleuchtet, ist umso bemerkenswerter. Doch auch die Puzzle-Komponente kann sich sehen lassen: Irgendwo zwischen Sokoban, Q-Bert und einem "invertierten" Tetris fordert das Block-Schieben nicht nur die kleinen grauen Zellen, sondern auch die Fingerfertigkeit. Schade ist allerdings, dass einem die ansonsten gute (Digipad-) Steuerung immer wieder kleine Knüppel zwischen die Beine wirft, wenn man hangelt oder sich im Bildhintergrund befindet. Dass die Charaktere in der ansonsten überzeugend inszenierten Geschichte gegen Ende vernachlässigt werden, ist ebenfalls bedauerlich. Doch auch mit diesen Mankos ist Catherine ein gegen den Strom schwimmender Geheimtipp, der niemanden mit einem Faible für außergewöhnliche Spiele kalt lassen dürfte.

Anm. d. Red.: Ein europäischer Release von Catherine für PS3 und 360 ist bereits bestätigt, ein genauer Termin steht allerdings noch nicht fest. Die 360-Version ist nicht codefree.

Pro

gelungener Mix aus Dialog-Adventure, Mystery-Thriller und Puzzler
klasse Artdesign im Anime-Stil
überzeugende Charakterzeichnung...
Puzzle-Passagen per Digipad gut zu steuern...
spannende "Boss"-Abschnitte
hart, aber fair
viele subtile Einflussmöglichkeiten auf die Geschichte
verschiedene Enden
ungewöhnliche, in Spielen bislang kaum genutzte Thematik
sehr gute Präsentation und Inszenierung

Kontra

Steuerungsdefizite in bestimmten Perspektiven
gelegentlich Trial&Error
... die sich allerdings gegen Ende in Oberflächlichkeit verliert
... mit Stick leichte Probleme
keine Puzzle abseits der Block-Verschiebung

Wertung

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.