Im Test:
Die gute alte Zeit
Früher war alles so einfach: Man nahm Bauklötzchen in verschiedenen Formen, ließ sie von oben hinunterfallen und von den Spielern zusammenbasteln, damit sie Linien ergaben, die daraufhin verschwanden. Oder man nahm Kisten, die verschoben werden mussten, damit ein Ausgang freigelegt wurde. Wieso? Weil die Spieldesigner es so wollten.
Doch irgendwann reichte die einfache Aufgabenstellung nicht mehr. Es wurden Geschichten um das gestrickt, was als Puzzle- oder Geschicklichkeitsspiel auch ohne erzählerischen Hintergrund funktionieren würde. Die aktuell erfolgreichsten Vertreter sind die PuzzleQuest-Titel, die das "Match 3"-Prinzip mit Story sowie Rollenspiel verknüpfen. Und natürlich Nintendos Professor Layton, der eigentlich nicht mehr ist als eine Sammlung von Logikspielchen, wie man sie auch auf der Verpackungsrückseite irgendwelcher Frühstück-Cerealien finden kann.
Mit Atlus' Catherine wird dieses Prinzip allerdings auf ein neues Niveau gebracht. Nicht nur, dass sich Geschichte und Puzzle-Elemente während der gut 15 bis 18 Stunden die Waage halten. Die Erzählung mit ihren erwachsenen Themen wie Beziehungsängsten oder Fremdgehen ist sehr tiefschichtig und bietet darüber hinaus sogar subtile Möglichkeiten, den Fortgang bis hin zu den multiplen Enden zu gestalten. Den Fortgang "zu steuern" würde ich in diesem Fall für eine vermessene Beschreibung halten, denn häufig scheinen es
Midlife-Cheater
Doch worum geht es? Der Software-Entwickler Vincent (32) steckt seit mehreren Jahren in einer festen Beziehung mit der leicht oberlehrerhaft wirkenden, mit beiden Beiden fest im Leben verwurzelten sowie willensstarken Katherine (ja, mit "K").
Alles läuft gut, bis sie ihn auf eine engere Bindung, oder genauer: den Austausch von Eheringen und Gelübden, anspricht. Vincent kriegt Panik, denn er weiß nicht, ob er für eine derart feste Beziehung bereit ist. Bei seinen allabendlichen Treffen mit seinen ebenfalls in unterschiedlichem Beziehungsstress stehenden Kumpels (Polygamie, Jungfrau etc.) in der Pizzakneipe "Stray Sheep" (das verlorene Schaf, Anm. d. Red.) findet er kein Verständnis für seine Situation, so dass er wie so oft mit Alkohol seine Emotionen und inneren Stimmen zu betäuben versucht.
Dass zudem in der ganzen Stadt auf einmal Tote mit merkwürdig verzerrten Gesichtern aufgefunden werden und ein Gerücht von einem Fluch die Runde macht, der Männer bestraft, die ihre Partnerin betrügen, macht die Sache nicht leichter. Und die Erwähnung eines Mythos, nach dem man in der Realität stirbt, wenn man in einem Albtraum fällt und nicht aufwacht, bevor man auf dem harten Boden der Tatsachen landet, tut ihr Übriges, um Vincent in einen Strudel aus Ängsten zu ziehen.
Psycho-Puzzler
Klingt doch nach einem interessanten Beziehungs-Adventure mit Mystery-Note, nicht wahr? Doch das ist nur der Anfang. Denn all diese Story-Elemente sind nur das erzählerische Fundament eines Puzzlers in mehreren Akten, die sich auf die einzelnen Albträume verteilen, die Vincent Nacht für Nacht erleben muss und denen man sich trotz zahlreicher Interaktionsmöglichkeiten nicht entziehen kann.
Wie so häufig bei Spielen dieser Art ist die Aufgabenstellung ebenso einfach wie motivierend. Man muss als halbnackter sowie mit Schafhörnern verunstalteter Vincent einen Turm aus Blöcken erklimmen. Um nach oben zu kommen, müssen immer wieder Blöcke in zwei Dimensionen verschoben oder gezogen werden – nach rechts und links sowie in den Bildschirm hinein oder hinaus. Eine Bewegung nach oben oder unten ist nicht möglich. Dafür jedoch ist kein Limit gesetzt, wenn man mehrere Blöcke in einem Stück schiebt. Zusätzlich kann man sich an Blöcken entlang hangeln und kann sich eine der Schwerkraft widersetzenden Regel in der Albtraumwelt zu Nutze machen: Solange ein Block auch nur mit einer Kante an einen anderen Block angrenzt, kann er nicht fallen.
In den über 20 Abschnitten, die man erklimmen muss, kommen nach und nach Handicap-Blöcke hinzu. Dazu zählen z.B. unbewegliche Steine sowie Blöcke, deren Gewicht man nur langsam bewegen kann oder Elemente, die nach Betreten einen Countdown auslösen, der am Ende eine Explosion des Blocks sowie angrenzender Steine zur Folge hat. Auch die tödlichen Dornenfallen sowie die Eisblöcke, über die man bis in den Abgrund rutschen
Anime-Abenteuer
Bei Catherine ist es unheimlich schwer, beide Spielelemente voneinander losgelöst zu betrachten - obwohl sie jeweils auch für sich funktionieren. Mit den in überzeugendem Anime-Artdesign dargestellten interaktiven Story-Sequenzen, die auch durch ihre Beschränkung auf wenige Räumlichkeiten (Vincents Zimmer, das Stray Sheep sowie ein Café) wie ein Kammerspiel wirken, wird eine erstaunlich differenzierte Geschichte erzählt, die von starken und überzeugend definierten Charakteren lebt.
Die Dialoge sind clever, kommen immer wieder auf den Punkt und lassen einen im richtigen Moment im Dunkeln, so dass man irgendwann selbst Überlegungen anstellt, wie es mit Vincents Oberstübchen aussieht. Vor allem angesichts der mitunter überbordenden Beziehungsängste, die jedoch gelegentlich einen Tick zu klischeehaft inszeniert werden, habe ich mir irgendwann die Frage gestellt, ob Catherine nicht nur in Vincents Fantasie und Träumen existiert und dort quasi die laszive und sexhungrige Variante seiner
Schafs-Herde
Denn auf dem Weg zum letzten Kletterakt kann man in der Bar allabendlich nicht nur vollkommen optional mit anderen Gästen über ihr Gefühlsleben und ihre Beziehungsprobleme sprechen oder saufen, wobei man sich mit jedem leeren Glas nicht nur im folgenden Albtraum etwas schneller bewegt, sondern auch vom Erzähler immer wieder mit nutzlosem Alkohol-Trivia zugestopft wird.
Man kann auf SMS und MMS reagieren, wobei es bei den Antworten häufig verschiedene Möglichkeitsbäume gibt. Und selbst hier können kleine Entscheidungen große Wirkung zeigen, wenn es um das Ende geht. Oder gaukelt das Spiel einem nur diese Möglichkeit vor und die SMS-Antworten haben keinerlei Einfluss? Egal, welche Antwort die Entwickler hier geben: Die Illusion ist da und zieht einen noch stärker in eine dramatische Dreiecksbeziehung.
Wer sich für die allabendlichen Kletterpartien wappnen möchte, kann sogar am aufgestellten Rapunzel-Automaten üben. In 8-Bit-Grafik (und mit Musik aus diversen Persona- und Digital Devil Saga-Spielen unterlegt) gelten hier die gleichen Grundregeln wie in den Träumen. Allerdings hat man nur eine bestimmte Anzahl Züge zur Verfügung, um Rapunzel aus den Fingern der bösen Hexe zu befreien und den Turm zu erklimmen, in dem sie wider Willen festgehalten wird.
Entscheidungs-Vielfalt
Das Schöne daran ist: Alles ist optional. Wer keine Lust auf den ganzen sozialen Mumpitz hat, braucht sich nur ein Minimum an (abbrechbaren) Sequenzen anschauen, macht sich aus dem Stray Sheep auf den Weg nach Hause und geht den nächsten Albtraum an. Dass man dabei natürlich auf viele Anspielungen innerhalb der Spielwelt verzichtet, Vincents Motivation entsprechend schwer nachvollziehen kann und auch nur einen Bruchteil der Geschichte erlebt, ist zwangsläufig.
Dementsprechend kann sich auch die Kritik am gegen Ende etwas zu langatmigen Erzählstil, bei dem sich die Charaktere etwas verlieren und von ihrer klaren Zeichnung einbüßen, durchaus relativieren. Denn es liegt im Bereich des Möglichen, dass ich irgendwann im Spielverlauf die Entscheidungen getroffen habe, die zu eben diesen leicht verworrenen Figuren führen.
Sokoban-Bosse und Moral-Beichten
Klar hätten die Entwickler sich auch auf ein einfaches Zeitlimit verlassen können. Doch in dieser Form ist die Bedrohung ungleich intensiver, geht der Pulsschlag ungleich höher und wird die Verknüpfung zur Geschichte noch eindrucksvoller bewerkstelligt.
Zwischen den einzelnen Abschnitten gibt es Ruhezonen, in denen man speichern oder sich mit anderen Schafen unterhalten kann, die im Albtraum gefangen sind und um ihr Leben klettern. Die eine oder andere Stimme kommt mir doch bekannt vor? Richtig: Wer gut aufpasst, wird hier Personen (oder Opfer) wiederfinden, denen man auch in Vincents Realität begegnen kann. Und auf einmal öffnet sich eine neue erzählerische Dimension, in der beide Welten und die Schicksale aller Figuren mühelos miteinander verknüpft werden.
Steuerungs-Defizit
Zwar kommt es bedingt durch das ansonsten gelungene Leveldesign nur selten zu diesen Aussetzern, aber dann sind sie natürlich umso ärgerlicher. Dass wäre z.B. etwas gewesen, was mit der zusätzlichen Wartezeit für den hiesigen Markt durchaus hätte vernessert werden können.
Auch die Trial&Error-Prinzipien, die mich in einer Hand voll Abschnitte fast an den Rand der Weißglut brachten, mich aber letztlich nur noch mehr anspornten, sind nach wie vor vorhanden.
Faktisch richtig, inhaltlich unglücklich
Davon abgesehen ist die Qualität der Texte weniger gelungen. Dabei geht es nicht um die faktische Übersetzung, die nur selten Anlass zur Klage gibt. Auch über die ebenso seltenen Schreibfehler kann ich hinwegsehen. Problematisch wird es für mich aber vor allem, wenn man spürt, dass jemand blind und ohne Kenntnis des Spiels Texte übersetzt hat und diese dann ohne zweite oder dritte Prüfung in den Code übernommen wurden – und das passiert leider häufiger. Beispielhaft seien hier die SMS erwähnt, die man immer wieder bekommt. In einer wird man von Katherine gefragt, ob man sich wieder "im Streunenden Schaf" herumtreibe. Verdammt noch eins, die Kneipe heißt "Stray Sheep" - und dabei sollte man es auch belassen. Ich frage ja auch nicht meine Kumpel, ob sie mich in das nächste irische Schankhaus begleiten oder mit zum Frikadellen-König kommen.
Dementsprechend würde ich allen raten, die nicht auf Gedeih und Verderb auf die deutschen Texte angewiesen sind, die Konsole auf Englisch zu stellen und gleichzeitig
Alternativ-Knobelei
Wer keine Lust hat, sich mit der Story herumzuschlagen, kann sich auch am so genannten "Babel"-Modus versuchen. Hier kann man in verschiedenen freischaltbaren Umgebungen einen Turm erklimmen, dessen Bauteile per Zufall zusammengesetzt werden. Oder aber man schnappt sich einen zweiten Spieler und kämpft im Colosseum nicht nur gegen die Blöcke, sondern auch gegeneinander. Hier feiert man ein Wiedersehen mit Abschnitten, die man in der Geschichte bereits kennengelernt hat und die für die Versus-Auseinandersetzungen angepasst wurden. Beide Varianten sind gut geeignet, um sich abseits des Story-Stresses die Zeit zu vertreiben, wirken sich aber nur eingeschränkt auf die Wertung aus.
Fazit
Ist Catherine ein Puzzler mit Erzählbasis oder ein Dialogadventure mit Puzzlelementen? Die Antwort liegt wie schon vor ein paar Monaten beim Test der Importversion im Auge des Betrachters, führt aber in jedem Fall zu einem äußerst gelungenen Mix. Die vom Spieler sehr subtil, aber bis hin zu verschiedenen Enden beeinflussbare Geschichte wird ebenso spannend wie überzeugend in einem markanten Anime-Artdesign erzählt. Und sie verdient ein Extralob für den Versuch, sich schwieriger Themen wie Beziehungsängsten oder Fremdgehen anzunehmen. Dass sie dabei ohne Pathos oder erhobenen Zeigefinger die vielschichtigen Figuren beleuchtet, ist umso bemerkenswerter. Doch auch die Puzzle-Komponente kann sich sehen lassen: Irgendwo zwischen Sokoban, Q-Bert und einem „invertierten“ Tetris fordert das Block-Schieben nicht nur die kleinen grauen Zellen, sondern auch die Fingerfertigkeit. Schade ist allerdings, dass einem die ansonsten gute (Digipad-) Steuerung immer wieder kleine Knüppel zwischen die Beine wirft, wenn man hangelt oder sich im Bildhintergrund befindet. Dass die Charaktere in der ansonsten überzeugend inszenierten Geschichte gegen Ende vernachlässigt werden, ist ebenfalls bedauerlich. Doch auch mit diesen Mankos ist Catherine ein gegen den Strom schwimmender Geheimtipp, der niemanden mit einem Faible für außergewöhnliche Spiele kalt lassen dürfte – auch wenn man die mitunter unglücklich übersetzten deutschen Texte im Zweifelsfall ignorieren sollte.
Wertung
360
Die gelungene Mischung aus Puzzler und Dialog-Adventure mit ihren reifen Themen hat auch gut ein halbes Jahr nach US-Release nichts von ihrer Faszination verloren.
PlayStation3
Catherine ist ein hochprozentiger Cocktail, der aus gleichen Teilen Story und Geschicklichkeits-Test besteht und mit erwachsenen Themen sowie einem Hauch Mystery garniert wird.
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