Im Test:
George Orwell lässt grüßen
Die Zukunft des ehemals blühenden Inselreichs sieht düster aus: Die Kaiserin ist tot und die Bevölkerung leidet – vor allem in der Hauptstadt Dunwall. Überall patrouillieren Wachen, Bezirke werden abgeriegelt, Leute verschwinden, Ausgangssperren werden über Lautsprecher verhängt. Neben der Unterdrückung durch den Lordregenten grassiert auch noch eine mysteriöse Seuche, die Menschen in schlurfende Ungeheuer verwandelt. Wo kommt diese Pest bloß her? Warum gibt es zwei Heilmittel? Und was geschieht mit der kleinen Tochter der Kaiserin, die Alleinerbin ist?
Die Antworten darauf findet man nicht in einer offenen Welt, sondern in einer linearen Kampagne, deren Kapitel jeweils begrenzte Abschnitte öffnen – das verbindende Element ist ein alter Pub, der als verdecktes Hauptquartier fungiert. Von dort aus wird man von einem Fährmann zur nächsten Mission gebracht. Die Story legt einige interessante Köder aus, auch wenn Corvo ihr politische Schicksal nicht direkt über die Unterstützung von Fraktionen beeinflussen kann - schade.
Mit wenigen Pinselstrichen gelingt es der Regie jedoch das Bild einer interessanten Dystopie zu malen, auf dem eine viktorianisch anmutende Gesellschaft in einer Tyrannei à la 1984 versinkt. Nur dass es sich hier nicht um eine Zukunftsvision, sondern um eine fiktive Parallelwelt handelt, in der ausbeuterische Industrie und vergessen geglaubte Magie, anmaßende Aristokratie und gemeines Volk wie in einem Roman von Charles Dickens aufeinander treffen – manche Charaktere könnte auch Ebenezer Scrooge oder Samuel Pickwick heißen. Während man mit tödlicher Elektrizität und medialer Propaganda
Jürgen Thormann (Ian McKellen) aka Lordregent; Kim Hasper (Ryan Reynolds) aka Outsider; Tilo Schmitz (Gerard Butler) aka Admiral Havelock; Claudia Urbschat-Mingues (Angelina Jolie) aka Kaiserin; Marek Erhardt (Benicio Del Toro) aka Daud. experimentiert, kursieren hier allerdings Gerüchte von Runen und mythischen Gestalten. Nicht nur diese Gegensätze wecken gerade im ersten Drittel die Lust auf dieses Abenteuer.
Viktorianische Parallelwelt
Die Glaubwürdigkeit dieses Szenarios wird nicht nur von markanten Gesichtern ausgestrahlt, sondern von zig Büchern und Dokumenten erzählerisch unterstrichen: Es gibt einen eigenen Kalender mit speziellen Festen, dazu Kinderreime und Kulte sowie wissenschaftliche Abhandlungen über Walfang oder Tiere – fast genug Stoff für ein Rollenspiel, auch wenn es hier natürlich um Stealth-Action in Egosicht geht. Hinzu kommen kleine Hörproben à la Bioshock, wenn man einem der Audiographen lauscht. Und spätestens dort untermauert die deutsche Lokalisierung ihren bis dato hervorragenden Eindruck: Das sind komplett in ihrer Rolle aufgehende Sprecher, die bis hin zum Nebencharakter überzeugen – ich habe selten durchgehend so passende
Denn im Zentrum der Faszination steht das grandiose Artdesign, das der Welt über markante Architektur und elegante Mode, obskure Geräte und weiche Farben so richtig Leben einhaucht. Die Linien passen, das Licht fließt: Hier waren Künstler am Werk, die mit viel Sinn für Beleuchtung und Farben eine malerische Kulisse erschaffen. Auch wenn Corvo nach seiner Flucht aus dem Gefängnis eher an Rache als an Dunwalls Sehenswürdigkeiten denkt, sind schon die Fahrten zur Mission sehr stimmungsvoll. Nicht nur weil Samuel in seinem Fischerboot über Stadt und Gebäude parliert, sondern weil es immer wieder idyllische Ausblicke auf Festungen und Türme, Häfen und Brücken gibt. Vor allem Letztere gehören zu den architektonischen Höhepunkten des Spiels. Das Repräsentative und Pompöse einer industriellen Monarchie wird hier sichtbar - herrlich. Da kann man über das eine oder andere schwächere Gebiet wie die gefluteten Bezirke oder verwaschene Texturen hier und da hinweg sehen. Wer die PC-Version spielt darf übrigens nicht großartig tunen und bekommt qualitativ eine 1:1-Umsetzung der Konsolenvarianten.
Der freie Weg des Attentäters
Aber dafür, dass sich das Spiel „Dishonored: Die Maske des Zorns“ nennt, werden zwei Namen gebende Aspekte zunächst schwach ausgearbeitet: Die Entehrung und die Wut. Man spielt das Attentat auf die Kaiserin zwar direkt, erlebt es also hautnah, doch welche Beziehung man zur ihr hatte und was man emotional mit ihrem Reich und seiner Ehre verbindet, wird nur angerissen – hier vermisst man etwas mehr Bezüge, die in einem Prolog erzählerisch ausgearbeitet werden. Klar ist man sauer, aber so richtig „entehrt“ oder gar außer sich vor Zorn fühlt man sich zu Beginn nicht, weil man die tote Monarchin Jessamine Kaldwin gar nicht richtig kennt. Erst im letzten Drittel gibt es eine gelungene dramatische Wendung, die einem wesentlich näher geht.
Stealth-Action light
Aber dieser unspektakuläre Actionweg ist ohnehin nicht der wahre: Im Kern ist Dishonored ein Spiel, das Schleicher belohnt – auch in den Statistiken, die Eliminierte, Entdeckte und Alarme fein aufdröseln. Zu den Höhepunkten gehören jene Missionen, in denen man auch mal clever recherchieren muss wie auf einem Maskenball. Es ist zwar komplett abstrus, dass der gesuchte Corvo dort einfach mit seiner Maske auftauchen darf, aber um sein Opfer unter drei Ladys zu finden, muss er sich mit den Gästen unterhalten. Das läuft weitgehend automatisch, aber macht Laune, obwohl man sich etwas zu frei austoben darf - hier hätte ein Zeitlimit oder misstrauischere Wachen für etwas mehr Spannung sorgen können. Immerhin kann man hier auch mal über einen Dialog zum Erfolg kommen.
Recht früh kann sich Corvo dabei übersinnlicher Fähigkeiten bedienen, indem er Runen und Knochenartefakte (damit kann man z.B. permanent seine Gesundheit steigern oder die Schnelligkeit erhöhen) über ein pochendes Herz aufspürt, das wie ein Sucher wirkt und sogar Informationen über den aktuellen Ort preisgibt. Auch hier wird gerade zu Beginn des Spiels die Neugier geweckt: Wer ist dieser Outsider, der ihn über ein Tattoo markiert und an bestimmten Stellen immer wieder moralisch anspricht? Corvo muss also nicht nur den Mord an der Kaiserin aufklären, sondern auch seine Rolle in diesem intriganten Abenteuer aufklären. Die Story kann das rätselhafte Niveau allerdings nicht bis zum Ende halten, denn viele Antworten sind vorhersehbar und leider nicht beeinflussbar.
Das elegante Teleportieren
Diese mächtige, weil auch noch lautlose Fähigkeit lässt Corvo Entfernungen überbrücken, aus Gefechten verschwinden oder direkt hinter Feinden landen, um sie anschließend zu meucheln oder bewusstlos zu würgen. Und für diese Sprünge hat er immer genug Mana. Lediglich das ständige Teleportieren in Folge ist nicht möglich. Aber diese eleganten Sprünge sind sowohl Segen als auch Fluch: Ein Segen, weil man so herrlich frei und dynamisch überall hin kommt, ohne sich lange Gedanken über Wege machen zu müssen – selbst Schwindel erregende Höhen erreicht man recht gefahrlos. Und da beginnt der Fluch, denn das mächtige Teleportieren macht es einem sehr einfach zum Ziel zu kommen, zumal man die maximale zweite Stufe dieser Fähigkeit zu schnell freischaltet. So überwindet man riesige Brücken schwuppdiwupp über die Pfeiler und Seile.
Das Maximum der Fähigkeiten
Und warum findet man die für die Aufrüstung der Fähigkeiten so wichtigen Runen so häufig, ohne viel dafür tun zu müssen? Auch da hätte man den Hebel ansetzen können, indem man sie seltener anbietet oder besser sichert - so hat man das Gefühl, dass man sie überall bekommt. Dass man sich für die dreistelligen Zahlencodes der Safes teilweise nur mal umsehen oder ganz simpel kombinieren muss, ist ebenfalls symptomatisch für ein Spieldesign, das den Flow vor den Anspruch stellt. Da war mehr drin!
Schwache KI-Routinen
Man kann auf Knopfdruck als Fisch durch Kanäle schwimmen, als Ratte problemlos durch Schächte wuseln und sich wieder zurückverwandeln. In der Haut eines Menschen kann Corvo zwar nicht kämpfen, aber er kann kurzfristig mit ihm an seinen Kollegen vorbei schlendern und vielleicht eine Tür öffnen, dahinter einen Schalter bedienen oder eine Leitung sabotieren, so dass einem Politiker in der Sauna etwas zu heiß wird – ein geschickt eingefädelter Unfall. Sehr schön: Sobald er den Fremdkörper verlässt, ist der Eigentümer für ein paar Sekunden verwirrt - man entdeckt immer wieder kleine Feinheiten, die das Potenzial dieses Abenteuers auch auf der Verhaltensebene andeuten. Sehr böse: Wenn eine Wache schießt, hält man die Zeit an, so dass die Kugel schon in der Luft schwebt. Dann übernimmt man den Körper der Wache und läuft mit ihr zurück an den Ort, auf den sie selbst gezielt hat. Wenn man sie jetzt verlässt, wird sie von ihrer eigenen Kugel erledigt…
Das macht Spaß, gar keine Frage – und erlaubt in Tierform tolle alternative Wege! Aber warum begegnet man beim Teleportieren oder in Verwandlung nicht wenigstens punktuell mehr Gefahren oder Hindernissen? Richtig schade ist, dass die Balance aufgrund der fehlenden Beschränkungen für das eigene Vorgehen sowie der schwachen Wachroutinen irgendwann so kippt, dass manche groß angekündigte Infiltration nahezu lächerlich einfach zu meistern ist. Nicht nur, weil man meist so viel Geld hat, dass man sich im Hauptquartier mit genug betäubenden Bolzen, Heil- und Manatränken eindecken kann - man findet quasi überall Zaster. Sondern auch deshalb lächerlich, weil eine Mission von „streng bewachtem Gebäude“ oder „paranoidem Verfolgungswahn“ des Besitzers spricht und es einem dann innerhalb der Mauern so leicht gemacht wird.
Auf dem Sicherheitsauge blind
Der tyrannische Lordregent, der entfernt an Max Schreck in Nosferatu (1922) erinnert, steht dann an seiner der Balustrade, schaut nach unten und reagiert wie? Gar nicht darauf, dass da eben noch seine Leute was sichern sollten und jetzt niemand unterwegs ist. Noch schlimmer: Er selbst wird als eine der einflussreichsten Persönlichkeiten so schlecht bewacht, dass man ihn problemlos überwältigen kann - und weg ist der Schreck. So herrlich das Abenteuer aussieht, so stimmungsvoll es inszeniert wird, so anspruchslos fühlt es sich in diesen wichtigen Momenten gerade für Freunde der subtilen Infiltration an; leider auch im Finale sowie in den wenigen Bosskämpfen gegen besondere Charaktere. Auch der optionale Taschendiebstahl mutiert irgendwann zur Farce: Auf dem gut besuchten Maskenball kann man ausnahmslos jeden Besucher ohne Reaktion bestehlen – selbst vor den Augen von Wachen. Und schon vorher darf man sich in jedem privaten Raum bedienen; selbst bei Admiral Havelock, der genug Gründe für Diskretion hätte.
Fazit
Kompliment an die Arkane Studios für diese stilvolle Premiere - das hat Spaß gemacht! Dishonored ist ein ansehnliches Abenteuer, das flotte Stealth-Action vor wunderbaren viktorianischen Kulissen inszeniert. Das Artdesign gehört hinsichtlich Architektur und Mode zum Besten, was ich in den letzten Jahren gesehen habe. Hinzu kommt eine Lokalisierung, die endlich mal durchgehend mit markanten deutschen Sprechern überzeugt sowie ein offenes Spieldesign, das sowohl den martialischen als auch subtilen Weg ermöglicht - hier war im ersten Drittel noch der Award greifbar. Leider hapert es später an reaktiver KI und Anspruch in den Missionen, denn das Teleportieren ist Segen und Fluch zugleich: Man beamt sich zwar elegant vorwärts, aber im Zusammenspiel mit den schwachen Wachroutinen wird das Erlebnis nicht nur vereinfacht, sonder auch stark verkürzt - da überwindet man selbst riesige Brücken in null Komma nichts. Selbst in den erzählerisch wichtigen Momenten, wo die Regie eine knifflige Infiltration ankündigt, kommt man schwuppdiwupp vorwärts. Wo sind die Feinde und Sicherheitsanlagen, die Corvo so das Wasser reichen können, dass man den Erfolg der Überwindung genießen kann? Egal ob Bosse, Infiltration, Rätsel oder Entwicklung: Es fehlt der Anspruch, man ist zu früh zu mächtig. Vor allem im letzten Drittel wird die anfängliche Faszination leider von zu viel Beliebigkeit und Leichtigkeit ausgebremst.
Pro
Kontra
Wertung
360
Ansehnliche Stealth-Action auf Speed: Das mächtige Teleportieren ist Segen und Fluch zugleich!
PC
Auf dem Rechner erlebt man technisch dasselbe malerische Abenteuer wie auf Konsolen - man kann kaum etwas tunen.
PlayStation3
Kompliment an die Arkane Studios für diese stilvolle Premiere - das hat trotz KI-Schwächen richtig Spaß gemacht!
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