The Walking Dead: Episode 130.04.2012, Jörg Luibl
The Walking Dead: Episode 1

Im Test:

Was, wer macht das? Oh nein! Nichts gegen die guten Adventures der Jungs aus Kalifornien. Aber das war meine Reaktion als ich gehört habe, dass Telltale Games eine Spielereihe zu The Walking Dead entwickelt. Schließlich verkörpert die Comicsaga von Robert Kirkman alles andere als witzigen Rätselspaß vor bunter Kulisse. Mit dieser Skepsis habe ich das erste Kapitel der fünfteiligen Geschichte aufgeschlagen.

Das schlechte Gewissen

Sage ich ihm die Wahrheit oder belüge ich diesen Hershel? Schließlich hat der alte Kauz mich und die Kleine gerade auf seiner Farm aufgenommen. Außerdem verarztet er mein Bein, das schrecklich geschwollen ist. Aber was wird aus seiner Gastfreundschaft, wenn er erst erfährt, dass ich noch ein geflohener Gefangener bin, der mit einem mittlerweile toten Polizisten in dessen Auto gen Knast unterwegs war? Ich wundere mich ohnehin schon, dass er einem Schwarzen hilft, der mit einem kleinen Mädchen auftaucht, das er irgendwo aufgegabelt hat. Sie heißt Clementine, ihre Eltern sind verschwunden und ich passe auf sie auf.

Während Hershel meine Wunde versorgt, bombardiert er mich mit Fragen. Woher ich komme, mit wem ich kam, wohin ich will. Und weil ich nicht ewig Zeit für die Antwort habe, mache ich einen Fehler: Einmal antworte ich mit "Wir sind...", dann behaupte ich, dass ich alleine im Auto unterwegs war. Er runzelt zwar nur die Stirn und verbindet mich weiter, aber er ist nicht dumm. Ein paar Szenen später wird auf meine Lüge zu sprechen kommen, während er seinen Stall ausmistet. In diesem Spiel sollte man sich gut überlegen, was man sagt - und das motiviert dazu, in jeder Begegnung hellwach zu sein.

Wandelndes Misstrauen

Man spielt Lee Everett, der sich hier einem kriechenden Zombie erwehren muss - in Form eines Reaktionstests: Erst mit dem Fadenkreuz zielen, dann treten.
Man spielt Lee Everett, der sich hier einem kriechenden Zombie erwehren muss - in Form eines Reaktionstests: Erst mit dem Fadenkreuz zielen, dann treten.
Nicht nur der Zeitdruck in den kurzen, aber gut geschriebenen Dialogen sorgt für Spannung, sondern auch die spürbaren Konsequenzen: Man kann nicht nur über Gespräche und Geschenke für Vertrauen oder Misstrauen sorgen, was sich umgehend in der Mimik der Leute ausdrückt, die Ärger oder Dankbarkeit zeigen. Etwas befremdlich wirkt allerdings die politische Korrektheit in einem Detail: Während alle Figuren „fucking drive“ und Ähnliches von sich geben dürfen, darf man als Held zwar als Antwort „Fuck you!“ wählen, aber das wird im Gegensatz zu allen anderen Antworten nicht ausgesprochen, sondern lediglich gegrummelt.

Das dreidimensionale Abenteuer wird in einem markanten Comicstil inszeniert, der angenehm realistisch und genauso explizit in der Gewaltdarstellung ist wie die Vorlage. Man schlägt mit Hammer oder Axt teilweise mehrmals auf die heran kriechenden Zombies ein, Blut spritzt und Köpfe fliegen; hier wird nichts in bunten Farben verharmlost oder ausgeblendet. Und das ist gut so. Noch besser ist, dass neben der brutalen Gnadenlosigkeit auch einige idyllische und vor allem viele emotionale Momente gibt, in denen man einfühlsam und mitfühlend agieren kann, wenn man z.B. die kleine Clementine trösten muss. Es ist also möglich, seine Rolle als Lee Everett in gewissen Grenzen zu interpretieren.

Und man muss dramatische Entscheidungen über Leben und Tod treffen. Der Spielrhythmus wechselt plötzlich von ruhiger Erkundung hin zu hektischer Panik, wenn die wandelnden Toten auftauchen. Gerade eben sucht man die Gegend noch gemütlich nach Hinweisen ab oder hilft den Farmern beim Anlegen eines Zaunes, dann ertönt irgendwo ein Schrei und die Kamera zoomt direkt rein in die geifernden Fratzen: Hilft man zuerst dem älteren Sohn von Hershel oder dem kleinen Jungen von Kenny, wenn die Zombies durch den Zaun brechen? Man muss schnell reagieren, denn es gibt keine Pause - eine sehr gute Designentscheidung. Wer es einfacher mag, kann vor und während des Spiels übrigens mehr optische Hinweise und interne Hilfen aktivieren. Aber wer sich einigermaßen mit Spielen auskennt, sollte das nicht tun, denn der Schwierigkeitsgrad ist nicht gerade knackig.

Leben oder Tod?

Trotz der brutalen Wirklichkeit entstehen in der markanten Comic-Kulisse durchaus idyllische Momente.
Trotz der brutalen Wirklichkeit entstehen in der markanten Comic-Kulisse durchaus idyllische Momente.
Falls man sich für den Jungen entscheidet, kennt der alte Farmer kein Pardon und schmeißt einen wütend raus. Dafür hat man wiederum das Vertrauen des anderen Vaters gewonnen, der einen später in seinem Wagen mitnimmt in die nächste Stadt. Entscheidet man sich hingegen für Hershels Sohn, muss man zwar ebenfalls die Farm verlassen, aber die Dankbarkeit von Hershel könnte sich noch als nützlich erweisen. Es ist zwar schade, dass sich hier keine komplett neue Situation ergibt, die sich auf der Farm abspielt, aber Telltale will diese Entscheidungen in späteren Episoden aufgreifen - man soll die gesamte Story sowie viele Begegnungen beeinflussen können. Ich bin gespannt, wie sich mein Verhalten in der zweiten Folge auswirkt.

Dass sich die Pfade manchmal deutlicher gabeln können, zeigt sich aber schon in diesem Abenteuer: Je nachdem, welche Antwort man dem kleinen Mädchen gibt, verlässt man ihr Haus z.B. entweder bei Tag oder Nacht, wobei es jeweils komplett unterschiedliche Szenen und Begegnungen gibt; das erhöht den Wiederspielwert der knapp dreistündigen Episode.

Der Regie gelingt es sehr gut, selbst in ruhigen Phasen ein Gefühl der Unsicherheit zu schaffen. Dann kann man mit Leuten reden, Hinweise und Gegenstände sammeln, indem man seinen Charakter direkt bewegt - allerdings in recht kleinen Arealen, in denen man nicht sehr viel findet. Die Rätsel sind einfacher, aber angenehm logischer Natur: Ein Radio funktioniert nicht. Man kann heran zoomen und alle Tasten drücken, kann es umdrehen und auf der Rückseite die Klappe öffnen - aha, zwei Batterien fehlen. Die sucht man dann und schon empfängt man Sender. Schade ist, dass man sein Inventar nicht öffnen und sich die Gegenstände darin genauer anschauen kann; sie erscheinen nur als kleine Icons am linken Rand und werden kontextsensitiv eingeblendet, falls eine Aktion mit ihnen möglich ist.

Meist geht es darum, einen Gegenstand zu finden und einzusetzen: Die Fernbedienung schaltet das TV-Gerät ein, die Axt bricht das Schloss auf, das Kissen dämpft den Schuss. Dabei geht es um logische Ketten wie etwa das Öffnen einer verschlossenen Tür, um an einen Stein zu gelangen, mit dem man wiederum eine Scheibe einschmeißen kann, damit der Lärm die Zombies anlockt, so dass man über die Straße hetzen kann. Auch wenn die kombinatorische Herausforderung fehlt, entsteht die Spannung durch die Echtzeit, denn man hat für bestimmte Aktionen nur wenig Zeit, sonst wird man gebissen und es heißt Game Over. Trotzdem hätte es für meinen Geschmack auch noch mehr kleine Rätsel geben können.

Im Angesicht der Zombies

Auch der Kampf läuft als Reaktionstest gegen die Zeit ab. Das wird in manchen Szenen ganz einfach inszeniert: Falls man direkt angefallen wird, muss man nur schnell einen oder rechtzeitig noch einen zweiten Knopf drücken, um sich zu befreien - schade, dass man den Schwierigkeitsgrad da nicht über Mehrfachkombos erhöht. Wenn man etwas mehr Zeit hat, muss man vorher immerhin zielen - z.B. mit dem Hammer oder der Flinte auf Kopf, indem man das übergroße Fadenkreuz bewegt. Das wird lediglich ein wenig erschwert, wenn man gerade gestürzt ist und die Situation von unten sieht oder wenn man vor dem Hieb oder Schuss erstmal die Waffe greifen oder laden muss, während der Zombie heran schlurft. Unterm Strich sind die Kämpfe etwas zu simpel.

Die große Stärke des Abenteuers sind die offenen Dialoge, die man unter Zeitdruck führt.
Die große Stärke des Abenteuers sind die offenen Dialoge, die man unter Zeitdruck führt.
Zur Unsicherheit trägt allerdings auch bei, dass der Held keine Waffe dauerhaft besitzt, sondern nur in bestimmten Situationen welche aufnimmt – das mag zwar angesichts der schlurfenden Apokalypse seltsam anmuten, aber immerhin ist er ein junger Geschichtsprofessor. Warum wurde er überhaupt verhaftet? Man weiß zunächst nicht viel über diesen Lee. Aber im Laufe der ersten Episode wird man einige Puzzlestücke seiner Vergangenheit finden. Ich bin gespannt, wie sich seine Biographie entwickelt. Wird es Romanzen geben? Wird jemand aus seiner Vergangenheit auftauchen? Wird er als verurteilter Krimineller nochmal belangt?

Ärgerlich sind die kleinen technischen Mängel, denn es kommt gelegentlich zu Rucklern oder Tonfehlern, wenn ein Wort am Satzende doppelt gesprochen wird. Außerdem gibt es auch in der deutschen Version nur englische Untertitel. Da man recht viele Dialoge mit Entscheidungen führt, sollte man Englisch mindestens gut verstehen, damit einem nicht wichtige Nuancen entgehen. Sehr interessant nach dem Durchspielen sind die Statistiken: Man erfährt z.B. wie viele Spieler gelogen oder Gnade gezeigt haben, wie viele wem das Leben gerettet oder loyal begegnet sind. Die fünf Teile erscheinen monatlich und kosten fünf Euro; wer schon jetzt alle auf einmal bestellt, zahlt 20 Euro und bekommt ein paar Extras.

Fazit

Was für eine Überraschung! Ich sammle die Comics von Robert Kirkman seit 2006 und war sehr skeptisch gegenüber dieser Spielumsetzung. Aber nach der ersten Episode muss ich Telltale Games ein Kompliment machen: Sie haben den Geist der Saga überaus stimmungsvoll eingefangen. Zwar sind die Rätsel bisher recht einfach, die Gebiete etwas klein und es gibt technische Mängel. Aber wie im Comic werden die Menschen in zig emotionale, familiäre und gruppendynamische Konflikte gestürzt, die man als Spieler beeinflussen kann. Klassische Point&Click-Tugenden wie das Absuchen einer Kulisse und das Sammeln von Gegenständen werden mit moderneren Elementen wie Reaktionstests und Kämpfen in Echtzeit gemischt – das erinnert an Heavy Rain. Obwohl das kein Actionspiel ist und die Gefechte etwas zu simpel anmuten, ist die Spannung in Dialogen und Gefechten immer greifbar. Mir gefällt nicht nur die Gnadenlosigkeit der Inszenierung, sondern auch die offene Dialogführung unter Zeitdruck sowie die spürbaren Konsequenzen. Sean Vanaman erzählt eine komplett neue Story aus der Perspektive des Schwarzen Lee Everett mit teilweise bekannten Charakteren. Zwar hätten sich die Wege schon in dieser ersten Folge öfter gabeln und etwas mehr Rätsel auftauchen können, aber nach den drei Stunden lohnt sich das erneute Spielen, denn man erlebt je nach Verhalten teilweise komplett andere Szenen. Ich freue mich auf die zweite Folge!

Wertung

360

Kompliment: Telltale Games hat den Geist der Comic-Saga überaus stimmungsvoll eingefangen.

PC

Kompliment: Telltale Games hat den Geist der Comic-Saga überaus stimmungsvoll eingefangen.

PlayStation3

Kompliment: Telltale Games hat den Geist der Comic-Saga überaus stimmungsvoll eingefangen.

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