Im Test:
Von Wildkatzen und Killerdackeln
So einen Überlebenskampf habe ich noch nicht gesehen: Mein knuffiger kleiner Teppichporsche springt einem zehn mal so schweren Reh an die Kehle - und hat Erfolg. Sekunden später liegt das erlegte Wild am Boden, fertig zum Verspeisen. Das wurde auch Zeit, die rapide fallende Hungeranzeige hat die Energieleiste meines Hündchens empfindlich geleert.
Mit lauten Piepsgeräuschen fresse ich die Beute. Auch der Rest der Soundeffekte klingt wie in der Pachinko-Halle aufgnommen. Klingklong: Herausforderung gemeistert, zwei Gegner gerissen. Wiuwiuwiu: Ein schwebendes Geschenk rotiert wild vor meiner Nase. Darin steckt ein knallbuntes Hundekostüm, welches meine Attacken um ein paar Punkte verstärkt. Begleitet wird das surreale Schauspiel von einem überdreht euphorischem Mix aus Techno und Sambatrommeln, der eher an einen Fußballtitel aus den Neunzigern als an die Apokalypse erinnert.
Trash oder Überlebenskampf?
Trotzdem lohnt es sich, dranzubleiben. Hinter der bizarren Fassade steckt ein motivierender Überlebenskampf mit einem gelungenen Zusammenspiel vieler Tierarten. Der Ablauf ähnelt Spielen aus dem Roguelike-Genre wie Spelunker. Ich starte mit einem von vielen freischaltbaren Tieren in eine Runde und versuche, so lange wie möglich zu überleben.
Nahtloser Generationswechsel
Zu Beginn zeigen mir attraktive Weibchen sonst die kalte Schulter. Hat jedoch eine angebissen, trabt sie mir treu ergeben ins Versteck hinterher und das albern inszenierte Paarungsritual kann beginnen. Der Bildschirm färbt sich schwarz, es erklingt eine schmalzige Saxophon-Melodie und der Controller beginnt wild zu vibrieren. Kurz danach liegt ein kompletter Wurf im Korb. Ich schlüpfe in die Rolle eines der Jungen, welches Teile der Fähigkeiten seiner Eltern übernimmt. Auf meiner ersten Entdeckungstour dackeln mir meine Geschwister treu hinterher.
Hektische Familienplanung
Wem das pausenlose Zerfleischen zu martialisch ist kann auch als Pflanzenfresser starten. Dann konzentriert sich das Spiel noch stärker aufs Schleichen und Erreichen essbarer Pflanzen, Revierkämpfe sind aber auch hier nötig. Als Küken, Henne, Hase, Nilpferd oder eines der vielen anderen freischaltbaren Arten tripple ich von einem schützenden Grasbüschel zum nächsten. Als Reh hüpfe ich mit Hilfe meines Doppelsprungs durch Einkaufszentren und andere Schleichwege, um neue Viertel zu erkunden, dort Revierkämpfe auszutragen und sie als mein Gebiet zu markieren.
Flucht oder Angriff?
Bevor sie mich entdeckt haben, grasen meine Gegner nur stumpf ihre Bahnen ab, im Kampf oder bei der Flucht wirkt die KI aber deutlich glaubwürdiger. Umsonst war mein von den Löwen gestoppter Ausflug übrigens nicht, weil ich wieder ein paar Extras freigeschaltet und mich in der weltweiten Bestenliste verbessert habe. Die Ausweich-Bewegung braucht man übrigens auch als Jäger für einen einfachen Konter. Der Rest der Steuerung ist ebenfalls einfach gehalten. Tatzenhiebe, Schleichgang und der tödliche Kehlenbiss werden jeweils mit einem Knopfdruck gestartet. Beim Finisher muss allerdings das Timing stimmen: Den passenden Zeitpunkt erkenne ich an einem rotierenden Biss-Symbol.
Solid Dog
Obwohl Tokyos Straßen schmal sind, erwarten mich auf meinen Entdeckungstouren immer wieder kleine Überraschungen. Mal imitiere ich Solid Snake und nutze einen Karton als mobile Tarnung, später versuche ich, unter Zeitdruck aus einem verseuchten Gebiet entkommen. Oder ich stecke mich mit Parasiten an, welche mich durch das ständige Kratzen ausbremsen und sich mit Flohpulver bekämpfen lassen.
Auch andere Überbleibsel der Menschen werden nützlich: Eine Flasche mit Mineralwasser z.B. entgiftet den angeschlagenen Körper ein wenig. Die Geschichte hinter der Apokalypse wird in den ausgelagerten Story-Missionen erzählt. Dort muss ich nicht endlos überleben, sondern nur ein paar Aufgaben meistern. Offline dürfen übrigens zwei Spieler kooperativ im gleichen Bildausschnitt loslegen. Da man sich gegenseitig mit einigen Medizin-Rationen heilen kann, fällt das Überleben dann deutlich einfacher.
Fazit
In den ersten Minuten wirkt Tokyo Jungle wie ein riesiges Durcheinander: Der überdrehte Samba-Techno passt einfach nicht zum düsteren Szenario und die wild klingelnde Statusmeldungen nicht zum gnadenlosen Überlebenskampf. Außerdem sieht es reichlich albern aus, wenn man sogar als Zwergspitz oder winziges Küken große Jäger abwehrt. Doch je länger ich spielte, desto mehr ging die Formel auf. Tokios animalischen Bewohner agieren zwar nicht besonders realistisch, im Rahmen des Spiels funktioniert das Zusammenspiel der Arten aber gut. Es ist richtig motivierend, sich als agiles Fluchttier durch die Ruinen zu schleichen – oder als Raubtier den unbändigen Hunger nach frisch erlegten Opfern zu stillen. Als kleine Spaßbremse erweist sich die nötige Fleißarbeit: Der Großteil anderer Spezies wird erst nach vielen mühsamen Runden freigeschaltet. Aber auch mit Reh, Zwergspitz und Raubkatze gestalten sich die Entdeckungstouren durch die verseuchten Ruinen überraschend unterhaltsam.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation3
Trotz schwacher Inszenierung bietet Tokyo einen unterhaltsamen Überlebenskampf in einer tierisch verrückten Welt.
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