Wonderbook: Das Buch der Zaubersprüche16.11.2012, Jörg Luibl
Wonderbook: Das Buch der Zaubersprüche

Im Test:

Kann man das Wohnzimmer in eine virtuelle Zauberwelt verwandeln? Kann man wie Harry Potter fliegen und Feuer lodern lassen? Das verspricht Sony mit Wonderbook: Das Buch der Zaubersprüche (ab 49,89€ bei kaufen). Hier sollen Kinderträume mit Hilfe von PlayStation Move, J.K. Rowling und „Augmented Reality“ wahr werden.

Magische Momente

Der Übergang in die Welt der Zauberer führt nicht über das Gleis Neundreiviertel oder die Winkelgasse, sondern das eigene Wohnzimmer: PlayStationEye einschalten, Move-Controller anschließen und das geschlossene Wonderbook so auf den Boden legen, dass es zusammen mit dem abenteuerlustigen Muggel, der am besten im Schneidersitz davor hockt, von der abwärts geneigten Kamera erfasst wird. Allerdings darf man nicht im Dunkeln zaubern, sondern muss den Raum so gut wie möglich erhellen. Kommentar eines Siebenjährigen: Hä, wieso zaubern wir im Hellen?

Das Tutorial ist vorbildlich und führt Kinder sowie Eltern behutsam durch die Einrichtung. Ist alles installiert und kalibriert, verwandelt sich das graublaue Buch mit den dicken Seiten und kryptischen Zeichen in ein Zauberbuch mit feinen vergilbten Seiten.  Zunächst wählt man einen von drei Zauberstäben, die zwischen steif und biegsam reichen sowie aus unterschiedlichem Material bestehen. Danach darf man sich aussuchen, ob man als Lehrling für die Slytherins, Gryffindors, Ravenclaws oder Hufflepuffs ausgebildet wird. Hier riecht es noch nach Harry Potter, was bei den Fans auf unserer Couch noch zu hitzigen Debatten über die Wahl führte, aber später ebbte das Fachsimpeln immer mehr ab.

Arkane Ausbildung

Toller Effekt: Man sieht sich hinten verkleinert im Bild, während man vorne Kreaturen schrumpfen oder vergrößern muss.
Toller Effekt: Man sieht sich hinten verkleinert im Bild, während man vorne Kreaturen schrumpfen oder vergrößern muss.
Dabei beginnt alles cool: Kaum hat man sich entschieden, erkennt man den knorrigen Stab in der Hand, kann ihn drehen und damit hantieren, schon kleine Funken auslösen oder per Hand aktiv über das reale Buch wischen, so dass der Staub auf dem digitalen Buch am Bildschirm verschwindet. Irgendwann sitzt dann tatsächlich eine fette Kröte oder eine Sphinx darauf. Die ersten Schritte haben also tatsächlich etwas Magisches an sich. Weniger cool: Egal welchen Stab man wählt, egal welchem Haus man beitritt – nichts hat entscheidenden Einfluss auf ein Abenteuer, das visuell starke Szenen hat, aber spielerisch mit zu vielen Wiederholungen ernüchtert.

Worum geht es? Gute Frage. Denn so richtig geheimnisvoll oder episch wirkt die Geschichte trotz der märchenhaften Kulisse samt schwebenden Buchstaben nicht. Ziel ist es schlichtweg, alle Zauber zu erlernen und selbiger zu werden. Dabei soll einem natürlich das vorliegende Buch helfen, das in fünf Kapitel unterteilt ist. Der Storyrahmen wird von dessen Verfasserin Miranda Habicht errichtet, die sich neben dem Erzähler immer wieder mit kleinen Anekdoten und Hinweisen meldet oder Rätselreime zum Besten gibt. Aber all das wirkt eher anekdotenhaft als zusammenhängend, so dass nicht nur Kinder und Potterfans die kleinen Geschichten recht zügig überspringen wollen, um endlich aktiv zaubern zu können.

20 Zauber in fünf Kapiteln

Zu den früheen Aufgaben gehört das Umtopfen der Alraunen. Die Zauber sind sehr simpel gestrickt und einfach zu lernen.
Zu den früheen Aufgaben gehört das Umtopfen der Alraunen. Die Zauber sind sehr simpel gestrickt und einfach zu lernen.
Dabei läuft jedes Kapitel für jeden der 20 Zauber nach Schema F ab: Einleitung mit Erklärungen zum Zauber lesen, wobei man Buchstaben in die Höhe zieht oder mit Kreaturen interagiert, weiterblättern zur Gestenzeichnung, diese zweimal aktiv ausführen und anschließend in einem kleinen Szenario üben. Diese vier Schritte wiederholen sich immer wieder. Man sammelt nicht nur arkane Fähigkeiten, sondern auch die so genannten Hauspunkte, die je nach Leistung in fünf, zehn oder mehr ausgespuckt werden. Aber sie werden nicht aktiv ins Geschehen eingebunden, man muss weder Talente noch Zauber erweitern, sondern sie werden einfach gehortet, um sie später auszugeben.

Wer einen Zauber wirken möchte, muss zunächst das betreffende Zeichen mit dem Move-Controller in den Bildschirm malen: Etwa eine Welle für den Wasserzauber. Wurde einmal korrekt gemalt, was dank der toleranten Abfrage meist funktioniert, kann man daraufhin einfach auf Knopfdruck das Nass aus dem Stab fließen lassen. So lassen sich z.B.  Kessel oder Brunnen füllen. Die grafischen Effekte sind sehr gut: Der Bildschirm oder das Buch werden nass, so dass man Letzteres z.B. aufrecht hinstellen und abschütteln muss; sehr schön sind auch die Stellen, wo man in Brunnen oder Abgründe hinein blicken soll, indem man das Buch entsprechend in die Kamera hält.

Abschlusstest am Kapitelende

Kleine Schummelei: Zwar soll man laut Erzähler die Namen der Zauber sauber aussprechen, aber man kann einfach alles Mögliche sagen - auch "Schalke" oder "Arschbombe".
Kleine Schummelei: Zwar soll man laut Erzähler die Namen der Zauber sauber aussprechen, aber man kann einfach alles Mögliche sagen - auch "Schalke" oder "Arschbombe".
Das Spiel selbst ist simpel: Mal muss man Alraunen aus dem Boden reißen und in Töpfe verfrachten oder Licht ins Dunkel bringen, indem man funkelnde Punkte in finsteren Räumen anvisiert. Danach soll man Wesen schrumpfen lassen, Schlösser öffnen oder Papierkreaturen entzünden. Alles sehr leichte, sehr kindgerechte Aufgaben, bei denen man allerdings nicht abweichen darf und die in sehr engen Räumen stattfinden. Der spielerische Einsatz der Zauber ist leider sehr beschränkt: Meist gibt es nur eine offensichtliche Anwendung für den magischen Effekt, auf die der Erzähler immer wieder hinweist. Schade ist, dass man Kinder  so früh an die Leine kettet und nicht mal etwas freier mit dem erlernten Wissen die Umgebung erkunden sowie in ihr experimentieren lässt.

Nach der ersten Dreiviertelstunde beherrscht man z.B. die vier Zauber Schweben, Wasser, Öffnen und Licht. Dann kommen das Schrumpfen und Vergrößern, das Entzünden, Entdecken sowie der Vogelschwarm hinzu. Aber schon nach zwei Kapiteln fragt man sich, wann denn das Abenteuer anfängt? Wann kann man mal freier mit den Zaubern hantieren und experimentieren? Das Zauberbuch fühlt sich eher an wie ein nicht enden wollendes Tutorial.  Auch die Kinder (zwischen sieben und vierzehn), die es sich im Rahmen unseres Tests angeschaut haben, nervte irgendwann dieses Korsett: Wann kann ich denn mal alleine losgehen?

Immerhin: Am Ende eines Kapitels wartet jeweils eine Abschlussprüfung, in der man alles Erlernte meist zusammen anwenden muss.  Die Kamera schwenkt dann von einem kleinen Schauplatz zum nächsten, wo man Kisten öffnen, Zahnräder einfügen, Teufelsschwingen abwehren und schließlich Zaumzeug einsetzen muss, um einen wilden Wasserdämon zu zähmen. Aber bis man das erneut machen darf, muss man wieder für vier Zauber in die Schule gehen – sehr redundant.

Alohomora, Aguamenti  - oder einfach: Arschbombe!

Auch Feuerzauber gehören zum Repertoire: Man muss Papierkäfer oder Papierdrachen entzünden.
Auch Feuerzauber gehören zum Repertoire: Man muss Papierkäfer oder Papierdrachen entzünden.
So verfliegt die Magie des Wonderbook viel schneller als nötig, denn der pädagogisch vielleicht sinnvolle, aber dramaturgisch fatale Wiederholungscharakter sorgt für Langeweile. Dabei hat die Technik auch Überraschungen zu bieten: Wer von sich ein Bild macht, kann auf dem vergilbten Foto z.B. noch kleine Bewegungen erkennen. Schön ist auch, dass die eigenen Aktionen ebenfalls animiert gespeichert werden. Die Kamera- und Aufnahmetechnik wird also recht kreativ eingesetzt.

Die Erkennungstechnik ist aber letztlich nicht so toll wie es scheint, denn die Aussprache spielt keine Rolle: Wenn man z.B. vom Erzähler aufgefordert wird, den Namen des Wasserzaubers, also Aguamenti“,  deutlich nachzusprechen, woraufhin auch noch ein Countdown läuft, kann man einfach irgendwas wie „Schalke“ oder „Arschbombe“ brabbeln (was ein siebenjähriger Witzbold ohne Fußballverstand oder gar Anstand tatsächlich tat) und wird dafür noch gelobt – selbst Kinder durchschauen den faulen Trick schnell (und wiederholen den Ausstoß von Vokabeln entsprechend oft). Und so beginnt die magische Fassade weiter zu bröckeln.

Kleine Irritationen

Effekte hui, Spieldesign pfui: Das Grinsen ist unseren jüngeren Potterfans aufgrund des redundanten Frontal-Unterrichts irgendwann vergangen.
Effekte hui, Spieldesign pfui: Das Grinsen ist unseren jüngeren Potterfans aufgrund des redundanten Frontal-Unterrichts irgendwann vergangen.
Für Irritationen sorgt auch, dass man manchmal trotz korrekter Anwendung des Zauberstabes vom Sprecher gerüffelt wird oder dass man trotz exakter Führung des Lichtstabes die aggressiven Ranken nicht abwehrt; hier wirkt die ansonsten gute Steuerung ungenau.  Nerven kann zudem, dass man sich trotz der lobenswerten Benutzerführung, die etwa ein Vorspulen der Texte oder eine direkte Rückkehr zum Buch erlaubt, hin und wieder exakt dieselben Anweisungen anhören muss.

Und trotz der Mitarbeit von J.K. Rowling steckt so wenig Harry Potter im Wonderbook, dass es auch eine eigene Fantasywelt sein könnte; trotz einiger Hintergrundinformationen und Freischaltbaren werden Potterfans kaum satt werden. Und das Rätsel, das die britische Autorin extra für dieses Spiel verfasst hat, wirkt bis zum fünften Kapitel wie ein Fremdkörper, denn es wird nicht gut genug in die Interaktion eingebunden. Immerhin: Im Finale öffnet sich das Abenteuer ein wenig und man darf etwas freier hantieren.

Fazit

Auf den ersten Blick faszinierend, auf den zweiten ernüchternd: Noch steckt die erweiterte Realität als digitales Erlebnis in den Kinderschuhen. Wonderbook deutet immerhin an, welche Potenziale in der Verschmelzung von Kamera, Bewegungserkennung und Spiel schlummern. In seinen besten Momenten sorgt es tatsächlich für etwas Magie – allerdings eher visuell als spielerisch. Denn so toll die ausgelösten Zauber und vor allem manche grafischen Überleitungen vom schnöden Wohnzimmer zu einem verwunschenen See aussehen, so wiederholungsanfällig und linear geht es dort voran. Spätestens wenn der stimmungsvolle Erzähler zum Nachsprechen eines Zaubers auffordert, man dabei auch "Arschbombe" oder „Schalke“ statt „Aguamenti“ sagen kann (was ein siebenjähriger Witzbold ohne Fußballverstand  tatsächlich tat) und dafür noch gelobt wird, riecht auch der PlayStationEye-Zauber faul. Ernüchternder als die fehlende Spracherkennung ist allerdings das Spieldesign: Warum nimmt man Kinder und ihre Fantasie nicht etwas ernster, indem man ihnen mehr Freiräume zum Experimentieren und mehr Anspruch bei den Rätseln gönnt? So werden sie für eine Hand voll Stunden an ganz enger Leine bei immer gleichen Abläufen durch die Kapitel gezerrt, während sie überflüssiges Zeugs freischalten und sich kaum austoben oder gar über die Rätselhaftigkeit der virtuellen Welt wundern können - das ist eher Frontalunterricht als Abenteuer. Selbst die eingefleischten Potterfans haben in unseren Spielsitzungen irgendwann abgewunken, weil es zu wenig interessante Bezüge zur Welt von Rowling gibt und die Story eher anekdotenhaft vor sich hin plätschert. Hoffentlich werden die kommenden Wonderbooks offener und besser geschrieben.

Pro

sehr gutes Tutorial
sehr gute deutsche Sprecher
saubere Kamera-Erfassung
märchenhafte Kulissen, tolle Tiefeneffekte
Potenziale der Augmented Reality werden deutlich
nette Fotospielereien
20 Zaubersprüche erlernen
Texte vorspulen

Kontra

streng linearer Ablauf
nie enden wollender Tutorialcharakter
wenig Spieltiefe, viele Wiederholungen
nur vorgegaukelte Spracherkennung
nur zwei simple Zaubermechaniken
keine kreativen magischen Rätsel
wenig Raum zum Experimentieren
nur eine Hand voll Stunden Spielzeit
kaum Wiederspielwert
zu wenig Harry Potter-Flair
ab und zu ungenaue Steuerung
nervige Rüffel trotz korrekter Aktionen

Wertung

PlayStation3

Effekte hui, Spieldesign pfui: Das Wonderbook führt Kinder an zu enger Leine in immer gleichen Abläufen durch märchenhafte Kulissen.

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