The Walking Dead: Episode 424.10.2012, Jörg Luibl
The Walking Dead: Episode 4

Im Test:

Was war das für ein dramatischer dritter Teil! Eine emotionale Achterbahnfahrt für alle, die zusammen mit Lee um jeden Tag kämpfen. Einige sind komplett ausgerastet, es gab Verräter und Mörder, man musste schreckliche Entscheidungen treffen. Aber neue Gefährten und die Aussicht auf Rettung haben die Gruppe schließlich in die Stadt Savannah gebracht. Findet man in The Walking Dead: Episode 4 tatsächlich ein Boot und Clementines Eltern? Wir haben im Test danach gesucht.

Mysteriöser Mann, rettendes Schiff

Diese Fragen wird der Test natürlich nicht beantworten, aber sie fassen die Motivation der numerisch und psychisch ausgezehrten Gruppe zusammen. Am Ende des dritten Teils meldete sich ein mysteriöser Mann über Funk bei Clementine: Was will er von ihr? Wieso lockt er sie in die Stadt? Und was hatte sie mit ihm besprochen? Nicht nur das treibt den ehemaligen Geschichtslehrer Lee mit all den anderen nach Savannah, sondern auch die Aussicht auf ein Boot – vor allem der ehemals hartgesottene, aber jetzt am Ende seiner Kräfte scheinende Kenny setzt alles darauf, über den Fluss zu verschwinden. Aber irgendwas in seinen Augen macht einem Angst...

Also schleicht die psychologisch verunsicherte Gruppe mit den neuen Gefährten in diese Stadt: Die misstrauische Christa und ihr Freund Omid, der schwer am Bein verletzt ist; hinzu kommt der kauzige Chuck, der sich bisher als Landstreicher durchschlug. Neben Kenny, Lee und Clementine ist auch noch der schlaksige, ewig depressive Ben dabei. Und sie alle haben gute Gründe, sich vorsichtig zwischen den Gassen umzusehen. Denn obwohl die Stadt zunächst leer scheint, läuten plötzlich Kirchenglocken fast à la Resident Evil 4 und die ersten Zombies schlurfen heran. Gibt es hier eine morbide Sekte? Oder hat man sie in eine Falle gelockt?

Über Kimme und Korn zielen

Clementine ist immer noch auf der Suche nach ihren Eltern. In Savannah muss Lee schwere Entscheidungen treffen...
Clementine ist immer noch auf der Suche nach ihren Eltern. In Savannah muss Lee schwere Entscheidungen treffen...
Es bleibt nicht viel Zeit zum Überlegen, schon ist man mittendrin in einem Abenteuer, das die ruhigen Momente erneut sehr gut mit den hektischen verbindet, die schließlich über Leben und Tod entscheiden: Lee muss über Kimme und Korn aktiv zielen, um die Untoten zu treffen, was aber meist direkt zum Kopfschuss führt. Man gerät dennoch in Panik, wenn man plötzlich mit einem Bein in einer Treppe feststeckt oder Türen gegen den Andrang dutzender Fratzen verriegeln muss - wer hätte gedacht, dass Telltale mal Capcom das Fürchten lehrt. Auch in diesem vierten Teil sind die Schussgefechte und Reaktionstests trotz der mitunter gelungenen Schockwirkung recht einfach zu meistern.

Aber sie tragen zur Spannung bei, denn man kann sich auch in den entspannten Phasen nie sicher sein, dass nicht doch noch etwas passiert - so behält man das Gamepad selbst in Gesprächen in der Hand. Und diese stillen Situationen sind mal wieder die große Stärke: Es gibt viele emotionale Momente, die davon leben, dass die Kamera die traurigen oder verzweifelten Gesichter einfängt, dass sie auch mal länger eine Phase der Trauer begleitet und nicht nur voll auf das Grauen draufhält - auch davon gibt es genug, wenn Schädel knirschen oder Kadaver in der Gruppe für Brechreiz sorgen. Trotzdem geht es Telltale nicht um eine Aneinanderreihung von Schock und Ekelhaftem - dieses Adventure ist im Vergleich zu den expliziten Comics von Kirkman, in denen Sex und Gewalt in ganz anderen Dimensionen eskalieren, eher harmlos. Aber hier wirken die Charaktere auch deshalb glaubwürdig, weil sich die Regie die Zeit nimmt, wirklich alle menschlichen Facetten zu zeigen. Und die lassen einen in diesem Spiel genauso wenig kalt wie im Comic.

Leben oder sterben? Man hat es in der Hand…

Leben und Tod gehören zum Alltag: Hier kämpft Kenny um Zentimeter...
Leben und Tod gehören zum Alltag: Hier kämpft Kenny um Zentimeter...
Hinzu kommen Dialoge, die auch über kleinere Fragen grübeln lassen: Soll man jemanden überzeugen, die Wahrheit zu sagen, obwohl er sich damit in Gefahr begibt? Soll man Clementine eher Hoffnung machen oder sie desillusionieren? Gerade das Verhältnis zu diesem kleinen Mädchen steht in dieser vierten Episode noch stärker im Vordergrund als sonst. Spielerisch dramatischer wird es, wenn man über Leben und Tod entscheiden muss – man kann Gefährten im wahrsten Sinne des Wortes einfach fallen lassen. Schön ist, dass Telltale nicht nur weitere interessante Charaktere einführt: Eine toughe Alleingängerin, einen greisen Arzt, eine krebskranke Frau. Außerdem ist da ja das bedrückende Geheimnis, das sich hinter dieser Stadt verbirgt – der Mann am Funkgerät war nur der Anfang. Wo und wer sind die Menschen, die sich hinter Leichenbergen verschanzen?

So angenehm das Adventure erzählt wird: Nach vier Episoden macht sich auch eine gewisse Ernüchterung breit - die Offenheit ist mehr Schein als Sein. Leider gelingt es Telltale Games nicht immer, die nötigen Konsequenzen mit den Entscheidungen durchzuziehen oder überhaupt welche anzubieten. Aber wenn sie es tun, was in dieser Episode vor allem gegen Ende so intensiv passiert, dass man schockiert Luft holen muss, dann liebt man dieses Abenteuer wieder für diese wichtigen Impulse, die es dem Adventure auf erzählerischer Ebene verleiht.

In den heiklen Gespräche hat man allerdings nicht immer den Einfluss und schon gar nicht die Zeit für Argumente und damit rhetorische Überzeugung, die man sich wünschen würde – im schlimmsten Fall laufen drei Antworten auf dasselbe hinaus. Auch wenn das nicht die Regel ist: Da könnten sich die Entwickler noch eine verschachtelte Scheibe bei BioWare abschneiden.

Tolle Dramaturgie, enges Spielkorsett

Hinter jeder Ecke lauert die Gefahr, die man in Reaktionstests überwinden muss.
Hinter jeder Ecke lauert die Gefahr, die man in Reaktionstests oder in Echtzeit per Schusswaffe überwinden muss.
Außerdem wirken nicht alle Aktionsmöglichkeiten plausibel: Warum verbarrikadieren sich die Leute nicht, obwohl einen Flur weiter Zombies schlurfen? Warum kann Lee an einer Stelle nicht entscheiden, Clementine mitzunehmen, obwohl er verdammt gute Gründe hätte? Es gibt viele kleine Dinge, die einem nicht plausibel erscheinen. Öfter als einem lieb ist, wird man doch in ein lineares Korsett gepresst.

Das Szenario besteht mal wieder aus recht kleinen Arealen, in denen man abseits der wichtigen Gegenstände kaum etwas entdecken, kaum mal etwas am Rande erfahren kann. Das, was man erfährt, z.B. über die seltsamen Leute in Savannah, ist dann wiederum gut ausgearbeitet - inklusive kleiner Andeutungen, vager Mutmaßungen und krasser Rückblicke über Videokassetten. Hier spielt Telltale seine erzählerischen Stärken aus.

In Savannah gibt es einiges zu sehen. Man ist in der verbarrikadierten Stadt unterwegs, mit vielen Leuten in einer Schule, auch mal alleine mit Lee in einer Kanalisation. Dort gibt es zwar eine stimmungsvolle Schleich- und Rätseleinlage, diese fordert allerdings kaum, weil die Lösung so linear angelegt ist – man findet immer das Richtige zur rechten Zeit. Schade ist auch, dass man bei der Planung der taktischen Vorgehensweise keinen Einfluss hat, als es darum geht, wer welches Zubehör für das Boot beschafft. Es gab diesmal zwar keine krassen technischen Aussetzer wie jene schweren Grafikbugs im dritten Teil, aber man muss weiterhin mit gelegentlichem Stottern oder kleinen Tonproblemen leben. Diese unsaubere Präsentation muss Telltale endlich mal in den Griff kriegen.

Fazit

Telltale Games bleibt seinem Stil auch im vierten Teil von The Walking Dead treu. Das bedeutet auf der negativen Seite: Zu wenige und leichte Rätsel, technische Defizite, recht kleine Gebiete und nicht diese letzte Konsequenz hinsichtlich der Entscheidungen und Dialoge, die man sich wünschen würde – da wirkt einiges zu konstruiert und automatisiert. Aber auf der positiven Seite steht ein offenes Abenteuer, dessen Charaktere einem wirklich ans Herz gewachsen sind, eine Regie, die ein sehr gutes Auge für die emotionalen und leisen Momente, für menschliche Beziehungen und Konflikte hat. Ja, es gibt auch ekelhafte Szenen, aber eben auch jene, die auf subtilere Art berühren, die traurig und nachdenklich stimmen. Gerade die Beziehung zwischen Lee und Clementine wird auf die Probe gestellt. Und diese Folge spitzt sich gegen Ende so dramatisch zu, dass man sich schon fast wie in einem Finale fühlt. Man sitzt schockiert auf der Couch und will nur eines: wissen, wie es weitergeht! Auch wenn Telltale ein zu enges spielerisches Korsett schnürt und auf mechanischer Ebene ernüchtert: Die Neugier auf den Abschluss dieses Abenteuers ist enorm. Und den Beweis, dass ein Episodenformat die Spielewelt erzählerisch und dramaturgisch weiter bringen kann, weil man Charaktere sowie Geschichte entwickeln kann, haben sie längst erbracht. Jetzt freue ich mich auf und bange ein wenig um das Ende.

Pro

vierte Episode mit dramatischem Finale
gute Mischung aus Action, Rätseln & Dialogen
spannende Story & glaubwürdige Charaktere
freier Spielverlauf mit Konsequenzen
gute Regie, dramatische Ereignisse
Dialoge unter Zeitdruck
intuitive Steuerung
hoher Wiederspielwert
stimmungsvolle Comic-Kulisse

Kontra

ärgerliche Pseudo-Entscheidungssituationen
immer noch zu leichte Rätsel & Reaktionstests
Dialoge täuschen Freiheit manchmal vor
kleine technische Macken
nur englische Sprache und Untertitel

Wertung

360

Auch wenn nicht alles brilliert: Ein tolles Abenteuer, dessen Charaktere einem ans Herz gewachsen sind.

PC

Zunächst nicht so dramatisch wie die dritte Episode, aber die Regie zieht gegen Ende hin enorm an.

PlayStation3

Trotz technischer Defizite und zu viel Leichtigkeit: Story und Charaktere lassen einen nicht los.

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