Im Test: Märchenhafte Auferstehung?
Neues Team, neues Glück?
Die Serienschöpferin Roberta Williams ist also nur noch indirekt involviert – sie gab dem Team aber ein ausführliches Briefing zur Welt und den alten Geschichten. Zunächst konnte ich kaum glauben, dass hinter all den weitläufigen Kulissen nur solch ein kleines Studio steckt. Bislang arbeitet The Odd Gentlemen schließlich nur an Knobelspielen wie The Misadventures of P.B. Winterbottom. Vermutlich hat Activision dem Team ordentlich unter die Arme gegriffen. Im Zentrum des Spiels steht nach wie vor König Graham, der mittlerweile zur lebenden Legende geworden ist und seiner Enkelin an der Bettkante von noch unbekannten Heldentaten erzählt. Die Geschichten drehen sich um Drachen, seine Prüfungen vor dem Ritterschlag und jede Menge Albernheiten. Es dauerte ein Weilchen, bis ich mich an den kindgerechten Erzählstil gewöhnt hatte. Doch je besser ich die liebenswerten Figuren und ihre Marotten kennenlernte, desto mehr sind sie mir ans Herz gewachsen. Mit raunender Märchenonkel-Stimme erzählt Graham seiner Enkelin, wie er als Jungspund zum Ritter werden wollte.
Schlichter gesucht!
Dann muss ich z.B. einen Weg finden, die auf mysteriöse Weise verschwundenen Brücken zurückzubringen; sie eröffnen mir schließlich neue Gebiete. Ich will nicht zu viel verraten, aber in ein paar unterhaltsamen Dialogrätseln mit dickköpfigen Fabelwesen muss ich sowohl List als auch Verhandlungsgeschick beweisen. Auch das Durchqueren finsterer Abschnitte wird erst später möglich, wenn ich mit Hilfe des Inventars und der Einwohner eine Laterne gebastelt habe. Schreite ich ganz naiv in die Finsternis, werde ich dagegen im Handumdrehen von einem knurrenden Wolfsrudel verspeist.
Spielbares Bilderbuch
Auch das Design erinnert an eine Vorlesestunde mit einer illustrierten Geschichte. Die Grafiker haben die Charaktere und Objekte zunächst auf Papier gemalt, eingescannt und nach dem 3D-Modelling über die Texturen gelegt, um einen charakteristischen Bilderbuch-Look zu erhalten. Das Ergebnis ist durchaus gelungen: Ich wandere an idyllischen Bächen entlang, über den urigen kleinen Marktplatz oder durch ein steiniges Tal. Aus der Nähe sieht die Vegetation zwar platt, eckig und etwas unscharf aus - im Gesamtbild ergibt sich aber ein stimmungsvolles Panorama samt durch Wolken brechender Lichtstrahlen und weicher Schatten.
Zu viel Action
An actionreichen Momenten mangelt es nicht: Etwa jede Viertelstunde wird das Knobeln durch meist nur mäßig unterhaltsame Geschicklichkeitstests unterbrochen. Mal hüpfe ich wie Nathan Drake von einem kollabierenden Felsvorsprung zum nächsten, anderswo muss ich mit passendem Timing auf die Knöpfe hämmern, um auf einem Floß auszuweichen oder einen geheimen Gildentanz aufzuführen. Mit seinem Bogen muss Graham auch mal wie in einem Lightgun-Shooter auf attackierende Fabelwesen schießen. Auch kleine, an Professor Layton erinnernde Garnpuzzles sind direkt ins Spiel eingebunden. Bei ihnen muss das Seil meist in passender Weise verschossen oder um Pfeiler gewickelt werden, um einen Gegner auszutricksen. Das wird z.B. im Kraftduell nützlich, wenn Graham immer wieder vom bulligen Hühnen „Acorn“ von der Insel geschubst wird. Nicht wirklich spannend, aber immerhin auch nicht störend. Deutlich nerviger ist, dass ein paar versteckte Punkte und Objekte leicht übersehen werden können. In einer Fallgrube z.B. musste ich in die exakt passende Richtung blicken, um die dort wachsenden Pilze zu pflücken. Bei meinen ersten Versuchen kletterte Graham auf Knopfdruck einfach wieder aus der Grube, so dass ich trotz anderer Vorahnung davon ausging, dass es dort nichts zu holen gab. Bei der Seilfalle über der Grube spielt die Blickrichtung ebenfalls eine wichtige Rolle. Da sich die Hotspots nicht per Leertaste anzeigen lassen, kam ich aber gar nicht so leicht auf die passende Lösung.
Im Kampf gegen Drachen und Bürokratie
In manchen früheren King’s-Quest-Titeln konnte man beim Knobeln bekanntlich derart in der Sackgasse landen, dass man das komplette Spiel neu starten musste. Im aktuellen Abenteuer ist das glücklicherweise nicht möglich. Es kann allerdings vorkommen, dass Graham erst einmal eine Münze im Wald finden muss, bevor er sich anderswo einen dringend benötigten Gegenstand leisten kann. Im Laufe des Abenteuers muss er außerdem über seine Schatten springen und wichtige Entscheidungen treffen: Welchem Händler oder Handwerker lässt er nach dem „Ausborgen“ von Gegenständen eine seiner wenigen Münzen da? Schießt er beim Aufeinandertreffen mit einem bedrohlichen Drachen wirklich seinen Pfeil ab? All diese eingestreuten Entscheidungen lassen die Handlung ein wenig anders verlaufen - mitunter sogar mit ernsthaften Konsequenzen, die einen deutlichen Kontrast zur locker-flockigen Comedy-Atmosphäre bieten.
Fazit
Der kleine Entwickler The Odd Gentlemen hat sein Ziel erreicht: Die neuen Abenteuer im Kings-Quest-Universum wirken tatsächlich wie eine spielbare Gute-Nacht-Geschichte. Oder besser gesagt wie ein komplettes Buch voller Gute-Nacht-Geschichten, denn schon die erste Episode ist mit rund sieben bis acht Spielstunden erfreulich umfangreich. Als ich mich erst einmal mit der Ausrichtung auf ein junges Publikum gewöhnt hatte, bin ich regelrecht in der fantastischen Welt versunken, um mit dem sympathischen Graham mitzufiebern. Meist bleibt die Abenteuerreise unbeschwert und albern, schlägt in brenzligen Situationen oder bei alternativen Entscheidungen aber auch ernstere Töne an. Vor allem aber verströmt die Geschichte das serientypische Gefühl von Freiheit und Abenteuer in einer wundersamen Fantasy-Welt, die von detailverliebten Animationen zum Leben erweckt wird. Auch die meisten Rätsel können mit einem Mix aus Basteleien, Dialogen und kleinen Auftragsarbeiten überzeugen. Gestört wird das Abenteuer lediglich durch technische und spielmechanische Macken. Ich bin schon gespannt auf die nächsten Geschichten aus dem wundersamen Daventry.
Zum Rückblick auf das erste King's Quest geht es übrigens hier.
Pro
Kontra
Wertung
360
Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.
PlayStation3
Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.
XboxOne
Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.
PC
Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.
PlayStation4
Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.
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