King's Quest: Der seinen Ritter stand31.07.2015, Jan Wöbbeking

Im Test: Märchenhafte Auferstehung?

Activision will der geschichtsträchtigen Marke Sierra neues Leben einhauchen – was bietet sich also eher an als die Adventure-Reihe King’s Quest, mit der die Fans gute Erinnerungen verbinden? Auch Telltale diente offenbar als Vorbild, denn Entwickler The Odd Gentleman hat sich für ein Episodenformat im dreidimensionalen Comic-Stil entschieden. Der gealterte Held früherer Spiele erzählt seiner Enkelin von neuen Abenteuern – können sie das märchenhafte Flair der Serie einfangen?

Neues Team, neues Glück?

Die Serienschöpferin Roberta Williams ist also nur noch indirekt involviert – sie gab dem Team aber ein ausführliches Briefing zur Welt und den alten Geschichten. Zunächst konnte ich kaum glauben, dass hinter all den weitläufigen Kulissen nur solch ein kleines Studio steckt. Bislang arbeitet The Odd Gentlemen schließlich nur an Knobelspielen wie The Misadventures of P.B. Winterbottom. Vermutlich hat Activision dem Team ordentlich unter die Arme gegriffen. Im Zentrum des Spiels steht nach wie vor König Graham, der mittlerweile zur lebenden Legende geworden ist und seiner Enkelin an der Bettkante von noch unbekannten Heldentaten erzählt. Die Geschichten drehen sich um Drachen, seine Prüfungen vor dem Ritterschlag und jede Menge Albernheiten. Es dauerte ein Weilchen, bis ich mich an den kindgerechten Erzählstil gewöhnt hatte. Doch je besser ich die liebenswerten Figuren und ihre Marotten kennenlernte, desto mehr sind sie mir ans Herz gewachsen. Mit raunender Märchenonkel-Stimme erzählt Graham seiner Enkelin, wie er als Jungspund zum Ritter werden wollte.

Das Fantasiereich Daventry wird diesmal im dreidimensionalen Comic-Stil erforscht. Die Kulissen reichen oft über viele Bildschirme, die aber aus einem vorgegebenen Kamerawinkel eingefangen werden.
Schon der weitläufige Weg zu den Prüfungen ist natürlich mit einigen Rätseln versehen: So helfe ich z.B. einem Händler dabei, sein kaputtes Rad zu ersetzen. In der verlassenen Bäckerei finde ich schon kurz darauf einen riesigen steinharten Laib Brot, der sich prima als Ersatz eignet. Auch mit einer Axt und anderen Utensilien aus dem überschaubaren Inventar muss ich hantieren. Zu Beginn bleiben die Rätsel sehr einfach. Erst wenn ich mich ins Schloss vorgekämpft habe und die Prüfungen starten, öffnet sich das Spiel und die Aufgaben werden komplexer.

Schlichter gesucht!

Dann muss ich z.B. einen Weg finden, die auf mysteriöse Weise verschwundenen Brücken zurückzubringen; sie eröffnen mir schließlich neue Gebiete. Ich will nicht zu viel verraten, aber in ein paar unterhaltsamen Dialogrätseln mit dickköpfigen Fabelwesen muss ich sowohl List als auch Verhandlungsgeschick beweisen. Auch das Durchqueren finsterer Abschnitte wird erst später möglich, wenn ich mit Hilfe des Inventars und der Einwohner eine Laterne gebastelt habe. Schreite ich ganz naiv in die Finsternis, werde ich dagegen im Handumdrehen von einem knurrenden Wolfsrudel verspeist.

Das erste Kapitel King's Quest: Der seinen Ritter stand ist als Download für Windows PC, PlayStation 4, PlayStation 3, Xbox One und Xbox 360 verfügbar. Zusätzlich bietet Sierra ein bereits vorbestellbares Bundle mit dem Titel "King's Quest: Die komplette Sammlung" an, das alle fünf Kapitel und einen spielbaren Bonus-Epilog beinhaltet. Die Kapitel und der Epilog können direkt im Hauptmenü zum jeweiligen Zeitpunkt der Veröffentlichung 2015 und 2016 heruntergeladen werden.
Anders als früher zieht das aber keine schlimmen Konsequenzen nach sich. Da König Graham als lebendiger Geschichtenerzähler natürlich alles überstanden hat, erinnert er sich nach dem Fauxpas einfach daran, dass selbstverständlich alles ganz anders verlaufen sei. Natürlich war er „nicht so dumm, einfach in eine finstere Wolfshöhle zu spazieren“. Auch durch kleine Zankereien und Wortspiele zwischen Graham und seiner Enkelin erinnern die Entwickler den Spieler immer wieder daran, dass er eigentlich nur einer Geschichte zuhört und sich nicht wirklich Sorgen machen muss. Dadurch eignet sich das Abenteuer auch für Adventure-Abende mit jüngeren Spielern - obwohl es für die eine oder andere Figuren nicht immer so glimpflich ausgeht wie für Graham.

Spielbares Bilderbuch

Auch das Design erinnert an eine Vorlesestunde mit einer illustrierten Geschichte. Die Grafiker haben die Charaktere und Objekte zunächst auf Papier gemalt, eingescannt und nach dem 3D-Modelling über die Texturen gelegt, um einen charakteristischen Bilderbuch-Look zu erhalten. Das Ergebnis ist durchaus gelungen: Ich wandere an idyllischen Bächen entlang, über den urigen kleinen Marktplatz oder durch ein steiniges Tal. Aus der Nähe sieht die Vegetation zwar platt, eckig und etwas unscharf aus - im Gesamtbild ergibt sich aber ein stimmungsvolles Panorama samt durch Wolken brechender Lichtstrahlen und weicher Schatten.

Auch Dialog-Rätsel werden eingestreut: Immer wieder muss sich Graham persönliche Geheimnisse durchs Belauschen aneignen.
Die Animationen lassen manchmal sogar vergessen, dass ich nicht vor einem Animationsfilm sitze. Vor allem Grahams schlaksige Bewegungen und seine überschwänglichen Begeisterungsausbrüche verleihen ihm viel Persönlichkeit. Wenn er von sagenumwobenen Kämpfen oder mächtigen Zaubertränken fabuliert, springt er wie im Cartoon mit ausladenden Gesten durch den kompletten Raum. Sogar die gesichtslosen Ritter wirken liebenswert, wenn sie wie aufgescheuchte Hühner mit dem Kopf wackeln und mit zackigen Bewegungen gestikulieren. Eine der wandelnden Blechbüchsen (Manny) freundet sich sogar mit dem Helden an, um Pläne für ein besseres Daventry zu schmieden, wenn die beiden erst einmal an den Hebeln der Macht sitzen. All das fängt die abenteuerliche Aufbruchstimmung der ersten Episode ähnlich gut ein wie die sich geheimnisvoll zurückhaltende Orchestermusik, die in dramatischen Momenten aber auch mächtig lospoltern kann.

Zu viel Action

An actionreichen Momenten mangelt es nicht: Etwa jede Viertelstunde wird das Knobeln durch meist nur mäßig unterhaltsame Geschicklichkeitstests unterbrochen. Mal hüpfe ich wie Nathan Drake von einem kollabierenden Felsvorsprung zum nächsten, anderswo muss ich mit passendem Timing auf die Knöpfe hämmern, um auf einem Floß auszuweichen oder einen geheimen Gildentanz aufzuführen. Mit seinem Bogen muss Graham auch mal wie in einem Lightgun-Shooter auf attackierende Fabelwesen schießen. Auch kleine, an Professor Layton erinnernde Garnpuzzles sind direkt ins Spiel eingebunden. Bei ihnen muss das Seil meist in passender Weise verschossen oder um Pfeiler gewickelt werden, um einen Gegner auszutricksen. Das wird z.B. im Kraftduell nützlich, wenn Graham immer wieder vom bulligen Hühnen „Acorn“ von der Insel geschubst wird. Nicht wirklich spannend, aber immerhin auch nicht störend. Deutlich nerviger ist, dass ein paar versteckte Punkte und Objekte leicht übersehen werden können. In einer Fallgrube z.B. musste ich in die exakt passende Richtung blicken, um die dort wachsenden Pilze zu pflücken. Bei meinen ersten Versuchen kletterte Graham auf Knopfdruck einfach wieder aus der Grube, so dass ich trotz anderer Vorahnung davon ausging, dass es dort nichts zu holen gab. Bei der Seilfalle über der Grube spielt die Blickrichtung ebenfalls eine wichtige Rolle. Da sich die Hotspots nicht per Leertaste anzeigen lassen, kam ich aber gar nicht so leicht auf die passende Lösung.

Auch lange Gespräche lassen sich nicht durch einen Knopfdruck abbrechen. Das wird vor allem dann nervig, wenn man unterschiedliche Dialog-Optionen ausprobiert.
Auch darüber hinaus haben sich die Entwickler Komfort-Funktionen wie ein Tagebuch gespart. Im Gegenzug beschränkt sich die Steuerung aber auf eine einfache Zwei-Knopf-Steuerung. Sie wurde übrigens auch auf dem PC stark aufs Gamepad zugeschnitten: Mit dem 360-Controller bin ich viel natürlicher durch die Welt gelaufen. Man darf zwar auch mit der Tastatur steuern, muss sich für Interaktionen allerdings passend vor Objekte stellen, da das Zielen oder Anklicken per Maus nicht unterstützt wird – seltsam. Eher kurios als störend sind die seltenen Bugs und Schnittstellenfehler: Manchmal schwebt der stocksteife Graham bewegungslos und mit ausgebreitetem Umhang durch massive Tresen und andere Objekte.

Im Kampf gegen Drachen und Bürokratie

In manchen früheren King’s-Quest-Titeln konnte man beim Knobeln bekanntlich derart in der Sackgasse landen, dass man das komplette Spiel neu starten musste. Im aktuellen Abenteuer ist das glücklicherweise nicht möglich. Es kann allerdings vorkommen, dass Graham erst einmal eine Münze im Wald finden muss, bevor er sich anderswo einen dringend benötigten Gegenstand leisten kann. Im Laufe des Abenteuers muss er außerdem über seine Schatten springen und wichtige Entscheidungen treffen: Welchem Händler oder Handwerker lässt er nach dem „Ausborgen“ von Gegenständen eine seiner wenigen Münzen da? Schießt er beim Aufeinandertreffen mit einem bedrohlichen Drachen wirklich seinen Pfeil ab? All diese eingestreuten Entscheidungen lassen die Handlung ein wenig anders verlaufen - mitunter sogar mit ernsthaften Konsequenzen, die einen deutlichen Kontrast zur locker-flockigen Comedy-Atmosphäre bieten.

Ein Blick auf eines der eingestreuten Minispiele.
Zum Brüllen komisch sind die Dialoge zwar nicht, trotzdem wirkt es durchaus charmant, wenn sich die hektischen Ritter in übertrieben bürokratischer Paragraphenreiterei verlieren. Oder wenn sich die Enkelin wieder einmal über die schlechten Wortspiele ihres Opas aufregt. Die deutsche Vertonung ist zwar nicht lippensynchron, wirkt davon abgesehen aber durchaus gelungen. Auch Robert De Niros deutsche Stimme Gordon Piedesack wurden engagiert: Er ist u.a. als raunende Märchenonkel-Stimme in LittleBigPlanet bekannt und übernimmt hier gleich zwei Rollen. Wer sich fit genug dafür fühlt, sollte übrigens ruhig zum englischen Original wechseln, denn dort wird Graham sehr charismatisch von Christopher Lloyd (Doc Brown aus Zurück in die Zukunft) vertont.

Fazit

Der kleine Entwickler The Odd Gentlemen hat sein Ziel erreicht: Die neuen Abenteuer im Kings-Quest-Universum wirken tatsächlich wie eine spielbare Gute-Nacht-Geschichte. Oder besser gesagt wie ein komplettes Buch voller Gute-Nacht-Geschichten, denn schon die erste Episode ist mit rund sieben bis acht Spielstunden erfreulich umfangreich. Als ich mich erst einmal mit der Ausrichtung auf ein junges Publikum gewöhnt hatte, bin ich regelrecht in der fantastischen Welt versunken, um mit dem sympathischen Graham mitzufiebern. Meist bleibt die Abenteuerreise unbeschwert und albern, schlägt in brenzligen Situationen oder bei alternativen Entscheidungen aber auch ernstere Töne an. Vor allem aber verströmt die Geschichte das serientypische Gefühl von Freiheit und Abenteuer in einer wundersamen Fantasy-Welt, die von detailverliebten Animationen zum Leben erweckt wird. Auch die meisten Rätsel können mit einem Mix aus Basteleien, Dialogen und kleinen Auftragsarbeiten überzeugen. Gestört wird das Abenteuer lediglich durch technische und spielmechanische Macken. Ich bin schon gespannt auf die nächsten Geschichten aus dem wundersamen Daventry.

Zum Rückblick auf das erste King's Quest geht es übrigens hier.

Pro

allgegenwärtige Abenteuer-Stimmung mit Drachen, Mutproben und neuen Freundschaften
unterhaltsame Story um einen unerfahrenen Anwärter zum Ritter
alternative Entscheidungen sorgen zusätzlich für Spannung
gemütliche Rahmenhandlung um Gute-Nacht-Geschichten
liebenswerte Figuren
charmanter Humor
alberne Animationen
meist stimmungsvolle deutsche Synchro mit bekannten Sprechern
idyllische märchenhafte Comic-Kulissen
beschwingter Orchester-Soundtrack unterstreicht die Aufbruchstimmung
meist unterhaltsame Rätsel auf ansteigendem mittlerem Schwierigkeitsgrad
üppiger Umfang von rund sieben bis acht Stunden

Kontra

einige umständlich platzierte Objekte sorgen für Verwirrung
zahlreiche Geschicklichkeitseinlagen sind nur mäßig unterhaltsam
Wechsel zwischen Action und Knobel-Abschnitten lenkt zusätzlich ab
zu weite Laufwege in den großen Kulissen
deutsche Vertonung nicht lippensynchron
Dialoge lassen sich nicht überspringen oder abkürzen
seltene Bugs und Schnittstellenfehler
weder Tagebuch noch Hotspots oder andere Komfortfunktionen
Vegetation aus der Nähe unscharf, platt und kantig

Wertung

360

Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.

PlayStation3

Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.

XboxOne

Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.

PC

Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.

PlayStation4

Trotz Macken bei Steuerung und Minispielen haben The Odd Gentlemen das King's-Quest-Universum sehr charmant und unterhaltsam wiederauferstehen lassen.

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