Mafia 226.08.2010, Benjamin Schmädig
Mafia 2

Im Test:

Dunkle Regenschauer scheinen Empire Bay zu erdrücken. Der graue Schleicher verschluckt das leidenschaftliche Brummen des Verkehrs. Als wollte er das Unrecht vergessen machen, das hier geschehen ist. Als spülte er neues heran. Die Schritte fallen Vito Scalettas schwer. Oder kommt es mir nur so vor? Ich habe gesehen, wie aus dem unschuldigen jungen Mann ein ruchloser Mörder wurde. Ich war dabei, als er die Kontrolle über das Blutvergießen verlor. Vito Scaletta ist kein guter Mensch. Dies ist seine Geschichte.

Heavy Rain

Es wird immer regnen, wenn sich Vito auf den Weg zu seinem letzten großen Auftrag macht: Mafia II ist keine herkömmliche offene Welt, kein Sandkasten, keine Minispielsammlung wie Grand Theft Auto oder Yakuza . Das Drama der ehemaligen Illusion Studios, heute 2K Czech, spielt zwar in einer frei begehbaren Stadt - Empire Bay City dient allerdings nur als Kulisse. Und anstatt Wetter und Witterung dem Zufall zu überlassen, entspricht die Kulisse stets der Vorstellung des Regisseurs.

Video: Als Vito aus dem Krieg heimkehrt, trifft er nicht nur Familie und alte Bekannte, sondern macht auch viele neue Freunde...Es wird immer regnen, wenn Vito auf dem Weg zu seinem letzten Auftrag ist - weil seine Vergehen gegen die Menschlichkeit wie ein grauer Schleier über dem jungen Mafiosi hängen.

15 Episoden lang habe ich Vito Scaletta begleitet. Die Reise begann im Winter 1945 und endete im Herbst des Jahres 1951. Vito ist kein Träumer: Als er verwundet aus dem Krieg heimkehrt, weiß er, dass er mit allen Mitteln an Geld kommen muss. Sein toter Vater hat Schulden hinterlassen, seine Schwester steckt in Schwierigkeiten, er hat nicht einmal ein eigenes Zuhause. Als ihm seine Mutter eine Arbeit am Kai in Aussicht stellt, fährt er deshalb zu Derek, einem schmierigen Fettwanst, der als Chef der Gewerkschaft illegales Geld von den Hafenarbeitern in seine Taschen steckt. Zehn Dollar soll Vito beim Beladen eines Trucks verdienen. Das Geld ist damals mehr wert als es heute scheint - die Plackerei, die er dafür auf sich nehmen muss, ist es trotzdem nicht wert. Nachdem ich Schritt für Schritt Kiste um Kiste auf die Ladefläche eines LKWs gehievt habe, hatten mich die Entwickler von der Sinnlosigkeit solcher Arbeit überzeugt. Schließlich wurde ich alias Vito selbst für einen kleinen Fahrauftrag im Auftrag der Mafia großzügiger belohnt. Und warum auch nicht? Wir würden schon nicht in Schwierigkeiten geraten. Kleine Aufträge sollten reichen, um die Schulden des Vaters auszugleichen...

Manchmal wird der Aufstieg und der Fall des Vito Scaletta in kleinen Einspielern erzählt, die mir bis auf den Kameraschwenk die Kontrolle über den Protagonisten entziehen. Meistens inszenieren die Entwickler allerdings spezielle Sequenzen, die Zitate aus Scarface sein könnten. Denn was die Entwickler auf der kleinen Leinwand in Echtzeit zum Leben erwecken, sucht seinesgleichen. Ihre Kamera bleibt nicht auf Abstand, um halbwegs überzeugend große Gesten einzufangen - sie ist ganz nah dran, wenn die Akteure leise schmunzeln,

Der PS3-Fassung liegt ein Code für exklusive Download-Missionen freischaltet. Als Jimmy ist man dabei unterwegs. Coole Sonnenbrille, Glatze: Jimmy ist der Mann fürs Grobe. An drei »Zuhausen« kann er speichern, für seinen Fuhrpark nutzt er die Garage - spielerisch unterscheiden ihn von Vito im Grunde nur die fehlende Geschichte und die banalen Missionen. Mal muss er die Läden feindlicher Banden kaputt schießen, mal einen Wagen durch die Stadt lotsen. Sehr oft begegnet ihm dabei starke Gegenwehr und immer steht er unter Zeitdruck. Zwischendurch lässt er seinen Wagen frisieren (es gibt eine dritte Tuning-Stufe), kauft oder raubt neue Kleidung - jeder erfolgreiche Auftrag bringt eine Menge Kleingeld.

Ähnlich wie in The Club erhöht man einen Punktebonus, wenn Jimmy zwei Gegner innerhalb kurzer Zeit erschießt, das Töten von Zivilisten wird hingegen mit Punkteabzug bestraft. Nach jedem Einsatz wird abgerechnet und in die weltweite Rangliste einsortiert. Punkte gibt es außerdem beim Rasen und für Drifts. Unfälle verringern anders als in Flensburg das Konto. Lohnt sich die actionbetonte Zweitverwertung von Empire Bay City? Den Kauf der technisch schwächsten Version rechtfertigt sie kaum, zumal sämtliche Plattformen in Zukunft mit weiteren zusätzlichen Inhalten bedacht werden. PS3-Besitzer könnten mit der kostenlosen Erweiterung aber zumindest ein paar aufregende Stunden erleben.eine Augenbraue heben oder ihr Gegenüber für den Bruchteil einer Sekunde im Augenwinkel übersehen. Unheimlich ärgerlich, dass die Bildrate auf den Konsolen ausgerechnet in den Filmszenen so niedrig ist, dass einige dieser Feinheiten beinahe untergehen! Abgesehen davon wechselt die Kameraarbeit in ruhigen Augenblicken von den modernen wie per Hand gefilmten Bildern zu starren Stativaufnahmen, was beim genauen Hinsehen wie ein Stilbruch wirkt. Dafür entschädigen aber einige wie von Oscarhand gefilmte Steadycam-Fahrten in aufgeheizten Momenten.

Ludo ergo sum

15 Episoden klingt nicht viel. Es klingt wie »15 Levels« - mal wird geschossen, mal gefahren. Ein Trugschluss! Denn die Entwickler verstehen ihre Kapitel nicht als Levels; vielmehr entspricht jede ihrer Episoden einer Kurzgeschichte. Sie könnte etwa mit dem Aufstehen beginnen und erst dann enden, wenn die Sonne wieder mit dem Horizont verschmilzt. Spiel- und Filmszenen gehen dabei Hand in Hand ineinander über. »Kurzgeschichte« aber vor allem deshalb, weil Mafia II viel mehr ist als ein Actionspiel in einer frei begehbaren Kulisse: Wo sich selbst in den spielerisch offenen Saints Row oder Red Dead Redemption alles um schnelle Action dreht, sind hier die ruhigen Momente auch die spielerische Stärke. In Empire Bay gibt es vielleicht keine Minspiele, keine Romanzen, keine Nebenquests - dafür schlägt der Puls dieses imaginären »New Francisco« in einem Rhythmus, der auch im Spiel viel von einem Film hat.               

Stilistisch zeichnet dafür eine Perspektive verantwortlich, die näher an Vito dran ist als an Niko Bellic. Der Mafiosi läuft zudem langsamer als der im Vergleich wie ein Spielfigürchen stolzierende GTA-Gangster. Und er stirbt schneller, weshalb ich ihn nicht wie einen Testosteronkrieger durch Empire Bay hetzen darf. Besonders hinter dem Lenkrad - anderswo der Mittelpunkt des unkontrollierten Open World-Chaos' - sollte ich mir gut überlegen, ob ich schneller als 40 Meilen pro Stunde fahren will. Bei  Geschwindigkeitsübertretungen schlagen die aufmerksamen Gesetzeshüter nämlich sofort Alarm. Geübte Raser hängen die Polizei zwar schnell ab, ungeübte Verkehrsteilnehmer werden allerdings gestellt und zur Kasse gebeten oder versenken ihr Auto in der Hitze des tödlichen Radkappenduells im Kofferraum eines anderen Fahrzeugs. Weil Mafia II kein Playmobil-Sandkasten ist, kann Vito eben nicht wie ein Stuntman in letzter Sekunde aus dem Auto springen. Nicht zuletzt gibt es zwei Fahrmodelle: das einfache erleichtert das Gasgeben spürbar, aber erst mit der rutschigen »Simulation« habe ich mich wie ein echter Verkehrsteilnehmer gefühlt. Zu Beginn hatte ich zur Sicherheit deshalb den Geschwindigkeitsbegrenzer eingeschaltet - und in aller Ruhe den Gesprächen der Mitfahrer gelauscht, die hervorragende Aussicht oder die zeitaktuellen Nachrichten genossen. Aus ästhetischen Gründen habe ich leer stehende Wagen zudem mit dem Dietrich geöffnet, anstatt ihre Scheiben einzuschlagen - danke, dass ich die Wahl habe! So fühle ich mich als Teil dieser Welt, anstatt sie wie ein Puppenspieler aus der Entfernung zu beobachten.

Tagelöhner

Ein Teil der Welt bin ich aber auch deshalb, weil ich Vito nicht einfach durch die Checkpunkte endloser Schießereien lotse, sondern auf seinem ganz normalen Arbeitsweg begleite. Natürlich ist sein »Job« kein gewöhnlicher, sondern der eines Mafiosi. Doch das macht ihn nicht zum Soldaten im Dauereinsatz. Stattdessen könnte er z.B. einen Anruf erhalten: Etwas Dringendes liege an, er solle sich einen schnellen Wagen sowie eine Waffe schnappen und am verabredeten Treffpunkt vorfahren. Unter Zeitdruck steht er nie. Ich könnte also zunächst ein neues Auto besorgen, Munition für meine Waffen kaufen, mir nach Belieben und Geldbeutel einen neuen Mantel anschaffen oder aus reinem Interesse die Stadt erkunden. Irgendwann komme ich aber am Treffpunkt an und erhalte meinen Auftrag - mal soll ich Benzingutscheine verkaufen, mal eine Lieferung abholen, mal muss ich mich verkleiden, mal ungesehen einschleichen, mal einen Wagen verfolgen, mal Geld eintreiben, mal gestohlene Zigaretten von der Ladefläche eines LKW aus verkaufen, mal eine Verfolgungsjagd bestehen, mal eine Sprengladung anbringen, mal irgendwo einbrechen, mal Autos klauen und mal muss natürlich jemand dran glauben, mitunter gar eine ganze Bande. Das Schöne ist: Im Amerika der vierziger und frühen fünfziger Jahre drehten sich die Uhren langsamer als sie es heute tun. Und so gönnt sich Mafia II den Luxus, seine Geschichte nicht ausschließlich vom Blickwinkel einer Schrotflinte aus zu erzählen. Es beschreibt den Alltag eines ganz normalen Gangsters, keinen G.I. Joe.

1951, also im zweiten Teil der Geschichte, müssen Vito und sein bester Freund Joe etwa den Chef einer feindlichen »Familie« umbringen, doch an den gut bewachten »Don« ist nicht leicht heranzukommen. Die beiden Mafiosi schleichen sich deshalb als Reinigungskräfte in den Hintereingang eines Hochhauses, fahren in das Stockwerk, in dem eine große Versammlung stattfinden wird und werden dort auch schon erwartet: Im Sitzungszimmer muss eine riesige Schweinerei beseitigt werden... Als sich die Türen schließen, bringen sie dort den Sprengsatz an, legen eine Zündschnur durch das Fenster und kümmern sich schließlich um die Sauerei. Jetzt erst steigen sich durch das Treppenhaus aufs Dach und seilen sich auf einer Plattform für Gebäudereiniger auf die Höhe des verkabelten Raums ab. Dort wische ich - per einmaligem Knopfdruck, aber immerhin - das Fenster, damit unsere Anwesenheit kein Misstrauen verursacht. Joe zündet inzwischen die Lunte und schon sind wir wieder auf dem Weg nach oben. Doch damit ist der Auftrag längst nicht erledigt...

Lichterloh

Mitnichten heißt all das, die Entwickler hätten die Action vergessen! Ausbrüche roher Gewalt sind zwar seltener als es Master Chiefs und John Marstons gewohnt sind. Weil sie im Takt einer guten Dramaturgie gesetzt werden, wirken sie aber umso überzeugender. Hier fliegt das Blei, weil ein Überfall schief geht, nicht weil man sowieso auf Mission ist. Glasscherben splittern, Beton bricht aus den Ecken der Verstecke, Molotow Cocktails setzen die Umgebung in Brand und Vitos Gegner verstehen es verdammt gut, ihn zu flankieren - schade, dass die meisten Schusswechsel in schmalen Passagen ausgetragen werden, so dass sie ihre Fähigkeiten kaum unter Beweis stellen können. Schade auch, dass ein Gegner schon mal einfach stehen bleibt, irgendwo festhängt oder sich anderweitig technisch verhaspelt. Im Gegenzug gefällt mir die Mischung aus wundersamer Selbstheilung und manueller Verarztung. Denn weil ich selten mitten im Gefecht einen Burger oder ein Bier finde; kann ich Vito erst am Ende eines harten Tages mit dem stärken, was er im heimischen Kühlschrank findet. Bis dahin regeneriert er weniger Lebenskraft als er ohne Verletzungen besitzt. Kompromisse in Sachen Glaubwürdigkeit macht 2K Czech bei der Füllmenge von Vitos Taschen, denn die fassen unbegrenzt viele Waffen. Pistolen, Gewehre, MGs, Schrotflinten und natürlich Granaten füllen das vertraute Arsenal.     

Ein anderes Element moderner Action ist die feste Deckung, hinter der Vito auf Knopfdruck-Geheiß Schutz sucht - Mafia II ist ein Shooter wie er heute im Buche steht und spielt sich auch so. Weniger ausgefeilt sind Faustkämpfe, in denen sich Vito ähnlich wie in Tekken nur in Relation zu seinem Kontrahenten bewegt. Die Mechanik gefällt mir, weil man taktisch boxt, anstatt immer wieder in den luftleeren Raum zu prügeln. Trotzdem war ich froh, dass Vito nur selten so unmittelbar auf einen Gegner prallt, denn spielerisch schrammt das Boxen unverschämt knapp an der Wimmelbildsuche vorbei. Es gibt gerade mal zwei Angriffskombinationen: zwei schwere und drei leichte Schläge. Halte ich einen dritten Knopf gedrückt, weicht Vito automatisch aus. Damit erschöpfen sich die Möglichkeiten im Grunde schon. Zu allem Überfluss liegt die Gamepad-Taste zum Ausweichen auf Kreuz bzw. A, so dass ich ungünstige Blickwinkel der freien Kamera in der Defensive nur mit Mühe korrigieren kann. So überzeugend die virtuellen Stuntmänner stolpern, wenn sie angeschossen werden, so müde wirken sie im Duell Mann gegen Mann - aus dem hätten die Entwickler mehr rausholen müssen.

Das Leben und Sterben des Vito Scaletta

Ohnehin wirken alle Versatzstücke bis auf die zentralen Elemente Action und Fahren nicht voll ausgereift. Das Schleichen und lautlose Ausschalten von Wachen bedeutet z.B. kaum mehr als halbwegs clevere Deckungswechsel, wenn die Gegner gerade nicht hinschauen. Das löbliche Wegschleifen der Toten wird leider kaum verlangt. Immerhin habe ich in den ansonsten geradlinigen Kapiteln überhaupt die Wahl, einen Auftrag klammheimlich oder mit Getose zu erledigen. Nach einem Fehler werde ich zudem an faire Speicherpunkte zurückgesetzt. Nur wenn ich Empire Bay in Ruhe entdecken will - um einen Mantel einzukaufen, Munition aufzustocken oder gar einen neuen Wagen zu stehlen - zeigt sich Mafia II von seiner unbarmherzigen Seite. Sämtliche Speicherpunkte sind nämlich vorgegeben und nur an diesen hält das Spiel den Fortschritt fest. Und weil zum Fortschritt auch das Aneignen neuer Fahrzeuge, neuer Waffen und neuer Kleider gehören, kann der Lohn stundenlanger Arbeit verlorengehen, falls Vito unerwartet umkommt. Wie gesagt. So sehr der Verzicht auf ein Stehaufmännchen die Glaubwürdigkeit erhöht, so dringend müssten die kleinen Errungenschaften auf dem Weg zum nächsten Auftrag gespeichert werden.

Eine der größten Stärken des Mafia-Thrillers sind die authentischen Oldtimer samt ihres schlittrigen Fahrverhaltens. Vito kann jeden seiner Wagen tunen, lackieren und ihnen sogar ein persönliches Nummernschild verpassen.

Häschen im Betonwald

Vitos umfassender Berufsalltag geht dafür Hand in Hand mit dem, was er abseits der Handlung erlebt. Denn obwohl das Erkunden von Empire Bay City gerade im Vergleich zu Yakuzas Kamurocho-Viertel nahezu keinen spielerischen Nutzen hat, tragen die wenigen Freiheiten so viel zur stringenten Inszenierung bei, dass man ihr den interaktiven Thriller abnimmt. Von den in allen Ecken verstreuten Playboy-»Portraits« ist dabei nicht die Rede. Um an Geld zu kommen, könnte Vito aber Fahrzeuge stehlen und in der Schrottpresse eines Kumpels zu Ersatzteilen verarbeiten. Weitaus gefährlicher ist das Ausrauben von Kleiderläden oder Waffenhändlern. So füllt er nicht nur seine Kasse, sondern auch Kleiderschrank und Arsenal. Dabei muss er höllisch aufpassen: Einige Kunden könnten Waffen tragen und die Polizei erscheint meist im Handumdrehen vor Ort. In einer solchen Situation bleiben Vito drei Möglichkeiten: fliehen, die Polizisten erschießen oder sich stellen. Bevor er verhaftet und zum aktuellen Speicherpunkt zurückgesetzt wird, könnte er sich ja mit einem Batzen Schmiergeld freikaufen...

Die Staatsdiener agieren ohnehin angenehm clever. Ihre Fahndung unterscheidet z.B. zwischen Vito und einem gestohlen gemeldeten Auto; sitzt der Gangster hinter dem Steuer, erkennen sie ihn deshalb erst nach langem Hinsehen. Auch sonst müssen die Polizisten erst Rücksprache mit ihrer Zentrale halten - fährt ein gesuchter Mann sehr schnell an ihnen vorbei, schlagen sie gar nicht erst Alarm. Dennoch ist die Fahndungsakte einer der Gründe, weshalb Vito Geld benötigt: In einem neuen Outfit oder einem frisch lackierten Fahrzeug »verschwindet« er nämlich aus dem Blickfeld der Fahnder. Vorsicht: Wird er erwischt, wie er in aller Öffentlichkeit eine Waffe zieht, kommt er sofort wieder in die Liste gesuchter Verbrecher! Leider kann es auf der Flucht allerdings passieren, dass ihn die vor der Tür wartenden Polizisten wortlos gehen lassen, falls er im richtigen Moment ein andersfarbiges Hemd überstreift.       

Legt er in der Werkstadt ein paar Dollar drauf, darf er seinem Vehikel außerdem ein personalisiertes Nummernschild oder schicke Reifen verpassen sowie Motor und Fahrverhalten verbessern. Auch die Reparatur eines zerschrammten Wagens kostet Geld, das er ohne »Nebenverdienst« selten im Überfluss hat. Verzichtet er hingegen auf die Pflege, qualmen irgendwann die Zylinder. Einen derart zerstörten Motor müsste er von Hand wieder fit machen, so dass er das Auto wenigstens in die nächste Werkstatt retten kann - ein rüder Fahrstil hat also nicht nur gesundheitsgefährdende Folgen.

Außerordentlich stimmungsvoll ist auch der Soundtrack, denn wie im Vorgänger werden Menü und Filmszenen mit ausgezeichneten Orchesterstücken unterlegt.

Ähnlich wie in Grand Theft Auto gibt es diesmal außerdem ein Autoradio, in dem drei Stationen neben Nachrichtigen zum Zeitgeschehen (bald soll man den Fernseher über eine Fernsteuerung bedienen können!) die Musik der 40er und 50er Jahre spielen.Eine wundervolle Tradition führen die Entwickler zudem aus dem Vorgänger fort: Wer viel fährt, muss an die Tankstelle! Benzin kostet zum Glück aber nicht die Welt.

Der Wolf im Schafspelz

Ich musste gleich mehrmals zahlen. Empire Bay ist so bildgewaltig, dass ich jeden Ausflug genossen habe. Die frei erfundene Metropole - ein Cocktail aus New York, San Francisco und anderen amerikanischen Städten - wirkt vom Armenviertel über die Innenstadt bis hin zur Villensiedlung in den Hügeln ungemein authentisch. Einzigartig waren schon die ersten Tage, kurz nachdem Vito verwundet aus dem Zweiten Weltkrieg zurückkehrte. Es waren nicht nur die verrauschten Nachrichtensprecher, die den baldigen Sieg der Alliierten prophezeiten oder jene Lieder, die den Vormarsch der US-Armee ausgelassen verharmlosten. Es war vor allem das Schneetreiben zwischen den Backsteinmauern, das die winterliche Idylle zu etwas Besonderem machte. Schnee knarzte unter den Füßen, Autos schlitterten über vereiste Straßen, Fußgänger rutschten auf dem glatten Gehweg: Fast konnte man Weihnachtslieder aus den belebten, wenn auch nicht begehbaren Schaufenstern hören.

Zu häufig wiederkehrende Elemente wie die ständig gleichen Frisuren der weiblichen Passanten, selbst bei Nacht geöffnete Läden sowie technische Schwächen der Konsolenfassungen stören den Eindruck leider ein wenig: Eckige Kanten und eine niedrige Bildrate stechen auf beiden Systemen ins Auge. Auf PS3 fehlen noch dazu Kleinigkeiten wie das spiegelnde Eis der zugefrorenen Straßen. Am PC ist das Bild nicht nur schärfer und detaillierter, sondern auch flüssiger. Nur optionale Physikeffekte wie im Wind flatternde Mäntel oder in tausend Splitter zerberstende Scheiben verlangsamen das Geschehen selbst auf starken Rechnern. Nicht zuletzt verweigert die PC-Technik nach langen Sitzungen schon mal die Zusammenarbeit und bleibt einfach hängen. Spätestens im Sommer des Jahres 1951, als das Bild in den Straßen stärker an den Vorgänger erinnerte, fehlten mir außerdem öffentliche Verkehrsmittel. Zwar halten Busse an Haltestellen - einsteigen darf Vito aber nicht. Ich vermisse besonders die Hochbahn, in der ich einst lieber unterwegs war als in den schon damals edlen Vehikeln. Zumindest stellen die Entwickler an anderen Stellen kleine Verbindungen zum ersten Teil her, die einen starken Eindruck hinterlassen.

Mafia II legt viel Wert auf eine glaubwürdige Darstellung des Gangsteralltags, wie ihn sich das Kino vorstellt. Packende Bleiwechsel kommen allerdings nicht zu kurz!
Man sollte stehenbleiben und genau hinhören, wenn Vito und Joe in ihrer Verkleidung als Reinigungskräfte aus dem Fahrstuhl steigen...

Im Jahr 1951 wird aber noch etwas ganz anderes deutlich: So ambitioniert das Drama um Vito Scaletta auch ist und so hervorragend es inszeniert wird - so sehr fehlt ihm eine konsequente Linie. Stattdessen ist jedes der insgesamt 15 Kapitel nicht nur spielerisch eine in sich geschlossene Einheit, sondern steht auch erzählerisch meist für sich. Natürlich bauen die Abschnitte aufeinander auf. Ich fühlte mich allerdings an die Romanvorlage zu The Witcher erinnert: Auch die erzählt ihre zusammenhängende Geschichte nicht in einem Fluss, sondern in Kapiteln, die in sich abgeschlossenen wirken. Vitos Auftreten kann zudem täuschen. Denn so nachvollziehbar sein Aufstieg in La Famiglia auch ist und so konsequent er sich zum skrupellosen Mörder entwickelt, so wenig spiegelt sich seine Persönlichkeit in Worten und Taten wider. Als er auf dem Weg zu seinem letzten Auftrag ist, hängen seine Vergehen gegen die Menschlichkeit wie der graue Regen über dem jungen Mafiosi -  und trotzdem ist er noch der unauffällige schöne Mann, der er vor sechs Jahren war. Wenigstens eine Narbe hätte seiner Charakterisierung gut getan. Stattdessen lässt er viel zu selten den dreckigen Killer durchblitzen. Spätestens mit dem radikalen finalen Schnitt, der in einer Zeit der Download-Inhalte eine Fortsetzung andeuten könnte, zeigt sich somit, dass Mafia II ein gelungener Nachfolger - aber nicht die konsequente Weiterentwicklung - einer großartigen Geschichte ist.        

Fazit

Selbst jetzt noch - 20 Stunden, nachdem Vito nach Empire Bay City zurückgekehrt ist - laufe ich noch gemächlich durch die Straßen der virtuellen Metropole. Ich habe mir viel Zeit gelassen. Nicht, um die minimale Spielzeit auf das Doppelte zu strecken, sondern weil ich mit Kopf und Fuß in dieser Welt versinken will. Es ist nicht nur die exzellente Kulisse, der man auf PS3 und Xbox 360 sogar häufigen Schluckauf und unsaubere Ränder nachsieht. Es ist vor allem die abwechslungsreiche Art, mit der Mafia II den Alltag simuliert. Ich fahre vorsichtig, weil bedenkenloses Rasen bestraft wird. Ich knacke lieber die Schlösser fremder Autos, anstatt den eleganten Oldtimern eine zertrümmerte Scheibe zuzumuten. Und ich stolpere nicht mit gezogener Waffe über den Bürgersteig, weil mich die Polizei umgehend stellen würde. Mal muss ich eine schwere Waffe besorgen, ein andermal eine Person verfolgen. Mal soll ich einbrechen, mal ein Feinripp-Hemd verprügeln. Keines dieser Versatzstücke könnte alleine ein Spiel tragen. In der Summe tragen sie allerdings zu einem glaubwürdigen Drama bei. Mit den zentralen Elementen - den Schusswechseln und dem Autofahren - inszenieren die Entwickler zudem intensive Höhepunkte, wie sie in jedes Hollywood-Drehbuch gehören. Nicht zuletzt sind die schauspielerischen Leistungen der virtuellen Charaktere sowie die hervorragende Kameraarbeit eine Klasse für sich! Umso bedauerlicher, dass gerade die Geschichte im Grunde aus lose verwobenen Kurzgeschichten besteht und die dunkle Seite des Protagonisten nicht mit der nötigen Konsequenz gezeigt wird. So sind es die kleinen Brüche wie die vielen sich ähnelnden Fußgänger, die Mafia II zwar eine Auszeichnung, aber keinen Oscar bescheren.

Pro

ausgezeichnete Kulisse...
sehr abwechslungsreiche Episoden...
glaubwürdiges oder vereinfachtes Fahrmodell
Autos knacken, Scheibe einschlagen oder von Fahrern stehlen
Festnahme durch Bestechung verhindern (oder natürlich flüchten)
überzeugende virtuelle Darsteller* Vito kann Tankstellen und Geschäfte ausrauben
hervorragende orchestrale und lizenzierte Musik & Radiosender
Autos tunen, Nummernschild anpassen, Farbe ändern
sehr gelungene Verbindung zum Vorgänger
Wahl der Kleidung
liebevolle Details wie hörbarer Regen unter Glasdächern
Polizei und Passanten reagieren auf Diebstahl und andere Delikte
Autos müssen betankt werden
Polizei sucht Fahrzeug und Vito unabhängig voneinander

Kontra

... mit kleinen Schönheitsfehlern wie Klonfiguren- ... in lose zusammenhängenden Kurzgeschichten
Vito kann nicht Taxi oder Hochbahn fahren
auch nachts zu viel Verkehr, Geschäfte haben stets geöffnet
manche Checkpunkte zu weit auseinander
kleine Fehler, nach längerer Spielzeit gelegentlich Abstürze (PC)
deutliches Tearing / Stottern vor allem in Filmszenen (PS3, 360)

Wertung

360

Ebenso spannend, ebenso stimmungsvoll - mit technischen Abstrichen zur PC-Version.

PC

Stimmungsvolles Gangsterdrama, das mit einer großartigen Inszenierung und einer herausragenden Kulisse glänzt.

PlayStation3

Ebenso spannend, ebenso stimmungsvoll - im technischen Detail lassen die Konsolenfassungen aber Federn im Vergleich zur PC-Version.

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