Fatal Inertia24.07.2008, Benjamin Schmädig
Fatal Inertia

Im Test: WipEout für Arme oder ein Highspeed-Rennspiel der Extraklasse?

Wer gerne in der Zukunft Gas gibt, hat es derzeit schwer: WipEout HD wird nur ein Remake-Sammelsurium, von F-Zero ist nicht einmal ein Kotflügel in Sicht, Microsoft hatte seine Gehversuche schon nach Quantum Redshift wieder abgebrochen und am PC scheint nach Ballistics ebenfalls die Luft raus. Machen wir uns nichts vor: In dieser Generation sieht es im schnellsten Genre der Videospiele zappenduster aus! Da müsste einem Fatal Inertia (ab 15,53€ bei kaufen) doch wie gelegen kommen...

Perfektes Timing

Koei passt zumindest den perfekten Zeitpunkt ab, um die PS3-Version seiner Zukunftsrennen auf dem PlayStation Network vorzustellen. Schließlich ist weit und breit kein Sci-Fi-Racer in Sicht, und mit WipEout HD kämpft der momentan aussichtsreichste Kandidat mit technischen Problemen. Wirklich geplant hatten die Japaner das Timing aber wohl nicht - immerhin sollte Fatal Inertia erstens exklusiv und zweitens bereits zum Start der Sony-Konsole erscheinen! Vielleicht hatten die Entwickler ja wie viele ihrer Kollegen Probleme mit der verwendeten Unreal Engine 3; auf jeden Fall war die erst später angekündigte 360-Version eher fertig, während der Startschuss erst ein Jahr später auf der ursprünglich angepeilten Zielplattform

So schnell kann Fatal Inertia sein - ist es meistens allerdings nicht.fällt. Dafür erhalten PS3-Piloten eine wie üblich leicht erweiterte Fassung mit neuen Strecken, Rennvarianten und natürlich aufpolierter Grafik. Abgesehen davon steckt aber dasselbe Spiel unter der Haube.

Das heißt: nicht ganz! Koei hat sich mit der Umsetzung nämlich auch des größten Problems angenommen, mit dem sich 360-Raser herumschlagen mussten: der hyperempfindlichen Steuerung. Wann immer deren Gleiter nämlich ein Objekt der Umgebung touchierte, wirbelte das Gefährt wie ein federleichtes Stück Plastik am Fleck umher. Vom ansonsten ansprechenden Fluggefühl bekam manch Einer deshalb kaum etwas mit. Knallt ihr auf PS3 gegen ein Hindernis, kann das zwar immer noch passieren und ist nicht minder ärgerlich, die meisten Zusammenstöße übersteht ihr jetzt aber mit einem Lackkratzer. Selbstverständlich lösen sich die Flieger aber irgendwann auf, falls ihr sie mehrere Runden lang rücksichtslos ramponiert.

Tüftelwaffen

So nervtötend die Physik einen Aufprall aber mitunter umsetzt, so wichtig ist sie laut Koei für die Rennen über idyllische Sandstrände, brennende Lava, durch dichten Dschungel oder staubigen Wüstensand. Denn natürlich sollt ihr euch auch in Fatal Inertia nicht nur als flotter Lenker beweisen, sondern müsst die Pole Position oft genug mit Waffengewalt erobern. Und hier verlässt sich Koei eben nicht auf herkömmliche Kaliber. Stattdessen beeinflusst jede Waffe euch oder eure Gegner, anstatt anvisierte Vehikel einfach abzuschießen. Bestes Beispiel ist ein Greifhaken, den ihr mit einem zweifachen Tastendruck absetzt. Der erste "Schuss" rammt dabei ein Ende des Hakens - je nach gedrückter Feuertaste (es gibt zwei) - in den Boden oder in einen gegnerischen Flieger. Habt ihr einen Flieger an der Angel, kann er sich für kurze Zeit nicht von euch absetzen. Mit einem zweiten Tastendruck löst ihr nun entweder das Kabel oder ihr rammt es in die Umgebung - wieder je nach gedrückter Feuertaste. Letzteres sorgt dafür, dass der Gegner so

Lava oder Eis: Koei-Piloten mach vor nichts Halt.
lange festgenagelt wird, bis er das Kabel abschüttelt. Schießt ihr hingegen schon das erste Ende in einen Felsen, könnt ihr im besten Fall eine besonders enge Kurve nehmen. Passt aber auf, dass ihr das Kabel rechtzeitig abstoßt...

Dieser Tüftel-Einschlag bei vielen Waffen macht Fatal Inertia tatsächlich abwechslungsreicher als ähnliche Sci-Fi-Racer. Da ist z.B. noch eine Rakete, die ihr wie gewohnt in den Vordermann jagen dürft - falls ihr sie nicht lieber ans eigene Heck klemmt, zündet und so mit einem Boost davonbraust. Auch, dass ihr lästige Haftminen mit einem kurzen Turbo oder einer Rolle um die eigene Achse nicht nur loswerdet, sondern im gleichen Zug auf einen nahen Gegner abwälzt, wirkt ungewöhnlich. Selbst eine heutzutage beinahe obligatorische Matrix-Zeitlupe, die sämtliche Kontrahenten verlangsamt, fehlt nicht. Waffen lest ihr dabei auf, indem ihr über die Waffenfelder fliegt.

Weite Fläche, wenig Speed?

Beim genauen Hinsehen wird allerdings schnell deutlich, dass man die im Vornherein groß angekündigten Physik-Spielereien kaum als solche bezeichnen kann: Mit Ausnahme des Greifhakens handelt es sich nämlich um recht gewöhnliche Extras - die lediglich im Rahmen eines Rennspiels frisch wirken. Das mindert den Spaß daran kaum, in Sachen Physik hatte Burnout Paradise aber den größeren Sprung nach vorn gewagt.    

Ich bezweifele zudem, dass derartige Spielereien in kommenden WipEouts oder F-Zeros groß rauskommen. Denn die relativ vertrackten Extras wirken der flotten Rennaction entgegen: Wo sich die eben genannten Spiele auf das Wesentliche konzentrieren, um bei gefühlter Lichtgeschwindigkeit das Adrenalin anzupeitschen, wirkt Fatal Inertia selbst in höheren Klassen relativ gemächlich. Das Geschwindigkeitsgefühl ist in den höheren Rennklassen zwar überzeugend, auf der Zielgeraden geht ihm im Vergleich aber die Luft aus. Liegt es an der offenen Welt, durch die ihr hier rast? Weite Flächen wie hier können schließlich die Wahrnehmung des Auges täuschen. Das allein kann es allerdings nicht sein, wie das sechs Jahre alte Quantum Redshift beweist. Für mein Empfinden sind es eher die relativ großen Bausteine, aus denen Koei die Umgebung einschließlich zahlreicher Abkürzungen baut - kleine, schnell vorbei zischende Objekte hätten ein besseres Geschwindigkeitsgefühl vermittelt. In engen Tunneln fällt denn auch eher auf, welche verheerende Wirkung ein schlecht getimter 

Macht seinem Namen alle Ehre: Deep Wood Forest. Die Kurse sind schön anzusehen - wirken aber nicht sehr eigenständig.
Boost haben kann...

Mistige Magneten

Um eine solche Panne zu vermeiden, habt ihr mehrere Möglichkeiten. Ihr könnt z.B. bei noch gedrücktem "Gaspedal" die Bremse anziehen, was euch beim Loslassen mit einem Turbo davon flitzen lässt. Außerdem gibt es Luftbremsen, mit denen ihr den Wendekreis eures Fliegers deutlich verkleinert. Nicht zuletzt könnt ihr auch die Flughöhe minimal regulieren und führt eine Rolle um die eigene Achse aus, wenn ihr die Luftbremse zweimal kurz antippt. Die braucht ihr aber wirklich nur zum Loswerden von Haftminen oder -raketen - wofür ihr übrigens einen der Erfolge freischaltet, die es unter gleichen Namen auch auf 360 gab. Um die neuen Trophäen hat sich Koei allerdings seltsamerweise nicht bemüht.

Auch in Fatal Inertia steht letztlich aber vor allem das Verinnerlichen des teils kniffligen Streckenverlaufs (es gibt acht oder neun alternative Routen in jeder Umgebung) im Vordergrund. Habt ihr den Kurs erst mal im Griff, wird der Waffeneinsatz allerdings schnell zur Nebensache - die Konkurrenz stellt auch hier kaum mehr als fliegende Hindernisse dar. Zumal der Schwierigkeitsgrad ohnehin zu spät anzieht: Erst in der letzten Rennklasse wird das Abhaken der aufeinander folgenden Turniere zu einer echten Herausforderung. Vier Läufe dauern die Turniere dabei jeweils, wobei ihr die Rennen unter wechselnden Wetter- und Siegbedingungen startet: Entweder stehen euch alle Waffen oder nur Boosts zur Verfügung oder am Ende jeder Runde scheidet der jeweils Letzte aus oder euer Vorrat an Magnetminen füllt sich immer wieder von selbst auf. So willkommen die Abwechslung auch ist: Spielerisch macht sie nur einen kleinen Unterschied. Wobei mir die Magnet Mayhem genannte Variante viel zu häufig auf der Tagesordnung steht. Sie nervt nämlich nicht nur, weil man sie ständig vorgesetzt bekommt - schon das Konzept passt überhaupt nicht zu den gewollt flotten Rennen. Weil jeder Pilot nämlich ständig mit Magnetminen um sich wirft, kommt der Spielfluss ins Stocken. Schließlich müsst ihr die Magneten einerseits aller paar Sekunden loswerden, wenn ihr kein langsames und schlingerndes Schiff fliegen wollt, andererseits seid ihr selbst am ständigen Nach-Vorne-Schießen oder Ablegen der Minen. Koei:  Das fetzt nicht.

60er Jahre Sci-Fi

Motivierend ist hingegen das Aufrüsten des eigenen Schiffes. Denn ihr könnt vor jedem Turnier euer Gefährt aus vier unterschiedlichen Fliegern (der schnelle fragile, der träge mächtige usw.) wählen und mit den nach Siegen erhaltenen Bauteilen erweitern. Nur die dafür

Die Eiswüste hat zwar keine Auswirkungen auf die Physik, sieht aber buchstäblich cool aus.
notwendige Rückkehr ins Hauptmenü würde ich mir gerne sparen. Einige Versatzstücke wirken sich dabei auf die Flugeigenschaften aus, andere lediglich auf die Kosmetik. Besonders Letztere erhaltet ihr nur nach Top-Platzierungen - die meisten anderen braucht ihr schließlich, um in den höheren Klassen zu bestehen. Prinzipiell finde ich die Idee übrigens klasse, sämtliche Schiffe als eine Art Mischung zwischen 60-er Jahre-Oldtimern und Star Wars-Hovercrafts zu entwerfen. Aber irgendwie gehen die Flieger wie leblose Ausgrabungsstücke in der sonst sehr gewöhnlichen Zukunftsvision unter. Auch das restliche Design - sowohl visuell als auch akustisch - wirkt zwar cool, aber auch sehr unbelebt. Irgendwo zwischen dem lässigen Soundtrack im Menü und der müden elektronischen Rennmusik sind auch Sprachausgabe, knackige Geräusche und herausragende Designentwürfe verloren gegangen. Die ständigen Tonaussetzer sind sogar ein echtes Ärgernis. Fatal Inertia sieht gut aus, ja. Böse Zungen könnten es allerdings als Abziehbild von etwas tausendmal Gesehenem beschreiben - ohne dass es jemals die durchgestylte Rasanz seiner Vorbilder erreichen würde.

Immerhin will Koei in Sachen Mehrspieler-Action voll zulangen und bietet neben einer Karriere, die ihr allein oder im Splitscreen absolvieren dürft, auch Online-Rennen sowie Turniere für bis zu acht Piloten. Wobei ihr das Teilnehmerfeld auch mit KI-Fliegern auffüllen dürft. Diese Funktion werdet ihr spätestens dann zu schätzen wissen, wenn ihr festgestellt habt, dass da draußen nicht gerade eine Armada an Fatal Inertia-Fans auf Mitfahrer wartet... Im Übrigen hatte ich Schwierigkeiten, mich überhaupt in eine offene Runde einzuklinken. Es ist bekannt, dass einige PS3-Spiele Schwierigkeiten haben, eine störungsfreie Internetverbindung herzustellen - Koeis Zukunftsmusik gehört dazu.  

Fazit

Im Allgemeinen stößt mein Gehirn beim Anblick neuer Sci-Fi-Racer sofort einen Batzen Glückshormone aus - im Fall von Fatal Inertia war ich aber vorsichtig: Die ersten Videos rochen zu sehr nach den kniffligen Physik-Spielereien, anstatt packende Hochgeschwindigkeitsrennen zu zeigen. Doch Koei stellt die Grundbedürfnisse seiner Piloten - explosive Action in flotten Rennen - souverän zufrieden. Zumal sich die ursprünglich angepriesenen Physik-Spielereien in Grenzen halten; das coole Lasso ist im Grunde das höchste der Gefühle. Gut so, denn damit steht das unspektakuläre, aber rasante Um-Die-Wette-Fliegen im Vordergrund! Wobei der Schwierigkeitsgrad erst spät anzieht und endlich wieder motiviert; mich konnte mittendrin nur das Aufrüsten meiner Schiffe bei Laune gehalten - immerhin etwas, das dem Online-Modus mit seinen Verbindungsproblemen nicht gelungen ist. Keine Frage: Fatal Inertia wird nur ein Lückenfüller sein, bis wir endlich mit neuen WipEouts und hoffentlich auch F-Zeros rasen dürfen. Als solcher kann es sich aber guten Gewissens dem Vergleich mit seinen Vorbildern stellen.

Pro

rasante Rennen auf relativ offenen Strecken
ungewöhnliche Waffen mit zwei Funktionen...
teilweise cooler, aber...
bessere Steuerung und mehr Inhalt als 360-Version
befriedigendes Geschwindigkeitsgefühl
Vehikel aufrüsten
viele Abkürzungen

Kontra

einige nervige Kollisionen- ... denen meist der richtige Wumms fehlt- ... meist zu belangloser Soundtrack
Ton setzt häufig kurz aus
furchtbarer Rennmodus: Magnet Mayhem
Online-Multiplayer je nach Netzwerk-Anbindung störrisch

Wertung

PlayStation3

Souveräner F-Zero-/WipEout-Klon, dem es an Eigenständigkeit fehlt.

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