Folklore25.10.2007, Jens Bischoff
Folklore

Im Test:

Trotz des eher skeptischen Fazits der Vorschau war ich unheimlich gespannt auf die finale Fassung von Folklore (ab 58,95€ bei kaufen), vor allem da ich auf Shin Megami Tensei -Schöpfer Kouji Okada, aus dessen Feder Folklore stammt, große Stücke halte. Figuren und Schauplätze wurden durch dessen unverkennbaren Stil auch beeindruckend zum Leben erweckt, doch fesseln auch Story und Spielverlauf dauerhaft ans Pad?

Reise in die Unterwelt

Einmal im Jahr öffnet sich im irischen Dorf Doolin ein Übergang ins Reich der Toten, eine Schwelle welche auch die beiden Protagonisten des Spiels zu überschreiten wagen. Die Halbwaise namens Ellen in der Hoffnung ihre tote Mutter zu treffen, der Okkult-Reporter Keats, weil er eine große Story wittert. Dabei kreuzen sich ihre Wege immer wieder - mal als Verbündete, mal als Rivalen. Vor allem Ellen scheint mehr mit der Vergangenheit Doolins verbunden, als sie anfangs weiß.

Unnötiger Stilbruch: Emotionen werden in den seltenen Renderfilmen wesentlich besser transportiert als in den vorwiegend zum Einsatz kommenden Comic-Lesebildern.
Um dem Geheimnis von Ellens Vergangenheit und der des Dorfes auf die Spur zu kommen, in dem vor 17 Jahren bereits unerklärliche Dinge passiert sind und die sich nun zu wiederholen scheinen, versuchen die beiden Kontakt mit den Toten von damals und heute aufzunehmen. Dazu reisen sie in verschiedene Unterwelten, in denen die Erinnerungen der Toten gefangen gehalten werden.

Um an diese heran zu kommen, müssen Ellen und Keats mächtige Wächter, die so genannten Folklore, besiegen, die tief in den Totenreichen verborgen sind. Auf dem Weg dorthin stellen sich den beiden aber auch andere Kreaturen, Folks genannt, in den Weg. Diese sind jedoch nicht nur Hindernisse, sondern auch wichtige Helfer, um den Folkloren der einzelnen Reiche überhaupt die Stirn bieten zu können. Ellen und Keats sind an sich nämlich völlig unbewaffnet und wehrlos. Nur gut, dass sie gleich zu Beginn die Seelen zweier Folks erhalten, um diese an ihrer Stelle in den Kampf zu schicken. Im Verlauf des Spiels erlangt ihr immer mehr Monsterseelen, die ihr für eure Zwecke einsetzen könnt. Dazu müsst ihr euren Widersachern einfach nur lange genug zusetzen, bis deren Seelen frei liegen und ihr sie absorbieren könnt.

Damit dieses Unterfangen nicht langweilig wird, haben die Kreaturen der Unterwelt verschiedene Schwachpunkte, die es selbst oder über kryptische Bildhinweise herauszufinden und entsprechend auszunutzen gilt. Ob die Angriffe eurer jeweiligen Begleiter Schaden verursachen oder nicht, erkennt ihr am blauen Aufblinken der Seelen. Färben sich jene dauerhaft rot, könnt ihr ein Tauziehen um sie starten. Bei den meisten Seelen reicht ein abruptes Anheben des Controllers aus, um ihrer mächtig zu werden. Bei zäheren Exemplaren sind hingegen bestimmte Bewegungen und akkurates Timing gefragt: Mal müsst ihr das Pad hin und her reißen, um den Kampfgeist der Seele zu brechen, mal ein Aufbäumen mit wildem Schütteln begegnen oder eine widerspenstige Seele lange genug im Gleichgewicht halten, um sie euch anzueignen.

Prächtige Kulissen: Die Schauplätze der einzelnen Totenreiche wurden wundervoll in Szene gesetzt.
Das ganze erinnert irgendwie an Angelspiele und wurde vorbildlich auf die Möglichkeiten des Sixaxis-Controllers abgestimmt - was man bisher nur von wenigen PS3-Titeln behaupten kann. Lediglich die Zielerfassung macht hin und wieder Zicken.

Eine Frage der Ausdauer

Neben dem Erbeuten immer neuer Seelen, könnt ihr bereits erworbene Folks auch trainieren. Dazu müsst ihr meist eine bestimmte Anzahl ihrer Seelen absorbieren, andere Folks mit ihrer Hilfe besiegen oder ihnen gefundene Items verfüttern. Ein Aufwand, der durchaus lohnt, aber teils auch recht langwierig sein kann. Wer alle Bedingungen konsequent abarbeitet, freut sich jedoch über größere Wirkungsbereiche, höhere Angriffsstärken oder geringere Beschwörungskosten. Dabei dienen nicht alle der insgesamt über hundert Folks dazu, Gegnern Schaden zuzufügen. Manche verfügen auch über Defensivkräfte, Lockrufe oder Status verändernde Eigenschaften. Ansonsten sind die meisten Angriffe verschiedenen Elementen wie Feuer, Donner oder Eis zugeteilt, die es gegen Folks entgegengesetzter Elemente einzusetzen gilt.

Aber auch Ellen und Keats zeigen sich wandlungsfähig: Während Ellen verschiedene Mäntel anlegen kann, die sie vor bestimmten Statusveränderungen oder Elementen schützen, kann Keats Energie sammeln, um eine kurzzeitige Metamorphose durchzuführen, die den Kampfgeist seiner Folks vorübergehend stärkt. Zudem müssen natürlich beide aufpassen, den Angriffen feindlicher Folks aus dem Weg zu gehen, da ihnen diese direkten Schaden zufügen können, der an ihrer Lebensenergie zehrt. Fällt diese auf Null ab, kehrt ihr zum zuletzt passierten Speicherpunkt zurück. Zwischen dort und eurem Ableben erworbene Folks, Items oder durch erfolgreiche Entseelungen verdiente Erfahrungspunkte, die euch beim Erreichen einer neuen Stufe einen Anstieg der maximalen Lebensenergie bescheren, bleiben allerdings erhalten. Die Speicherpunkte dienen zudem als Heilstation, Umkleidekabine, Rückkehrmöglichkeit ins Dorf und Teleports zu bereits passierten Speicherpunkten.        

Ihr genießt sogar den Luxus einer automatischen, wenngleich abstrahierten Kartenfunktion, obwohl die einzelnen Schauplätze ohnehin sehr kompakt und linear gestrickt sind. Das Bewegen von Raum zu Raum inklusive ständiger Ladeunterbrechungen wirkt allerdings reichlich antiquiert. Platz für Erkundungen, Levelinteraktionen oder Rätsel gibt es kaum. Dafür sind die Kulissen eine wahre Pracht: Von den farbenfrohen Blumenwiesen des Faery-Reichs, über die versunkenen Tempel und Grotten der Meeresstadt

Charakterdesign vom Feinsten: Kouji Okadas von keltischen Mythen inspirierten Fabelwesen machen eine ausgezeichnete Figur.
bis hin zu den verwüsteten Kriegsschauplätzen Warcadias oder den kargen Felsen der Höllenwelt wurden alle Schauplätze sehr passend und atmosphärisch in Szene gesetzt.  Auch die dazugehörigen Folks glänzen mit einfallsreichem Design sowie liebevollen Details und Animationen, während die hervorragende Soundkulisse die optischen Eindrücke gekonnt verstärkt.

Übertriebenes Recycling

Lediglich bei den Story-Sequenzen zeigt sich ein zweischneidiges Bild: Während die nur selten eingespielten, aber komplett vertonten und teils imposanten Render-Sequenzen für Stimmung sorgen, kommt während der vorwiegend verwendeten stummen Standbildszenen im Comicstil nur selten Stimmung auf. Dadurch geht leider viel Atmosphäre verloren, auch wenn die Comic-Inszenierung an sich durchaus Charme hat. Immerhin bleibt die geheimnisvolle Hintergrundgeschichte die meiste Zeit spannend, da sie immer nur in kleinen, nicht zu viel verratenden Häppchen präsentiert wird. Allerdings kommt es dadurch, dass Ellen und Keats stets dieselben Orte besuchen, zu zahlreichen Wiederholungen und Abnutzungserscheinungen. Manchmal bekommt ihr so zwar ein und dieselbe Situation aus sehr verschiedenen Blickwinkeln präsentiert, aber oftmals gibt es auch unnötigen Leerlauf oder logische Inkonsequenzen, die einfach mit einem eigenen Raum-Zeit-Gefüge der Unterwelt abgetan werden.

Ihr zieht sogar mit beiden Charakteren gegen dieselben Folklore in den Kampf, wenn auch mit unterschiedlichen Taktiken. Die Folks, die ihr bis dahin sammelt und einsetzt, unterscheiden sich jedoch mitunter voneinander. Aber insgesamt mangelt es dem Spielverlauf einfach zu sehr an einzigartigen Orten, Gegnern und Situationen, so dass der zweite Besuch desselben Totenreiches mit dem anderen Charakter eher wie eine lästige Pflichtübung erscheint.

"Deine Seele gehört mir!" - Beim Tauziehen um die Seelen benommener Feinde kommen unterschiedliche Bewegungsspielchen zum Einsatz.
Zumindest könnt ihr vor jedem neuen Kapitel entscheiden, mit wem ihr zuerst losziehen wollt oder auch mehrere Kapitel mit ein und derselben Person hintereinander bestreiten. Zwei verschiedene Wege, die sich gelegentlich überschneiden, wären aber sicher motivierender gewesen als dieses ständige Wiederholen längst abgehakter Situationen...

Durchwachsene Zusatzinhalte

Gelegentliche Auflockerungen erfahrt ihr in Form von optionalen Mini-Quests, die ihr im örtlichen Wirtshaus annehmen könnt. Davon gibt es allerdings nicht allzu viele und meistens geht es auch nur darum, bestimmte Orte zu erreichen oder Gegner zu besiegen, die man allesamt schon aus den Story-Einsätzen kennt. Allerdings könnt ihr dabei teils seltene Folks ergattern, die ihr anderweitig nicht zu Gesicht bekommen würdet. In Zukunft soll das Quest-Angebot wie in Japan durch spezielle Downloads sogar noch aufgestockt werden. Aber auch ohne aktive Quest lohnt es sich, hin und wieder an bereits besuchte Orte zurückzukehren, um nach bisher unentdeckten Folks Ausschau zu halten, die sich erst nach dem Erfüllen bestimmter Bedingungen blicken lassen.

Wer will, kann sogar eigene Totenreiche erschaffen, diese anderen Spielern online zur Verfügung stellen und dabei Punkte sammeln, um weitere Folks freizuschalten. Der dazugehörige Leveleditor ist aber viel zu primitiv geraten, um damit längerfristig Spaß zu haben - sowohl als Spieler als auch als Bauherr. Mit den atmosphärischen Abschnitten aus dem Hauptspiel haben eure hier erzeugten Konstrukte jedenfalls reichlich wenig gemein. Die Bauteile bestehen nur aus sterilen, blockförmigen Korridoren und Räumen, die alle gleich aussehen und sich lediglich in der Anzahl der Türen sowie der manuell platzierten Gegner voneinander unterscheiden. Ziel aller Level ist es, während eines automatisch generierten Zeitlimits den Ausgang zu finden. Dann lieber auf zukünftige Download-Quests warten, als sich in diesen trostlosen 08/15-Labyrinthen auf einen guten Platz in der Online-Rangliste zu quälen...    

Fazit

Kouji Okadas von keltischer Mythologie geprägter Ausflug ins Reich der Toten hat mich hin und her gerissen. Auf der einen Seiten stehen die wirklich famosen Kreaturen und Kulissen sowie die dramatische Story. Auf der anderen Seite wird die Handlung aber meist viel zu unspektakulär präsentiert. Die Comic-ähnlichen Lese-Standbilder haben zwar Stil, wirken aber reichlich antiquiert - genauso wie das äußerst kompakte und lineare Leveldesign. Zudem gibt es dadurch, dass die beiden Protagonisten stets dieselben Orte besuchen, unnötig viel Leerlauf und Wiederholungen. Dennoch ist Folklore etwas Besonderes: Das Durchstreifen der verschiedenen Totenreiche auf der Suche nach eurer Vergangenheit, das Spiel mit Ängsten, Erinnerungen und irischen Volksmärchen sowie die von einer gelungenen Sixaxis-Nutzung getragenen Kämpfe um die Seelen einzigartiger Fabelwesen haben eine Faszination, die einen immer wieder in die mal entspannende, mal aufwühlende Unterwelt lockt. Wer will, kann via Leveleditor sogar seine eigenen Totenreiche erstellen oder die von anderen Spielern bereisen, allerdings sind die mickrigen Gestaltungsmöglichkeiten und das vergleichsweise sterile Erscheinungsbild keine wirkliche Konkurrenz zu den atmosphärischen Schauplätzen des Hauptspiels, das man mit zukünftigen Quest-Downloads auch über die eigentliche Story hinaus, am Leben halten will.

Pro

spannende Story
taktische Bosskämpfe
prächtiges Gegnerdesign
gut implementierte Sixaxis-Nutzung
sehr atmosphärische Spielumgebungen

Kontra

antiquiertes Leveldesign
meist bescheidene Standbildsequenzen
oft langatmiger & wiederholungsanfälliger Spielverlauf

Wertung

PlayStation3

Stimmungsvolle Reise ins Reich der Toten, die von zu vielen Wiederholungen unnötig ausgebremst wird.

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