Everybody's Golf: World Tour17.03.2008, Benjamin Schmädig
Everybody's Golf: World Tour

Im Test:

Das Mädel im blauen Trainingsanzug reicht dem knuffigen alten Herrn das Dreier-Eisen und wünscht ihm Glück. Nach drei Tastendrücken zischt der Ball vom Tee weg. "Guter Schuss!" Mein Caddie geht erst in Deckung, flitzt dann aber mit geschätzter Schallgeschwindigkeit den Fairway runter und kommt völlig außer Puste beim Ball an. Natürlich war's ein guter Schuss - trotz der neuen Steuerung. Schließlich verlässt Entwickler Clap Hanz nach zehn Jahren zum ersten Mal seine ausgetretenen Pfade...

Eins, zwei, drei...

Dabei war das alte System nicht nur in Everybody's Golf (Minna no Golf in Japan bzw. Hot Shots Golf in Nordamerika) längst bekannt: Ein Tastendruck und die Kraftanzeige schnellt nach oben, ein zweiter und man bestimmt die Stärke des Schusses, ein dritter im richtigen Augenblick und der Ball fliegt auch dorthin, wo man ihn haben will. Das gibt's nicht nur in Fernost; auch Links, Tiger Woods PGA Tour oder wie sie alle heißen boten stets eine so genannte Drei-Klick-Steuerung. Tatsächlich imitierten die Japaner vor zehn Jahren lediglich den bewährten Mechanismus für ihren damaligen Golf-Einstieg und haben seither dran festgehalten. Doch der erste PS3-Auftritt der

Abschlag! Clap Hanz' Anime-Golfer stehen zum ersten Mal am PS3-Tee.
"Anime Woods'" soll endlich frischen Wind in das Althergebrachte pusten, weshalb das Schießen jetzt so funktioniert: Der erste Knopfdruck startet den Schlag, der zweite legt die Stärke fest, der dritte bestimmt die Genauigkeit. Ich sehe Manga-typische Sprechblasen mit drei Punkten über euren Köpfen...

Ihr habt Recht: Im Grunde bleibt alles beim Alten. Und das ist gut so! Das System ist schließlich schnell gelernt und trotzdem fordernd. Was hat sich also geändert? Neu ist die Anzeige, denn im fünften Teil wandert keine ominöse Linie mehr am unteren Bildschirmrand erst von rechts nach links und dann von links nach rechts. Stattdessen holt euer animelisches Alter Ego langsam aus, bis ihr euch für den gewünschten Krafteinsatz entscheidet. Anschließend schließt sich ein Kreis, und ihr drückt die Taste im besten Fall genau dann, wenn er sich innerhalb des angezeigten Toleranzbereichs befindet. Verpasst ihr den Moment, driftet der Ball ab oder donnert im schlimmsten Fall gen Himmel.

Behäbiges Umsteigen

Es ist gut, dass man das Geschehen somit länger im Auge behält - das wirkt tatsächlich erfrischend natürlich. Allerdings hätten die Entwickler konsequenter sein müssen, denn die zweite Phase, das Schließen des Kreises, findet noch immer am Bildschirmrand statt und ist so deutlich abstrakter. Anders als zuletzt auf PS2 reagiert das Spiel dafür unmittelbar auf jeden Tastendruck; es geht also wieder mehr um Timing und Reaktion als eine

Ihr braucht Nachhilfe bei der neuen Steuerung? Bitte sehr: Das Video erklärt das Schießen im Detail.
vage Vorahnung. Allerdings wird beim Vergleich mit dem Vor- und Zurückbewegen des Analogsticks bei Tiger Woods auch diesmal deutlich, dass Everybody's Golf unkompliziert statt wirklichkeitsnah sein will.

Aber mit Realismus hat Clap Hanz trotz seiner hervorragenden Ballphysik ohnehin nicht viel am Hut. Schließlich tanzen die drolligen Figuren ausgelassen, wenn ihnen ein Eagle gelingt und toben nach einem Bogey wütend über das Green. Schade, dass ihr diesmal nur mit 15 Golfern ans Tee tretet - beim letzten PS2-Auftritt waren es noch 24. Schade auch, dass man sie nicht mit Accessoires und neuen Klamotten wie auf PSP bestücken darf - im letzten Handheld-Ableger waren das immerhin mehrere hundert Einzelteile. Das alles wäre allerdings zu verschmerzen, wenn man nicht nur auf läppischen sechs Kursen antreten dürfte! Nippon-Golfer zahlen offenbar denselben Preis, den nicht nur Tiger Woods, sondern fast sämtliche EA und 2K Sports-Titel für ihren Wechsel in die aktuelle Konsolengeneration forderten: Die Inhalte müssen komplett neu entwickelt werden, der Umfang nimmt deshalb spürbar ab. Zumal auch die Karriere im Vergleich zu den letzten Versionen ungewöhnlich starr wirkt, weil die freie Platzwahl vor einem Turnier gestrichen wurde. Dem kurzweiligen Vergnügen kann das wenig anhaben - auf lange Sicht leidet die Motivation allerdings unter den Kürzungen.     

Im Handumdrehen Profi!

Sei's drum: Wer einmal mit den schnieken Comic-Profis auf dem Platz steht, will so schnell nicht zurück. Wie Everybody's Golf das schafft? Wie immer: Die Steuerung ist so schnell durchschaut, dass man schon nach wenigen Minuten selbst angedrehte Bälle schlägt (ein Druck auf eine Richtungstaste genügt), das erste Turnier gewinnt und die ersten Erfahrungspunkte für eine Hand voll neuer Fähigkeiten einheimst. Mit denen kann man z.B. zusätzliche besonders weite Schläge ausführen und dem Schuss auch nach Festlegen der Stärke noch etwas Kraft zugeben oder abziehen. Jede der 15 Figuren könnt ihr

Leider könnt ihr euch diesmal nur auf sechs unterschiedlichen Kursen beweisen.
auf diese Art aufwerten, nach jedem Turnier gewinnt ihr außerdem neue Schläger oder Bälle mit unterschiedlichen Vor- und Nachteilen. Apropos Werte: Falls ihr euch für die herkömmliche Steuerung entscheidet, könnt ihr nicht so weit schlagen wie mit der optisch erneuerten. Gut, dass es trotzdem möglich ist - schlecht, dass es bestraft wird!

Der größte Anreiz für virtuelle Golf-Profis ist aber nicht die rudimentäre Charakterentwicklung, sondern was sie auf dem Platz damit anstellen. Denn jeder Parcours ist gerade im Vergleich zu EAs Kursen ein lebendiger Spielplatz, randvoll mit liebevollen Ideen. Das flimmernde Bild wirkt zwar sehr unruhig, dafür zeigt es wunderbar plastische "Playmobil"-Figuren, während Gräser und Bäume aller Couleur die idyllischen Fairways eingrenzen. Wer mit der Kamera über den Platz fährt, trifft auf geflügelte oder vierbeinige Tierwelt  und wenn ein hoher Ball aus den Wolken fällt, stiebt eine Hand voll Zuschauer panisch auseinander. Besonders seine Golfer und Caddies hat Clap Hanz wieder einmal so verspielt zum Leben erweckt, dass ihre Birdies und Bogeys auch beim hundertsten Zuschauen das Herz zum Lachen bringen - besonders motivierend sind die effektvollen Einlocher, wenn scharf angedrehte Bälle z.B. an die Stange plumpsen, sich danach mit einer farbenfrohen Leuchtspur ins Loch drehen und abschließend noch einmal empor schießen, um den Albatross zu feiern. Wo Golf sonst eine bierernste,

Clap Hanz richtet sich zwar auch an Einsteiger - die Begriffswelt kann trotzdem verwirren. Wer wissen will, warum ein Albatross keine Federn braucht, findet unter diesem Link eine Antwort.
wenn auch entspannte Angelegenheit ist, verzaubert Clap Hanz mit "Golf zum Hinschauen".

PS3-Mii?

Was "Golf zum Mitmachen" angeht: Chip-Ins - also Treffer, die ins Loch geschossen anstatt übers Green gerollt zu werden - gelingen diesmal einfacher denn je, da die Bälle stärker in Richtung Loch ziehen. Wahrscheinlich bieten die Entwickler diesen Kompromiss an, weil das Schlagen weiter Bälle kniffliger geworden ist. Wind und Drall haben jetzt nämlich größeren Einfluss auf die Flugbahn, besonders angedrehte Schüsse sind zu Beginn nur Kennern zu empfehlen. Das kommt dem Spielgefühl zugute, denn die zusätzliche Herausforderung hält etwas länger bei der Stange als gewohnt. Dazu tragen auch viele Abkürzungen bei, denn der Ball muss nicht mehr über den einen Fairway gespielt werden: Weil sich auf den großen Karten jetzt gleich mehrere Löcher befinden, könnt ihr den Ball vielleicht erst auf den Fairway eines benachbarten Lochs schießen, bevor ihr das eigentliche Green anvisiert. So seid ihr mitunter einen Schlag eher auf dem Green. Spätestens, wenn ihr euch mit menschlichen Kontrahenten messt, 

Vor allem online legt sich Everybody's Golf mächtig ins Zeug!
solltet ihr diese Kniffe aus dem Effeff beherrschen!

Denn was Everybody's Golf beim Umfang einbüßt, holt es im Internet fast wieder auf. Da gibt es plötzlich individuelle Charaktere, die man mit vielen vom Start weg vorhandenen und etlichen weiteren Accessoires ausstattet - nicht die 15 Golfer, wohl gemerkt, sondern Mii-ähnliche Alter Egos. Da gibt es außerdem schnuckelige Online-Lobbys, etwa einen Campingplatz oder ein Wellness-Bad, in denen man sich trifft, quatscht, witzige Gesten macht, Geländer runterrutscht, auf Bänke setzt - alles spielerisch wertlos, aber wahnsinnig sympathisch. Und da gibt es Turniere, an denen bis zu 50 Mann teilnehmen - falls die nicht ihre eigene Partie erstellen. Hier hat Clap Hanz viel Arbeit investiert und die zahlt sich aus! Nicht zuletzt dürft ihr natürlich auch eure Offline-Künste gegen bis zu drei Gleichgesinnte auf die Probe stellen. Besonders in solchen Momenten fehlen allerdings die einst obligatorischen Minispiele, denn das vertrackte Einlochen auf besonders abgedrehten Greens lockte im Vorgänger immer wieder zur flotten Zwischendurch-Partie. Das hätte der Fortsetzung vor allem deshalb gut getan, weil ihr die zum Teil langwierigen Partien nicht unterbrechen und später wieder aufnehmen dürft. Wer eine vergeigte Runde deshalb schmeißen will, verlässt am besten das Spiel und startet es erneut. Das hätte nicht sein müssen!   

Fazit

Das mit einem Jahr Verspätung aus Übersee eintreffende World Tour leidet unter ähnlichen Problemen, mit denen auch 2K und EA Sports auf aktuellen Konsolen zu kämpfen hatten: Es gibt weniger Charaktere sowie weniger Plätze als auf PS2 und PSP. Minispiele fehlen ebenso. Zudem steht die "Karriere" diesmal für "stures Abklappern" im Vergleich zur offenen Wahl einer Herausforderung - auch hier haben PS2-Vorgänger und aktuelle PSP-Version die Nase vorn. Die Langzeitmotivation bleibt so auf halber Strecke liegen. Die Online-Welt macht mit ihren wunderschönen Lobbys, zahlreichen Turnieren sowie knuffigen "Mii"-Verschnitten zwar viel wett, doch am Ende fehlt dem PS3-Einstieg die souveräne Größe seines Vorgängers. So sind es lediglich die lebendigen Fairways, die liebenswerten Anime-Golfer und ein beschwingter Soundtrack, die den fünften Teil trotz seiner Rückschritte so unglaublich sympathisch machen. Zumal die vorsichtig überarbeitete Steuerung und eine erstklassige Ballphysik das überzeichnete Sporterlebnis zur leicht erlernbaren, aber anspruchsvollen Simulation machen. Everybody's Golf ist wie gehabt der fröhliche Muntermacher zu Tiger Woods' nüchterner PGA Tour - selbst wenn in diesem Jahr einige Wünsche offen bleiben.

Pro

leicht erlernbare Steuerung
viele Schlagvarianten
glaubwürdige Physik
beschwingte Musik
sympathische Anime-Charaktere und -Caddies
lebendige Golf-Plätze
knuddelige Online-Avatare, witzige interaktive Lobbys
regelmäßige vorgegebene Turniere oder eigene Partien

Kontra

weniger Charaktere und Kurse als zuletzt auf PS2
nur sechs Kurse, keine Jahreszeiten wie auf PS2
keine Minispiele
Abspulen eines vorgegebenen Programms statt freier Platzwahl
kein Einkleiden der Charaktere wie auf PSP
flimmerndes Bild wirkt unruhig

Wertung

PlayStation3

Unglaublich sympathisches, im Vergleich zur letzten PS2-Version aber abgespecktes Golfen.

0
Kommentare

Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.

Es gibt noch keine Beiträge. Erstelle den ersten Beitrag und hole Dir einen 4Players Erfolg.