L.A. Noire20.05.2011, Jörg Luibl
L.A. Noire

Im Test:

Ganz selten sind Spiele wie Zeitmaschinen: Man schmeißt sie an, der Lüfter rauscht und plötzlich landet man in der Vergangenheit – z.B. im Los Angeles der 40er Jahre. Edle Limousinen hier, das Tuckern der Straßenbahn da, schnieke Anzugherren und Kleiderdamen überall.  Jetzt fehlt noch Frank Sinatras "All Or Nothing At All"! Aber unter der edlen historischen Kulisse verbergen sich Rassisten, Vergewaltiger, Psychopathen, Serienmörder. Verbirgt sich darunter auch ein packender Thriller für Erwachsene?

Historisches Stillleben

Was für ein akribisch recherchiertes Stillleben! Nicht nur die Mode und die Architektur, nicht nur berühmte Denkmäler und Sehenswürdigkeiten von Parks bis hin zu Filmgeländen, selbst Schaufenster, Schuhe, Bowlingbahnen und kleinste Gegenstände vom Teddy bis hin zum Lippenstift scheinen direkt aus dem Jahr 1947 auf Xbox 360 und PlayStation 3 gebeamt zu werden. Wie viele Jahre haben die Entwickler in Foto- und Filmarchiven verbracht? Dieses Los Angeles wirkt  wie ein virtuelles Gemälde, das man staunend als Tourist erkunden kann.

Selbst die sozialen und politischen Konflikte werden in knapp fünf Stunden Zwischensequenzen und zig Dialogen greifbar: Die untergeordnete Rolle der Frau zwischen dominanten Chauvinisten, die Alkoholprobleme einer ganzen Gesellschaft, die diskriminierten Schwarzen, die immer noch als „Neger“ bezeichnet werden und nur als Hilfsarbeiter oder Türöffner arbeiten. Dazu all die Feinde Amerikas von Kommunisten über Japaner bis hin zu Nazis. Hinzu kommen die psychischen Probleme all der Kriegsheimkehrer, die als Obdachlose, Säufer oder Gewaltverbrecher enden. All das kann man sich als interessierter Zeitreisender ansehen und anhören.

Thriller ohne Spannung

Cole Phelps hat in Japan gekämpft, trägt die Tapferkeitsmedaille und gilt als junge Hoffnung der Polizei.
Cole Phelps hat in Japan gekämpft, trägt die Tapferkeitsmedaille und gilt als junge Hoffnung der Polizei.
Aber man würde viel lieber mit Spannung im Nacken ermitteln oder anspruchsvolle Kriminalrätsel lösen als nach spätestens vier Stunden immer wieder gelangweilt zu gähnen, weil sich das Spielprinzip in monotonen Schleifen wiederholt, weil es sowohl an der belanglosen Action als auch, und das wiegt viel schwerer, an der viel zu einfachen Adventure-Komponente scheitert. Echte Rätsel gibt es nicht, knifflige Situationen haben Seltenheitswert. Dabei ist man nicht als virtueller Urlauber unterwegs, der mit Sinatra im Ohr authentische Hollywoodrequisiten  betrachten will, sondern als detektivischer Held in einem Thriller – und davon spürt man in den 12 bis 15 Stunden viel zu wenig.

Die Fassade ist so schön, die Ausgangslage so vielversprechend: In der Rolle des Polizisten Cole Phelps jagt man den Verbrechern in der Stadt der Engel nach – 21 Fälle warten auf den ehrgeizigen Kriegsveteranen, der sich vom einfachen Verkehrspolizisten langsam hoch arbeitet zum Ermittler der Mordkommission. Er muss mit zig Bewohnern sprechen, zig Tatorte aufsuchen und Verdächtige interviewen. Und die überzeugen durch die Bank mit einer schauspielerischen Qualität, die ihresgleichen sucht. Gerade zu Beginn ist man von der fantastischen Mimik und vor allem den Verhören überaus angetan. Da kann man die technischen Probleme im Hintergrund verzeihen: Es ruckelt des Öfteren, es gibt Pop-ups, Fade-ins und kleine Bugs. So mancher Fußgänger schwebt schon mal über dem Boden. Manchmal bleibt ein Kollege auch einfach stehen, anstatt ins Auto zu steigen oder man kommt nicht auf Anhieb durch Türen, weil er sie blockiert.

Lebendige Mimik, klasse Verhöre

Die Kulisse ist stilvoll und ansehnlich.
Die Kulisse ist stilvoll, Mode und Architektur authentisch.
Trotzdem wirkt die Kulisse grandios. Und dank einer Mischung aus Motion Capturing und Motion Scanning wirken die Gesprächspartner unheimlich lebendig - jedes Stirnrunzeln, jedes Lidzucken und jedes Flunkern ist zu sehen. So kann man alleine aus der Mimik ableiten, ob man jemandem glaubt oder nicht. Und genau das ist die Kernfrage in den Verhören: Wer hat etwas zu verheimlichen? Man kann allerdings nie Dialoge mit großer Auswahl führen, sondern hat immer nur die Wahl zwischen "Wahrheit", "Anzweifeln" oder "Lüge".

Das Ganze läuft ohne Zeitdruck wie in Alpha Protocol oder situative Spannung à la Heavy Rain: Man hat also genug Muße, um seine Menschenkenntnis unter Beweis zu stellen – man kann z.B. in seinen Notizen nachsehen und über den rechten Analogstick plötzlich sein Gegenüber taxieren, das vielleicht in diesem Moment blinzelt. Ein Hinweis auf eine Lüge? Schätzt man Verdächtigen richtig ein, kann man ihm vielleicht weitere Details zum Fall entlocken. Wer ihn der Lüge bezichtigt, muss allerdings einen Beweis aus seinem Notizbuch vorlegen – z.B. die Aussage eines Zeugen oder einen Gegenstand. 

Obwohl diese Verhöre  sehr gut inszeniert werden und das Highlight des Spiels sind, laufen sie immer nach demselben Schema ab, wiederholen sich Motive und Lösungstaktiken. Man kann fast sicher sein, dass ein Blinzeln immer auf eine Lüge hinaus läuft; hat man keinen Beweis, reicht auch das Anzweifeln. Spannung kommt lediglich auf, wenn  man mehrere Verdächtige parallel befragen muss: Wen wird man am Ende als Täter überführen? Nach einem Fall bekommt man auch schon mal einen Hinweis auf die Folgen oder versäumte Möglichkeiten.

Vom Briefing zum Baudenkmal

Man kann Gegenstände drehen und näher betrachten.
Man kann Gegenstände drehen und näher betrachten.
Trotzdem läuft alles immer gleich ab: Meist bekommt man in einem Briefing die grundlegenden Informationen über den Fall und fährt danach mit dem Polizeiwagen zum Tatort – man kann auch wie in GTA in jedes Auto steigen und die Fahrer einfach hinaus befehligen. Entweder fährt man selbst in den eleganten Limousinen durch die Stadt, inklusive simuliertem Verkehr und Fußgängern, die vor Schreck auch mal ausweichen, wenn man nicht die Sirene einschaltet. Oder man lässt sich von seinem Partner zu einem Zielpunkt fahren, von denen es auch mehrere wie Bar, Wohnung oder Blumenladen geben kann, da man an verschiedenen Orten parallel recherchieren kann.

Wenn man mal aussteigt und die Gegend erkundet (und nicht plötzlich totgefahren wird, was selbst auf ruhiger Straße passieren kann), wird man allerdings die Leblosigkeit der Stadt erkennen: Man hat keine Wohnung, kann in keinen Laden gehen, kann sich noch nicht mal beim Kiosk eine Zeitung kaufen, obwohl sich gerade das angeboten hätte - hier spielt das Los Angeles der 40er Jahre zu wenig interaktive Erkundungsreize aus und man fragt sich, wozu L.A. Noire (ab 5,09€ bei kaufen) die offene Welt überhaupt braucht. Wäre es nicht klüger gewesen, die einzelnen Schauplätze der Morde sowie Zwischenfälle noch detaillierter auszuarbeiten? Selbst das elf Jahre alte Shenmue wirkt in seiner Darstellung von Stadtleben wesentlich lebendiger als diese Metropole.

So kann man lediglich wie ein Tourist bis zu 30 Baudenkmäler besuchen, zig Fahrzeuge sammeln oder auf knapp 40 Zwischenfälle reagieren, die per Funk reinkommen: Die bringen einen aber nicht zu interessanten Nebenfällen, sondern in immer gleiche, unheimlich simple Actionsituationen – Faustkampf, Schießerei, Verfolgung. Warum es gut ist, dass man sie ignorieren kann, klärt der Test weiter unten.

Schnitzeljagd am Tatort

Die Figuren wirken sehr lebendig - auch die Nebendarsteller.
Die Figuren wirken sehr lebendig - auch die Nebendarsteller.
Wenn Phelps einen Tatort erreicht, kann er nach Spuren suchen und Indizien finden. So lange es irgendwo einen wichtigen Hinweis gibt, spielt eine zwielichtige Musik im Hintergrund - erst wenn man alles Wesentliche entdeckt hat, wechselt der Ton. Aber Vorsicht: das kann schon mal täuschen, denn Melodie und letzter Hinweis sind nicht immer synchron. Wer das als Hilfe nicht mag, kann das ausschalten, aber man muss auch nicht alles finden; es ist auch möglich, ohne vollständige Indizienliste weiter zu kommen.

Am Ende jedes Falls bekommt man dann lediglich eine spielerisch irrelevante Wertung von bis zu fünf Sternen, die bloß Outfits oder Fahrzeuge freischaltet - all das hat keinen Einfluss auf die eigene Karriere im Dezernat oder auf das Lob des Chefs. Warum bietet man da nicht ein lebendigeres Feedback für die Leistungen an? Hinzu kommen  lediglich so genannte "Intuitionspunkte", mit denen man wie bei einem Quiz eine falsche Antwort streichen oder sich alle Beweise an einem Tatort anzeigen lassen kann - quasi wie Hot Spots in einem Adventure. Außerdem kann man über eine optionale Internet-Verbindung zum Social Club die prozentualen Antworten anderer Spieler einsehen.

Die Suche selbst gestaltet sich aufgrund des lebendigen Verhaltens und kernigen Sprüche der Polizeikollegen sowie des Presserummels überaus stimmungsvoll, ist allerdings viel zu leicht  - es erinnert fast an eine geführte Schnitzeljagd. Denn ein Schütteln des Controllers weist sicher darauf hin, dass es in der Nähe etwas Interessantes gibt. Immerhin ist auch das abschaltbar: Denn diese Dopplung aus Melodie und Rumble raubt die Erkundungsreize. Man muss sich den Tatort gar nicht genau ansehen, sondern einfach nur überall herum stöbern, bis der Controller anspringt. Aber selbst bei abgeschalteten Hilfen stellt sich schnell Routine ein, weil alles Relevante sofort klar und leicht zu finden ist.

Die Beweise sind sicher

Die Verfolgungen zu Fuß und die Faustkämpfe werden zu einfach inszeniert.
Die Verfolgungen zu Fuß und die Faustkämpfe werden zu einfach inszeniert.
Schade ist nämlich nicht nur, dass Phelps nur die wesentlichen, aber nicht auch die kleineren Funde kommentiert: Da hebt er eine Schachtel mit verschnörkelten Mustern auf und legt sie wieder weg. Was war das denn? Zigaretten? Keksdose? Spielzeug? Hier hätte man über innere Monologe noch mehr Stimmung und Informationen über Phelps oder die Spielwelt anbieten können. Schade ist auch, dass er immer auf Anhieb weiß, was von den Funden belanglos ist – selbst eine Waffe wird da einfach mal mit „Das ist für den Fall nicht wichtig“ links liegen gelassen.

Viel besser wäre es gewesen, wenn Phelps erst mal alle verdächtigen Gegenstände sammeln und dann im Revier über Kombinationen oder Gemeinsamkeiten die Spreu vom Weizen trennen müsste! Was ist mit Fingerabdrücken? Obwohl sie eine Rolle in der Story spielen, werden sie als Ermittlungstechnik nicht eingesetzt. Phelps kann nach einer Tatortbegehung nichts mehr analysieren, sondern sich lediglich über Telefonanrufe mal einen Wohnort oder eine Akte durchgeben lassen – und selbst das läuft automatisch. Man muss keine Nummer wählen, keine Verdächtigen nennen, nicht nachdenken.

In einem Notizbuch werden automatisch alle Personen, Hinweise und Orte vermerkt; man kann selbst die kompletten Dialoge nachschlagen und genau nachvollziehen, wer was gesagt hat – sehr schön. Hinzu kommt eine zoombare Karte mit zahlreichen Sehenswürdigkeiten, die man markieren und anfahren kann. Allerdings nervt die Wartezeit bei Briefen und geschriebenen Texten: Obwohl man den Inhalt eines Schreibens in wenigen Sekunden verstehen kann, muss man warten, bis die deutschen Untertitel Zeile für Zeile alles übersetzt haben, damit der Hinweis als solcher auch notiert wird – wer da zu schnell abbricht, kann an einem Tatort schon mal nicht weiter kommen und sich wie in einer Sackgasse fühlen.

Story verliert den Faden

Die wenigen Rätsel sind unheimlich banal - es gibt keine Kopfnüsse.
Die wenigen Rätsel sind unheimlich banal - es gibt keine Kopfnüsse.
Schwerer wiegt, dass die in Episoden angelegte und mit einem festen Ende versehene Krimistory nicht fesseln kann. Sie verliert immer wieder den roten Faden, denn man löst in den ersten Stunden ohne großen Zusammenhang viele Fälle, bis es endlich wieder um die Serienmorde geht. Dabei geht es streng linear vorwärts und man hat nie das Gefühl, mal frei Beweise oder Akten sichten zu können, um selber Schlüsse zu ziehen. Gerade das interessante Leitmotiv des Spiels, der „Werwolf-Killer“, wird sträflich vernachlässigt, weil Phelps nie aktiv die Indizien einsehen kann: Dabei geht es um die bis heute ungelösten Frauenmorde, die unter dem Titel "Black Dahlia" bereits filmisch (2006 von Brian de Palma) und literarisch (1987 von James Ellroy) behandelt wurden.

Zwar ist es schön, dass seine Polizeikollegen ab und zu darüber sprechen, aber er kann nie aktiv nachfragen, kann nie nachhaken – und das, obwohl er Leichen findet, denen man das Kürzel „BD“ mit Blut auf den Bauch geschmiert hat! Auch das Inspizieren dieser Frauen bietet keine Freiheit, denn man kann nur die Punkte des Körpers untersuchen, die vorgegeben sind. Das wird sehr anschaulich inszeniert, indem man ganz nah ran muss, Arme und Kopf in blutiger Großaufnahme drehen kann – sobald der Controller rumpelt, hat man etwas gefunden und kann näher ranzoomen, um fehlende Ringfinger oder Strangulierungsspuren zu finden. Aber auch das wiederholt sich immer wieder und nach der x-ten blutigen Leiche hat man sich daran gewöhnt. Es gelingt den Entwicklern nicht, die schwelende Monotonie zu durchbrechen.

Kraftlose Rückblicke in den Krieg

Das Highlight sind die Verhöre mit der lebendigen Mimik und der Suche nach Wahrheit.
Das Highlight sind die Verhöre mit der lebendigen Mimik und der Suche nach Wahrheit.
Dabei wäre die Dramaturgie doch so greifbar und die Neugier auf den Haupthelden so leicht über die Rückblicke möglich: Aber diese Erinnerungsfetzen aus dem Krieg in Japan sind lange Zeit viel zu belanglos, so dass der Ex-Offizier Phelps wie ein austauschbarer CSI-Ermittler kaum Identifikationspunkte bietet. Und seine Zerrissenheit, seine inneren Zweifel? All das wird sträflich vernachlässigt, obwohl es sich so aufdrängt und auch als Anlehnung an den Film noir wunderbar gepasst hätte.

Immerhin trägt das Spiel diesen Zusatz nicht umsonst, aber dieser Stil scheint nur selten durch. Wo ist die Schwärze, wo ist das mysteriöse Dunkle, das z.B. so unheilvoll über allem in Max Payne schwebte? Warum zeigt man davon nichts, obwohl gerade diese Düsternis so wichtig sein kann für die Dramaturgie und den Helden? Wer es dunkler mag, darf immerhin einen Schwarzweißfilter nutzen. Die aktiven Ermittlungen fühlen sich eher an wie sterile Tatortbegehungen ohne doppelten Boden. Erst sehr spät gibt es auch mal Missionen bei Nacht oder Regen. Erst sehr später werden einige Überraschungen sichtbar und Perspektivwechsel möglich. Sehr schön, weil fast beiläufig, wird die Korruption der Zeit thematisiert: Selbst die Polizei lässt es sich gut und auch schon mal was mitgehen, wenn keiner hinschaut.

Monotone Ermittlungen

Man kann nie frei ermitteln, läuft immer  nur Hinweisen hinterher.
Man kann nie frei ermitteln, läuft immer nur Hinweisen hinterher.
Obwohl man ständig im Rang aufsteigt und viel zu viel überflüssige Intuitionspunkte sammelt, hat man schon nach zwei, drei Stunden alles gesehen und alles erlernt, was man in Los Angeles machen kann. Schade, dass man diese Karriere nicht so abwechslungsreich inszeniert, dass man mit dem Wechsel in ein neues Dezernat auch mal neue Polizei- oder Ermittlungstechniken erlernt; oder meinetwegen neue Möglichkeiten in der Beweisanalyse oder Verhörmethode. So wendet man viel zu früh immer dieselben Methoden an, öffnet zig Handtaschen und Wohnungen, klappert immer dieselben Routinen ab, egal ob auf Adventure- oder Actionseite.

Das wäre überhaupt nicht schlimm, wenn diese spielerischen Elemente interessant, spannend und anspruchsvoll genug wären. Aber das sind sie nicht: Die Action ist dermaßen simpel, egal ob Schießereien oder Schlägereien oder Verfolgungen, dass man sie fast mit verbundenen Augen meistert. Und die wichtigere Ermittlungsarbeit, also das detektivische Kombinieren, Vergleichen, Ausschließen, Rätseln ist meist nicht mehr als ein lineares Kinderspiel auf Wimmelbild-Niveau – selbst mäßige Adventures verlangen mehr Gehirnschmalz und bieten mehr Deduktion.

Warum wird einem alles vorgekaut, warum muss man so selten logisch denken? Man muss tatsächlich in einem Auftragsbuch mit zwei Spalten voller Ziffern eine vierstellige Ziffer finden, die man in seinem Notizbuch hat – man bewegt den Finger bei mysteriöser Musik in die Spalte und gut. Man muss tatsächlich eine Kiste mit einem dreistelligen Code öffnen, indem man die drei Zahlen eingibt, die man in seinem Notizbuch hat. Man muss tatsächlich eine Erdkugel so verschieben, dass  der mehrteilige (!) amerikanische Kontinent zu sehen ist. Man muss tatsächlich mehrmals an Wohnungseingängen den Namen in einem Labyrinth aus unglaublichen zwölf Schildern finden, der schon im Notizbuch steht. Sagt mal, liebe Entwickler von Team Bondi: Ist das ein Krimi für Grundschüler? Ich dachte, ihr wollt einen Thriller für Erwachsene machen? Aber was einem hier an Rätselqualität und Ermittlungsanspruch aufgetischt wird, ist erbärmlich. Und das geht mit der Action weiter.

Action ohne Anspruch

Die Schießereien können nicht überzeugen: zu leicht, zu belanglos.
Die Schießereien können nicht überzeugen: zu leicht, zu belanglos.
Die Schusswechsel hätten für etwas Adrenalin sorgen können, aber selbst wenn jemand eine Geisel nimmt und sie als menschlichen Schutzschild missbraucht, kann man den Kidnapper aufgrund der großzügigen Zielerfassung ohne Mühe ausschalten; selbst Wildwestgefechte gegen mehrere verschanzte Kriminelle sind ein Witz. Noch schlimmer werden die Prügeleien inszeniert. Ich habe keinen einzigen Boxkampf verloren, weil man viel zu leicht ausweichen und treffen kann – egal gegen wen. Selbst als die Entwickler in einem Obdachlosen-Lager eine theoretisch gefährliche Unterzahlsituation aufbauen, als der vernarbte Anführer die Tore schließen lässt und man von allen Seiten umzingelt wird, führt das Casualboxen die Situation ad absurdum: Man schlägt zwei, drei Mal zu und die Sache ist geritzt, das war‘s!

Hinzu kommen zwei Arten von Verfolgungsjagden: Zu Fuß und im Auto. Was hätte man da rausholen können! Ersteres ist aber an Einfachheit kaum zu unterbieten, denn man hält eine Taste für den Spurt gedrückt und die Kamera schwenkt tatsächlich automatisch (!) nach links oder rechts, wenn man den Flüchtenden um eine Ecke verfolgt, damit man ihn bloß nicht aus dem Auge verliert. Wie lächerlich ist das denn? Ich erwarte ja hier kein Mirror’s Edge mit Vollakrobatik, aber will bitte selbst lenken! Mir ist es vollkommen schleierhaft, dass man in den Optionen tatsächlich noch die Möglichkeit anbietet, alle Actionsequenzen nach x Fehlschlägen automatisch überspringen zu können. Wer soll denn da bitte scheitern?

Immerhin sind die Verfolgungsjagden im Auto etwas anspruchsvoller, aber auch sie werden einem einigermaßen geübten Spieler nur ein müdes Lächeln entlocken: Es gibt zwar ein optisches Schadensmodell und zig Typen vom sportlichen Zweisitzer bis zur trägen Limousine, aber die Fahrzeuge steuern sich wesentlich leichter und gleichförmiger als etwa in Grand Theft Auto IV. Meist gilt es, rechtzeitig die Kurve zu kriegen und an die Seite des Flüchtenden zu kommen, damit der Partner auf die Reifen schießen kann. Aber selbst wenn man das mal nicht schafft, wartet am Ende vielleicht irgendwo eine Straßensperre, die ihn aufhält.

Fazit

Hervorragende Mimik. Ausgezeichnete Stadtkulisse. Und so viele tolle Zahlen: 95 Fahrzeuge, 400 Charaktere, 2000 Seiten Drehbuch! Und wie oft habe ich gegähnt?  5000 mal! L.A. Noire hätte so viel mehr sein müssen als schön anzusehende Langeweile. Bei all der zeitgeschichtlichen Recherche haben die Entwickler die Dramaturgie und vor allem den Anspruch vergessen. Was ist das für eine lineare Banalität? Man würde viel lieber mit Spannung im Nacken ermitteln oder anspruchsvolle Kriminalrätsel lösen als nach spätestens vier Stunden immer wieder gelangweilt zu werden, weil der Hauptcharakter wie ein beliebiger CSI-Agent wirkt, weil sich das Spielprinzip in monotonen Schleifen wiederholt, weil es sowohl an der belanglosen Action (Faustkämpfe und Schießereien für Vollnoobs) als auch, und das wiegt viel schwerer, an der viel zu einfachen Adventure-Komponente scheitert. Hallo, wo sind Deduktion und Kombination? Da ist ja manches stocksteife Sherlock Holmes-Adventure von anno dazumal cleverer! Echte Rätsel gibt es nicht, knifflige Situationen haben Seltenheitswert und auch von Film noir ist erst sehr spät etwas zu merken. Die stilvolle Kulisse und vor allem die interessanten Verhöre mit ihren psychologischen Einschätzungen sorgen noch für guten Unterhaltungswert. Aber das sind zwei Highlights, für die man weder eine ebenso offene wie tote Welt noch Pseudo-Action gebraucht hätte. Die anfängliche Euphorie angesichts der grandiosen Mimik war angesichts des schwachen Spieldesigns schnell verflogen.

Pro

klasse Schauspieler
lebendige Mimik
glaubwürdige Dialoge
tolle Verhörsituationen
sehr gute Zwischensequenzen
authentisches Los Angeles der 40er
Autofahrten überspringbar
Unfälle mit Schadensmodell

Kontra

monotoner Spielablauf
schwache Dramaturgie
Story verliert zu oft den Faden
Hauptcharakter bleibt zu lange blass
zu wenig Film noir-Atmosphäre
leblose Riesenstadt ohne Interaktionen
keine Detektiventwicklung, banales Rangsystem
kaum Ermittlungs-Anspruch, keine Indizien-Analyse
unheimlich simple Faustkämpfe
nervig langatmiges Brief/Textlesen
viel zu leichte Schießereien
nur einfachste Rätsel

Wertung

360

Ein zeitgeschichtliches Stillleben - schön anzusehen, aber mit monotonem Spielablauf.

PlayStation3

Tolle Mimik, klasse Kulisse, aber schwaches Spieldesign: Banale Action und Ermittlungen ohne Anspruch.

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Kommentare

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TheoFleury

Ist halt schon die Frage ob man für für diese Gedanken einen 4 Jahre alten Thread ausbuddeln muss.

Er hat geantwortet. Gibt es ein Gesetz das man auf ältere Freds nicht antworten darf? Kommt jetzt die deutsche Internet Polizei und brummt mir 20€ Strafe auf? Wäre fast schon realistisch wenn man bedenkt in was für dekadenten , gläsernen Zeiten wir leben mit Politikern ohne jegliches Rückgrat, Klare Ziele oder Wertvorstellungen abseits des grausamen Kapitalismus?

Kurz und knapp: Spaß! Habe das Datum überlesen und war evtl. leicht betrunken..Ein Alkohol test sollte darüber Aufschluss geben...Nur leider ist die Polizei fast nie da wenn man sie wirklich braucht.... :roll:

vor 4 Jahren
forest_hunter

Interessantes Spiel gibt es im PSN shop fuer PS4 für 14 Euro gerade.

Der Test hat 5 Seiten, war ja klar, dass er von Jörg ist.

72% ist doch ne gute Wertung, nicht ganz so hoch wie Death Stranding, aber immerhin, ich überdenke den Kauf.

Oh gerade gesehen, das Spiel wurde von Rockstar entwickelt, na dann hat sich die Sache erledigt, Rockstar sieht nicht einen Cent von mir, die werden sanktioniert.

Ich bin eh gutmütig, ich sanktioniere keine Firmen die mini-dlc anbieten, Rockstar hingegen wird sanktioniert für schwerwiegendere Verfehlungen, da können deren Spiele angeblich noch so gut sein, was ich aber eh bezweifele.

Interessant. Du bist genauso frustriert wie ich ZB. über EA. Die Sterne Rocker sind vielleicht nicht der bessere Verein wenn es um nachhaltige Abzocke geht, aber immerhin verstehen sie es handwerkliche gute bis sehr gute Spiele zu veröffentlichen /produzieren.... Und was die Abzockerei angeht, sie machen es vernünftiger und "nebulöser" mit bißchen mehr Geduld und sind nicht die wirklichen kapitalistischen Agressoren die jeglichen Bezug zur Realität verloren haben und nichts mehr ins Produkt investieren bis auf ein paar Amateure und Studenten und, das wichtigste bei EA: LIZENZEN....Ohne die wäre der Laden schon längst pleite und vergessen

Das ist ein sehr großer Unterschied wenn man ins Detail geht und darüber nachdenkt.
Ich sanktioniere außerdem Uplay, ich würde gerne Anno1800 kaufen, es gibt es aber nicht bei GOG oder Steam. Es wird Zeit, dass es das auf Boerse.to gibt :mrgreen: :mrgreen:

vor 4 Jahren
TheoFleury

Interessantes Spiel gibt es im PSN shop fuer PS4 für 14 Euro gerade.

Der Test hat 5 Seiten, war ja klar, dass er von Jörg ist.

72% ist doch ne gute Wertung, nicht ganz so hoch wie Death Stranding, aber immerhin, ich überdenke den Kauf.

Oh gerade gesehen, das Spiel wurde von Rockstar entwickelt, na dann hat sich die Sache erledigt, Rockstar sieht nicht einen Cent von mir, die werden sanktioniert.

Ich bin eh gutmütig, ich sanktioniere keine Firmen die mini-dlc anbieten, Rockstar hingegen wird sanktioniert für schwerwiegendere Verfehlungen, da können deren Spiele angeblich noch so gut sein, was ich aber eh bezweifele.

Interessant. Du bist genauso frustriert wie ich ZB. über EA. Die Sterne Rocker sind vielleicht nicht der bessere Verein wenn es um nachhaltige Abzocke geht, aber immerhin verstehen sie es handwerkliche gute bis sehr gute Spiele zu veröffentlichen /produzieren.... Und was die Abzockerei angeht, sie machen es vernünftiger und "nebulöser" mit bißchen mehr Geduld und sind nicht die wirklichen kapitalistischen Agressoren die jeglichen Bezug zur Realität verloren haben und nichts mehr ins Produkt investieren bis auf ein paar Amateure und Studenten und, das wichtigste bei EA: LIZENZEN....Ohne die wäre der Laden schon längst pleite und vergessen

Das ist ein sehr großer Unterschied wenn man ins Detail geht und darüber nachdenkt.

vor 4 Jahren
johndoe945852

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Zuletzt bearbeitet vor 4 Jahren

vor 13 Jahren