Geschichte Alternativ
Europäische Geschichte à la Sega: Europa (das hier auch im Englischen so heißt) hatte Anfang des 20. Jahrhunderts bereits einen Welt... Verzeihung: Europäischen Krieg (EW I) zwischen dem östlichen Imperium und der westlichen Föderation überstanden und trägt nur zwanzig Jahre später den EW II aus. Auch dieser Konflikt entbrannte dabei um Ressourcen, genauer gesagt um Ragnite, das nicht nur als Treibstoff verwendet wird. Der ganze fiktive Kontinent befindet sich also im Krieg.
Ganz Europa? Nein! Denn die unbeugsamen Gallians hören nicht auf, dem Imperium Widerstand zu leisten. Scheinbar ist den finsteren Imperialen das friedliebende Land einfach ein Dorn im Auge...
Es ist bemerkenswert, wie tief die japanischen Entwickler in Mythen und Geschichtsbüchern gewühlt haben, um den ansonsten vollkommen fiktiven Kontinent aufzubauen. Da gibt es u.a. den Befehlshaber der imperialen Truppen, dessen goldener Lorbeerkranz und weiße Uniform dem alten Rom zuwinken. Da ist das Volk der
So schön sehen nicht nur die Zwischensequenzen aus, sondern jede einzelne Szene.
nordischen Valkyrur, die den Kontinent vor etwa zwei Jahrtausenden vereinten. Die Entwickler greifen sogar das Thema Rassismus auf, wenn sie die ausschließlich schwarzhaarigen Darcsens als ein verhasstes Volk darstellen.
"Wie du und ich"
Ihr Spiel ruft aber nicht "Sei ein guter Mensch!", während es den Zeigefinger nach oben richtet. Vielmehr nutzt es die Versatzstücke, um das frei erfundene Szenario sowie die zahlreichen Charaktere greifbar zu machen. Wer deshalb ein packendes Kriegsdrama erwartet, wird allerdings enttäuscht, denn erzählerisch kommt Valkyria Chronicles selten über das Niveau einer durchschnittlichen Anime-Serie hinaus. Hin und wieder wirkt der Krieg zwar bedrückend, mitunter sogar beängstigend. Meistens werden gefühlvolle Momente aber konsequent totgeplappert, bevor die einmal angerissenen Emotionen ins Herz durchsacken. Nicht zuletzt haben die Charaktere genug alberne Momente, für die ich mich selbst als unbeteiligter Beobachter schämen musste.
Umso erstaunlicher ist es, dass mir die Figuren und die Verteidigung ihres Landes trotzdem ans Herz gewachsen sind! Es hat u.a. damit zu tun, dass ich hier keinen einzigen namenlosen Infanteristen in den Kampf schicke, sondern wichtige Vorlieben und Abneigungen von Alex, Edy oder Marina kennenlerne. Es hat auch damit zu tun, dass sich die Kameraden kurz von mir verabschieden, wenn ich sie aus dem Team schmeiße und mich grüßen, wenn ich sie zurückhole. Dass die Kamera für jeden Spielzug von der unpersönlichen Übersichtskarte nahtlos auf die gewählte Einheit zoomt, spielt ebenfalls eine Rolle - genau wie die Tatsache, dass eure Männer und Frauen sogar sterben können, nachdem ihr sie drei Runden lang habt bewusstlos liegen lassen. Es hat damit zu tun, dass ein lebendiger Funkverkehr fast immer zu der aktuellen Situation passt. Und es hat auch damit zu tun, dass die Autoren ihre Figuren sehr liebevoll zeichnen. Denn Welkin, Isara, Rosie, Alicia und wie sie alle heißen bleiben stets "Einer wie du und ich" - einschließlich ganz normaler Träume und liebenswerter Macken wie Largoswitzige Vernarrtheit in frisches Gemüse. Schade nur, dass vielen deutschen Spielern die Feinheiten der
Sega zeichnet ein naives Bild des Krieges, inszeniert aber fordernde Rundentaktik.
Erzählung verborgen bleiben, weil Sega auf eine Lokalisierung komplett verzichtet: Nicht einmal deutsche Untertitel oder Menütexte war der Titel den Japanern wert, lediglich das Handbuch wurde übersetzt. O-Ton-Fans freuen sich immerhin über die optionale japanische Sprachausgabe.
Bebilderte Schönheit
Vor allem sind es aber die scheinbar handgefertigten Malereien, die aus der trockenen Rundentaktik eine impressionistische Liebeserklärung machen. Denn jedes Bild, von der Karte des Schlachtfeldes über die Filmszenen bis hin zum unmittelbaren Zoom aufs Schlachtfeld, könnte ein bewegtes Gemälde sein. Selbst das Menü, in dem ihr wie in einem alten Wälzer die Seiten umblättert, hält den ehrwürdigen Stil aufrecht. Im Hauptmenü stellt ihr eine Truppe aus bis zu 20 Soldaten zusammen, wertet eure Einheiten im Training auf, schaltet Stück für Stück die wie in einem Sammelband angeordneten Filmsequenzen frei, kauft bessere Ausrüstung oder wühlt im ausführlichen Glossar. Zwischen zwei Missionen vergeht so im Handumdrehen eine halbe Stunde und mehr - was eine Idee zu lange sein kann, wenn man heiß auf den nächsten Kampf ist. Die Gefechte selbst dauern allerdings noch einmal bedeutend länger: Wer nicht gerade darauf aus ist, so schnell wie möglich das gegnerische Lager einzunehmen (was leider eine bessere Bewertung bringt), darf viel Zeit auf dem Schlachtfeld einplanen. Und auch das trägt dazu bei, dass Valkyria Chronicles greifbarer wirkt als das flotte Verschieben weit entfernter Spielfiguren.
Etwa zehn Soldaten müsst ihr zu Beginn an den Startgebieten platzieren, wobei ihr diese Einheiten aus den 20 wählt, für die ihr euch zuvor im Hauptmenü entschieden habt. Nur Welkin, Sohn eines legendären Panzer-Generals und Befehlshaber eures Regiments, führt mit dem Panzer seines Vaters jedes eurer Gefechte an. Alle anderen Charaktere dürft ihr nach Belieben aufstellen. Veteranen am Schaltpult müssen übrigens umdenken, weil das Platzieren von möglichst vielen schlagkräftigen MG-Trägern oder Scharfschützen selten den gewünschten Erfolg bringt - "Schuld" daran ist der ungewöhnliche Ablauf der Scharmützel.