White Knight Chronicles04.02.2010, Jörg Luibl
White Knight Chronicles

Vorschau:

Manchmal altert man mit Spielen - vor allem als Europäer. Wer sich im September 2006 nach den ersten Grafikstudien auf White Knight Chronicles (ab 14,22€ bei kaufen) gefreut hatte, musste Geduld beweisen und die Jahre zählen: Das Rollenspiel von Level 5 war zunächst für Ende 2007 geplant, erschien aber erst 2009 in Japan. Und am 26. Februar darf man endlich hierzulande in ein Abenteuer aufbrechen, das im fernen Nippon schon bald fortgesetzt wird. Hat sich das lange Warten wenigstens gelohnt?

Sehnsucht nach Frieden

Die Gefährten unter sich: Man zieht als Gruppe mit bis zu vier Leuten los, kann jederzeit einen anderen Charakter steuern. Später kann man für 1000 Gulden auch Land kaufen und seine eigene kleine Stadt anlegen.
Wir sind spät dran. Und das am Tag des großen Festballs mit all den bunten Gauklern und dem hohem Staatsbesuch! Zum ersten Mal seit dem erbitterten Krieg kommt ein Gesandter der Farianer, um mit unserem König Valtos einen Frieden zu schließen. Kann man die Erzfeinde tatsächlich dazu bewegen? Auf den Straßen hofft man sogar, dass diese frohe Kunde vielleicht das zehnjährige Schweigen von Prinzessin Cisna beendet. Seit dem Mord an ihrer Mutter hat sie nämlich kein Wort mehr gesprochen...

Level 5 gießt die Fundamente für die Story in zahlreichen Filmen und Dialogen. Schon in den ersten zehn Minuten wird das deutlich. Man hat im Einstieg fast das Gefühl, dass ein Pfeife schmauchender Alter mit weißem Bart etwas im gemächlichen Tempo vorliest. Die simple politische Ausgangslage der Fantasywelt wird Schritt für Schritt erklärt, archetypische Figuren vom guten König bis hin zum potenziellen Bösewicht behutsam eingeführt. Die Entwickler lassen sich für die Erzählung der ebenso märchenhaften wie kitschig anmutenden Vorgeschichte viel Zeit.

Wein für den König

Zu Beginn kann man einen Charakter nach Maß (hier im Video) erstellen - inkl. Gesichts- und Körperdeformation. Allerdings erweist dieser sich zunächst als Mitläufer ohne Story.
Die hat man als junger Held in spe natürlich nicht: Verflixt, bald wird es dunkel - wir müssen weiter! Leonard, Yulie und ich sind immerhin kurz davor, die erste Aufgabe für den Gastwirt zu meistern: Wir sollen den Weinvorrat aus einem kleinen Kaff in die Hauptstadt Balandor schaffen. Bisher haben wir brummende Riesenwespen und fiese Wuselgnome in der wilden Ebene locker besiegen. Ab und zu funkelte es an einem Baum und wir konnten ein paar magische Zutaten einsacken. Die können hilfreich sein, schließlich kann man Waffen und Kleidung verbessern und reparieren - in der Stadt gibt es Schmiede, Gemischtwarenhändler, Juweliere, Gilden und Werkstätten.

Dabei mussten wir auf dem Weg zum Dorf nichts dem nervigen Zufall überlassen, sondern konnten schon aus der Distanz planen: Erstens erkennt man ähnlich wie in Online-Rollenspielen an der Symbolfarbe der Monster wie stark sie im Vergleich zum eigenen Level sind. Und zweitens kann man sie umgehen, wenn zu viele davon auf einem Fleck sichtbar sind - dann lohnt sich ein kleiner Umweg, denn in Unterzahl wird man schon mal aufgerieben. Die Welt ist zwar nicht offen und wird von Flüssen oder Bergen künstlich begrenzt, aber die angenehm großen Karten erlauben Schleichwege.

Technik 1.0

Prinzessin Cisna: Erst redet sie zehn Jahre nicht, dann wird sie entführt. Und wer darf sie retten? Richtig...die Story wirkt zunächst ebenso märchenhaft wie kitschig.
Der flüchtige erste Blick auf die Kulisse entlarvt zunächst das Alter des Spiels. Was zum Start der PlayStation 3 vielleicht noch richtig gut ausgesehen hätte, entlockt einem im Zeitalter von Uncharted 2 nur ein Stirnrunzeln: Egal ob Böden, Wände oder Rüstungen - es fehlt einfach an Plastizität und Körnigkeit. Wer durch die Landschaft streift, knickt keine Büsche um und ein Hieb auf einen Zaun oder sonstiges Zerbrechliches zeigt keinerlei physikalische Wirkung; zudem scheint es keine korrekte Kollisionsabfrage bei Projektilen oder Hieben zu geben. Hier hat sich nach vier Jahren schon einiges an Staub festgesetzt. Und so mancher böse Redakteur raunte ein "Das sieht ja aus wie ein PlayStation 2-Spiel" in den Raum.

Aber das ist nichts als oberflächliche Polemik. Denn der liebevolle zweite Blick rückt die Kulisse in ein durchaus idyllisches Licht: Das Königreich Balandor kann zwar nicht im Detail begeistern, aber dafür gibt es einige schöne Perspektiven im Abendrot, das Gras weht sanft im Wind, man erkennt wuchtige mittelalterliche Architektur, putzige Kreaturen und pompöse Monster der Marke XXL. Da füllt sich der Bildschirm schon mal mit Bestien, die für einen Augenblick mit ihrer schieren Größe begeistern und all die platten Texturen vergessen lassen.           

Charaktereditor 3.0

Die Kämpfe laufen in Echtzeit ab: Gegner wählen, Angriff wählen, Hieb aufladen und fertig. Gefährten können über Verhaltensmuster oder direkt nach Anwahl gesteuert werden.
Wer "ich" eigentlich bin? Gute Frage. Scheinbar erstellt man sich zu Beginn nur eine Nebenfigur, denn der eigentliche Held ist Blondschopf Leonard. Ob sich das noch ändert? Wie soll man da eine Beziehung aufbauen? Immerhin kann man für seinen Mitläufer den Augapfel, die Schuhgröße, den Bauchumfang, die Hautoberfläche und den Winkel der Augenbrauen einstellen. Außerdem Nasenbreite, Kieferlänge, Irisfarbe, Frisur und Stimme. Das Spiel setzt bei der Charaktererschaffung komplexe Zeichen - hier im Video. Allerdings gilt das nur für das Äußere, denn weder ein Volk noch eine Klasse stehen zur Wahl; schade.

Das ist ja oberflächlich? Moment - hier ist Level 5 (Dark Cloud , Rogue Galaxy ) am Werk. Und wo diese Japaner drauf stehen, ist meist viel Rollenspiel drin. Und natürlich gehört dazu eine komplexe Karriere inklusive Lebens- und Magiepunkte, Erfahrung und Spezialisierungen, Items und Heiltränken: Anstatt klassischen Berufungen zu folgen, kann man jeden der bis zu vier Charaktere in der Party frei entwickeln. Wer aufsteigt, darf Punkte auf acht Kampffähigkeiten verteilen, darunter Einhänder, Zweihänder, Bogen, Stab und zwei Magietypen. Später kommen allerdings auch knapp ein Dutzend Attribute wie Agilität oder Stärke hinzu, die man steigern kann.

Investiert man seine Punkte in den Bereich Einhänder, schaltet man zunächst Talente wie den "Rückwärtshieb", den "Helmknaller" oder den "Flammenhieb" frei. Wer auf den Bogen setzt, bekommt irgendwann "Bull's Eye" oder den "Doppelpfeil". Die deutsche Version bietet übrigens englische Sprachausgabe mit deutschen Untertiteln. Die Texte sind bis auf einer paar kleine Dreher sauber übersetzt worden.

Kämpfen im Team

Der sylvanische Troll ist der erste große Gegner: Man hat mehrere Trefferzonen zur Auswahl. Wie viele Bestien sind da im Anmarsch?
Zurück auf die Straße: Jetzt zieht gerade ein mammutähnliches Tier unseren schwer beladenen Karren mit Dutzenden Fässern, so dass wir zu langsamer Eskorte auf der befestigten Straße gezwungen sind. Schön ist, dass man an leuchtenden Steinen in der Landschaft seine Gruppe heilen und speichern kann. Auch so feiern wir zunächst überraschend leichte Siege mit dem interessanten Echtzeitkampfsystem: Sobald ein Feind sichtbar wird, kann man ihn per L1 anvisieren und sich für eine der Dutzenden Angriffsarten wie einfacher Schlag oder Pfeilschuss entscheiden - diese werden dann in einem Kreis aufgeladen, danach muss man nur noch in die benötigte Reichweite kommen und schlägt zu. Stärkere Angriffe wie der Flammenhieb dauern länger und kosten Aktions-Chips, die man durch aktives Kämpfen gewinnt.

Hat man die Lebenspunkte des Feindes auf den Nullpunkt gebracht, löst er sich auf. Da es keine Pausefunktion gibt und die Zeit selbst beim Aufrufen des Charaktermenüs weiter läuft, muss man theoretisch immer auf der Hut sein. In der Praxis wurde es aber nur in Unterzahl gefährlich. Man kann zwar auch aktiv verteidigen, indem man zur richtigen Zeit die R1-Taste betätigt (danach wird der Schaden des Feindes entweder abgemildert oder abgefangen), aber ein Mittendringefühlgefühl à la Demon's Souls  mit hitzigem Konter und gejubeltem Todesstoß.  Etwas verstörend wirken zudem die viel zu großen Texteinblendungen auf der linken Seite, die wie in klassischen Rollenspielen alter Schule über den verursachten Schaden informieren und fast ein Viertel des Bildschirms benötigen; dieses Feedback hätte man eleganter und kleiner integrieren müssen.

Effiziente Kombinationen

Große Städte, weite Landschaften und exotische Höhlen warten auf euch - später kann man über das "GeoNet" auch online mit Freunden Quests lösen und eine eigene Stadt bauen. Da hat Level 5 wohl Elemente des eingestellten Xbox-Titels True Fantasy Live Online integriert.
Das Besondere an den Gefechten sind die effizienten Kombinationen: Man kann ein Repertoire an Kombos anlegen, indem man Angriffe derselben Art (Hieb, Stoß, Schlag) aneinander reiht - z.B. erst den einfachen Hieb, dann den Rückwärtshieb, dann den Kopfhieb etc. Diese werden im Gefecht dann nicht einfach so ausgelöst, sondern man muss jeden Teil der Kombo mit dem richtigen Timing per Knopfdruck bestätigen, damit sie wirkt und nicht unterbrochen wird. Wer das bis zu fünfmal schafft, verursacht natürlich wesentlich mehr Schaden als mit einfachen Schlägen. Es gibt aufgrund der Vielzahl der Waffen und Schlagarten eine schier unendliche Vielfalt an Verknüpfungen.

Man steuert zwar immer nur einen Charakter direkt, kann aber jederzeit zu Leonard oder Yulie wechseln. Man kann die Gruppe aber auch im Vorfeld mit Verhaltensmustern organisieren: Wer einen Gefährten auf "kompromisslos" einstellt, wird ihn immer an vorderster Front kämpfen sehen. Wer es defensiver an seiner Seite mag, kann auch auf "einsparen" oder "sichern" und "vorrangig heilen" wechseln. So gewinnen die Kämpfe eine taktische Komponente, die zwar bei den kleinen Monstern auf den Ebenen noch nicht nötig war, aber schon bald an Relevanz gewinnt, denn einige Feinde müssen gezielt im Team vernichtet werden. Genau so wie jetzt...

Im Angesicht der Bestie

Irgendwann kann sich Leonard in den weißen Ritter verwandeln und auf Augenhöhe gegen Riesen kämpfen. Allerdings muss er damit haushalten...
...als plötzlich die Erde bebt: Ein sylvanischer Troll stampft auf die Straße und lässt den Boden zittern. Ist der fünf Meter groß? Und hat er den Wein etwa gerochen? Egal, denn jetzt gilt es die Bestie im Team zu besiegen. Im Gegensatz zu einfachen Monstern hat dieser Koloss mehrere Trefferzonen, die man anvisieren kann - Kopf, Unterleib, rechtes Bein, linkes Bein. Und je nachdem mit welcher Angriffsart ich auf welchen Körperteil schlage, ergeben sich andere Konsequenzen: Nachdem ich eine 5-Fach-Schlag-Kombo auf das linke Bein durchbringen konnte, verliert der Troll das Gleichgewicht und sackt zusammen, weil er sich stützen muss. Das ist der ideale Zeitpunkt, um mit allen Gefährten seinen Kopf zu attackieren!

In den Gefechten gegen diese übergroßen Kreaturen kommt wesentlich mehr Spannung auf als in den normalen Scharmützeln. Und Übergröße wird auch das zentrale Thema für den Haupthelden Leonard: Denn auch wenn er mit meiner und Yulies Hilfe den Troll besiegen und den Wein nach Hause bringen kann, erwartet ihn dort weder ein Fest noch Frieden. In den Straßen der Stadt tobt schon bald das Feuer, angeheizt durch eine dämonische Bestie. Was geht da vor? Wo ist der König? Die heile Märchenwelt bricht in einem Chaos zusammen und als Leonard die hilflose Prinzessin durch die Kellergewölbe Balantors führt, um sie in Sicherheit zu bringen, trifft er auf ein uraltes Geheimnis: Die Rüstung des weißen Ritters, genannt "Incorruptus"!

Wie durch ein Wunder kann er diese alte Waffe aktivieren und sich für kurze Zeit in diese ebenso legendäre wie riesenhafte Gestalt verwandeln. Jetzt hat er Zugriff auf mächtige Angriffe und kann sich gegen diesen Dämonen stellen, vor dem die Palastwachen schon verzweifeln. Leonard erscheint hier nach seinem Sieg wie ein Held ex machina, wie ein Glück im Unglück: Kein Wunder, dass man ihn damit beauftragt, die Prinzessin zu finden - denn das schweigsame Mädchen wurde während des Chaos entführt. Allerdings wird der weiße Ritter nicht einfach so erscheinen: Leonard muss während normaler Kämpfe mind. sieben Aktions-Chips sammeln, um ihn beschwören zu können - spart er sich das für zwölf oder gar fünfzehn auf, ist er als weißer Ritter noch mächtiger.

           

Ausblick

Das kurze Reinschnuppern in dieses Abenteuer macht mich neugierig - zumal tatsächlich erst nach der Beschwörung des weißen Ritters, also nach drei Stunden (!), der Prolog mit den Namen der Entwickler über den Bildschirm flimmert. Ist das ein Introrekord? Ich hatte schon den Abspann befürchtet, aber Level 5 hat hier ganz gemütlich ausgeholt, um die Bühne für seine Fantasy-Welt zu zimmern - eigentlich fängt das Spiel erst an, wenn Leonard die sagenhafte Gabe der Riesenverwandlung einsetzen kann. Die veraltet anmutende Kulisse kann zwar nicht im technischen Detail begeistern, hat aber ihre idyllischen Momente und wirkt ebenso märchenhaft wie exotisch: Man begegnet Rittern in schimmernden Plattenrüstungen, gnomenhaften Wesen mit Hasenohren oder gigantischen Bestien à la Shadow of the Colossus - im Artdesign eine Mischung aus europäischen und fast schon disneyhaften Motiven. Die Story bemüht zwar bisher einiges an vorhersehbarem Kitsch, die charakterlose Mitläuferrolle des eigenen Helden wirkt befremdlich und manche Außenareale versprühen eher den generischen Charme bekannter Online-Rollenspiele als das Gefühl gefährlicher Wildnis. Aber das Echtzeitkampfsystem mit seinem Kombo-Timing sowie die freie Karriere machen genau so Hoffnung wie die spektakulären Gefechte gegen die Bestien. Und es gibt keine nervigen Zufallskämpfe! Trotzdem bleiben noch so viele Fragen: Wie entwickelt sich die Geschichte? Welche Qualität haben die Quests? Wie frei kann man die Welt erforschen? Wie lebendig sind die Städte? Welche Gefährten kommen hinzu? Können die Kämpfe auf Dauer mit Taktik fordern? Und wie präsentiert sich die Multiplayer-Komponente? Schließlich kann man sich online mit Freunden verbünden, sie in selbst errichtete Städte einladen und als Gruppe an die 50 Quests bestreiten. Ich bin gespannt, wie sich Leonard auf lange Sicht als weißer Ritter schlägt.

Ersteindruck: gut

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