Mutter, wo bist du?
Eigentlich sind Mutter und Sohn als Mitglieder eines Geheimbundes ein eingespieltes Team: Schon im Prolog können sie sich aus einer höchst brisanten Lage befreien, die auch tödlich hätte enden können. Immerhin hocken sie gefesselt vor einem zu allem entschlossenen Entführer. Er verlangt ein Buch, das sie ihm partout nicht aushändigen wollen. In dieser Situation weiß man noch nicht, was so wichtig an dem Schmöker ist, um was es im Großen und Ganzen geht oder wofür der Goldene Orden steht, dem die beiden angehören. All das sorgt aber auch für ein angenehm mysteriöses Krimi- und Rollenspielflair. Denn schon hier kann man über seine Entscheidung erste Konsequenzen spüren: Übernimmt der Sohn die Initiative bei der Befreiung oder lässt er seine Mutter machen? Entscheidet man sich für Letzteres, gewinnt man z.B. die Eigenschaft "Vertrauensvoll" und damit einen Punkt in Psychologie. Das ist der Beginn einer ungewöhnlich interessanten Charakterentwicklung, in der nicht kämpferische, sondern geistige Talente im Vordergrund stehen.
Aber das familiäre Team de Richet wird bald getrennt. Das eigentliche Spiel beginnt damit, dass der junge Franzose Louis
Welche Klasse darf es sein? Detektiv, Okkultist und Dipomat stehen zur Verfügung.
seine Mutter sucht. Sie ist seit einigen Wochen auf einer englischen Insel zu Gast bei einem Sir Mortimer, aber plötzlich verschwunden. Hat man sie etwa ermordet? Versteckt sie sich? Man fühlt sich fast wie in einem Mantel-und-Degen-Film, wenn man im Jahr 1793 am kleinen Hafen landet, die 3D-Kulisse frei in Schulterperspektive rkundet und die ersten Charaktere in einem riesigen Herrenhaus kennen lernt - hinsichtlich der authentischen Mode und repräsentativen Architektur werden Barock und Klassizimus sichtbar. Vor allem das Interieur von den Möbeln bis hin zu den prächtigen Gemälden ist sehr ansehnlich, so dass man sich wie in einem Historienkrimi fühlt. Zwar wirken Mimik sowie Bewegungen etwas steif, außerdem gibt es im Hintergrund manchmal ein leichtes Flackern, aber dafür sind die teilweise prominenten Charaktere sehr gut ausgearbeitet, was Gesichter, Kleidung sowie ihre Biographien betrifft, die man im gut sortierten Menü nachschlagen kann.
Detektiv, Okkultist oder Diplomat?
Wie in einem Rollenspiel kann man sich zu Beginn für eine Klasse entscheiden: Detektiv, Okkultist und Dipomat stehen zur Verfügung. Je nach Wahl ändern sich die Hauptfähigkeiten zum Start, die man noch in Stufen ausbauen kann und die direkten Einfluss auf die eigene Stärke in Dialogen, aber auch auf Aktionen wie Einbruch etc. haben. Der Diplomat versteht sich z.B. auf Politik, Etikette, Sprachen, Ablenkung und Überzeugung, während der Okkultist eher Täuschung, Wissenschaft, Kunst,
Die Charakterentwicklung von Louis de Richet ist angenehm frei und bietet viele Optionen.
Manipulation und Heimlichtuerei bevorzugt und der Detektiv am besten ermittelt und schlussfolgert. Nicht jeder kann z.B. alle Briefe oder lateinische Inschriften entziffern, effizient schmeicheln, überzeugend manipulieren, ein Hilfsmittel für Geheimtinte erkennen oder Schlösser knacken. Und je versierter man in einem Bereich ist, desto weniger Konzentrationspunkte kostet die erfolgreiche Ausführung. Für etwas Arcade-Flair sorgen Tränke, die einem sofort mehr Punkte, einen direkten Erfolg oder Heilung gegen negative Effekte verschaffen.
Durch diese Fähigkeitenproben, die auch verschiedene Stufen verlangen - als Okkultist kann man z.B. nicht sofort jede Art von Kunst einordnen, sondern muss seinen Charakter in diesem Bereich entwickeln, damit Louis beim Betrachten etwas dazu sagt - steigt die situative Spannung und natürlich auch der Wiederspielwert. Schön ist auch, dass man im weiteren Verlauf eine Vielzahl an zusätzlichen Fähigkeiten, auch jene der anderen Klassen, für etwas mehr Punkte erlernen kann. Teilweise auch durch literarische Funde: Findet man z.B. alle Bücher von Diderots berühmter "Encyclopédie", bekommt man in drei Wissensbereichen je einen Pluspunkt. Wer sich ein wenig für diese turbulente Zeit der Französischen Revolution (1793 - 1799) interessiert, wird also auch auf einige authentische Merkmale abseits der Kulisse treffen. Sowohl die Literatur als auch die Konflikte zwischen Staat und Kirche, Monarchisten und Revolutionären werden spürbar.