Detroit: Become Human23.05.2018, Jan Wöbbeking

Special: David Cage im Wandel der Zeit

Ab Freitag soll die Zukunftsvision Detroit: Become Human (ab 13,99€ bei GP_logo_black_rgb kaufen) die Menschlichkeit von Androiden und ihrer menschlichen „Herrscher“ ergründen. Director David Cage dürfte vielen durch das stilprägende Adventure Heavy Rain bekannt sein, aber seine Karriere begann zum einen viel früher und zum anderen überraschend funky:

Get on it!

1993 startete der Profi-Musiker sein eigenes Sound-Studio für Videospiele - Totem Interactive. Unter seinem echten Namen David de Gruttola komponierte er 16-Bit-Soundtracks für Marken wie Timecop , Speedy Gonzales oder auch Danones Werbespiel Super Dany . Nachdem Cryo, Sega & Co. jahrelang mit aufgedrehten Melodien beliefert wurden, hatte er offenbar die Nase voll vom bunten Jump-n-Run- Thema und wollte der Industrie frische Impulse verleihen. 1997 gründete er zusammen mit Guillaume de Fondaumière seine Traumfabrik Quantic Dream, die einen stärkeren erzählerischen Fokus in die Spielwelt bringen sollte.

In Detroit: Become Human will David Cage das Thema Menschlichkeit von KI und Androiden ergründen.
Als ein Pionier des interaktiven Dramas bereicherte er die Spielewelt, indem er typische kompetitive Elemente wie Kampf oder Action bewusst vernachlässigte, dafür aber mehr Wert auf einzelne Situationen, persönliche Entscheidungen sowie Emotionen der Charaktere legte. Neben dem klassischen Point&Click-Adventure etablierte sich das von Filmen beeinflusste 3D-Adventure. Viele werden sich noch an Technik-Demos wie Heavy Rain: The Casting aus dem Jahr 2006 erinnern, die schon lange vor dem Release  die Fähigkeiten der hauseigenen Engine bewarb. Im Zentrum standen stets die Gestik und subtile Gesichtsanimationen, welche von realen Schauspielern eingefangen wurden – damals noch keine Selbstverständlichkeit. In einem langen Casting-Monolog berichtet z.B. eine Schauspielerin von ihrem Drama mit dem fremdgehenden Mann, bis sich ihre Geschichte immer mehr zuspitzt, sie schließlich eine Waffe zieht und man als Zuschauer an diesem Punkt schon gar nicht mehr realisiert, dass man eigentlich nur eine digitale Figur vor sich hat. Ähnlich aufgebaut war später die Kara-Demo aus dem Jahr 2012 , an deren Ende viele Zuschauer erstaunlich viel Solidarität mit einem Androiden verspürten. Passend zur Ausrichtung des Unternehmens bietet Quantic Dream auch der Filmindustrie ihre Motion-Capture-Dienste an.

Verschmelzung mit dem Schauspieler
 

The Nomad Soul war ein wilder Genremix mit vielen unterschiedlichen Mechaniken.
Die Historie kompletter Spiele begann bei Quantic Dream bereits deutlich früher: Beim Erstlingswerk The Nomad Soul aus dem Jahr 1999 (in den USA „Omikron: The Nomad Soul“) war sich Director David Cage offenbar noch nicht so sicher, wohin die Reise gehen sollte. Das Script schrieb er nebenbei in seiner Zeit als Musiker.

Der Genremix durchbricht gleich zu Beginn die vierte Wand, indem Protagonist Kay'l den Spieler auffordert, die eigene Dimension zu verlassen und sich in seinen Körper zu versetzen. Danach ermittelt man in einer futuristischen Megastadt einen religiös-metaphysisch angehauchten Mordfall, der mit einschneidenden Wendungen aufwartet. Der wilde Mix aus Adventure, Shooter und Kampfspiel kam auf PC und Dreamcast nicht sonderlich gut beim Publikum an, so dass die Umsetzungen für PlayStation 1 und 2 eingestellt wurden. Trotz fesselnder Twists und größtenteils positiver Kritiken wirkten Bestandteile wie der Shooter-Part nicht ausgereift genug.

Faszinierende Konsequenzen

Das Multiplattform-Adventure Fahrenheit griff 2005 das Thema einer übernatürlichen Mordserien-Ermittlung auf und überraschte mit einem runderen Gesamtpaket, das sich auf Adventure-Stärken wie eine gute Story, glaubwürdige Charaktere und eine filmreife Regie konzentrierte. Trotz kleiner Macken wie den überstrapazierten Reaktionstests lobte Jörg in unserem Test (4P-Wertung: 86%) das neuartige Spielerlebnis: „das Auf und Ab der Emotionen und der Stress in Extremsituationen wird erstmals in aller Konsequenz simuliert - je nach Entscheidung warten Depression oder Glück, Selbstmord oder Sex (…) es zeigt trotz einiger handwerklicher Schwächen die faszinierenden Möglichkeiten auf, die das Genre vor sich hat“. Aber erst das PS3-exklusive Heavy Rain aus dem Jahr 2010 (4P-Wertung: 94%) war David Cage' Meisterstück und unser Spiel des Jahres. Er leitete erneut als Director die Entwicklung.

Heavy Rain konfrontierte den Spieler mit einschneidenden Konsequenzen - damals alles andere als eine Selbstverständlichkeit.
Protagonist und Vater Ethan erlebt gleich mehrere familiäre Krisensituationen, bei denen seine Söhne verloren gehen und hat daraufhin mit ernsthaften Blackouts zu kämpfen. Die verzweigte Handlung konzentriert sich je nach Szene auf eine der Hauptfiguren, wobei hektische oder bedrückende Situationen unheimlich intensiv inszeniert werden. Trotz einiger erzählerischer Widersprüche waren wir im Test begeistert: "Das junge Medium demonstriert nicht nur wie so oft seine audiovisuelle Kraft, hier erzählt es eine bewegende Geschichte, hier reift es endlich zum interaktiven Drama. Dabei spannt es dramaturgische Muskeln, die der Film gar nicht hat: Es lässt mir nicht nur die Wahl der Worte, der Gefühle und der Perspektive - es lässt mich in einem offenen Thriller über Leben und Tod entscheiden. Mit diesem Abenteuer ist Quantic Dream weit über sich und Fahrenheit hinaus gewachsen, was die Qualität der Interaktion und Präsentation angeht."

Den Faden verloren

Das ebenfalls PS3-exklusive Mystery-Abenteuer Beyond: Two Souls (4P-Wertung: 68%) verhedderte sich allerdings 2013 in seinem wirren Erzählschema mit zahlreichen Zeitsprüngen. Die von Allen Page gespielte Jodie versucht, die gefährlichen Kräfte eines Geistwesens in Zaum zu halten, das sie seit ihrer Kindheit durch den Alltag begleitet. Die zusammengewürfelten Szenen beleuchten heikle Momente ihrer Flucht vor aufmerksam gewordenen Forschern. „Ärgerlich ist, dass man auf dem Weg dorthin wenig beeinflussen kann“, resümierte Jörg seinerzeit im Test, „obwohl es bewegende Momente gibt und die Technik nahezu fotorealistische Mimik dazu liefert, kann mich dieses Abenteuer nicht fesseln. David Cage hat seinen Designstil mit spürbaren Konsequenzen nicht weiter, sondern zurück entwickelt und sich dem Bedürfnis der Action angebiedert“. Wer Heavy Rain oder Beyond: Two Souls auf der PS3 verpasst hat, kann sie übrigens seit 2016 in einem grafisch aufpolierten Doppelpack für PS4 nachholen.

Go home, Beyond - you're drunk!
Mit dem PS4-exklusiven Detroit: Become Human will Cage am 25. Mai 2018 die Menschlichkeit von Androiden erforschen. Kann der Spieler in der futuristischen Industriemetropole ähnliche Sympathien für die drei synthetischen Protagonisten aufbauen wie für Charaktere aus Fleisch und Blut? Wie weit wird er beim Aufstand gegen unterdrückerische Menschen gehen? Können seine Schützlinge überhaupt ein Bewusstsein erlangen? Diese Fragen stellen sich im für David Cage typischen Mix aus moralischen Entscheidungen mit Abzweigungs-Diagrammen und Quicktime-Events, der einmal mehr von der hauseigenen Technik inszeiert wird, die sich auf die Feinheiten zwischenmenschlicher Interaktion konzentriert. Zu unserer Vorschau geht es hier.

 
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