Im Test: Ich weiß, was du letzten Winter getan hast
Die Horror-Formel
Ein abgelegenes Anwesen im verschneiten Gebirge. Dazu eine kleine Gruppe aus jungen Leuten, die sich nach schlimmen Ereignissen erneut am Ort der Tragödie zusammenfinden, um den mysteriösen Verlust zweier Freundinnen gemeinsam zu verarbeiten. Und eine finstere Gestalt, die es offenbar auf die Jungs und Mädels abgesehen hat. Geht es noch klassischer? Vermutlich nicht. Alle, die mit Filmen wie Freitag, der 13., Halloween, Ich weiß, was du letzten Sommer getan hast oder anderen Slashern vertraut sind, dürften sich hier schnell zu Hause fühlen. Und auch bei den acht Teenagern handelt es sich um die klassischen Stereotypen, die man gefühlt schon tausend Mal in Horrorfilmen gesehen hat. Angefangen beim Aufreißer über die ätzende Zicke bis hin zum Nerd spielen alle ihre auferlegte Rolle, wobei sich manche Charaktere im Verlauf der Geschichte durchaus wandeln, so dass aus einem vermeintlichen Arsch durchaus noch eine sympathischer Kerl werden kann.
Schwacher Schmetterling
Beim ersten Durchgang können die Entwickler diesen Umstand noch leicht verschleiern, doch vor allem rückblickend muss man leider feststellen, dass man die Handlung weit weniger beeinflussen kann als es am Anfang suggeriert wird – das Telltale-Phänomen! Manchmal ist das bedauerlich, denn zumindest in einigen Szenen wären alternative Entwicklungen durchaus noch mit dem Rahmen des Drehbuchs vereinbar gewesen. Auf der anderen Seite kann ich nach dem Abschluss des ersten Durchgangs gut nachvollziehen, warum die Entscheidungsoptionen oft nur Fassaden für möglichen Konsequenzen darstellen – so ähnlich wie die verteilten Totems, die beim Untersuchen den Blick auf eine mögliche Zukunft gewähren. Klar wäre es cool gewesen, durch einen echten Schmetterlingseffekt mit kleinen Veränderungen eine riesige Variation an möglichen Handlungssträngen zu realisieren. Aber Until Dawn funktioniert als interaktiver Horrorfilm nur deshalb und auch nur deshalb so gut, weil
Filmreife Inszenierung
Nach den tragischen Ereignissen des Prologs, der zeitlich ein Jahr zuvor spielt, lässt sich das Spiel beim Einstieg erfreulich viel Zeit, um die acht Charaktere und ihre Konstellationen vorzustellen. Später spielt man dagegen mit typischen Elementen des Horrorfilms, darunter u.a. Point-of-View-Shots aus den Augen des Killers, wie sie z.B. John Carpenter bei Halloween zelebriert hat. Doch wer verbirgt sich hinter der scheußlichen Maske? Wer hat ein Motiv, ein solch fieses Katz-und-Maus-Spiel zu initiieren? Wie bei Scream des gerade erst verstorbenen Wes Craven kreisen schon bald die Gedanken im Kopf, wer als Verdächtiger in Frage kommen könnte. Generell überzeugt die Regie durch einen gelungenen Spannungsaufbau, der sich oft in billigen, aber dennoch effektiven Schockmomenten entlädt, die man mit einer angeschlossenen PlayStation-Kamera sogar in Form von kleinen Film-Clips festhalten kann. Schon lustig zu sehen, wie andere und man selbst in diesen angespannten Situationen reagiert.
Ab auf die Couch
Ein sehr cooles, wenn auch geklautes Element verbirgt sich hinter dem Psychiater, auf dessen Couch man immer wieder landet, um Fragen zu beantworten und nach Cliffhangern die Spannung zu erhöhen. Diese drehen sich z.B. darum, vor was man sich fürchtet oder welche der Überlebenden man am liebsten hat oder verabscheut. Genau wie bei Silent Hill: Shattered Memories tragen die Sitzungen auch hier dazu bei, den Spielverlauf leicht zu beeinflussen: Räumt man z.B. eine Angst vor Ratten ein, wird man den Nagern immer wieder über den Weg laufen. Ekelt man sich vor Nadeln oder Vogelscheuchen passt sich die Regie ebenfalls an. Enttäuschend ist dagegen die Charakterentwicklung bzw. ihre Beziehungen zueinander: Zwar wird in einem Statusbildschirm das Verhältnis zueinander basierend auf den getroffenen Entscheidungen in Diagrammen visualisiert, doch im eigentlichen Spiel
Starke Technik
Die starke Technik, gepaart mit einer hervorragenden Inszenierung und einer Angst einflößenden Klangkulisse tragen maßgeblich dazu bei, dass sich die düstere Atmosphäre so prächtig entfalten kann. Die Areale sind zwar meist klein und die Bewegungsfreiheit ähnlich eingeschränkt wie bei Heavy Rain, Beyond & Co, doch die gelungenen Kamerafahrten und Perspektiven setzen die Figuren in den (alp-)traumhaften Kulissen mit ihren düsteren Wäldern, engen Kellern oder den tiefen Minenstollen super in Szene. Schade nur, dass die Animationen beim freien Bewegen etwas holprig geraten sind und Gestik sowie Mimik vor allem in Zwischensequenzen mitunter übertrieben und damit unnatürlich wirken – diesbezüglich hinterlassen die letzten Werke von David Cage und Quantic Dream immer noch einen besseren Eindruck.
Alles im Griff
Inhaltlich fällt der Horror-Trip ähnlich rudimentär aus wie andere Titel, die mehr an interaktive Filme erinnern. Zwar ist der Spiel-Anteil höher als bei den meisten Telltale-Produktionen, doch beschränkt man sich auch hier auf simple Interaktionen mit der Umwelt oder setzt vornehmlich bei Flucht- sowie Klettersequenzen auf billige Reaktionstests, die oft nach Schema F und mit gleichen Tastenfolgen ablaufen. Trotz der bewusst limitierten Einsatzmöglichkeiten haben die Entwickler gute Arbeit dabei geleistet, die ursprünglich für den Move-Controller konzipierte Steuerung auf den DualShock 4 zu übertragen. Vor allem bei der Motion-Variante, bei der man viele Funktionen des rechten Analogsticks auf das Gyroskop verlagert, dürfte man der damalig angepeilten Vision ziemlich nahe kommen, wenn man z.B. durch entsprechende Bewegungen die Taschenlampe führt, Schalter betätigt oder Türen verriegelt. Auch das Touchpad kommt zum Einsatz, wenn man etwa die Seiten eines Buchs durchblättert oder ein Feuerzeug anmacht. An anderen Stellen darf man den Controller dagegen nicht bewegen – das sind tolle Spannungsmomente, auch wenn man das System austricksen kann oder einem die zu intensiven Vibrationsmotoren einen Strich durch die Rechnung machen
Das Betrachten und Untersuchen von Objekten funktioniert ähnlich wie bei The Order: 1886, hat im Gegensatz zum enttäuschenden Film-Shooter von Ready at Dawn hier aber durchaus einen Sinn. Während die bereits erwähnten Totems den kurzen Blick in eine mögliche Zukunft erlauben, liefern Fundstücke wie Fotos oder Zeitungsartikel wichtige Hinweise, die sich teilweise erst nach dem Wenden auf der Rückseite offenbaren. Dabei bringen die gewonnenen Erkenntnisse nicht nur bei der Geschichte Licht ins Dunkel, sondern beeinflussen auch Konversationen und sind in manchen Situationen sogar entscheidend, ob ein Charakter überlebt oder nicht. Man sollte also besser immer den Hinweisen nachgehen und in allen Ecken nach ihnen suchen, anstatt einfach durch die Gegend zu hetzen.
Bling-Bling
Fazit
Als bekennender Fan von Slasher-Filmen von Halloween bis Scream hat mich Until Dawn richtig gut unterhalten. Zwar wäre rückblickend betrachtet hinsichtlich des Schmetterlingseffekts und der Konsequenzen deutlich mehr drin gewesen als das, was hier so überzeugend suggeriert wird. Doch dafür punktet das Drehbuch mit gelungenen Spannungs- und Schockmomenten, klassischen Stereotypen sowie der einen oder anderen Überraschung. Trotz manch holpriger Animationsphase sowie Aussetzern bei Gestik und Mimik hat es mir vor allem die cineastische Inszenierung mit filmreifer Kameraführung und der großartigen Klangkulisse angetan, die aber spürbar unter dem ständigen Hinweis-Geblinke leidet. Die spielerischen Elemente fallen zwar ähnlich rudimentär aus wie in anderen interaktiven Filmen, werden hier aber zumindest von einer gelungenen Steuerung getragen, welche die Immersion noch verstärkt.
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Until Dawn ist ein hervorragend inszenierter und atmosphärisch gelungener Horror-Streifen, doch die Entscheidungsfreiheit entpuppt sich als Illusion.
Du musst mit einem 4Players-Account angemeldet sein, um an der Diskussion teilzunehmen.