Im Test:
Berlin, Jerusalem, Vekta?
Die politische Ausgangslage von Killzone: Shadow Fall ist interessant, weil sich in ihr durchaus Weltgeschichte spiegelt: Geflüchtete Helghast und einheimische Vektaner leben in einer geteilten Stadt – zwischen Hass und Vorurteilen, Armut und Luxus. Die Trennung wird von einem riesigen Damm symbolisiert, der wie ein Mahnmal der Unüberwindlichkeit zwischen den Völkern steht, satte zwei Kilometer hoch und 24 Kilometer lang. Als die Kamera dieses Monument ins Visier nimmt, an das sich die ganze Stadt mit ihren elegant geschwungenen Wolkenkratzern und glänzenden Fassaden schmiegt, zeigt sich auch die Schönheit dieser Metropole, die wie ein futuristisches Dubai an der Küste thront.
Architektonisch ist dieses Spiel nicht nur hier am Boden beeindruckend, sondern auch später im Weltraum, wenn man plötzlich wie ein Wurm vor einer Raumstation von orbitaler Größe schwebt. Der Einsatz von Licht und Schatten ist stellenweise grandios, die Sicht ist weit und die Oberflächen von Gestein oder Holz sind schartig, porös, gemasert. Sieht das besser aus als Battlefield 4 auf PlayStation 4? Ja. Zwar gibt es auch weniger prächtige Abschnitte in den etwas monotonen Minen und Containersiedlungen, außerdem kann dieses Spiel innen nicht so glänzen wie außen. Aber Guerrilla Games bereichert seine bisher recht düstere Spielwelt nicht nur mutig um mehr Farbe, sondern auch um idyllische Facetten, die man bisher noch gar nicht kannte – auf Vekta gibt es Sonne, Wald und Wasserfall. Diese prächtige Aussicht hilft den Bewohnern natürlich nicht. Es herrscht eine angespannte Stimmung.
Äußere Inszenierung und Regie
Aber vergesst die anspruchsvolle ideologische Bühne: Letztlich ist das hier auch nicht mehr als ein fucking Shooter. Und das merkt man recht schnell, denn die Story kann trotz der brisanten Lage keine Sogwirkung entfachen, weil die Identifikation mit den wenigen Charakteren schwer fällt. Der eigene Chef ist ein fanatischer, aber stellenweise gut gespielter (!) Arsch, der wie der große böse Wolf der vektanischen Spezialeinheiten seine Beute im Hintergrund erlegt. Man selbst ist sein abgerichtetes Hündchen Lucas Kellan, das bald von der Leine gelassen wird.
Die äußere Inszenierung ist mal wieder wesentlich besser als das eigentliche Drehbuch und eine Regie, die sich zu wenig Zeit für Entwicklung und Motive lässt, ja sogar plump ganze Jahre im Leben des "Helden" überspringt. Warum hat man seiner Ausbildung nicht etwas Zeit gegeben? Es werden kaum charismatische Antagonisten aufgebaut und es gibt einige Logiklücken. Als kleiner vektanischer Junge begleitet man seinen Vater auf der Flucht aus der Zone der Helghast – aus irgendeinem Grund wird gerade alles abgeriegelt und es gibt kein freies Geleit auf die Seite der Vektaner. Warum arbeiten die beiden überhaupt dort? Schon bald erkennt man die ersten schwer bewaffneten Patrouillen der Helghast, die alles mit ihren rot glimmenden Blicken durchkämmen. Das Artdesign dieser grimmigen Soldaten ist immer noch eine
Aber das hilft nichts, wenn das Schauspiel nicht gut genug ist. Obwohl man gleich zu Beginn eine spannende Situation mit tragischem Ausgang erlebt, wollte es mir nicht so unter die Haut gehen wie es sollte. Ich dachte, dass man Gefühle mit den neuen Konsolen viel besser transportieren könne, weil ja dann alles so viel potenter sei? Okay, lassen wir den Sarkasmus. Die fehlende emotionale Anbindung rührt jedenfalls nur zum Teil daher, dass die Tonabmischung mitunter Probleme hat, wenn der Vater viel zu leise ist; später gibt es auch mal eine komplett englische Passage, die die Übersetzung übersehen hat.
Viel zu schnell schlüpft man aber nach dem Vorfall in die Rolle eines Jungen, der unter Ausnutzung des Rachemotivs zum besonders eifrigen "Shadow Marschall" erzogen wird und den Feind daraufhin in zig Missionen infiltriert. Schade, dass sich Guerilla nicht mehr Zeit lässt. Schade, dass man nicht von Beginn an in die Rolle eines Helghaners schlüpfen durfte, um die andere Seite hautnah zu erleben. Immerhin wird diese Perspektive bald von einer mysteriösen Frau eingenommen, die aufgrund ihrer eigenen Sicht auf den politischen Status quo sowohl Neugier als auch Zweifel beim sturen Befehlsempfänger Lucas weckt.
Rotkäppchen hatte ja schon immer Talent, den Wölfen das Handwerk zu legen. Und diese Lady ex machina rettet noch einige andere dramaturgische Kohlen aus dem Feuer, verleiht dem letzten Drittel der knapp zehn Stunden währenden Kampagne noch etwas Würze. Kurzum: Ich mag sie. Oder suche ich schon nach Motiven wo keine sind? Schaut selbst. Die Niederländer um Hulst scheinen zumindest von mythisch-deutscher Symbolik fasziniert zu sein. Aber das rettet die guten erzählerischen Ansätze auch nicht mehr. Deshalb schaltet man den Kopf recht früh auf Klischee-DurchZug und will zumindest in 1080p ordentlich Higs aufmischen.
Faschistoider Phönix aus der Asche
Und die hat es in sich, denn Killzone überrascht mit frischen spielerischen Facetten: Ging es bisher meist um zermürbende Gefechte mit reichlich Explosionen, viel Projektilgerotze und fast schon bedrückender Schützengrabenstimmung, öffnet sich der Shooter zum einen mehr Taktik und zum anderen mehr Erkundung. Natürlich ist man im Kern immer noch in Egosicht unterwegs, schaltet zwischen recht konventionellen Waffen und ihren zwei Schussmodi hindurch, kann in die Knie gehen, recht cool aus dem Lauf grätschen und weiter schießen oder aus der Deckung heraus feuern - das Ganze fließend ohne An-die Wand-Tacker-System, also ohne Knopfdruck.
Lucas hat allerdings eine schwebende Drohne dabei, die er z.B. als temporären Schild gegen Projektile, als Angreifer aus der Distanz, als elektrischen Schockbomber oder für die Aufklärung nutzen kann. So kann man z.B. gezielt zwei Wachen ablenken und diese im Nahkampf erledigen; sehr schön sind auch Situationen, in denen man die zum Alarmturm laufende Wache per Drohne aufhält, kurz bevor die Sirene heult. Schade ist, dass der fliegende Begleiter quasi dauersicher ist - er kann nicht einmal für eine Mission permanent, sondern immer nur temporär zerstört werden. So ist das Gefühl der Sicherheit zu groß: Wartet man halt ab und schickt ihn wieder los! Trotzdem ist die Drohne eine sinnvolle Bereicherung, auch wenn man sich im Laufe der Kampagne etwas mehr Entwicklung, sprich weitere Aktionen gewünscht hätte. Es wäre sehr motivierend gewesen, wenn man Teile oder Know-how zur Aufrüstung der Drohne gefunden hätte. Das Wischen für die vier Befehle ist auf dem sensiblen Touchpad übrigens zu störrisch: Man kann sich daran gewöhnen, aber ein einfaches Drücken wäre die bessere Wahl gewesen.
Neue Freiheit in der Erkundung
Damit man entfernte Punkte schnell erreicht, kann man aus höherer Position dank der Drohne auch ein Seil abschießen und daran herunter gleiten – so lassen sich einige Schwindel erregende Abschnitte überwinden; außerdem kann man dann aus dem Gleiten heraus feuern oder den Zielpunkt so timen, dass man eine Wache direkt mit dem Aufprall erledigt. Sehr elegant ist der neue tödliche Messerwurf, den man im Moment eines Sprungs von oben einleiten kann. Diese Hinrichtungen im Nahkampf sind allerdings recht leicht und selbst in hart umkämpften Szenen voller Unterdrückungsfeuer kann man mal eben schnell zum Genickbruch in Handarbeit ansetzen.
Schwächen in der KI
Ärgerlich sind die Endlosschleifen mit Verhaltensstörungen, die man dann erlebt, wenn Skripte nicht richtig ausgelöst werden: An einer Stelle etwa soll man einen Apparat installieren. Nimmt man diesen aber nicht mit, marschiert eine halbe Armee auf, die sich partout weigert die Treppe hinauf zu stürmen, so dass man ganze Magazine des Scharfschützengewehrs verballern kann, ohne dass einem etwas passiert - kommt ja niemand hoch. Macht man es von Beginn an richtig, gibt es diesen Spuk nicht und die Truppen sind samt der Mechs schneller oben als einem lieb ist. In den regulären Gefechten sprechen sich die Helghast relativ gut ab, weichen Granaten aus, rufen nach Unterstützungsfeuer und flankieren, falls man zu lange verharrt. Die KI ist also trotz der Fehler in der Kampagne immer noch fordernd.
Stärken im Multiplayer
Es gibt übrigens keine Erfahrungspunkte. Ihr wollt trotzdem im Rang aufsteigen und weitere Modifikationen für eure Wummen wie Licht oder Zielfernrohr oder bessere Fähigkeiten bekommen? Kein Problem, allerdings müsst ihr dafür einiges investieren. Man wird nur effizienter, wenn man eine Liste an unterschiedlichen Herausforderungen erfüllt - und davon gibt es satte 1595, aufgeteilt auf die drei Klassen und ihre Fähigkeiten. Ihr könnt z.B. als Kundschafter die Abklingzeit für das taktische Echo in elf Stufen verkürzen. Für die finale Phase, in der es satte fünf Sekunden schneller regeneriert, sind aber auch 200 über Echo markierte tote Feinde die Voraussetzung.
Je nach Fähigkeit, die man stärken will, ändert sich also die Vorgabe: Mal muss man betäuben oder meucheln, mal mit einer vorgegebenen Waffe eine bestimmte Anzahl an Tötungen erreichen, eine Runde ohne Respawn überstehen oder eine Serie in einer festgelegten Klasse hinlegen. Kundschafter und Sturmtruppen haben zunächst je vier von 34 Fähigkeiten zur Verfügung; bei den Hilfstuppen sind es sechs von 56.
Wirklich alles lässt sich vor einem Match an eure Bedürfnisse anpassen. Ihr könnt bestimmte Waffen oder Karten verbieten, Spawn-Wellen regeln, die Gesundheit festlegen, nur mit Kopfschüssen zählen lassen etc. und dieses Regelwerk als eure Kriegszone speichern, um es in der Community vielleicht zu teilen. Auch die Missionsziele könnt ihr für eure Runde anpassen: Von klassischem Capture-the-Flag, Halten und Erobern samt Variationen bis Team-Deathmatch mit bis zu 24 Leuten ist alles dabei. Wie aus dem Vorgänger bekannt, wechseln die Missionsziele dynamisch, so dass es nie langweilig wird. Übrigens: Weitere Karten sollen ohne zusätzliche Kosten angeboten werden.
Fazit
Guerrilla Games hat seine düstere Spielwelt um mehr Farbe und idyllische Facetten bereichert - selbst Rotkäppchen ist dabei. Hinzu kommt eine frische Brise an Taktik sowie neue militärische und landschaftliche Erkundungsreize in offenen Regionen: Es macht Spaß, mit der Drohne zu experimentieren, Wachen zu düpieren oder in die Tiefe zu gleiten. Allerdings wird dieser schwebende Begleiter technisch nicht entwickelt und ist viel zu sicher, was das Spiel verzeihlicher macht als Killzone 3. Der neue Fokus auf das Schleichen offenbart auch einige Aussetzer im KI-Verhalten sowie sture Skripte, die bei Abweichungen vom geplanten Verhalten schonmal endlos Feinde ausspucken. Hinzu kommt, dass die mitunter plumpe Regie das Potenzial der brisanten politischen Ausgangslage nicht ausschöpfen und über die wenigen Charaktere kaum emotionale Bindung aufbauen kann. Immerhin werden zumindest moralische Grauzonen und die Menschen hinter den Masken der faschistoiden Helghast sichtbar. Kein Killzone war bisher so abwechslungsreich: Man pirscht durch Wälder, rennt über Bahngleise, erforscht Raumstationen à la Dead Space oder lässt sich an Geysiren in die Höhe treiben – es gibt neben intensiven Schusswechseln zudem angenehm ruhige Phasen. Und natürlich sah kein Killzone je so gut aus: Die futuristische Architektur ist eine Wucht, Licht und Texturen gehören zum Besten, was man aktuell sehen kann. Nimmt man den kompetenten Mehrspielermodus hinzu, ergibt das trotz offener Wünsche und ärgerlicher Defizite einen richtig guten Shooter. Viel Spaß auf Vekta!
Pro
Kontra
Wertung
PlayStation4
Kein Killzone war bisher so ansehnlich und so abwechslungsreich: Trotz kleiner Fehler ein richtig guter Shooter.
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