inFamous: Second Son20.03.2014, Eike Cramer

Im Test: Superkräfte auf der PlayStation 4

Sieben Jahre nach Coles Konfrontation mit dem Beast wird Delsin Rowe durch einen Unfall zu einem Conduit wider Willen. Er muss in Seattle den Kampf gegen einen übermächtigen Gegner aufnehmen. Kann das erste inFamous für die PlayStation 4 im Test überzeugen?

Eine Stadt im Ausnahmezustand

In Seattle herrscht der Ausnahmezustand. An jeder Ecke stehen gepanzerte Fahrzeuge und schwer bewaffnete Soldaten patrouillieren durch die Straßen. Wichtige Brücken sind zerstört und auch die Landverbindungen wurden durch das Department of Unified Protection (DUP) völlig abgeriegelt. Grund dafür sind drei Menschen mit Superkräften, so genannte „Conduits“, die aus einem Gefangenentransport entkommen sind. Brooke Augustine, die Direktorin der Sondereinheit, geht über Leichen um die Entflohenen einzufangen. Sie hält die Stadt in einem eisernen Griff aus Terror und Propaganda.

Auch der rebellische Akomish-Indianer Delsin Rowe wird von dem Zusammenstoß mit den Conduits nachhaltig beeinflusst. Als der Transporter nahe seines Dorfes verunglückt, erhält er durch Berührung mit einem der Insassen plötzlich Rauch-Superkräfte. Als die ebenfalls mit übermenschlichen Beton-Fähigkeiten ausgestattete Augustine seinen Stamm foltert und durch ihre Kräfte mit einem langsamen Tod bedroht, beschließt Delsin den Kampf in die Reihen der DUP zu tragen – widerwillig unterstützt vom Dorfsheriff, seinem Bruder Reggie.

Technik, die begeistert?

Ich mache es kurz: Die Handlung von inFamous: Second Son (ab 9,24€ bei kaufen) ist ziemlich banal und orientiert sich fast ausschließlich am typischen Rache-Motiv. Spannende Wendungen oder Überraschungen findet man in den rund 15 Stunden des Abenteuers kaum. Allerdings muss man Sucker Punch zu Gute halten, dass die beiden Hauptcharaktere ein

Seattle ist Schauplatz des Kampfes gegen die DUP - wichtige Sehenswürdigkeiten inklusive.
charismatisches Duo bilden. Der Kontrast zwischen dem Skatepunk mit Superkräften und dem gesetzestreuen Sheriff hat mich dank der pointiert geschriebenen Dialoge    mehr als nur einmal schmunzeln lassen. Wer des Englischen mächtig ist, sollte aber dringend auf den Originalton zurückgreifen – in der deutschen Synchronisation geht aufgrund unpassender Sprecher und unglücklicher Übersetzungen viel vom Witz der Gespräche verloren.

Ohnehin gehört der Einstieg zu den stärksten Momenten von Second Son. Die langen Videosequenzen und frühe Entscheidungen stellen die Charaktere vor, während ich zusammen mit Delsin erste Erfahrungen mit den Superkräften mache. Auf dem Weg nach Seattle wird auch zum ersten Mal deutlich, wie gut Second Son aussehen kann: Die Kulisse protzt mit atmosphärischen Wetterwechseln, grandiosen Lichtstimmungen und fein porigem Asphalt. Hier tropft Wasser an der Fassade herunter, da bricht die Sonne durch den dichten Nebel über dem Puget Sound und sobald Delsin seine Kräfte auspackt, ist der Bildschirm gefüllt mit Rußpartikeln, Rauch und Feuer. Auch die Gesichter der Chraktere sind extrem gut animiert – in den Zwischensequenzen kann man die Stimmung der Akteure jederzeit an kleinen Veränderungen der Mimik ablesen. So habe ich mir den Generationswechsel vorgestellt!

Achtung, Euphoriebremse!

In Seattle angekommen, setzt es aber schnell den ersten Dämpfer. Ja, auch hier sieht Second Son immer noch verdammt gut aus, allerdings wird das Bild getrübt von ständigen Clipping-Fehlern und nervigen Rucklern, die scheinbar mit dem Streaming neuer Stadtviertel zu tun haben. Auch Pop-Ups gibt es. Diese fallen zwar deutlich weniger auf als bei GTA 5 oder Red Dead Redemption, stören aber das Gesamtbild. Außerdem hakt es immer wieder in der Klettermechanik, die sich an Kanten immer noch zu sehr auf Klebe-Automatismen verlässt. Viele Kletterpunkte sind zudem sehr ungenau und die Kollisionsabfrage ist oft mehr als merkwürdig.

Egal ob Rauch ...

Anfangs ist es aber einfach nur verdammt cool die Sondertruppen mit Feuerbällen zu beschießen oder im Nahkampf mit einer glühenden Eisenkette zu vermöbeln. Das Suchen von Energiekisten, die mir neue Kräfte verleihen, die Befreiung von Stadtvierteln und der Kampf gegen ebenfalls mit Superkräften ausgestattete Soldaten ist abwechslungsreich und motiviert: Ich gleite mit Feuerantrieb über die Dächer, verschwinde in Lüftungsschächten und zerkloppe Suchdrohnen, um mit den verbauten Explosionssplittern meine Kräfte zu verbessern.

Charakterlicher Verfall

Nachdem mit der jungen Fetch der nächste Conduit aufgespürt wurde und Delsin ihre Neon-Kräfte erhält, beginnt sich dieser Ablauf abzunutzen. Wieder müssen Kisten zerstört werden, wieder müssen Stadtviertel befreit, wieder muss gegen Super-Cops gekämpft  werden, bis der nächste Conduit auftaucht. Ja, es gibt (wenige) coole Bosskämpfe. Ja, es gibt Entscheidungen zwischen Gut und Böse und ein paar Überraschungen, insbesondere wenn plötzlich Engel in den Kampf eingreifen; außerdem bleibt die DUP dank ihrer Superkräfte immer ein würdiger Gegner. Die überwiegende Zahl der Missionen ist aber durchwachsen und kann keine Akzente setzen. Immerhin: Die lineare Regie ist schlüssig und tut dem Spielfluss gut. Selten hat man das Gefühl nicht zu wissen, was zu tun ist und die Wetter- sowie Tageszeitwechsel passen gut zum Handlungsverlauf.

Nicht so gut zur Story passt, dass bei den interessanten Nebencharakteren unheimlich viel Potential verschenkt wird. Mit Missionen, schicken Comic-Sequenzen und Entscheidungen werden Charaktere eingeführt, die dann zu schnell keine Rolle mehr spielen. So wird z.B. Fetch über mehrere Missionen aufgebaut und verschwindet kurz danach bis zum Finale völlig in der Versenkung. Warum verzichtet man auf einen echten Sidekick? Warum werden spannende Entwicklungen, wie z.B. Fetchs Drogensucht, dermaßen vernachlässigt? Hier wäre viel mehr drin gewesen, auch weil man die Möglichkeit einer echten Beziehung zwischen den Akteuren ungenutzt verstreichen lässt. Die Conduits sind letztendlich nicht mehr als lebende Karma- und Fähigkeiten-Lieferanten.

Umfangreiches Arsenal

Im Gegensatz zu den Handlungsmissionen sind Delsins Fähigkeiten, von denen er am Ende der Story vier besitzt, variabel und unterschiedlich. So verleiht mir die Rauchkraft dank des Rauchsprints die Möglichkeit, durch Lüftungsschächte schnell

... oder Neon: Die Effekte der Superkräfte sind beeindruckend.
auf die Dächer von Gebäuden zu gelangen. Mit Neon kann ich dank der Lichtgeschwindigkeit schnell durch die Stadt heizen und die Video-Fähigkeit gibt mir die Möglichkeit mich kurzzeitig zu tarnen, um Feinden im Nahkampf aufzulauern. Schön ist, dass ich nur eine der Kräfte gleichzeitig besitzen kann. Will ich auf eine andere zurückgreifen, muss ich an einer der Quellen, sprich Neonschilder, Schornsteine oder zerstörte Autos die entsprechende Energie sammeln. Ebenfalls schön: Mit den sammelbaren Explosionssplittern werte ich meine Fähigkeiten in einem umfangreichen Skill-Baum auf und lerne so, Energie schneller einzusaugen oder erhalte mehr „Munition“ für meine starken Angriffe.

Spektakulär sind auch die Spezialangriffe, die nach so genannten Karma-Ketten ausgelöst werden können. Abhängig von meiner Karma-Ausrichtung sammele ich gute oder böse Taten, bevor ich auf Knopfdruck Attacken wie den Radiant Sweep auslöse, mit dem ganze Gegnergruppen auf einmal ausgeschaltet werden können. Leider gibt es pro Kraft nur eine Superfähigkeit, die sich auch in den verschiedenen Karma-Levels nicht voneinander unterscheiden.

Moralisches Schwarz-Weiß

Wie schon in den vorangegangenen Serienteilen gibt es auch in Second Son keine moralischen Grauzonen. Richtig stark wird nur, wer sich schon zu Beginn des Spiels für eine Richtung entscheidet und diese konsequent bis zum Schluss durchzieht. Der Beschützer wird Gegner nur unschädlich machen, während der Bösewicht so viele Menschen tötet wie möglich. Der Held wird immer die guten Entscheidungen treffen, während der Schurke zu Verrat und Gemeinheiten neigt.

Nebencharaktere wie die junge Fetch spielen leider zu schnell keine Rolle mehr für die Handlung.
Immerhin führen die Entscheidungen, die sich meist um das Schicksal der anderen Conduits drehen, zu abweichenden Dialog-Verläufen und kleineren Änderungen in der Handlung. Wähle ich z.B. in der ersten Entscheidung, in der es um das Schicksal meines Stammes geht, die gute Seite, telefoniere ich später freundlich mit der Stammesältesten. Wähle ich den dunklen Weg, wiegelt Delsin am Telefon später barsch ab.

Natürlich beeinflusst das Karma auch Delsins Äußeres und die Reaktion der Bevölkerung, wenn er durch die Straßen von Seattle zieht. Zudem gibt es zwei Enden und einige Missionen, die man nur auf dem einen, oder dem anderen Weg erlebt. Merkwürdig: Bei einigen Entscheidungen bleibt mir bei anschließenden  Missionen ab und an die Wahl zwischen Gut und Böse - allerdings nur scheinbar. Will ich den anderen Weg wählen, erinnert mich das Spiel bei Erreichen des Startpunktes daran, dass meine Entscheidung bereits zuvor gefallen ist. Warum wird mir dann überhaupt noch eine Wahl vorgegaukelt?

Städtische Unterhaltung?

Auch bei den Nebenaufgaben habe ich die Wahl zwischen „guten“ und „bösen“ Varianten. Während ich als Held den Drogenhandel unterbinde, Dealer festsetze und Gefangene Bürger befreie, zerschlage ich als Bösewicht Demonstrationen, räume neben der DUP auch noch die reguläre Polizei von der Straße oder vermöbele Straßenmusikanten. Nett: Es gibt Stellen, an denen ich Stencil-Artworks an die Wände der Stadt sprayen kann. Auch hier habe ich die Wahl zwischen „guten“ und „bösen“ Motiven. Hier wird ein (unheimlich repetitives) Sprayer-Minispiel ausgelöst: frei taggen kann ich leider nicht.

Neben diesen Karma-Events gibt es auch noch neutrale Nebenziele. So muss ich z.B. versteckte Kameras der DUP zerstören, Kontrollposten einäschern oder Agenten in zivil enttarnen und ausschalten. Habe ich die Kontrolle der DUP über ein Stadtviertel auf dieser Weise weit genug gesenkt, kann ich einen Endkampf auslösen, der den Bezirk dauerhaft von Soldaten befreit. Das ist die ersten drei Male ganz nett, wird aber schnell zu repetitiver Arbeit, da sich die Aufgaben nur in Nuancen voneinander unterscheiden. Hier fehlt es mir abseits der linearen Storymissionen an sekundären Handlungssträngen. Schnell fühlt es sich so an, als ob Sucker Punch die offene Welt zwangsweise mit Aufgaben füllen wollte. Vielleicht wäre hier ein Modell à la Mafia mit einem Verzicht auf Aufgaben neben einer stringenten Handlung besser gewesen.

Schöne Stadt, grandioser Soundtrack

Dies ist auch deshalb der Fall, weil das virtuelle Seattle, das abgesehen von einigen Sehenswürdigkeiten und Straßenzügen recht wenig mit dem Original zu tun hat, ein relativ kleiner Spielplatz ist. Die Viertel sind durchaus abwechslungsreich und die bizarren Beton-Türme der DUP machen die Stadt spannend. Dennoch vermisse ich die

Kleinholz: Besonders die Spezialangriffe sind spektakulär!
comichafte, markante Überzeichnung des Stadtbildes von Empire City.

Ein Wort noch zur musikalischen Untermalung: inFamous: Second Son hat einen famosen Soundtrack. Die Mischung aus sehr ruhigen Gitarrenklängen, die gerade zu Beginn fast die Stimmung aus The Last of Us erreichen, und grungigem Rock mit Industrial-Elementen schaffen einen spannenden und dynamischen Hintergrund für die Streifzüge durch Seattle.

Fazit

Sucker Punch spielt auf Sicherheit! InFamous Second Son bietet im Vergleich zum Vorgänger fast keine Weiterentwicklungen. Natürlich ist die Kulisse, trotz Rucklern hier und Clippingfehlern da, deutlich hübscher als auf der PS3 - mitunter sogar prachtvoll. Die Charaktere sind zudem markanter und das unterhaltsame Brüder-Duo Delsin und Reggie versprüht im Originalton viel Charme. Zudem bringen die vier Fähigkeiten mehr Abwechslung in die spannenden und effektgeladenen Gefechte gegen die jederzeit ebenbürtige DUP. Gerade die coolen Bosskämpfe und Auseinandersetzungen mit vielen Super-Power-Cops machen mir richtig Spaß. Dennoch: Die mäßige Story ist trotz interessanter Nebenfiguren weit weg von der Comic-Faszination des ersten Ausfluges nach Empire City und die überflüssigen Nebenaufgaben arten schnell in repetitive Arbeit aus. Auch die Klettermechanik leidet an den alten Schwächen, ist zu ungenau und verlässt sich zu sehr auf Klebe-Automatismen. So verpasst es Second Son, sich bei der Premiere auf PlayStation 4 nicht nur technisch, sondern auch inhaltlich vom durchschnittlichen Vorgänger abzuheben.

Pro

die Kulisse ist grandios ...
das Brüder-Duo Reggie und Delsin ist unterhaltsam
die Kräfte sind abwechslungsreich und variabel
es gibt coole Bosskämpfe
die DUP ist jederzeit ebenbürtig, die Gefechte spannend
toller Soundtrack
die Sprecher sind großartig ...

Kontra

... leidet aber unter Clippingfehlern, Pop-Ups und Rucklern
die Handlung ist banal und unspektakulär
Nebencharaktere spielen zu schnell keine Rolle mehr
Nebenaufgaben sind repetitiv und werden schnell langweilig
einige öde Storymissionen
ungenaue Klettermechanik mit Klebe-Automatismen
... allerdings nur im englischen Originalton
keine moralischen Grauzonen
Delsin kann nicht schwimmen

Wertung

PlayStation4

Second Son ist ansehnlich und explosiv, allerdings wurde die Serie im PS4-Debüt von Sucker Punch nicht wesentlich verbessert. Unterm Strich dennoch solide Action in einer offenen Welt!

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