Mighty No. 927.06.2016, Mathias Oertel
Mighty No. 9

Im Test: Fast wie in der guten alten Zeit

Capcoms Mega Man steht für die große Spielekunst alter Schule: Leicht zu lernen, aber extrem schwer zu meistern und mit fiesen, pardon: fordernden Bossen ausgestattet, hat der Action-Plattformer aus der Frühzeit der Videospiele zahlreiche Pads auf dem Gewissen. Mega Mans geistiger Schöpfer Keiji Inafune möchte mit Mighty No. 9 (ab 9,50€ bei kaufen) die Tradition wieder aufleben lassen. Aber ist der Roboheld überhaupt noch zeitgemäß? Die Antwort gibt der Test.

Problemkind

Die Entwicklung von Mighty No. 9 war bis zum Release und darüber hinaus von Problemen gekennzeichnet - trotz einer erfolgreichen Kickstarter-Kampagne, bei der etwa 3,85 Millionen Dollar von mehr als 67.000 Unterstützern zusammenkamen und somit fast alle Zusatzziele erreicht wurden. Die Veröffentlichung wurde z.B. immer wieder verschoben. Ursprünglich für April 2015 geplant, mussten sich die Fans der Plattform-Action, die das Mega-Man-Konzept in die Moderne bringen sollte, über ein Jahr länger gedulden. Einige Versionen scheinen nicht sauber zu laufen, bestimmte Kickstarter-Belohnungen wurden offensichtlich nicht korrekt ausgeliefert, andere Fassungen wie z.B. Mac oder Xbox 360 wurden erneut verschoben. Auch bei den zum Test zur Verfügung stehenden PlayStation-4- und Xbox-One läuft nicht alles rund. Immer wieder kann es vorkommen, dass die angestrebte Zahl von 60 Bildern pro Sekunde nicht erreicht wird - interessanterweise auf beiden Systemen in unterschiedlichen Abschnitten. Während das Spielgefühl durch diese unsauberen Bildraten zwar beeinflusst wird, kommt es nur selten zu Momenten, in denen die instabilen Frames sich direkt auf das Spiel, z.B. auf die Kollisionsabfrage nach Gleit- oder Sprungversuchen auswirken.

Die Bosskämpfe gehören zumindest mechanisch zu den Höhepunkten von Mighty No. 9.
Allerdings verwundert dies angesichts der weitgehend sauberen, aber defintiv nicht herausragenden Comic-inspirierten Kulisse. Angetrieben von Unreal-Technologie merkt man Mighty No. 9 die Multiplattform-Entwicklung bis hin zur 360, Wii U und Vita an. Es wurde der größtmögliche Grafikkompromiss gesucht, der dazu führt, dass auch auf One oder PS4 maximal Durchschnittswerte erreicht werden. Vor allem die Flammen, die auch in einem der Trailer unter den Fans durchaus zu Hohn und Spott geführt haben, fallen hier negativ auf - umso mehr, da der erste Boss dem Feuerelement zugerechnet wird. Doch während ich mich an die insgesamt biedere Kulisse gewöhnen kann, fällt mir die schwache Präsentation immer wieder auf. Die Figuren verfügen weder in den eingeblendeten Bildchen noch bei den Dialogschnippseln, die in der Spielwelt abgespult werden, über Mimik oder entsprechende Gestik, die helfen könnte, dem gesprochenen Wort zumindest einen Hauch von Dramatik zu verleihen.

Wie viel Retro ist "zu" retro?

Die farbenfrohe Kulisse erreicht im Bestfall Durchschnittswerte und hat sowohl auf der PS4 als auch der One Bildraten-Probleme.
Da sich Inafune mit Mighty No. 9 darauf konzentriert, die Retro-Mechanik eines MegaMan einem neuen Publikum zu präsentieren, kann man das farbenfrohe Artdesign durchaus als gelungen bezeichnen. Wenn man aber sieht, was andere Spiele visuell bieten, die sich ebenfalls klassischer Mechaniken annehmen und diese modernisieren, wirkt dieses Hüpfabenteuer altbacken. Selbst ein Raiden 5 sieht als moderne Retro-Variante in sich stimmiger aus, von einem Shadow Complex oder ähnlich gelagerten Titeln ganz zu schweigen. Bei den Mechaniken bleibt Mighty seinem Urahnen im Geiste ebenfalls treu: Der mit menschlichen Zügen ausgestattete Roboter Beck ist hier zwar vornehmlich weißgrau eingekleidet, doch mit den blauen Versatzstücken wird eindeutig der Bogen zu MegaMan geschlagen. Das gilt auch für seine Bewegungsmöglichkeiten. Der sympathische Roboter kann hüpfen, sich an Vorsprüngen festhalten oder Leitern erklimmen. Der sorgsam in den Abschnitten platzierten Gegner kann er sich mit seiner Projektilwaffe entledigen, die aber wie bei MegaMan nur horizontal feuert. Schüsse nach oben oder in die Diagonale à la Probotector sind hier nicht möglich. Dieses reduzierte Actiondesign ist selbst in Zeiten einer durch Indie-Spiele induzierten Retro-Welle extrem eingeschränkt, übt aber auch einen Reiz aus - vor allem auf MegaMan-Fans.

Hier liegt allerdings auch das größte Problem. Zwar hat Inafune in den jeweiligen Abschnitten einige Elemente eingebaut, die man bei der Bewegung beachten muss, wie Unterwassersequenzen, in denen man träger unterwegs ist oder Windböen, die einen beim Erklimmen eines Funkturmes massiv beeinflussen können. Und mit dem stets verfügbaren "Dash" einer schnellen Bewegung nach vorne, die man auch nutzen sollte, um die nach starkem Beschuss leuchtenden Gegner final aus dem Weg zu räumen und ggf. einen temporären Bonus z.B. auf Angriffskraft oder Geschwindigkeit aufzunehmen, kommt sogar ein neues Element hinzu. Immerhin wird der Dash auch genutzt, um das Leveldesign aufzuwerten und den Spieler mit einer zusätzlichen Herausforderung für Hand-Auge-Koordination herauszufordern. Bekannt  wiederum ist die Freiheit, die dem Spieler bei der Levelauswahl gegeben wird. Bis auf (natürlich) Bonus-Abschnitte sind alle Umgebungen von Beginn an freigeschaltet, man hat die freie Wahl, welchen der acht anderen Mighties man sich als Nummer 9 als Nächstes vorknöpfen will.

Mitunter ist man auch in luftigen Höhen unterwegs.
Da man allerdings nach einem erfolgreichen Bosskampf nicht nur mit Unmengen an ausgeschüttetem Adrenalin, sondern auch mit einem neuen Elementar-Angriff belohnt wird, kann sich die Wahl natürlich auf die nachfolgenden Abschnitte auswirken. Inafune hat allerdings stets betont, dass man das Spiel auch ohne Verwendung einer Elementarkraft beenden kann. Der Vorwurf der Beliebigkeit, der dadurch aufkommen könnte, wird schnell durch den dann noch steileren Schwierigkeitsgrad entkräftet, der sich entfaltet, wenn man tatsächlich auf Elementeinsatz verzichtet.

Hommage oder moderne Variante?

Dennoch weiß Mighty No. 9 nicht ganz, wo es sich positionieren soll. Einerseits bietet es all das, was es seit der guten alten MegaMan-Zeit nur selten gegeben hat: Ein Konzept, das ebenso einfach wie fordernd ist. Starke Bosskämpfe mit mehreren Phasen, die kurz vor Ende des Gefechtes, wenn beide Teilnehmer nur noch ein paar Millimeter ihrer Lebensenergie übrig haben, zu fieser Schnappatmung führen können. Ein unbändiges

Hüpfen, Ballern, Sterben, Fluchen: Mighty No. 9 tritt in die Fußstapfen von MegaMan.
Glücksgefühl, wenn man den Boss endlich nach dem gefühlt hunderttausendsten Anlauf geschafft hat. Einzig Überraschungen sucht man meist vergebens. Mighty No. 9 wird routiniert inszeniert, schafft es aber nicht, sich aus dem übermächtigen Schatten seines Bruders zu lösen.

Inafune verbeugt sich zu häufig vor der Schöpfung aus der Vergangenheit und imitiert sie zu oft, anstatt seine eigenen Spuren zu hinterlassen. Beck wirkt immer wieder wie eine neu eingefärbte Fotokopie seines Stiefbruders und schafft es nur selten, aus diesem Korsett auszubrechen. Doch in diesen Momenten macht es richtig Spaß, sich den Herausforderungen des Leveldesigns und vor allem der Levelendgegner zu stellen, die exemplarisch für die hohe Kunst des japanischen Bosskampf-Designs stehen.

Fazit

Eigentlich bleibt trotz der zusätzlichen "Dash"-Option, dem schnellen Vorpreschen nach vorne, alles beim Alten: Keiji Inafunes neues Mega Man, ähhh: Mighty No. 9 bietet keine komplexe, aber dafür mitunter sauschwere Plattform-Action, die vor allem von den mehrstufigen Bossen lebt. Der weißblaue Roboter, der nicht nur über sein Aussehen die Brücke zu seinem bei Capcom lebenden Stiefbruder schlägt, hüpft, klettert und schießt wie zu guten alten NES-Zeiten. Und so sehr ich es zu schätzen weiß, dass hier der Retrogeist in einem modernen Gewand heraufbeschworen werden soll, fehlt mir hier das gewisse Etwas. Vielleicht liegt es daran, dass Inafune-San zu sehr in der Vergangenheit schwelgt, es mit Eigenzitaten übertreibt und es auch nicht mit der von Unreal angetriebenen Kulisse schafft, den nur horizontal schießenden Hüpfer zeitgemäß aussehen zu lassen. Die spröden Zwischensequenzen z.B. kommen wie der Rest des Spiels komplett ohne animierte Mimik aus. Doch auch der Rest schafft bestenfalls Durchschnittswerte und hat sowohl auf der PS4 als auch auf der One Probleme, eine durchweg stabile Bildrate zu halten. Anstatt das MegaMan-Konzept in neue Höhen zu hieven, ist Mighty No. 9 lediglich eine solide Hommage.

Pro

gut inszenierte mehrstufige Bosskämpfe
klassische Plattform-Action
diverse Sonderfähigkeiten
abwechslungsreiche Levelstrukturen
ordentlicher Umfang

Kontra

unspektakuläre Kulisse
viel Trial & Error
kaum eigenständiger Charakter
spartanische Präsentation
technisch unsauber (Bildrate)

Wertung

XboxOne

Solide Plattform-Action ganz alter Schule, die es aber nicht schafft, auf eigenen Füßen zu stehen und sich mehr als technisch unsaubere Hommage präsentiert.

PlayStation4

Solide Plattform-Action ganz alter Schule, die es aber nicht schafft, auf eigenen Füßen zu stehen und sich mehr als technisch unsaubere Hommage präsentiert.

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