Alienation26.04.2016, Jörg Luibl
Alienation

Im Test: Twin-Stick-Diablo

2010 ließ Housemarque in Dead Nation (Wertung: 82%) die Zombies so wild von der Leine, dass man zwischen Projektilgewitter und Fleischbergen kaum Luft zum Atmen hatte. Sechs Jahre später gibt es einen Nachfolger im Geiste namens Alienation (ab 19,99€ bei kaufen). Diesmal hat man es mit einer außerirdischen Übermacht auf der Erde zu tun, der man alleine oder mit bis zu vier Mann im Koop trotzen kann. Und die Finnen ergänzen ihre explosive Zwei-Stick-Action um Sammel- sowie Ausrüstreize à la Diablo. Geht die Kombination auf?

Drei Klassen zur Auswahl

Was hilft gegen Aliens, die die Erde seit Jahrzehnten besetzen? Der totale Krieg. Und den führt am besten eine futuristische Reinkarnation von Rambo: Soldaten in Exoskeletten mit verdammt viel Feuerkraft. Im Auftrag der weltweiten UNX-Regierung sollen diese schweren Jungs die Menschheit retten. Ist die Geschichte über die 20 Missionen genauso einfach gestrickt wie das klingt? Ja. Auch wenn sich die Finnen Mühe geben, gehört Storytelling nicht zu ihren Stärken. Man hört sich die Einsatzbesprechungen auf Englisch an und kann deutsche Untertitel einblenden - die Texte

Der Bio-Experte im Profil: Er kann u..a vergiften, heilen oder Nanoschwärme aussenden.
werden gut gesprochen, sind fehlerfrei übersetzt. Aber die saubere Lokalisierungsarbeit kann der Dramaturgie der etwa sechs- bis achtstündigen Kampagne nicht auf die Sprünge helfen. Auch wenn es lebendigen Funkverkehr inklusive wechselnder Aufträge gibt und sich die Geschichte mit Verrat & Co bemüht, so etwas wie Spannung aufzubauen, plätschert sie in pathetischen Tröpfchen vor sich hin; dagegen wirkt XCOM 2 wie ein epischer Blockbuster.

Aber egal: Wichtig ist aufm Schlachtfeld. Zu Beginn kann man sich für eine von drei Klassen entscheiden: Bio-Experte, Frontkämpfer oder Saboteur. Schon früh zeigen sie ihre individuellen Stärken, denn nicht alle können z.B. einen Schild im Kampf nutzen oder einen Artillerie-Schlag ordern - und erst im gemischten Team blühen sie richtig auf! Alle lassen sich im weiteren Verlauf bis hin zur so genannten "Heldenstufe" (ab Level 30) spezialisieren. Was bringt einem der Levelaufstieg? Punkte für die manuelle Charakterentwicklung: Je nach Klasse darf man drei aktive und passive Fähigkeiten freischalten, die eher körperliche, heilende oder aggressive Boni bieten und diese in mehreren Stufen inkl. kleiner Entscheidungen verbessern: Erhöht man lieber den Radius oder den Winkel des Schlags, das Tempo oder die Dauer des

Während der Missionen gibt es immer wieder Kommentare aus dem Hauptquartier. Die englische Sprecher überzeugen; man kann deutsche Untertitel zuschalten.
Nanoschwarms? Man kann sich also auf die Attacke spezialisieren oder mit viel Geduld einen Allrounder erschaffen; sehr angenehm: man legt sich nicht auf Dauer fest, sondern kann alle Punkte jederzeit wieder frei verteilen! So kann man seinen Spielstil flexibel vor jeder Mission ein wenig anpassen.

Ein Fest für Explosionsfetischisten

Kaum landet der Hubschrauber im Gelände, geht es in der Draufsicht mit präziser Steuerung überaus ansehnlich zur Sache; nur darf man die statische Kamera weder drehen noch zoomen. Ansonsten gilt das alte Prinzip der Zweistick-Shooter: Mit dem linken Stick bewegen, mit dem rechten zielen, mit den Schultertasten feuern, Granaten werfen oder in den Nahkampf gehen; hinzu kommen Knöpfe sowie Touchpad für diverse Spezialaktionen. Nicht nur in der Rolle des Bio-Experten ergeben sich einige coole Manöver: Er kann z.B. eine grün funkelnde Giftspur hinter sich her ziehen, vielleicht noch ein paar Minen legen und sich dann umdrehen, um einen offensiven

In einem Tutorial lernt man, wie man klettert oder Abgründe überwindet, Granaten wirft oder schießt.
Nanoschwarm auszuschicken, so dass selbst dutzende Verfolger auf dem "Rückzug" in seine Falle gehen. Wenn sich ein Team richtig abstimmt, kann man sich wunderbar ergänzen und den Multiplikator in die Höhe treiben.

Die Areale sind wesentlich größer, prächtiger und abwechslungsreicher designt als noch in Dead Nation. Es gibt acht Umgebungen zwischen Nordamerika, Südamerika, Russland sowie labyrinthische Alienschiffe. Hinzu kommen dynamische Ereignisse, die neben dem Hauptziel, das meist aus der Betätigung von Schaltern oder Aktivierung von Sendern besteht, irgendwo auf der Karte auftauchen: Mal gilt es Herausforderungen wie Gegnerwellen zu meistern, Alienbosse zu töten oder Überfälle zu überstehen. Überhaupt bietet das angenehm offene und auch vertikal verschachtelte Leveldesign einige taktische Möglichkeiten. Man kann nicht nur Geschütze aktivieren, explosive Fässer nutzen, gezielt Deckung suchen, sondern auch Treppenaufgänge oder Sackgassen in Feuerkorridore verwandeln. Ähnlich wie in Dead Nation erkennt man bei angeschossenen Autos vor dem großen Knall einen roten Schadensbereich. Und es scheppert, knallt und kracht deutlich spektakulärer als in der Zombiehatz. Was

Auch der Flammenwerfer kann sich lohnen...
Housemarque hier an Effektgewitter inszeniert ist einfach grandios! Auch en detail kann die Kulisse überzeugen - Nebel wabert, man erkennt Fußspuren, die Beleuchtung ist stimmungsvoll und die Animationen geschmeidig.

Für einen guten Spielfluss sorgt zudem die dynamische Beweglichkeit: Man kann nicht nur kurz sprinten, sondern hüfthohe Mauern, Zäune oder andere Hindernisse elegant überspringen. Auch wenn die Hand-Auge-Koordination nicht so blitzschnell funktionieren muss wie noch in Resogun: In der Hitze des Gefechts kann man es sich mit guten Reaktionen z.B. beim Nachladen über L3 einfacher machen - hier öffnet sich ein kleines Zeitfenster, so dass sich das Magazin mit dem richtigen Timimg flotter füllt. Auch die Kombination von Sprint sowie Nahkampf ist gerade in brenzligen Situationen als durchstoßende Attacke hilfreich; ansonsten sollte man auf die Abkühlzeiten der Fähigkeiten sowie die Munition achten. Es kann nämlich sein, dass der Raketen- oder Flammenwerfer plötzlich nichts mehr ausspuckt. Da man drei Waffen tragen und bei getöteten Feinden Munition finden kann, ist das aber selten ein existenzielles Problem.

Rollenspiel-Flair à la Diablo

Mit Alienation öffnet Housemarque seine Zweistick-Action für Rollenspielelemente à la Diablo, sowohl was die erwähnte Story und Entwicklung als auch Sammelreize mit Waffen in fünf Seltenheitsstufen sowie deren Ausrüstung betrifft. Shops sind also passé, man findet alles zufällig in Kisten oder bei getöteten Feinden! Natürlich freut man sich, wenn man da mal richtig Glück hat. Allerdings haben es die Finnen mit den überbordenen Beute- und Aufrüstoptionen etwas übertrieben - man ist für meinen Geschmack zu oft mit Waffenwechsel und Slotbestückung beschäftigt; ich bin da in der Zweistick-Action eher Purist, zumal man so viel Wertloses findet, das man dann verschrotten

Man kann nicht nur seinen Charakter entwickeln, sondern auch Waffen, die Slots anbieten, mit Kernen in bis zu sechs Stufen aufrüsten.
muss, was einem wiederum Metall einbringt, das man wiederum  zum Auswürfeln neuer Werte einsetzen kann - ächz! Dieses Hin und Her hat mich irgendwann eher genervt, zumal es einem im Gefecht passieren kann, dass man eine Waffe direkt ausrüstet, die weniger Schaden macht. Zwar sieht man deren Werte kurz, aber das hätte man partout verhindern sollen.

Wie funktioniert das Auswürfeln? Die Idee ist theoretisch gut, weil man etwas riskieren muss und sich verzocken kann: Man wählt eine Waffe, dann einen ihrer vier Werte (Schaden, Feuerrate, Magazin, Kritische Chance) und kann eine der fünf Metallsorten investieren, um den aktuellen Wert zufällig neu zu bestimmen - allerdings in einem klar erkennbaren Rahmen. Das lohnt sich also nicht, wenn die Pistole schon 133 von möglichen 104 bis 135 Schaden macht! Letztlich halte ich das System für überflüssig, weil selbst der erreichte Maximalwert beim Fund der nächsten seltenen oder höherstufigen Pistole nichts mehr taugt. Nützlicher ist das Prinzip der so genannten "Power Core Resources": Dahinter verbergen sich vier Kerne (Stärke, Boost, Energie, Prisma), die man zur Verbesserung der Werte in bestimmte Wummen

Gestorben? Online kann man im Koop-Modus geheilt werden. Es gibt drei Schwierigkeitsgrade, außerdem kann man mit oder ohne permanenten Tod loslegen.
einsetzen kann. Wer von einer Sorte mehrere hortet, kann ihren Wert auf bis zu sechs Stufen erhöhen. Da manche Waffen mehrere Plätze anbieten, kann man sie damit enorm aufwerten. Und auch hier bleibt man angenehm flexibel, denn man kann sie jederzeit tauschen.

Nicht so hart wie Dead Nation

Die Spielbalance kann (aufgrund der Waffenwerte?) stark schwanken: Manchmal brutzelt man einen "Boss" eines Ereignisses in wenigen Sekunden weg, plötzlich wird man hoffnungslos von allen Seiten überrollt. Grundsätzlich wechselt die Intensität. Kennern von Dead Nation dürfte das Spiel auf dem zweiten der drei Schwierigkeitsgrade (sie beeinflussen u.a. die Stärke der Gegner sowie die prozentuale Ausschüttung seltener Beute) zu einfach vorkommen, deshalb empfehle ich von Beginn an den dritten; zusätzlich kann man sich für Permatod oder Neustart an Checkpoints entscheiden. Alienation bietet mehr Ruhephasen und Raum für defensive taktische Manöver, was mir richtig gut gefällt, aber "einfach" ist es

Sehr ansehnlich: Es gibt ein Bestiarium aller entdeckten Aliens.
nicht. Vor allem wenn das Spiel vor einer "Horde" warnt, geht es so knallhart und intensiv zur Sache wie noch in der Zombiehatz: Kurz nach der Warnung wird der Bildschirm von dutzenden Aliens in Highspeed geflutet, die einen zu überrennen drohen. Hier muss man aus allen Rohren feuern, Granaten werfen, Spezialfähigkeiten einsetzen und gleichzeitig schnell aus der Gefahrenzone fliehen. Vor allem im 4-Spieler-Koop verwandelt sich der Bildschirm bei Dauerfeuer, Raketengezische und Granatendonner in ein prächtiges Polygongewitter!

Waffen können in bis zu fünf Seltenheitsstufen auftauchen.
Ihr könnt alleine oder mit bis vier Leuten kooperativ online durchstarten; ein lokaler Multiplayer ist nicht vorhanden, wird aber laut Housemarque per Patch nachgeliefert. Man kann übrigens vor dem Spiel einstellen, ob "Invasionen" zugelassen sind. Dann kann es ohne persönliche Einladung einen fliegenden Wechsel von fremden Mitspielern geben, die plötzlich auftauchen und helfen - aber Vorsicht: Sie können "abtrünnig" werden. Also muss man à la Dark Souls mit menschlichen Feinden rechnen - eine nette Idee! Genauso wie das Bestiarium, das alle bisher enrdeckten Aliens als schöne 3D-Modelle zeigt. Interessant für Perfektionisten als auch die Langzeitmotivation: Hat man das Spiel im ersten Durchlauf gemeistert, wartet eine Art "New Game +" auf euch, nur dass das hier "World Level #2" heißt. Freut euch beim zweiten Spiel auf einige interessante Zusätze in der Levelstruktur, den Quests als auch der Beute.

Fazit

Housemarque, was soll denn der Diablo-Kram in einem Zweistick-Shooter? Die professionell präsentierte, letztlich jedoch seichte Story ist geschenkt. Aber die Sammel- und Aufrüstorgie hat mich irgendwann genervt. Zum einen ist sie beim überflüssigen Würfeln der Werte nicht gut durchdacht, zum anderen kann einen das Hin und Her des Waffen- und Kernwechsels aus dem ziehen, was hier eigentlich fasziniert: die explosive Action. Denn wenn es knallt und kracht, zaubert Alienation ein Effektgewitter in höchster grafischer Qualität auf den Bildschirm, das selbst mit vier Mann online flüssig bleibt! Hinzu kommen größere und abwechslungsreichere Areale als noch in Dead Nation, Zufallsereignisse, eine blitzsaubere Steuerung, mehr Dynamik dank akrobatischer Zusätze und drei Klassen mit coolen Fähigkeiten, die sich angenehm offen spezialisieren und kombinieren lassen. Hier macht es richtig Laune, frei zwischen Gift, Nanoschwärmen & Co zu wechseln! Nicht zu vergessen der reibungslose Koop mit fliegendem Wechsel von Mitspielern. Also: Selbst wenn nicht alle Motivationsgranaten aus Action-Rollenspielen bei mir zünden und die Balance ab und an schwankt, werde ich als Fan brachialer Zweistick-Gefechte verdammt gut unterhalten - und gerade online kann man den Aliens spektakulär einheizen. Aber lasst den Blizzard in Zukunft in Texas, Jungs. Und ich drück euch die Daumen für Matterfall!

Pro

sehr präzise Steuerung
durchgestylte Präsentation
angenehm taktische Zwei-Stick-Action
coole Spezialfähigkeiten, einige Kombos
Fernkampf, Nahkampf & etwas Akrobatik
drei Klassen mit individueller Entwicklung
angenehm große, toll designte Areale
kleine Quests und dynamische Ereignisse
sehr offene Entwicklung und Aufrüstung
brachiale Explosionen und Zerstörungen
Waffenwerte würfeln oder über Steine verbessern
4-Spieler-Koop und Online-Invasionsmöglichkeit
zig Statistiken, Weltranglisten etc.
Monster-Bibliothek mit 3D-Animationen
gute englische Sprecher, gute Textübersetzung
drei Schwierigkeitsgrade; Permatod oder Restart
nach Spielende "World Level #2" freischalten

Kontra

schwache Story
etwas überbordener Aufrüstkram
überflüssiges Auswürfeln von Waffenwerten
nicht ganz so intensiv wie Dead Nation
Spielbalance kann stark schwanken
kein Kameradreh-/Zoom
nur englische Sprecher

Wertung

PlayStation4

Spielhalle trifft Diablo: Brachiale Zweistick-Action in grandioser Kulisse mit drei coolen Klassen, tollem Koop-Modus, aber etwas zu viel und teilweise überflüssigem Sammel- und Aufrüstkram.

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