Tearaway Unfolded15.09.2015, Michael Krosta

Im Test: Zauberhafte Papierwelt

Vom Handheld auf den großen Bildschirm: Sony und Media Molecule erwecken mit Tearaway: Unfolded die zauberhaften Papierwelten des Vita-Hits auf der PS4 zu neuem Leben. Aber ermöglicht der DualShock-Controller eine ähnlich starke Verbindung zwischen Spiel und Spieler? Wir sind losgezogen und haben zusammen mit dem knuffigen Boten nicht nur böse Schnipsel bekämpft, sondern nach Antworten gesucht...

Licht in der Dunkelheit

Huch, ganz schön dunkel hier. Und obwohl ich eigentlich kein großer Fan der vor allem bei Horrorspielen nervigen Beleuchtung des PS4-Controllers bin, finde ich sie jetzt zum ersten Mal wirklich sinnvoll. Denn halte ich eine der beiden Schultertasten gedrückt, leuchte ich nicht länger nur in meinen Raum, sondern direkt in die Spielwelt hinein. Und nicht nur das: Visiere ich die Standard-Schnipsel-Gegner mit dem Lichtkegel an, werden sie hypnotisiert und folgen ihm überall hin – auch in den tödlichen Abgrund. Darüber hinaus befreie ich mit der Macht der Controller-Funzel die Papierwelt von den Zeitungsausschnitten, mit deren Buchstabensalat die Schnipsel-Invasoren die Umgebung zukleistern, oder manipuliere Objekte. Nie zuvor hat die Controller-Beleuchtung sowie die clevere Einbindung der Funktion so viel Sinn ergeben wie hier, denn sie schafft eine wundervolle Brücke von der realen in die virtuelle Welt.

Die Papierwelt ist genauso außergewöhnlich wie schön.
Überhaupt fällt auf, dass Media Molecule ihrem Ruf als Kreativschmiede erneut gerecht werden und alles versucht haben, alle Möglichkeiten sinnvoll zu nutzen, die der Controller bietet – ähnlich wie es das Studio bereits mit Tearaway auf der PlayStation Vita zelebriert hat. Und aktiviert man u.a. Trampoline mit Druck auf das Touchpad oder nutzt die Bewegungssensoren, um Plattformen zu verschieben. Außerdem können sich Spielfigur und Spieler gegenseitig Objekte zuwerfen und damit endgültig die vierte Wand einreißen: Hält man die Leuchtleiste des Controllers nach oben, signalisiert man die Bereitschaft und kann sämtliche Objekte im DualShock auffangen, die man als Bote Iota (oder dem weiblichen Pendant Atoi) aus dem Bildschirm herausschleudert. Ein leichter Strich nach oben auf dem Touchpad genügt, um Objekte wie Eicheln, Gegner oder gar Eichhörnchen wieder in die virtuelle Welt zurückzuschleudern – und zwar an die Stellen, die man zuvor per Bewegungssteuerung anvisiert hat. Zuvor kann man die „Gefangenen“ aber noch ordentlich durchschütteln und bekommt entsprechende Soundeffekte durch den Lautsprecher des Controllers. Der Wind lässt sich später ebenfalls über das Streichen des Touchpads kontrollieren, so dass man Böen in alle Himmelsrichtungen aussenden kann. Durch all diese Mechaniken ergeben sich u.a. nette Umgebungsrätsel und man kann als das mysteriöse Wesen von außen wertvolle Schützenhilfe für den putzigen Boten leisten.

„Ich will eine Krone“

Auf dem Tablet funktioniert das Basteln besser als auf dem Touchpad des PS4-Controllers.
Genau wie beim Vita-Vorbild darf man auch auf der PS4 seiner kreativen Bastellust freien Lauf lassen, wenn sich der Eichhörnchenkönig z.B. eine neue Papierkrone wünscht, anderen Figuren ein Auge abhanden gekommen ist oder sie gleich ein komplettes Facelifting haben wollen. Zwar gibt es zahlreiche vorgefertigte Muster und Formen, die man durch aufgesammeltes Konfetti freischalten kann, doch manchmal muss man auch selbst kreativ werden und sich frei Hand als Künstler beweisen, um etwa Schneeflocken, Trophäen oder andere Dinge zu basteln. Leider eignet sich das Zeichnen der Umrisse über das Touchpad nur bedingt, wenn man halbwegs präzise arbeiten will. Über den Touchscreen der Vita hat es jedenfalls besser funktioniert, doch bietet Sony eine Begleit-App an, mit der man auch am Handy oder Tablet seine Papierformen erschaffen kann.

Ein wichtiges Utensil ist zudem der Fotoapparat, mit dem man u.a. weißen Objekten oder Figuren durch einen Schnappschuss ihr ursprüngliches Aussehen wiederherstellen kann. Generell lässt sich aber alles fotografisch festhalten, was in den Sucher kommt – inklusive einer gewaltigen Anzahl an Fotofiltern und Objektiven, die man durch die Investition von Konfetti freischaltet. Selbst die Erstellung kleiner GIF-Animationen wird mit dem entsprechenden Objektiv möglich – cool!        

Optionale PlayStation-Kamera ist Pflicht

Sein volles Potenzial kann die charmant inszenierte Reise durch die Papierwelt allerdings erst mit dem Anschließen einer PlayStation-Kamera entfalten. Auch wenn die Verwendung des Zubehörs nur optional ist, kann ich nicht genug betonen, wie sehr es das Spielerlebnis in diesem speziellen Fall bereichert. Schon alleine das Live-Bild des Spielers als „das Wesen“ in der Sonne zu sehen ist klasse. Darüber hinaus werden hin und wieder auch Fotos aus der realen Welt als Texturen im Spiel „missbraucht“, so dass man der Kulisse noch mehr den eigenen Touch verpassen kann. Sogar das Mikrofon kommt zum Einsatz, wenn man z.B. einer verschollenen Vogelscheuche ein bedrohliches Lachen mit den eigenen Stimmbändern bescheren soll.

Die Schnipsel sind in die Papierwelt eingefallen!
Für mich steht fest: Erst im Zusammenspiel mit der PlayStation-Kamera kommt Tearaway auf der PS4 an die Faszination heran, die sich damals auf der Vita eingestellt hat, aber erreicht oder gar übertroffen wird sie aber auch mit der optimalen Ausrüstung nicht. Warum? Weil die Beziehung zwischen Spiel und Spieler auf Sonys Handheld noch enger miteinander verknüpft war durch großartige Mechaniken, die auch für den großen Auftritt auf der Konsole schlichtweg nicht umsetzen ließen. Dazu gehörte z.B., mit dem eigenen Finger die dünnen Papierstellen der Spielwelt zu durchstoßen und durch direkten Kontakt die Gegner zu bekämpfen. Hier wirken die Auseinandersetzungen mit den Schnipseln vergleichsweise fad und es mangelt trotz zunehmender Gegner-Variationen an Abwechslung sowie Herausforderung. Zudem fühlte sich nicht nur das rückseitige Touchpad natürlicher bei der Interaktion mit der Spielwelt an als das Pendant des DualShock-Controllers. Auch das direkte Pusten des Spielers für die Windeffekte war am Handheld persönlicher und natürlicher. Trotzdem muss man festhalten, dass Media Molecule die Fähigkeiten des PS4-Controllers optimal ausnutzt und ins Spiel einbindet. Aber an das großartige Spielgefühl des Vita-Vorbilds kommt man einfach nicht heran.

Kleine Risse

Objekte lassen sich von der virtuellen Welt in den Controller schleudern - und auch wieder zurück.
Dazu gesellen sich technische Probleme, die der wunderschönen Papierfassade ein paar weniger schöne Risse bescheren. So wird zwar einen Vielzahl an Schauplätzen geboten, die von grünen Papierwiesen über ein Labor bis hin zu finsteren Höhlen jeweils ein eigenes Flair ausstrahlen und nicht nur aufgrund versteckter Geheimnisse sowie der Suche nach Konfetti zum Erkunden einladen. Doch die sowohl automatische als auch die manuelle Kamera geben immer wieder Anlass für Kritik (...sowie ungewollte Abstürze): Zum einen verschlechtern unerwartete Zooms und  Perspektivwechsel die Orientierung und zum anderen wird der niedliche Protagonist auch bei manuellen Kameraschwenks immer wieder mal von Objekten verdeckt, die nicht ausgeblendet werden. In größeren Arealen wie dem Fischerdorf stößt die Papier-Grafikengine außerdem an ihre Grenzen und es kommt zu kleinen, aber dennoch spürbaren Einbrüchen der Bildrate. Gegen Ende der erfreulich umfangreichen Reise übertreibt man es zudem mit dem inflationären Einsatz der Bewegungssteuerung, wenn ständig Plattformen oder Papierformationen durch Neigung des Controllers verschoben werden müssen, man aber gleichzeitig auch noch verkrampft Tasten bedienen muss.

Die musikalische Begleitung ist ebenfalls Geschmackssache: Trotz toller Momente und manch gelungener Arrangements ist mir der Soundtrack einen ganzen Tick zu schräg. Das mag thematisch zur Papierwelt passen, doch ich empfand viele der Stücke als ähnlich nervig wie die Kauderwelsch-Soundeffekte als Ersatz für die Sprachausgabe, die nur in vereinzelten Sequenzen mit sehr gut besetzten Sprechern ertönt. Doch während man das Geplapper im Stil von „Simlish“ in den Optionen stumm schalten kann, muss man die Musik zwingend „ertragen“. Schon auf der Vita war das Getröte auf Dauer nicht mein Fall und daran hat sich auch auf der PS4 nichts geändert.

Fazit

Tearaway verzaubert auch auf der PlayStation 4 durch die wunderschön gestaltete Papierkulisse und innovativen Mechaniken, die nahezu perfekt an die Möglichkeiten des DualShock-Controllers angepasst wurden. An die Faszination des Vita-Vorbilds kommt man allerdings nicht heran: Selbst wenn man die PlayStation-Kamera verwendet, die für diesen Titel und das witzige Einreißen der „Vierten Wand“ eigentlich ein Muss ist, mangelt es den anspruchslosen Kämpfen an Abwechslung. Das Band zwischen Spiel und Spieler wird hier nicht ganz so stark gefördert, wie es auf Sonys Handheld möglich war. Das fummelige Zeichnen via Touchpad, die am Ende zu inflationär eingesetzte Bewegungssteuerung sowie Kameraprobleme tragen ebenfalls ihren Teil dazu bei, dass trotz der abwechslungsreichen Schauplätze, der vielen kreativen Einfälle und zig Bastelmöglichkeiten der große Wow-Effekt auf der Konsole ausbleibt. Trotzdem bekommt man hier immer noch ein herrlich charmantes Abenteuer.

Pro

zauberhafte Papierkulisse und Figuren
kreative Spielmechaniken
zahlreiche Basteloptionen und vorgefertigte Muster
abwechslungsreiche Schauplätze
tolle Einbindung der PlayStation-Kamera
nette Umgebungsrätsel und optionale Mini-Aufträge
viele Kamerafilter (z.B. Negativ, schwarzweiß etc.)
versteckte Geschenke und Räume laden zum Erkunden ein

Kontra

Kämpfen mangelt es an Abwechslung und Herausforderung
zickige, mitunter unübersichtliche Kamera
fummeliges Zeichnen auf dem Touchpad
z.T. nervige und schräge Musik
ohne Zusatz-Peripherie nicht ganz so faszinierend
gegen Ende zu starker Fokus auf Bewegungssteuerung
vereinzelte Einbrüche der Bildrate in großen Arealen

Wertung

PlayStation4

Das Band zwischen Spiel und Spieler kann sich auf PS4 nicht so gut entfalten wie auf Vita. Trotzdem ist Tearaway im Großformat ein wunderschöner Abstecher in eine Papierwelt, die vor kreativen Designideen strotzt.

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